SSV Reutlingen - Eintracht Frankfurt

Oberliga Süd 1954/55 - 26. Spieltag

2:1 (0:1)

Termin: 27.03.1955
Zuschauer: 15.000
Schiedsrichter: Horn (München)
Tore: 0:1 Hans Weilbächer (20.), 1:1 Feuerlein (52.), 2:1 Grziwok (55.)

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SSV Reutlingen Eintracht Frankfurt

  • Schober
  • Ludwig
  • Baum
  • Vaas
  • W. Müller
  • Fritschi
  • H. Lidinski
  • Gernhardt
  • Grziwok
  • Feuerlein
  • Fink

 


 

Trainer
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Trainer

Wiedergeburt der Eintracht?

Siegestraum in drei Minuten zu Ende

Als die Eintracht nach 19 Minuten eines Spieles, das alle Haderer beschämen mußte, durch Weilbächer in Führung ging, versteckte sich die Reutlinger Sonne hinter einer Wolkenbank, und der Reutlinger Himmel fing an zu weinen.

Es schien, als begänne es eigens aus dem Grunde ins Notizbuch des Reporters zu regnen, um alles Gute zu verwischen, was er inzwischen über die Riederwälder notiert hatte. Dies gelang jedoch weder den soliden Schauern, die von nun an in gewissen Abständen immer wieder über den Platz rauschten, noch den beiden Toren, mit denen Feuerlein und Grziwok den Jubel des Häufleins der siebzig Riederwälder Aufrechten, die sich per Triebwagen nach Reutlingen begeben hatten, kurz nach dem Wechsel endgültig zum Schweigen brachten.

Es bleibt trotz der Niederlage dabei: Die Eintracht erlebte am Fuße der Achalm eine Wiedergeburt. Die Soli, mit denen Pfaff das Spiel so verheißungsvoll eröffnete, brachten eine Lawine des Selbstbewußtseins, der Kampfeslust und der guten Einfälle ins Rollen. „Endlich" — seufzten die Leute mit der schwarzweißen Vereinsnadel im Knopfloch. Tatsächlich: Ein Bann schien gebrochen.

Nach fünf Minuten zeichnete sich eine Situation ab, die alle Propheten zumindest verblüffte: Heilig und Remlein hatten das Gesetz des Handelns an sich gerissen. Jeder Kenner, der ein bißchen auf sich hält, hatte vorausgesagt, daß es gegen Gernhardt und Feuerlein, die gegnerischen Halbstürmerpersönlichkeiten, nur eins gäbe: Markieren bis zur Pedanterie. Heilig und Remlein aber besaßen die Frechheit und spielten offensiv. Und diesmal bewahrheitete sich das Sprichwort: Frisch gewagt ist halb gewonnen. Feuerlein wurde trotz aller Freiheiten nie zum Feuer. Vielleicht plagte ihn seine Schweinfurter Verletzung, vielleicht paßte ihm die ,,sanfte Kunst" nicht, mit der ihm Remlein ohne Kraft immer wieder das Leder entwand. Jedenfalls war der Reutlinger diesmal kein Dirigent, sondern er saß im Orchester. Und Gernhardt stieß zumeist auf zwei Gegner. Da sein Nebenmann H. Lidinsky nach einem unerforschlichen Ratschluß weit zurückhing, offenbar um die Mittelfeld-Position seiner Mannschaft zu stärken, hatte Höfer freie Hand, und er packte die Gelegenheit, bzw. Gernhardt beim Schopf. Was keinem Abwehrspieler bisher gelang, den spindeldürren Dribbler ganz auf Eis zu legen, gelang auch Höfer nicht, aber er drängte ihn zumindest aus der Richtung, und das will schon allerhand heißen.

Also — und das war das nahezu Paradoxe —, die Riederwälder Außenläufer bildeten weit mehr einen Bestandteil des Angriffs als der Abwehr und gingen dabei noch nicht einmal ein Risiko ein. Wenn bei Reutlingen Chancen anfielen, dann meist durch unberechenbare Defekte: Etwa einen Fehlschlag Bechtolds, der sich im übrigen tadellos hielt, oder ein Verirren des Balles, der schließlich zu einem günstig postierten Reutlinger fand. Bei der Eintracht dagegen beruhte jeder Raumgewinn auf wirklichem Verdienst und jede Möglichkeit auf einer konstruktiven Idee.

Die Individualisten nahmen endlich wieder Verbindung auf. Zwar fühlte sich Bäumler auf Rechtsaußen nicht recht wohl und machte den Eindruck eines Mannes, der mehr zeigen könnte als er darf. Zwar strahlte Geiger in aussichtsreicher Situation nichts als Harmlosigkeit aus, zwar ist Weilbächer noch nicht da, wo er aufhörte, obschon bereits ein gutes Stück vorwärtsgekommen, aber Pfaff und Kreß liefen dafür auf Hochtouren. Das Gehirn von Pfaff und die Gelenke von Kreß waren die Hauptstärke der Riederwälder. Und da sich viele ermutigende Ansätze zu einer neuen Gemeinsamkeit des Denkens und Handelns zeigten, fielen die kleinen Mängel kaum auf.

Die Eintracht führte verdient, und Kreß, Geiger und Bäumler vergaben weitere vier handfeste Möglichkeiten, den Sieg bis zur Pause in Sicherheit zu bringen. Möglichkeiten, die der Chance der 19. Minute, die zum einzigen Treffer führte, nicht viel nachstanden. In dieser Minute hob Pfaff den Ball hoch in den Strafraum, und ehe sich die Deckung herumgedreht hatte, entschied Weilbächer einen Wettlauf mit Tormann Schober für sich, umspielte seinen Gegner und schon den Ball ins leere Tor.

Erst kurz vor der Pause bekam Reutlingen zum ersten Male die Oberhand. Aber die Eintracht-Deckung hatte in der Zwischenzeit an Sicherheit gewonnen, und der Zwischenspurt zerschellte an Wloka, der jeden Zweikampf gegen Grziwok gewann, an Loy, der sich anscheinend bei Herberger mit neuer Entschlossenheit auftankte, und an einer Gruppe von Mitkämpfern, die ihre Torlinie mit wahrem Fanatismus verteidigten.

Reutlingens Konterschläge

Aber dann genügten drei Minuten, um die Eintracht in völlige Ausweglosigkeit zu stürzen. Drei Minuten, in denen der Gegner zweimal durch einfachste Züge tödliche Lücken aufriß. Ein Einwurf von Vaas zu Feuerlein, eine Kurzpaßfolge durch viele Beine, und dann ein entschlossener Schuß von Grziwok zum Siegestor. Grziwok stand dabei allerdings hart an der Grenze des Abseits, wahrscheinlich sogar jenseits derselben. Nun funktionierte Reutlingen auf einmal wie ein Automat. Jeder Eintracht-Angriff führte in ein Dickicht von mindestens achtzehn Beinen. In diesem Dickicht sich zu orientieren, war fast unmöglich, und so schwenkten Kreß, Weilbächer und Pfaff gezwungenermaßen wieder auf Einzelaktionen um. Dazu aber braucht man Glück, und das fehlte den Riederwäldern an diesem Tag hinten und vorn. (aus 'Der neue Sport' vom 28.03.1955)

 

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