Kickers Oxxenbach - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1970/1971 - 33. Spieltag

0:2 (0:1)

Termin: Sa 29.05.1971, 15:30 Uhr
Zuschauer: 31.500
Schiedsrichter: Kurt Tschenscher (Mannheim)
Tore: 0:1 Bernd Nickel (17.), 0:2 Bernd Hölzenbein (62.)

 

 

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Kickers Oxxenbach Eintracht Frankfurt

  • Karlheinz Volz
  • Nikolaus Semlitsch
  • Roland Weida
  • Helmut Kremers
  • Egon Schmitt
  • Heinz Schönberger
  • Lothar Skala
  • Erwin Kremers
  • Walter Bechtold
  • Horst Gecks
  • Gerhard Kraft

 


 

Wechsel
  • Helmut Nerlinger für Heinz Schönberger (46.)
  • Klaus Winkler für Horst Gecks (76.)
Wechsel
Trainer
  • Kuno Klötzer
Trainer



0:1 durch Bernd Nickel
Nickels Traumtor zum 0:1


Mit vereinten Kräften geklärt: Kremers, Hölzenbein,
Kunter, Kraft, Lutz, Bechtold,Reichel

 

Zwei Treffer aus dem Bilderbuch

Zwei außergewöhnliche Tore entschieden ein außergewöhnliches Spiel in außergewöhnlichen Augenblicken. Siebzehn Minuten der ersten Halbzeit waren gelaufen, als Bernd Nickel eine Hölzenbein-Flanke per Rückwärtssalto aus zehn Metern in den Winkel bugsierte. Nach abermals siebzehn Minuten der zweiten Halbzeit stieß Hölzenbein eine Flanke Kalbs mit der Stirn zum 2:0 für die Frankfurter unter die Latte. Die Tore wurden in den Abendstunden des Pfingstsamstags in drei Fernsehprogrammen gezeigt, im Ersten sogar zweimal. Trotzdem gab es Leute, die weitere Wiederholungen gerne in Kauf genommen hätten. Sie trauten ihren Augen noch immer nicht so recht.

Bevor sich die beiden geradezu pathetischen Tore ereigneten, geschah nämlich — oberflächlich gesehen — nicht sehr viel, was Tore für die Frankfurter erwarten ließ. Da nestelten die Offenbacher in aller Gemütsruhe an einem Netz, das ihrem Gegner die Luft zu nehmen drohte. Nur in den siebzehn Minuten der 0:0-Phase verfügte die Eintracht über ausreichende Gegenmittel. In fast gleichmäßigen Abständen überraschte sie mit ruckartigen Entfesselungsakten, die immerhin mehrere Eckbälle und für Nickel und Kalb zwei große Chancen brachten. In den siebzehn Minuten, die den zweiten Durchgang einleiteten, fand die Eintracht keine Lücken mehr im Netz der Kickers. Sie strampelte nur noch. Die Tore fielen jeweils im letzten Moment vor dem Aus, auch wenn sich dieses Aus in der ersten Halbheit weniger deutlich abzeichnete.

Trotzdem waren diese Tore alles andere als Zufall. Sie lagen in der Richtung eines Spiels, das nach den taktischen Plänen der Eintracht abrollte. Diese Eintracht machte sich auf dem Bieberer Berg bewußt kleiner als sie ist. Sie nahm das Spiel mit nur zwei Angriffsspitzen auf. In den panischen siebzehn Minuten nach dem Wechsel fehlten auch diese. Die ganze Mannschaft rottete sich in der Strafraumzone zusammen, um den Ausgleichstreffer, der nun unvermeidlich schien, so lange wie möglich hinauszuschieben. Die Eintracht konnte einen stürmenden Gegner, der so stürmte wie die Kickers nach der Pause, nicht mehr loswerden.

Die Offenbacher waren in dieser Zeitpanne, in der Walter Bechtold seine Blitze schleuderte und ein Kopfball des endlich einmal freistehenden Weida knapp verfehlte, als Trinklein den Ball von der Linie scharrte und Dr. Kunter sich zur Zentralfigur der Eintracht steigerte, drauf und dran, den taktischen Plan ihres Gegners in der Luft zu zerreißen. Sie heizten zugleich aber auch den Brutofen an, in dem das zweite Tor der Frankfurter reifte. Dieses Tor konnte nur fallen, weil die Kickersabwehr einen Entlastungsvorstoß von Kalb maßlos unterschätzte. Und so schlug der Plan Ribbecks selbst in der Phase zum Guten aus, als sich seine Schwächen offenbarten.

Der Plan war nicht neu. Unter der Bezeichnung 4-4-2-System gehört er zum gängigen Repertoire. Bestechend war aber, mit welch unbeirrbarer Konsequenz ihn die Frankfurter handhabten. Ein besessener Dr. Kunter, ein ausgegorener Dieter Lindner, ein Reichel, der jeden Schritt mit seinem berühmten Gegner Erwin Kremers mitmachte, und ein Karl Heinz Wirth, der Gecks nahezu lahmlegte, bildeten zusammen mit der Ein-Mann-Rettungswache Friedel Lutz den Stahlkern einer besessenen Abwehr, zu der auch Heese und Kalb gehörten.

Heese verschliß sich in einem kristallklaren Duell mit dem ehrgeizigen Bechtold. Kalb kämpfte mit Weida einen unentschieden endenden Zermürbungskampf und zog nebenbei die Spurts an, die den brillanten Hölzenbein und den unbeugsamen Nickel auf Touren brachten. Kalb und Hölzenbein überspielten das Stück, das Grabowski, der zwei Spritzen gegen seine Rückenschmerzen verkraften mußte, von seiner Höchstform entfernt war, mit Bravour. Alle Frankfurter ohne Ausnahme beherrschten ihren Part im 4-4-2-Plan ihres Trainers zuwenigst vom Wesen her perfekt.

Die Offenbacher waren nicht schwächer, vielleicht sogar stärker. Aber sie trennten sich nicht von der Illusion, mit ihrer Favoritenstellung sei der Sieg garantiert. Ihre Pulse pochten eine Spur weniger heftig. Nur Bechtold, Weida und der junge Skala befanden sich ständig in dem Alarmzustand, den die Situation erforderte. Die Kickers hatten vielleicht einen Sieg zuviel auf der Rekordliste der letzten Wochen, um auch dieses Spiel zu gewinnen.


Kämpfend Richtung rettendes Ufer

Hermann Nuber drückte Dieter Lindner vor dem Kabinenhof die Hand: „Ihr habt es verdient!" Der Dieter Lindner aber war an diesem Tag der Hermann Nuber vom Bieberer Berg. Wie er, der Nothelfer, sich in die Breschen warf, als der Kickers-Druck übermächtig zu werden schien, war ein Beispiel für alle. Die Eintracht kämpfte sich zum rettenden Ufer. Jeder einzelne war um ein Stück verbissener, ehrgeiziger, zäher als jeder einzelne Offenbacher. Die Frankfurter spielten ihr Spiel aus der Defensive heraus, vertrauten auf die schnellen Leute, und nach Flanke von Hölzenbein schoß Nickel in der 17. Minute ein Fabeltor per Fallrückzieher, und nach Flanke von Kalb köpfte Hölzenbein in der 63. Minute das zweite, nicht minder prachtvoll, am langen Volz vorbei. Die 31.500 Zuschauer waren baß erstaunt von dieser kampfbesessenen Eintracht, die dann, als es 2:0 stand, endlich einmal wieder lässig und befreit aufspielte und dabei ganz hübsche Kombinationen zauberte. Die Offenbacher Kickers waren dem Ausgleich manchmal bis auf Fingerbreite nahe, aber sie scheiterten nicht nur an einer fanatischen Eintracht-Abwehr — sie scheiterten auch an einem überragenden Peter Kunter.

Die Kickers rätselten lange an Ribbecks Plänen herum. Der Eintracht-Trainer hatte zwar seine übliche Formation auf dem Platz, aber sie recht zu begreifen, war wirklich sehr schwierig. Kluge Schachzüge von ihm waren, den schnellen Reichel gegen Erwin Kremers zu stellen, während auf der anderen Seite Wirth gegen Gecks verteidigte und Heese sich gegen Offenbachs großen Regisseur Walter Bechtold versuchte.

Bei fast allen anderen aber ließ Ribbeck der Intuition freien Lauf. Und was Kalb gegen Weida, Hölzenbein gegen Skala, Trinklein gegen Schönberger und Nickel gegen Semlitsch aus ihren Rollen machten, das war brillant. Aus zurückgezogenen Positionen preschten sie plötzlich wie die Wiesel nach vorne. Niemals wußte man, wer nun angetrabt kam und wo er angetrabt kam.

Koordinator „Grabi"

Jürgen Grabowski spielte so etwas wie einen Koordinator, und so gab es trotz einer optischen Überlegenheit der weißgekleideten Offenbacher Kickers eigentlich mehr Zündstoff vor dem Gehäuse von Volz als vor dem von Kunter. Bei Kalbs erstem Sturmlauf rettete Skala noch in höchster Not vor dem schußbereiten Hölzenbein, dann sauste Bernd Nickel mit einer Prachtvorlage von Trinklein übers halbe Feld und schoß ans Außennetz.

Aber als bei einem weiteren Sturmlauf der Ball zu Hölzenbein kam, der Zeit am linken Flügel hatte, um gezielt zu flanken, da schoß Bernd Nickel in der 17. Minute ein Supertor. Mit einem Fallrückzieher nahm er den Ball und knallte ihn ins obere Toreck. Karlheinz Volz konnte nichts anderes machen, als verblüfft zu schauen, und selbst die Offenbacher Fans mußten gestehen: „Ein wunderbares Tor!"

Und so ging es weiter. Die energische Störarbeit der Eintracht in allen Positionen ließ die Kickers nicht ins Laufen kommen. Reichel klebte an Erwin Kremers, von dem man am Bieberer Berg lange nicht mehr so wenig gesehen hatte wie an diesem Derbytag, obwohl er doch ziemlich unberührt bleiben mußte von der Stimmung, von der Hektik, die sich am Main breitgemacht hatte.

„Kalla" Wirth ließ zwar seine Nervosität bei etlichen Querschlägen deutlich erkennen, aber die Gecks-Dribblings stoppte er dennoch schon im Ansatz. Seine Stärke war das Tackling, und da kam „Pille" Gecks einfach nicht vorbei. Bechtold kam selten zu Superpässen, dafür um so öfter zu kraftvollen Schüssen, und von Zeit zu Zeit kamen sie immer mehr in Tornähe. Einmal, als Kraft ihm vorgelebt hatte, fehlten nur Zentimeter; Kraft übrigens, so behäbig er auch wirkte, war eine ständige Bedrohung für die Eintracht-Abwehr, die ja nun auch ganz gewiß nicht sehr abgeklärt und ruhig dem Geschehen zusah.

Friedel, Friedel!

Besonders Friedel Lutz leistete sich wieder einige Dinge, wenn er den Ball durchließ, statt kräftig heranzugehen, die auch die Eintracht-Anhänger in Schrecken versetzten. Und eine solche Szene war Sekunden vor dem Halbzeitpfiff: Kraft kam aus der Drehung heraus zum Schuß, aber da war es allein noch Peter Kunter, der das bis dato verdiente 1:0 festhielt.

Der Druck der Offenbacher hatte sich gegen Ende der ersten Halbzeit wieder gewaltig angehoben. Sie hatten sich von Schreck der gefährlichen Eintracht-Konter erholt und brachten nun selbst ihre streitbarsten Männer wie Semlitsch oder Weida bis in den Eintracht-Strafraum hinein, wo sich nun alles zusammenfand. Aber einmal rettete bei einem tollen Bechtold-Schuß Peter Kunter mit einer Faustabwehr über die Querlatte. Dann fing er prächtig, als Gecks und Bechtold abzogen, und als er in einem Gedränge doch einmal überwunden schien, da rettete Trinklein auf der Linie. Nun konnten die Offenbacher Fans ihrer Kickers-Mannschaft nicht mehr vorwerfen, daß sie einfach in Mangel an Kampfesfreude der energischen Eintracht unterlegen sei. Nun wollten sie die große Wende.

Zweite Hälfte

Die Kickers brachten zur zweiten Halbzeit überraschend Nerlinger für Schönberger ins Feld, der den Belastungen dieses gewaltigen Nervenkrieges und dieses harten Mann-gegen-Mann-Duells offenbar nicht gewachsen war. Bei dem Druck, den die Kickers nun produzierten, schien es nur eine Frage der Zeit zu sein, wann der Ausgleich fällt. Aber Peter Kunter warf sich in die Ecken. Er hielt alles, was ankam, und die Kickers-Stürmer waren der Verzweiflung nahe.

Eine ganz besonders strahlende Figur im Eintracht-Strafraum aber, der immer den Fuß am richtigen Platz hatte, war Dieter Lindner, der sich zerrupfte, als ob er das Spiel seines Lebens spielte, das ja vielleicht sein letztes Spiel im großen Rahmen war. Er war der gewaltige Kämpfer im Eintracht-Strafraum, er half besonders mit, daß trotz der drückenden Überlegenheit, die die Offenbacher nun hatten, trotz der großen Szenen von Bechtold, Kraft und Weida das Eintracht-Tor rein blieb.

Entlastungsangriffe der Eintracht konnte man an einer Hand abzählen. Einmal rannte Kalb übers Feld, ohne bis ans gute Ende zu kommen, einmal stand Grabowski mutterseelenallein drei Offenbachern gegenüber, und dabei rannte sich sogar der Dribbelkünstler fest. Aber plötzlich, nach einem Freistoß, den Nerlinger an Reichel verursacht hatte, kam Jürgen Kalb wieder mit Riesenschritten auf seine Laufbahn rechts außen, zirkelte eine phantastische Flanke, Bernd Hölzenbein machte zwei energische Schritte und einen wohlgezielten Kopfball zum völlig überraschenden 2:0 (63. Minute). Und danach war es mit dem ganz großen Feuer der Offenbacher auch vorbei.

Beifall für Eintracht

Die Eintracht spielte so locker, wie man sie in der ganzen Saison nicht gesehen hatte, paßte sich die Bälle zu, bekam sogar Beifall und gestaltete die Partie, die für sie schon schiefgelaufen schien, wieder völlig ausgeglichen.

In der 75. Minute hätte sie beinahe sogar einen Elfmeter bekommen können, denn nur mit einem ausgestreckten Arm konnte Egon Schmitt Jürgen Grabowski am Weiterkommen und am möglichen Torschuß hindern. Die Kickers hatten nach dem 0:2 eine ganz große Chance, als ein Freistoß von Helmut Kremers in den Strafraum segelte, Bechtold mit dem Kopf den Ball weiterverlängerte und Weida eigentlich nur einzunicken brauchte, aber er erwischte den Ball falsch und sein Kopfball strich über das Tor.

Für die letzten 15 Minuten brachten dann beide Mannschaften noch einen neuen Mann herein: die Offenbacher den wuchtigen Winkler für Gecks und die Eintracht Rohrbach für den angeschlagenen Trinklein. Natürlich machten die Kickers noch einmal Dampf auf, natürlich hatte die Eintracht jetzt sehr viel Zeit und war ganz bedächtig, hatte es auch leicht zu spielen. Aber bei dem ganzen Kickers-Stürmen kam nicht mehr heraus als ein Lattenschuß von Bechtold, dem zornigsten Mann im Kickers-Trikot, dem, der sich bis zum Schlußpfiff zerriß, um das Blatt zu wenden.

Nach dem Schlußpfiff aber machten die Eintrachtler Jubelsprünge wie lange nicht mehr, fielen sich um den Hals, und ihre Fans stimmten frohe Gesänge an. Arm in Arm kamen als erste Friedel Lutz und „Kalla" Wirth vom Platz und ließen sich feiern.

 

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