Hamburger SV - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1968/1969 - 33. Spieltag

1:4 (0:2)

Termin: Sa 31.05.1969, 15:30 Uhr
Zuschauer: 7.000
Schiedsrichter: Hans-Joachim Weyland (Oberhausen)
Tore: 0:1 Bernd Nickel (33.), 0:2 Jürgen Kalb (36.), 1:2 Uwe Seeler (56.), 1:3 Bernd Nickel (74.), 1:4 Jürgen Kalb (89.)

 

 

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Hamburger SV Eintracht Frankfurt

  • Arkoc Özcan
  • Helmut Sandmann
  • Holger Dieckmann
  • Egon Horst
  • Jürgen Kurbjuhn
  • Uwe Seeler
  • Hans-Jürgen Hellfritz
  • Charly Dörfel
  • Hubert Schöll
  • Jürgen Dringelstein
  • Robert Pötzschke

 


 

Wechsel
  • Hans Schulz für Hans-Jürgen Hellfritz (46.)
Wechsel
Trainer
  • Kurt Koch
Trainer

 

 

Ohne Sentimentalitäten

Es ist eine Zeit des Abschieds beim Hamburger SV. Werner „Eia“ Krämer zieht es ins heimatliche Ruhrgebiet zurück. Der Mittelfeldspieler, der vor zwei Jahren für 175.000 DM Ablöse vom MSV Duisburg losgeeist wurde, hat seinen Klub bereits Mitte April gebeten, ihn aus familiären Gründen vorzeitig aus dem bis 1971 laufenden Vertrag zu entlassen. „Wenn Krämer nach Hause will, dann können und werden wir es nicht verhindern“, lautete der Kommentar von HSV-Schatzmeister Karl Mechlen: „Uns nützt nur ein Spieler, der mit dem ganzen Herzen bei der Sache ist.“ „Mir tut es leid, denn ich bin mit Werner Krämer sehr befreundet“, fand Uwe Seeler: „Seine zuletzt etwas schwächeren Leistungen waren mir einfach unerklärlich. Aber ein Spiel, wie es Werner Krämer am letzten Sonnabend in München zeigte, nutzt uns als Mannschaft einfach nichts.“

Während über Krämers beruflicher Zukunft noch nicht entschieden ist, beenden zwei seiner Kameraden ihre professionelle Laufbahn. Bei Egon Horst, der Ende November 31 Jahre alt wird, kommt das nicht gänzlich unerwartet, doch Holger Dieckmann steht mit gerade 26 Lenzen in der Blüte seiner Jahre. Diesen Schritt, sagte Diekmann, habe er sich „reiflich überlegt. Ich benötige einfach mehr Zeit für meinen Beruf als Sportjournalist. Ich muss mich auch etwas mehr meiner Familie widmen. Die Doppelbelastung Fußball und Journalismus ist auf die Dauer einfach zu groß“, erklärte der Vater von Zwillingen.

Bereits verabschiedet hat sich Trainer Kurt Koch, der vor einem Jahr mit dem HSV noch im Finale des Europapokals der Pokalsieger stand und bis vor Kurzem in der Bundesliga auf Rang 2 stand. „Bisher hat noch kein Mitglied des Präsidiums mit mir darüber gesprochen, ob mein Vertrag verlängert werden soll oder nicht. Aber wenn der HSV sich wirklich von mir trennen sollte, wäre das für mich kein Grund zum Weinen. Der HSV ist nicht mit mir verheiratet und ich mit dem HSV auch nicht. Mehr will ich zu dieser Angelegenheit nicht sagen“, hatte Koch Mitte März gesagt und sich nur wenige Tage später für das Angebot entschieden, das ihm vom Regionalligisten Arminia Hannover offeriert worden war. „Ich wollte nicht, dass es zu einem Wettrennen zwischen mir und Georg Knöpfle beim HSV kommt, und außerdem finde ich die Aufgabe in Hannover besonders reizvoll“, begründete Koch seine Wahl.

Seinem Spieler Willi Schulz leuchtete das ein: „Ich kann Koch verstehen, dass er endlich einmal die alleinige Entscheidung bei einem Verein haben will.“ Geschäftsführer Günter Mahlmann kommentierte das Ganze mit großer Gelassenheit: „Ich hatte keine Ahnung, falle aber auch nicht vom Stuhl.“ Koch kann das ebenfalls nicht mehr passieren, zumindest nicht in Hamburg, denn nach dem 2:0-Heimsieg gegen Gladbach Anfang Mai entschied man sich beim HSV den Trainerstuhl mit dem bisherigen Technischen Direktor Knöpfle zu besetzen. Der hat ehrgeizige Ziele: „Ich will eine Mannschaft mit Zukunft formen. Das ist in der nächsten Saison meine Absicht.“

Von der Mannschaft der Gegenwart wollen sich heute beim Spiel gegen die Frankfurter Eintracht nur noch 7.000 Zuschauer verabschieden. Das kommt nicht von ungefähr, denn mit vier Niederlagen in den letzten fünf Partien hat der HSV keine Werbung in eigener Sache betreiben können. Die Gäste aus Hessen, die die letzten drei Duelle mit dem HSV in Hamburg gewonnen haben, stellen dagegen fast schon so etwas wie die Mannschaft der Stunde dar: Seit fünf Spielen ist Trainer Ribbecks Truppe ungeschlagen, hat dabei acht von zehn möglichen Punkten eingefahren und ist vom Tabellenende auf Platz 12 geklettert.

Während Ribbeck seine zuletzt gegen den TSV 1860 München mit 3:0 siegreiche Elf unverändert lassen kann, muss Knöpfle weiterhin auf Krämer sowie auf Abwehrspieler Willi Schulz und Angreifer Hönig verzichten. Der Ausfall des nach Seeler mit zehn Toren erfolgreichsten Schützen dieser Spielzeit ist nicht so leicht zu verkraften, zumal Hönig beim 2:3 bei der Hertha am letzten Spieltag beide Hamburger Treffer beisteuerte. Immerhin kann sich der HSV darüber freuen, dass der aus dem Rheingau stammende Spieler nach zwei Spielzeiten in Hamburg seinen Vertrag Anfang Mai um drei weitere Jahre verlängert hat, obwohl neben Bayern München auch die Frankfurter Eintracht interessiert gewesen sein soll: „Ich hatte wirklich sehr gute Angebote, aber ich bin nicht der Typ, der gern wandert, heute in dieser, im nächsten Jahr in einer anderen Stadt spielen kann“, hat Hönig gesagt, der einst in der Nähe von Wiesbaden beim FV 08 Geisenheim kickte, bevor es in 1964 in den Norden zu Holstein Kiel zog: „In Hamburg fühlt sich meine Familie wohl, und ich selbst verstehe mich beim HSV mit meinen Kameraden ausgezeichnet.“

Noch besser als die Spieler beim HSV verstehen sich heute auf dem Rasen die Herren aus dem Hessischen, die im Mittelfeld in Bernd Hölzenbein und Jürgen Kalb ein Dirigenten-Duo haben, das mit 23 bzw. 21 Lenzen noch jung an Jahren ist, doch bereits technische Finesse mit läuferischer Stärke verbindet. Und im Sturm wartet mit dem 20-jährigen Bernd Nickel der dritte dieser jungen Wilden mit einem unerhörten Bums im linken Stiefel auf. Den bekommt Torwart Özcan in der 33. Minute zu sehen, aber nicht zu halten. Unerreichbar saust das von Nickel aus 20 Metern Torentfernung abgefeuerte Geschoss zur 1:0-Führung in den Winkel des Hamburger Heiligtums.

Der HSV hat sich von diesem Rückstand noch nicht erholt, da unterläuft Dieckmann bei seinem letzten Auftritt vor eigenem Publikum ein kapitaler Fehler: Er verliert den Ball an Hölzenbein, der das Leder sofort in die Mitte passt, wo Kalb aus 12 Metern zum 0:2 trifft. Auch bei diesem scharfen Schuss hatte der bedauernswerte Özcan keine Abwehrmöglichkeit.

Knöpfle reagiert in der Halbzeitpause und bringt Hans Schulz für Hans-Jürgen Hellfritz. Auch Ribbeck wechselt, nimmt Hermann-Dieter Bellut aus der Partie und verhilft dem 19-jährigen Gert Trinklein zu seinem Debüt in der Bundesliga. Die Elf mit Zukunft, die Knöpfle beim HSV noch formen will, hat bei der Eintracht unter dem jüngsten Bundesligatrainer Erich Ribbeck schon Gestalt angenommen. Notgedrungen allerdings, denn die Frankfurter hatten und haben nach Jahren, in denen sie über ihre Verhältnisse gelebt haben, schlicht nicht (mehr) das Geld, um Spieler wie Jürgen Friedrich und Peter Blusch zu halten oder erfahrene Profis zu verpflichten und müssen sich aus dem zum Glück vorhandenen Reservoir der eigenen Talente bedienen.

Dem ersatzgeschwächten HSV fehlt es an diesem Nachmittag weiter an der Substanz, um dieser Begegnung noch einmal eine Wende geben zu können. Es reicht zwar zum Anschlusstreffer durch das 100. Bundesligator von Uwe Seeler, der nach einer Flanke von Robert Pötzschke den Ball per Kopf zum 23. Mal in dieser Runde in den gegnerischen Maschen versenkt, doch viel mehr will den Gastgebern nach diesem 1:2 in der 56. Minute nicht gelingen.

Ribbeck kann es nach 67 Minuten sogar erlauben, mit Wilhelm Huberts seinen ältesten und neben Lindner und Jusufi erfahrensten Akteur vom Platz zu nehmen und durch den 21-jährigen Stürmer Walter Bechtold zu ersetzen, an den der HSV trotz seiner Jugend bereits unangenehme Erinnerung hat. In der Hinrunde erzielte er den 2:2-Endstand, beim letzten Duell der beiden Mannschaften in Hamburg bereitete er den einzigen Treffer vor und beim 2:0-Sieg der Hessen hier vor zwei Jahren zeichnete er für beide Tore verantwortlich.

Heute jedoch trägt er sich nicht in die Schützenliste ein. Es ist bisher die Bühne von zwei anderen Spielern gewesen und das bleibt sie auch. Dabei profitiert Nickel in der 74. Minute von einem weiteren Fehler Dieckmanns, der sich bei einem Abstoß von Torhüter Kunter verschätzt und den aufspringenden Ball verpasst. Nickel zieht mit der Kugel los und lässt Özcan bei seinem Solo erneut keine Chance. Den Schlusspunkt setzt Nickel, den Gegenspieler Horst trotz engagierter Leistung nicht unter Kontrolle bekommt, dann in der vorletzten Minute gemeinsam mit Kalb. Mit einem Doppelpass lassen sie die Abwehr des HSV ein letztes Mal schlecht aussehen, bevor Kalb zum 1:4 trifft.

Jürgen Kalbs großartiges Spiel ist auch der „Bild“ aufgefallen, die den Eintracht-Spieler zum dritten Mal in dieser Saison in ihre „Nationalelf der Woche“ beruft. Keinen Grund zur Freude hat dagegen Holger Dieckmann, der bei seinem letzten Heimspiel für den HSV von einem Teil der Zuschauer mit Pfiffen verabschiedet wurde. Grämen will er sich deswegen freilich nicht: „Ich hatte mir natürlich einen schöneren Abschluss gewünscht, aber wenn es an diesem Tag nicht ging, dann ist das für mich kein Grund zum Weinen.“ „Schlechte Spiele macht man immer wieder einmal. Dass es ausgerechnet im letzten Spiel so schlimm gekommen ist, macht mir weiter nichts aus“, versichert er: „Ich werde an diese Begegnung später nicht öfter zurückdenken als an andere Kämpfe auch.“ Eine Abschiedsfeier wird es ohnehin nicht geben: „Ich bin eben kein Freund von Sentimentalitäten.“

Das Saisonende herbei sehnt sein Trainer Knöpfle: „Gut, dass die Serie zu Ende geht. Die Mannschaft besitzt einfach keine Reserven mehr.“ „Das Ergebnis gleicht einer Blamage“, schimpft er, während sein junger Kollege Ribbeck frohlockt, dass in dieser Saison der Unterschied zwischen Kellerkindern und Spitzenmannschaften wohl nicht sehr groß sei. Nach Punkten sind es noch drei Zähler, die die Eintracht als Zehnten vom HSV auf Platz sechs trennen. Der HSV strebt als Sechster allerdings der Wiederholung seiner bislang besten Platzierung in der Bundesliga entgegen, während die Eintracht seit Gründung der Eliteliga in der Abschlusstabelle nie schlechter als auf Rang acht notiert war. So schnell und unbemerkt können sich bisweilen die Blickwinkel verschieben. (rs)

 

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