Kickers Oxxenbach - Eintracht Frankfurt

Oberliga Süd 1954/55 - 1. Spieltag

0:1 (0:0)

Termin: 22.08.1954
Zuschauer: 25.000
Schiedsrichter: Sparring (Kassel)
Tore: 0:1 Hans Weilbächer (61.)

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Kickers Oxxenbach Eintracht Frankfurt

  • Zimmermann
  • Emberger
  • Magel
  • Schreiner
  • Kämmerer
  • Keim
  • Kaufhold
  • Kraus
  • Preisendörfer
  • Kallenborn
  • Weber

 


 

Trainer
  • Oßwald
Trainer

Eintrachts „Angstgegner" ging zu Boden

Egon Loys schönstes Hochzeitsgeschenk

Es schien, als ob die ganze Eintracht für den Bruchteil einer Zehntelsekunde vor bassem Erstaunen erstarrt wäre. Konnte das sein? Der Ball lag hinten in der äußersten rechten Ecke des Tornetzes, schwer wie ein Gewichtstein, und Zimmermann lag ohnmächtig, machtlos auf der Linie. Es stand 1:0 für den Riederwald.

Selbst Weilbächer, der Schütze, brauchte eine gewisse Verzugszeit, ehe er die Hände in einem jähen Freundenrausch in die Luft warf. Die Eintracht hatte gewonnen, auf dem Bieberer Berg gewonnen. Zum ersten Male seit langen Jahren. Ein Riederwälder Verhängnis, zäh wie Sirup, hatte sich endlich aufgelöst.

Jawohl, irgendwie fühlte jeder, daß dieser 20-m-Schuß Weilbächers in der 61. Minute bereits die Entscheidung bedeutete. Man spürte es, wie dieser Treffer im Nervensystem der Offenbacher wühlte und nicht mehr zu entfernen war. Man merkte es an der Art, wie die Kickers sich nun auf einmal in die Zweikämpfe warfen, wie es nervös um die Mundwinkel Oßwalds zuckte, als er auf Kaufhold einredete, man ahnte es, als der Sturm auf einmal in neuer Formation angriff, mit Kaufhold als Linksaußen und Kallenborn als Rechtsaußen, man erhielt schließlich Gewißheit, als Kudraß — zuerst der wunde Punkt in der Eintrachtabwehr — endlich ruhiger wurde und als Loy seine Heldenbrust in die Flugbahn eines strohtrockenen Direktschusses von Kaufhold schob, die genau dieselbe Ecke anvisierte wie vorher die Bombe des glücklicheren Weilbächers.

Die Eintrachtdeckung war in diesen letzten 30 Minuten nicht mehr aufzubrechen. Plötzlich empfanden die Offenbacher Zuschauer, daß es regnete, Bindfäden regnete. Nicht alle fanden einen Platz unter dem schützenden Dach der beiden Tribünen. Irgendwo rief es „Kircher", als Kemmerer sich einen Freistoß zurechtsetzte, der dann rechts am Schießhaustor vorbeischwebte. Es war wie ein Hilferuf. Einige Kurvenbesucher gingen früher als sonst.

Kein Zufallssieg

Was am meisten an Offenbacher Herzen fraß: der Eintrachtsieg beruhte nicht auf einem Zufall. Vielleicht wäre Zimmermann bei seinem Sprung nach Weilbächers Geschoß auf trockenem Boden die fehlenden drei Zentimeter weiter gekommen, gewiß, aber vielleicht stand der Offenbacher Tormann auch nicht richtig. Der Zufall jedenfalls, der über dem Schmierseifen-Parkett des Offenbacher Rasens ständig in der Luft lag, ließ im entscheidenden Augenblick die Hand aus dem Spiele. Das mainische Spitzenderby rollte von Anfang an eine Nuance anders als das vergangene, das unvergessene, das die Eintracht gewinnen mußte und verlor.

Nur eine Nuance anders, aber eine wesentliche. Der Ueberrumpelungsversuch der Kickers war diesmal nicht so hoch komprimiert wie damals, nicht so ein- und niederreißend in der Wirkung. Freilich mußte die Eintracht zunächst einmal heikle Affären überstehen: als Kallenborn in eine. Vorlage von Kraus rutschte und der Ball gerade noch an dem herausgelaufenen Loy hängen blieb, als Schreiners Schuß über die Querlatte fetzte, als sich Kraus und Loy an der Strafraumgrenze begegneten, Kraus dem Ex-Schwabacher zuvor kam und das Leder knapp neben dem linken Pfosten ins Gras fiel, als ein zentnerschweres Ding von Kallenborn sich durch die Füße des Hochzeiters Loy hindurchzwängte, wie eine Qualle, und eine Sekunde lang auf der Linie kreiselte, als Schreiner und Kallenborn ihre Freistöße raffiniert flach ins Gedränge schoben.

Es irrlichterte oft genug vorm Eintracht-Tor; aber es stürzte nichts ein. Der Offenbacher Druck blieb nicht konstant wie damals. Er wurde so oft unterbrochen und mit Gegenstößen beantwortet, daß beim Pausenpfiff niemand mehr genau wußte: War die Gesamtsituation nun günstiger für die Kickers oder für die Eintracht gewesen, die mehr als einmal verheißungsvoll aus der Tiefe operierte? Zweimai stand Dziwoki in klarer Schußposition. Einmal verwechselte er die Füße (er muß sich halt auf Linksaußen noch eingewöhnen) und das nächstemal verrechnete er sich in der Höhe. Es war eine gefährliche Ueberlegenheit, die die Kickers da herausgewirtschaftet hatten.

Der neuralgische Punkt

Die zweite Hälfte zog herauf wie ein Unwetter. Man wußte, daß die Kickersviertelstunde und die Eintrachtviertelstunde jetzt zur gleichen Zeit ausbrechen mußten. Wer vermochte sich am energischsten zu steigern? Es war die Eintracht. Fünfzehn Minuten lang erstickte der Riederwälder Furor den Offenbacher Furor, und in der 16. Minute fiel der Treffer. Harmlos in seiner Entstehungsgeschichte— eine Querpaßfolge von Remlein über Bäumler zu Weilbächer — aber mitreißend im Endeffekt, einem entschlossenen Zuschlagen von Weilbächer, dem es endlich einmal einfiel, daß die Tormänner auf diesem Boden vor jedem Ball zittern mußten.


Das 1:0 machte erwartungsgemäß bei den Kickers die äußersten Reserven frei. Minutenlang schien es, als wollten sie das Tor umwerfen, das berühmte Schießhaustor, aber der Sturm verrauschte eher als gedacht. Die Eintracht fing sich wieder. Sie stärkte ihr Selbstbewußtsein von Minute zu Minute.

Hatte sie nicht die originelleren Ideen, die stärkeren Individualisten und vielleicht auch die besseren Reserven? Der krasseste Kontrast tat sich auf, wenn man die Zweikämpfe Stopper gegen Mittelstürmer verglich. Wloka war schon immer ein Kreuz für Preißendörfer; diesmal aber gönnte ihm der Eintrachtler noch nicht einmal die Brosamen, die von des Herrn Tische fielen. Dagegen angelte Kemmerer mehr als einmal vergeblich mit dem langen Bein nach dem glitschigen Leder, das Kreß so lange schulgerecht mit dem Körper deckte, bis sich sein Bewacher zum Zugreifen entschloß. Fort war er dann, der blonde Richard und verhaspelte sich lange nicht so oft wie sonst.

Die ständig von Kreß ausgehende brennende Gefährlichkeit erreichte auf der andern Seite nur Leichtfuß Kraus annähernd, der im Zentrum fast aller aussichtsreichen Torszenen auftauchte. Wo Kraus und Heilig zusammenstießen, lag lange ein neuralgischer Punkt. Der Unterschied im Taillenumfang war allzu groß zwischen den beiden. Daß Werner trotzdem nicht unterging, ist ein kleines Wunder. Zwischen Kraus und dem geschmeidigen Kaufhold fiel Kudraß keine beneidenswerte Aufgabe zu; er fand seine Sicherheit später als üblich. Vielleicht war es einer der Hauptgründe der Kickers-Niederlage, diesen Kraus, bei dessen langen Sätzen der Eintracht-Anhang jedesmal fröstelte, von Zeit zu Zeit zurückzuziehen, um ihn auf Pfaff zu hetzen.

Pfaff ließ sich diesmal nicht totkriegen, egal wer ihn angriff. Seine Laune war nicht zu erschüttern. Und Schreiner, der Kraus von Fall zu Fall in der Verbindung ablöste, entwickelte diesmal lange nicht das untergründige Gespür des schmalen Berti. Die Kickers verfingen sich also zum Teil in der eigenen Taktik. Bei der Eintracht dagegen schien alles mehr der freien Improvisation überlassen. Remlein ließ die Bälle nach den verschiedensten Richtungen laufen, und Pfaff, wie gesagt arbeitsfreudig wie selten, lief selbst. Auf den Kickersdeckungsspielern, die unter der Not von Kemmerer mitlitten, lastete so eine wesentlich vielfältigere Aufgabe als auf ihren Kollegen vom Riederwald. Loy brauchte sich nur einmal hinzuwerfen, so gut waren die Schüsse des Kickerssturms, in den Kallenborn vorzüglich hineinpaßt, aber keine neuen Impulse bringt, für einen geschickten Stellungsspieler zu berechnen.

Jawohl, der Sieg geht in Ordnung. Aber in einem Punkte half den Riederwäldern doch das Glück. Sie kamen diesmal, am Anfang der Saison, auf den Bieberer Berg, ohne das Nervengift des unbedingten Siegenmüssens geschluckt zu haben. „In der Rückrunde", hörte man in edler! Selbsterkenntnis murmeln, „hätten wir hier nicht gewonnen." (aus 'Der neue Sport' vom 23.08.1954)

 

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