FV Biebrich 02 - Eintracht Frankfurt

Freundschaftsspiel 1971/1972

1:2 (1:2)

Termin: 25.08.1971
Zuschauer: 2.400
Schiedsrichter: Scheller (Wiesbaden)
Tore: 0:1 Jürgen Grabowski (9.), 0:2 Jürgen Grabowski (23.), 1:2 Hassler (42.)

 

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FV Biebrich 02 Eintracht Frankfurt

  • Brück
  • Köhler
  • Hofmann
  • Heiderich
  • Müller
  • Portugall
  • Barth
  • Hassler
  • Herrmann
  • Kehr
  • von Hoeßle

 


 

Wechsel
  • Reinhold für Müller (31.)
  • Groh für Brück (46.)
  • Gusche für Herrmann (66.)
Wechsel
Trainer
  • Nikolic
Trainer

 

Biebricher Buben

Vor acht Tagen sind Außerirdische in Deutschland gelandet, doch das interessiert in Biebrich heute kaum jemand. Der Start der englischen Science-Fiction-Fernsehserie "UFO" ist längst nicht so weltbewegend wie der Auftritt eines Einheimischen: Der Biebricher Bub kehrt heim. Sechs Jahre ist es her, dass Jürgen Grabowski Angebote von Opel Rüsselsheim und dem SV Alsenborn ablehnte und nach Frankfurt wechselte. "Kommen Sie zur Eintracht, wir machen einen guten Fußballer aus Ihnen", hatte ihm der damalige Eintracht-Präsident Rudi Gramlich versprochen, aber es wäre falsch zu behaupten, Gramlich habe Wort gehalten. Es war Grabowski selbst, der die Versprechen eingelöst hat, die sein Talent ungefragt für ihn gemacht hatte.

Doch mehr als alle Förderer ahnen konnten, hat Grabowski eine Entwicklung genommen, die ihn mit Mitte Zwanzig knapp unterhalb des höchsten Gipfels geführt hat, den ein Fußballer erklimmen kann. Den besten Auswechselspieler der Welt nannte man ihn nach der WM in Mexiko im letzten Jahr voller Respekt, weil er es in diesem größten Fußballturnier wie kein anderer verstanden hatte, nach einer Einwechslung einem Spiel neues Leben und Feuer einzuhauchen oder gar eine Wende zu geben. Den Weltmeistertitel mit der DFB-Auswahl verpasste "Grabi" im denkwürdigen Halbfinale gegen Italiens Kicker, sein Name ist seit diesen Tagen jedoch im fußballinteressierten Teil der Welt jedem Fan und jedem Kenner ein Begriff.

Heute führt Grabowski die Bundesligamannschaft des Meisters von 1959 als Kapitän auf das Dyckerhoff-Sportfeld, wo des Nationalspielers ehemaliger Verein, der FV Biebrich 02, seine Spielstätte hat. Mit 16 Jahren war Grabowski vom SV Biebrich 19 zum Lokalrivalen gewechselt, wo er erst in der Jugend und später auch in der ersten Mannschaft spielte, bevor er in die Bundesliga wechselte. Es war die große Zeit des FV Biebrich 02, der sich in der höchsten hessischen Amateurliga mit dem SV Wiesbaden oder Opel Rüsselsheim messen konnte. Die 2.400 Zuschauer, die heute den Heimkehrer und den Bundesligisten sehen wollen, waren in jenen Jahren auch eine durchaus übliche Kulisse für die Biebricher Punktspiele. Doch dem Abgang von Grabowski und Gerd Klier 1965 folgte drei Jahre später der Abstieg aus der Hessenliga und der Zuschauerzuspruch ließ deutlich nach.

Es fällt eben schwer, hoffnungsvolle Talente zu binden und gestandene Spieler zu verpflichten, wenn man nach der Spesenordnung des Hessischen Fußball-Verbandes richtet. Acht Mark für Heim- und 14 Mark für Auswärtsspiele sowie donnerstags nach dem Training einen Verzehrgutschein in Höhe von drei Mark, damit lässt sich auf Dauer im Konzert der Großen des Amateurfußballs nicht mittun, auch wenn sich der Spielausschuss nach den Partien mit dem Verteilen von Biermarken nicht lumpen lässt oder die Biebricher als erster Wiesbadener Verein Reisen ins In- und Ausland unternahmen. Die Realität im Sommer 1971 sieht deshalb so aus: Der Klassenerhalt konnte erst im Entscheidungsspiel gegen Germania Oberroden gesichert werden, das der FV 02 mit 1:0 für sich entscheiden konnte.

Jürgen Grabowski leidet mit seinem alten Verein, und er kehrt gerne zurück: In Biebrich hat er sich wohlgefühlt, den Menschen im Verein vertraut. Nicht umsonst nahm er vor seinem Wechsel das Spielausschuss-Mitglied Horst Klee zu den Gesprächen mit Eintracht-Präsident Rudi Gramlich mit. Heute trifft er auf Weggefährten, die damals mit ihm vom Biebricher Coach Heinz Przybilla trainiert wurden: Franz Hassler, Klaus-Dieter Herrmann und Rainer Köhler.

So entsteht aus der alten Verbundenheit heraus ein wunderbares Foto: Umrahmt von den Biebrichern Spielern steht Grabowski vor dem Anpfiff mit seiner Elf auf dem Dyckerhoffplatz. Einträchtig stehen sie da, die beiden Tabellenfünfzehnten der letzten Saison – die Eintracht in der Bundesliga, die 02er in der Gruppenliga Süd.

Eintracht-Trainer Erich Ribbeck genügt das harmonische Bild natürlich nicht als Eindruck des Gastes aus Frankfurt, er will auch von seinem Team im Spiel etwas sehen. "Die müssen ran, das ist Trainingsersatz! Weidle, Schämer, Aust - die bekommen nichts geschenkt", kündigt er vor der Partie in dem von ihm bekannten Ton an. Doch auch sein Torwart hat sich für diese Partie ein Ziel gesetzt: Dr. Kunter will ohne Gegentor bleiben. Als er Anfang der 60er Jahre mit Eintracht Wetzlar hier gastierte, musste er ein halbes Dutzend Mal hinter sich greifen …


Franz Hassler und
Jürgen Grabowski

Trainer und Torwart sind nicht die Einzigen, die sich heute etwas vorgenommen haben. Bereits in der dritten Minute setzt sich Kehr durch und Dr. Kunter kann das frühe Aus für sein Vorhaben, hier zu Null zu spielen, nur mit einer Glanzparade verhindern. Das Publikum rast vor Begeisterung und der Vorsitzende Horst Klee ist glücklich: "So viel Beifall für einen Torschuss hatten wir schon Jahre nicht mehr!"

Freilich teilen dieses Glücksgefühl nicht alle Biebricher, Wolfgang Müller wirkt alles andere als entspannt. Das ist kein Wunder, denn ihm fällt die mehr als undankbare Aufgabe zu, Jürgen Grabowski zu bewachen. Das gestaltet sich nicht nur schwierig, sondern geradezu unmöglich. Grabowski ist nicht nach Hause gekommen, um sich bewundern zu lassen, sondern um Fußball zu spielen. Es ist nicht seine Sache, über den Rasen zu schlendern und hier und dort ein paar Kabinettstückchen einzustreuen - "Grabi", der Liebhaber schneller Autos, gibt Vollgas und zieht alle Register seiner Kunst.

Nach nur neun Minuten schlägt Grabowski zum ersten Mal zu und bringt die Eintracht in Führung. Torhüter Brück im Kasten der Biebricher ist machtlos gegen den Schuss des Nationalspielers und auch beim zweiten Treffer des Eintrachtkapitäns ist der sichere Schlussmann ohne Abwehrchance. Nach 30 Minuten ist dann "Grabis" Gegenspieler Müller am Ende, bleibt aber bis zum Schluss ein fairer Verlierer. "Ich habe im Rahmen des Möglichen alles versucht, den Grabi zu stoppen. Es ging nicht. Und reintreten wollte ich auch nicht", stöhnt der Schweißgebadete, für den Reinhold in die Partie kommt.

Nun ist es nicht so, dass die restlichen Eintrachtspieler nicht auch gerne zu einem Torerfolg kommen wollten, doch es gelingt ihnen einfach nicht. Die Gastgeber, die ihre Gegner vor dem Anpfiff mit Nelkensträußen empfangen haben, sind nicht gewillt, weitere Geschenke anzubieten, und machen es den Frankfurtern schwer. Die können sich heute nicht auf die gefährlichen Schüsse ihres Kanoniers "Dr. Hammer" verlassen, denn Nickel ist wie Kalb bei den DFB-Amateuren.

Drei Minuten vor der Halbzeit kommt dann der Auftritt von Grabowskis ehemaligen Weggefährten: Herrmann schlägt eine Flanke, die sein Kapitän Franz Hassler aus der Luft nimmt, Dr. Kunter streckt sich vergeblich nach dem Geschoss und es steht nur noch 1:2. "Biebricher Pfeile Grabowski, Klier und Hassler", so lautete eine Schlagzeile aus der gemeinsamen Zeit in der Hessenliga. Zwei dieser Pfeile haben in diesem Spiel dreimal zugeschlagen. Der dritte Pfeil ist nach seinem Gastspiel beim HSV in der letzten Saison nun in die Regionalliga zurückgekehrt: Gerd Klier. Das erste seiner vier Bundesligatore für die Hamburger erzielte Klier übrigens gegen … Eintracht Frankfurt. Man könnte meinen, die Biebricher Buben wollten es sich bei aller Freundschaft immer noch gegenseitig beweisen.

Sollte sich die Eintracht nach der Pause auf einen kräftemäßigen Einbruch der Gastgeber eingerichtet haben, wird sie sich einen neuen Plan ausdenken müssen. Diesen Gefallen tun ihnen die 02er nämlich nicht. Im Gegenteil, geschickt halten sie den Ball in den eigenen Reihen und geben den Frankfurtern kaum Gelegenheit, gefährlich vor das nun von Peter Groh gehütete Tor zu kommen. Der beweist mit zwei tollen Robinsonaden, dass er auf der Linie ein wahrer Tausendsassa ist.

Der Leser, der bei dieser Beschreibung der beiden Torwartparaden unweigerlich an den berühmten Schiffbrüchigen in Daniel Defoes unsterblichen Roman denkt, ist entschuldigt. Ihm sei lediglich gesagt, dass Robinsonaden gewaltige Hechtsprünge des Torhüters beschreiben und auf den legendären englischen Keeper John William "Jack" Robinson zurückgehen, der bei einem Freundschaftsspiel mit Southampton in Wien das Publikum mit seinen Flugkünsten begeisterte. Ein schöner Ausdruck, wie der Autor dieser Zeilen findet, viel zu schön, um der Vergessenheit anheimzufallen.

Schlussmann Groh ist insgesamt nicht allzu häufig gefordert und kann sich auf seine Vorderleute verlassen, die einen vorzüglichen Dienst verrichten. Als Hölzenbein mit einem Kopfball das dritte Tor für die Gäste zu erzwingen scheint, ist Portugall zur Stelle und holt das Leder von der Linie. Portugall sorgt auch sonst immer wieder für Entlastung, während Hofmann und Heiderich mehr Bälle stoppen und wegköpfen, als in zwei Punktspielen zusammen.

Köhler lässt sich unterdessen weiterhin von Weidle nicht an der Nase herumführen, und bei Ender Konca beeindruckt ihn bestenfalls der Umfang der Oberschenkel, die am ehesten mit denen von Gerd Müller zu vergleichen sind. Von der Torgefährlichkeit des Münchner Mittelstürmers hat der Frankfurter Linksaußen, der nach der Pause für Parits in die Partie gekommen ist, allerdings nichts. Enttäuscht sind die Zuschauer aber auch von dem erstmals nach seiner Verletzungspause eingesetzten Horst Heese: Dessen Kopfbälle sind dürftig, seine Geschosse Rohrkrepierer.

So kann beim Bundesligisten nur Grabowski überzeugen und begeistern. Seine Solo-Einlagen sind alleine den Besuch dieses Freundschaftsspiels wert, seine Antrittsschnelligkeit auf engstem Raum ist nicht weniger als atemberaubend. Es fehlen jedoch die erhofften Glanzlichter der restlichen Profis in der hereinbrechenden Dämmerung. Nach 67 Minuten muss zu allem Überfluss bei den mit 13 Spielern angereisten Frankfurtern der in der 46. Minute gegen Trinklein ausgetauschte Hölzenbein für Weidle aufs Feld zurückkehren.

Gegen Ende des Spiels ist der FV Biebrich 02 dann tatsächlich drauf und dran, den Ausgleich zu erzielen. Der aufgerückte Verteidiger Köhler feuert in der 83. Minute einen Mordsschuss ab, der den Zuschauern den Torschrei bereits auf die Lippen legt. Ist der Ball in Kunters Kasten? Der gut leitende Hessenliga-Schiedsrichter Scheuer sagt Nein. Schade, der Gruppenligist hätte ein Unentschieden verdient gehabt. Wie auch immer - das einzige standesgemäße Ergebnis an diesem Tag ist ohnehin das des Vorspiels, in dem im Vergleich der C-Jugend beider Vereine die Eintracht Frankfurt mit 5:0 die Oberhand behalten hatte.

Dr. Kunter, so wird außerdem berichtet, soll gegenüber dem Biebricher Horst Seilberger nach dem Match bestätigt haben, dass der Ball die Torlinie überschritten hatte. Horst Klee lässt sich jedenfalls die glänzende Laune durch die umstrittene Szene nicht verderben, nutzt die hervorragende Leistung seiner Biebricher sowie die Gunst der Stunde und lädt per Lautsprecher zum Samstagspiel gegen Rot-Weiss Walldorf ein. "Gegen den Spitzenreiter der Gruppenliga erwarten wir Sie, verehrte Zuschauer, genauso zahlreich wie heute." Dem FV wäre es zu gönnen!

Erich Ribbeck aber ist nach dem Spiel nicht sonderlich gut aufgelegt und stellt einmal wieder unter Beweis, wie streng das von ihm geführte Regiment ist. Sein Marschbefehl entzieht seine Spieler dem Essen, zu dem die Biebricher ihre Gäste geladen hatten, und schickt seine Profis stattdessen ins Bett. (rs)

 

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