SSV Reutlingen - Eintracht Frankfurt

Oberliga Süd 1961/62 - 19. Spieltag

4:2 (1:1)

Termin: 14.01.1962
Zuschauer: 18.000
Schiedsrichter: Fischer (Augsburg)
Tore: 0:1 Erwin Stein (6.), 1:1 Wodarzik (21.), 2:1 Fritschi (46.), 3:1 Scheurer (59.), 4:1 Scheurer (77.), 4:2 Erwin Stein (88.)

>> Spielbericht <<

SSV Reutlingen Eintracht Frankfurt

  • Bögelein
  • Rick
  • Kostorz
  • Hämmerle
  • Schießl
  • Fritschi
  • Wodarzik
  • Sattler
  • Biesinger
  • Scheurer
  • Dulz

 


 

Trainer
  • Hans Merkle
Trainer

Norbert Wodarziks tolle Freistöße

Ludwig Dotzert berichtet aus Reutlingen

SSV Reutlingen — Eintracht Frankfurt 4:2 (1:1)

Bis weit hinaus ins freie Land staute sich der Verkehr. Von allen Seiten wälzten sich die Fußballanhängerkolonnen heran. An den Schaltern der Kartenverkaufsstellen drängten sich die Menschen fast noch dichter als auf den Stehterrassen, und alles sprach von der Eintracht. Die Kreisstadt Reutlingen und sämtliche umliegenden Ortschaften in einem Radius von 50 Kilometern und mehr erwarteten die große Welt des Fußballs. Diese Erwartung erfüllte sich dann nur andeutungsweise. Dabei jedoch verwirklichte sich eine Hoffnung, die so kühn war, daß man sie ganz heimlich im Herzen bewahrte. Reutlingen schlug den Spitzenreiter! Schlug ihn in einer zweiten Halbzeit, mit der man sein Publikum glücklich macht.

Die Riederwälder hatten nach dem Wechsel keine Chance mehr, dieses Treffen zu gewinnen. Nach dem Schlußpfiff sprach alles nur noch von den Reutlingern, Die Lawine, die Paul Oßwalds Männer mit nach unten nahm, wurde durch zwei Wodarzik-Freistöße ausgelöst, die beide zu Toren führten. Bei zwei weiteren war es nahe daran. Mehr Freistöße schoß Wodarzik nicht. Er interessierte sich nur für die Dinge im Bereich zwischen 16 und 25 Metern. Aber auf diesem Stück ist er seit Jahren unumschränkter Meister. Weder ein Alfred Pfaff noch ein Heini Schuchardt erreichen mit ihren zu Recht vielbesungenen Kunsttricks eine ähnlich enorme Erfolgsquote. Mit einem Freistoßtor von Wodarzik schlugen die Reutlinger seinerzeit Kickers Offenbach. Mit zwei Freistoßtoren Wodarziks begann nun die Niederlage der Eintracht. Der erste klebte im Winkel, ehe Loy reagierte. Beim zweiten prallte die Lederkugel seitwärts in den freien Raum. Den Rest besorgte Außenläufer Fritschi mit zehn Meter Anlauf.

Es stand 2:1 eine Minute nach der Pause. Die Lawine rollte an. Mehr und mehr wurden Horn und Solz, die beiden Halbstürmer, die den Eintrachtexpreß vor der Pause aufs Erfolgsgleis rangierten, von den Brennpunkten abgedrängt. Kreß kam ohnehin nur mitunter in Szene und Schämer überhaupt nicht. Die Behutsamkeit, um nicht zu sagen, Betulichkeit, mit der sich die Riederwälder nach vorn tüftelten, wirkte sich nun doppelt nachteilig aus. Schon sehr früh hatte Kapitän Weilbächer seine mahnende Stimme erhoben: „Alfred, net so lang". Damit war Alfred Horn gemeint. Gerade weil er im übrigen der Wertvollste war, der Kopf und Anführer der Riederwälder Offensiveinheiten, gerade deshalb fielen seine kleinen Schwächen besonders schwer ins Gewicht. Aber noch nahm das niemand tragisch. Der Führungstreffer fiel, und Horn hatte den entscheidenden Paß, Solz die präzise Flanke dazu geliefert. Erwin Stein ließ sich beim Stoppen und Schießen durch die Nähe des Torhüter Altmeisters Bögelein nicht im geringsten irritieren. Daß die Eintracht zur Not auch ohne acht Stürmer zu Toren kommen kann, war bewiesen.

Weilbächer und Schymik, dem in Vertretung des verletzten Stinka anfänglich manch Ermutigendes gelang, machten sich breiter und breiter im Mittelfeld. Die Eintracht schien gerade dabei, ein reißfestes Netz um den Gegner zu legen, als ihr Wodarzik mit seinem Freistoß Nummer 1 den ersten Stoß versetzte. Dieser erste Stoß warf die Eintracht noch nicht um. Sie blieb sogar im nun folgenden packenden Spielwirbel weiterhin leicht im Vorteil. Aber sie stand schon nicht mehr allzu fest. Beim zweiten Freistoßtor von Wodarzik, in der schwerwiegenden Minute unmittelbar nach dem Wechsel, war es dann geschehen.

Die Riederwälder gerieten ins Wanken. Auf einmal merkte man wieder, wie wichtig zwei elegante Außenstürmer sind. Die Reutlinger, bei denen Wodarzik sofort und später auch Dulz zu Besttorm aufliefen, hatten bei ihren Vorstößen die größere Spannweite. Wodarzik und Dulz zerrten den Menschenknäuel in der Mitte mit ruckartigen Aktionen von zwei Seiten weit auseinander. Die Innenstürmer hatten auf diese Weise ständig freie Sicht zum Tor. Durch die Anziehungskraft, die Dulz und Wodarzik als verheißungsvolle Flügelsprinter auf ihre Hintermänner ausübten, wurde das Spiel der Reutlinger von selbst großräumig und steil.

Die Riederwälder dagegen kamen immer seltener aus dem Kleinkram heraus. Horn, der Kopf der ersten Halbzeit, hatte längst die Uebersicht verloren, der Energieüberschuß des Wolfgang Solz war vertan, Stinka lag zu Hause im Bett, Kreuz ebenfalls verletzt — es mangelt an Florettfechtern hinten und vorn. Unter diesen Umständen war es nur logisch, daß man versuchte, Spielwitz durch erhöhte Kraft und Menschenaufwand wettzumachen. Weilbächer reihte sich an Stelle Horns in den Sturm ein. Wenn die Lederkugel in Richtung Reutlinger Tor flog, dann machte die gesamte Eintracht diese Vorwärtsbewegung mit. Jeder Angriff war ein Massenangriff. Schymik verlor endgültig die Kontrolle über seinen direkten Gegner Scheurer, der seine plötzliche Bewegungsfreiheit sofort zum dritten Tor ausnutzte und dabei an Loy vorbei fast bis ins Netz stürmte. Von Scheurers Fuß war auch die Lederkugel abgeschickt, die schließlich zum vierten Reutlinger Tor unter die Latte führte.

Jetzt, da die Riederwälder stürmten um jeden Preis, fühlten sich die Konterspezialisten um Biesinger am wohlsten. Erst kurz vor Schluß fiel das zweite Tor des Spitzenreiters. Flanke Solz, Kopfball Stein! Es wirkte wie eine Erinnerung an die frohen Zeiten der ersten Halbzeit. (aus 'Der neue Sport' vom 15.01.1962)

 

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