VfB Stuttgart - Eintracht Frankfurt

Oberliga Süd 1954/55 - 7. Spieltag

2:3 (2:1)

Termin: 10.10.1954
Zuschauer: 25.000
Schiedsrichter: Schmetzer (Mannheim)
Tore: 1:0 Waldner (19.), 1:1 Hans Weilbächer (24.), 1:2 Erich Bäumler (29.), 2:2 Baitinger (51.), 2:3 Erich Bäumler (86.)

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VfB Stuttgart Eintracht Frankfurt

  • Bögelein
  • Bühler
  • Barufka
  • Krauß
  • Schlienz
  • L.Kronenbitter
  • Hinterstocker
  • Baitinger
  • Waldner
  • Blessing
  • Strohmaier

 


 

Trainer
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Trainer

Tradition der 87. Minute lebte wieder auf

Windmanns raffinierter Schachzug

Eine bereits vergessene Tradition der Eintracht lebte in Stuttgart wieder auf, die Tradition der 87. Minute. 180 Sekunden vor Schluß besiegelten die Riederwälder durch ein Tor Bäumlers die Sensation. Es war ein Tor wie aus einem Schnittmusterbogen für die Haute Coture des Fußballs herausgeschnitten.

Weilbächer laß ganz rechts an der Mittellinie einen Abschlag aus der eigenen Abwehr auf, hatte Zeit zum Umschauen und sah ganz drüben an der Strafraumecke den nachlässig markierten Bäumler stehen. Hoch schwebte die Vorlage hinüber. Bäumler stoppte, schlug aus dem Stand zu und aus einer Entfernung von zwanzig Meter schlug der Ball in der Ecke ein. Bögeleins Hechtsprung kam zu spät. Die Riederwälder trauten ihren Augen nicht, die Stuttgarter erst recht nicht.

Die mystische Bedeutung dieser 87. Minute für die Eintracht ist jedoch nicht das einzige, was in Stuttgart an guten Traditionen auflebte. Die Eintracht wirkte wie verjüngt. Sie stieg gleich einem Phönix aus der Asche, die sich nach dem schwachen Derby auf ihrem Haupt angesammelt hatte. Sie kombinierte wieder über ganze Landstriche hinweg und erreichte dabei fast die gleiche Genauigkeit wie die Stuttgarter bei ihren 3,50 Meter-Pässen von Mann zu Mann. Zwei Treffer waren glänzend herausgespielt und auch das Tor Weilbächers nach einem Freistoß von Pfaff war von der Art, wie sie sich ein Stürmer und das Publikum erträumen.

Hier zunächst die Schilderung der drei Modell-Erfolge (zum Ausschneiden!): Tor Nummer 1: Kreß boxte sich in halblinker Position durch, wurde aber von seinem zum äußersten entschlossenen Bewacher Kraus gefoult. Freistoß! Pfaff gab den Ball härter als sonst auf den Elfmeterpunkt, wo Weilbächer zu einer Art Pirouette ansetzte und das Leder in der Drehung auf die Stange haute, mit der das Netz abgestützt wird. Tor Nummer 2: Weilbächer zog Robert Schlienz von Bäumler ab, legte im richtigen Angenblick das Leder in die Gasse - Bäumler nahm es auf, beobachtete im Laufen, was Bögelein tat und sein Schuß saß flach in der linken hinteren Ecke. Tor Nummer 3 ist bereits geschildert. Wiederholt sei, daß bei ihm abermals Weilbächer, Bäumler und — wer hätte es anders erwartet — Kreß, die Väter der Sensation waren.

Der Stein der Weisen

Die Urväter aber waren Trainer Windmann und Spielausschuß Balles. Die Männer im Hintergrund fanden für das Stuttgarter Spiel so etwas wie den Stein des Weisen. Sie stellten Kreß in die linke Verbindung, und Weilbächer in die rechte. So wurde das Mittelfeld fast zwangsläufig zum Kraftfeld der Eintracht. Kreß und Weilbächer schufteten wie die Zykloben. Sie kämpften ihre Bewacher Kraus und Kronenibitter in frontalem Angriff nieder, ihr Einsatz sah aus wie Raubbau an den letzten eigenen Reserven, aber es waren immer nur die vorletzten Reserven, von denen sie zehrten. „Zwei Klasse-Halbstürmer!" sagte der unvergessene „Gummi"-Schmid, Stuttgarts großer Tormann aus der Aera vor Bögelein, nach dem Spiel schlicht, aber tief beeindruckt. Man konnte angesichts der Halbstürmerleistung leicht die gute Mittelstürmerpartie Bäumlers vergessen, der nicht ganz so oft in den Vordergrund trat, sich aber nicht minder um den Sieg verdient machte. Er war genau der Mittelstürmer, den der Arzt der Eintracht verschrieben hatte.

Ein Mann, der wußte, daß sich ein Angriff nicht in Vorarbeiten erschöpfen darf. Ohne Bäumler wären alle Kraftaufwände genau so verpufft wie bisher bei den Riederwäldern, die keinen Vollender besaßen, weil der Innensturm einschließlich Kreß aus lauter Verbindern bestand. Bäumler besaß die innere Ruhe, die zum Abwarten gehört. Er lag eineinhalb Stunden auf der Lauer, und das machte Schlienz, den alten Routinier, schließlich nervös.

So war in Stuttgart endlich wieder einmal ein architektonischer Bogen im Aufbau der Riederwälder Angriffsreihe zu erkennen. Der Sturm erneuerte seinen Ruf. Er tat es, ohne eines Pfaffs als Halbstürmer zu bedürfen. Pfaff spielte diesmal Linksaußen. Es dauerte lange, ehe er sich damit abfand und auch in der zweiten Hälfte, als er sich einige seiner schier genialen Taschenspielertricks einfallen ließ, gewann er keinen bestimmenden Einfluß auf die Geschehnisse. Das Außenstürmerproblem bleibt also im wesentlichen ungelöst, da auch Bayer die Hoffnung auf eine langsame Aufwärtsentwicklung noch nicht ganz erfüllte. Sein Gegner hieß allerdings Barufka, und dieser Barufka war zwar mit den Beinen langsamer, aber mit dem Gehirn schneller als sein junger Gegner.

Trotzdem besteht kein Zweifel: Das Spiel wurde vom Angriff gewonnen. Die Deckung leistete zwar ebenfalls gutes, aber doch nicht mehr als gewohnt. Herauszustreichen wäre allerdings Hesse, der den im Training verletzten Kudras so gut vertrat, daß Hinterstocker bald die Fittiche hängen ließ. Die Abwehr hatte es diesmal etwas leichter als sonst, da Remlein und Heilig sich fast ganz auf die Abwehr beschränken konnten. Die Außenläuferarbeit wurde von den unerschöpflichen Kreß und Weilbächer meistens nebenbei mitgemacht.

Schon die erste Halbzeit beendete die Eintracht mit einem knappen Vorsprung (2:1). Es handelte sich um das Minimum dessen, was bei etwas mehr Glück hätte herausgespielt werden können. Bäumler, Weilbächer und manchmal Bayer schossen aus allen Winkeln und allen Entfernungen und schossen so gut und so trefflich, daß Bögelein und Schlienz zeitweilig unter schweren Anfällen von Unsicherheit litten und nicht mehr wußten, wo ihnen der Kopf stand. Die Eintracht befand sich bald so in Schwung, daß sie sich auch durch den Führungstreffer der Stuttgarter (Nachschuß von Waldner) nicht verwirren ließen.

Die zweite Halbzeit, zu deren Beginn Baitinger zunächst einmal das Unentschieden herstellte, bestand aus einem großartigen Rhythmus von massierter Abwehr und gefährlichen Konterschlägen. Das ganze aber war eine Auferstehung aller guten Geister, die die Riederwälder in ihren besten Stunden beseelte. (aus 'Der neue Sport' vom 11.10.1954)

 

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