Eintracht Braunschweig - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1971/1972 - 8. Spieltag

2:0 (0:0)

Termin: Sa 25.09.1971, 15:30 Uhr
Zuschauer: 8.000
Schiedsrichter: Dr. Gerd Siepe (Köln)
Tore: 1:0 Ludwig Bründl (48.), 2:0 Dietmar Erler (67.)

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Eintracht Braunschweig Eintracht Frankfurt

  • Horst Wolter
  • Wolfgang Grzyb
  • Joachim Bäse
  • Peter Kaack
  • Franz Merkhoffer
  • Ludwig Bründl
  • Max Lorenz
  • Dietmar Erler
  • Eberhard Haun
  • Bernd Gersdorff
  • Klaus Gerwien

 


 

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Trainer Trainer

Am Ende gewinnt immer die Eintracht ...

... manchmal allerdings ist es die falsche Eintracht, die den Sieg davon trägt. Nur im ersten Bundesligajahr gelang es der Eintracht aus Frankfurt, bei ihrem Namensvetter in Braunschweig doppelt zu punkten. In den Folgejahren gab es für die Hessen bei den Niedersachsen nichts zu holen. Bis auf zwei magere Unentschieden setzte es für die Adler bei den Löwen in Braunschweig nur Niederlagen. Hier, daran besteht kein Zweifel, wird es für die Frankfurter Eintracht nicht einfach werden, den ersten Auswärtspunkt dieser Saison zu ergattern. Bei den Riederwäldern bereitet zudem die Defensive Trainer Ribbeck größere Sorgen. Gerade auf fremden Plätzen hat sich der Abwehrverbund der Eintracht als besonders löchrig erwiesen. Alles in allem sicher keine idealen Voraussetzungen, um den ersten Auswärtspunkt der laufenden Saison einzufahren.

Dabei haben die Braunschweiger in dieser Saison erst einen Punktspielsieg eingefahren und sind auch anderweitig gebeutelt. Die zu Recht als solide geltenden Braunschweiger sehen sich unvermittelt im Bundesligaskandal involviert. Lothar Ulsaß, der Braunschweiger Nationalspieler, wurde ab 7. August 1971 bis 1. Januar 1973 gesperrt: Beim 1:1 gegen Oberhausen am 34. Spieltag der vorherigen Saison wurde ihm von dritter Seite eine zusätzliche Siegprämie versprochen. Der Ausfall von Ulsaß trifft die Eintracht hart. Nach zwei mittelmäßigen Spielzeiten hatte der Publikumsliebling in der letzten Saison mit 18 Treffern nicht nur zu alter Stärke zurückgefunden, sondern die meisten Treffer überhaupt in seiner Karriere erzielt. Der Mannschaftskapitän fehlt den Niedersachsen als erfolgreichster Bundesligatorjäger der Vereinsgeschichte, aber auch als Persönlichkeit sehr. Die Braunschweiger gelten ohnehin nicht gerade als die Erfinder des Toreschießens, dafür können sie sich auf ihre stabile Abwehr verlassen.

Gästetrainer Ribbeck entscheidet sich dennoch oder gerade wegen der defensiven Stärke des Gegners für eine offensiver ausgerichtete Taktik. Ribbeck kehrt nach den letzten beiden Spielen mit einem 4-4-2-System wieder zum 4-3-3 zurück, wodurch Stürmer Ender Konca wieder in der Startelf steht. Seinen Platz auf der Bank nimmt zunächst Jürgen Kalb ein. Diese taktisch offensivere Variante verpufft jedoch wirkungslos: Die Abwehr des Deutschen Meisters von 1967 stellt von Anfang an klar, warum sie so einen ausgezeichneten Ruf genießt.

Frankfurt Stürmer Parits und Ender gewinnen zwar das eine oder andere Duell gegen Kaack und Grzyb, doch entscheidend durchsetzen können sie sich nicht. Am Schlimmsten erwischt es Jürgen Grabowski. Der brillante Techniker, der beim 5:2-Sieg in Frankfurt vor wenigen Monaten mit seinen Dribblings die Hintermannschaft der Braunschweiger atomisiert hatte, wird vom ebenso entschlossenen wie hart spielenden Franz Merkhoffer aus dem Spiel genommen.

Die Frankfurter Eintracht kommt nicht nur wegen des strömenden Regens, der den Platz schnell überschwemmt und knöcheltief gemacht hat, des Öfteren ins Schwimmen. Nach 15 Minuten Anlaufzeit tauchen die Braunschweiger immer öfter gefährlicher vor Dr. Kunters Kasten auf. Unter diesem Druck wird aus der zunächst gemäßigten Defensive der Riederwälder doch wieder ein Betongemisch, das wenig Luft und Kreativität für eigene Angriffe lässt.

Insgesamt spielen die Hessen erschreckend schwach, zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen fehlt die Bindung, besonders zwischen Mittelfeld und Sturm. Im Mittelfeld wirkt Bernd Nickel an diesem Tag matt. Bernd Hölzenbein kann dem Angriffsspiel der Eintracht ebenfalls keine Impulse verleihen, weil er sich der Bewachung von Haun nicht entziehen kann. Die Frankfurter Konterversuche scheitern viel zu oft fast kläglich.


Die Braunschweiger sind im Mittelfeld den Frankfurtern in allen Belangen überlegen. Davon profitiert natürlich besonders der Angriff der Braunschweiger. Klaus Gerwien und Ludwig Bründl beschwören ein ums andere Mal Gefahr vor dem Eintracht-Tor herauf. Lediglich der Braunschweiger Stürmer Dietmar Erler hat anfangs einige Mühe mit dem engagierten Peter Reichel.

Zwischen Bründl und dem Frankfurter Schlussmann Dr. Kunter entwickelt sich ein spannender Zweikampf, den der Keeper in der ersten Halbzeit für sich entscheiden kann. In großartiger Manier vereitelt er zunächst alle Versuche des Braunschweiger Stürmers, ein Tor zu erzielen. In der 17. Minute ist Dr. Kunter zwar geschlagen, Bründl trifft jedoch aus elf Meter Entfernung vor dem verlassenen Kasten nur den Pfosten.

Wenn auch Braunschweigs Torwart Wolter gelegentlich in den Matsch fliegen muss, ist es das Verdienst von Parits, der sich noch als agilste Frankfurter Spitze zu profilieren weiß. Fernschüsse wären in der Tat an diesem Tag und auf diesem rutschigen Boden, das Mittel der Wahl. Die Frankfurter jedoch verweigern sich aus nicht ersichtlichen Gründen dieser Möglichkeit, Aufsetzer, wie der von Ender in der 32. Minute oder der verdeckte 18-Meter-Schuss von Parits bleiben die rühmlichen Ausnahmen in einem einfalls- und drucklosen Offensivspiel der Gäste.

Viel zu wenig Entlastung für die oftmals unter Druck stehende Abwehr wurde durch das Mittelfeld geleistet. Weder Hölzenbein noch Nickel konnten das Kommando an sich reißen. Allerdings versagten in dieser Phase auch Prominentere. Einige wenige Dribblings, die meist am dritten Verteidiger scheiterten, waren das einzige, was Grabowski bis dahin bot. Und von dem Türken Ender ist bis auf seinen Aufsetzer viel zu wenig zu sehen. So ist die recht sattelfeste Braunschweiger Deckung nicht entscheidend zu schlagen. Heese kann dagegen trotz der redlichen Mühe, die er sich erkennbar gibt, die Kreise von Bernd Gersdorff, der am Ende des Spieltages wie sein Mannschaftskamerad Merkhoffer den Sprung in die "Kicker"-"Elf des Tages" schaffen wird, nicht einengen. Gersdorff macht nahezu nach Belieben Tempo. Gut, dass Dr. Kunter als letzte Instanz immer wieder rettend eingreifen kann.

Einen Patzer leistet sich der hervorragende Torwart dann doch, als er den Ball direkt vor ein Braunschweiger Stürmerbein faustet, aber wiederum Bründl auch diese Chance freistehend auf dem Elfmeterpunkt nicht nutzen kann. Sechs Minuten vor der Pause gleicht Kunter diesen Lapsus wieder aus. Erler zieht mit einem Steilpass des aufgerückten Bäse auf und davon, doch Kunter stürzt ihm entgegen und bekommt noch die Finger an den gefährlichen Schrägschuss. Sekunden vor dem Halbzeitpfiff wäre der Keeper wohl machtlos, aber der Ball findet den Weg ins Tor nicht, sondern verfehlt den Frankfurter Kasten um Zentimeter.

Ribbeck nutzt die Pause für warme Worte und seine Spieler für trockene Sachen. Eine Umstellung lässt sich jedoch ebenso wenig ausmachen wie eine Auswechslung dokumentieren. Sollen allein die neuen weinroten statt knallroten Trikots als Signal für eine Wende dienen?

Wer diese Hoffnung hat, der muss sie schon kurz danach wieder aufgeben. Eine Erler-Flanke passiert die Frankfurter Hintermannschaft und kommt genau auf Bründl, der drei Meter vor dem Kasten keine Mühe hat, den Ball über die Linie zu drücken. Im strömenden Regen erzielt Bründl in der 48. Minute das 1:0 für die Niedersachsen. Selbst der überragende Kunter, der bis hierhin mit seinen Paraden das Unentschieden gegen die übermächtigen Braunschweiger gehalten hat, ist machtlos.

Die Gäste versuchen zurückzuschlagen, aber ihre Mittel am heutigen Nachmittag sind begrenzt. Dennoch hat Rohrbach die Chance zum Ausgleich, doch der Schuss des Frankfurter Verteidigers wird von Grzyb von der Linie geschlagen. Es gelingt Ribbecks Truppe einfach nicht, die Vorstellung ihres Trainers umzusetzen und eine Verbindung der geforderten konsequenten Defensive mit dem Naturell der Mannschaft, das im Angriff mit offenem Visier besteht, zu finden. Der Trainer muss sich fragen, warum im besten Fall lediglich die Hälfte seiner Mannschaft an ihre Normalform heranreicht. Der Austausch von Nickel gegen Kalb nach genau einer Stunde hilft dem Spiel seiner Eintracht jedenfalls auch nicht. Der einzige Lichtpunkt des ersten Durchgangs, Paris, ist mittlerweile seinen Nebenleute gleich in der Versenkung verschwunden.

In der 63. Minute kommt der weiter schwächelnden Diva vom Main dann Schiedsrichter Dr. Siepe zu Hilfe. Rohrbach, der heute im Gegensatz zu den Vorwochen nicht als Verteidiger zu überzeugen weiß, klatscht im Strafraum der Ball an die Hand - Dr. Siepe jedoch entscheidet auf weiterspielen. Die Entscheidung ist damit aber nur um wenige Minuten verschoben.

Bründl ist es, der vier Minuten später das 2:0 einleitet. Blitzschnell sind die Braunschweiger über die entblößte Frankfurter Deckung hergefallen. Dietmar Erler fliegt wie ein Torpedo in Bründls Flanke, ist Sekundenbruchteile schneller am Ball als der heraushechtende Dr. Kunter und köpft zur Erleichterung der völlig durchnässten Zuschauer ein.

Eine resignierende Frankfurter Eintracht hat nun nicht mehr den Mut und die Kraft, das Blatt noch einmal zu wenden. Es gibt einfach zu viele Ausfälle im Mittelfeld und Angriff. Dass die Dominanz der Braunschweiger am Ende nicht auch am Ergebnis abzulesen ist, verdankt die Eintracht aus Frankfurt den soliden Trinklein, Lutz und Reichel sowie allen voran ihrem vorzüglichen Torhüter Dr. Kunter, der mehr als einmal eine höhere Niederlage verhindert. Der nur 1,75 große Schlussmann vereitelt so viele Braunschweiger Großchancen, dass er im "Kicker" nicht nur in die "Elf des Tages" berufen wird, sondern auch als "Der Mann des Tages" gefeiert wird.

Der "katzengewandte Mann mit den sanften Händen", wie ihn "Kicker"-Redakteur Wolfgang Rothenburger einmal respektvoll genannt hat, wird aufgrund seiner Sprungkraft und seinen Reaktionen auf der Linie zu den besten Torhütern der Bundesliga gezählt. Zu einer ganz großen Karriere fehlen dem Doktor der Zahnmedizin – wie Sepp Herberger einmal sagte – vielleicht nur ein paar Zentimeter Körpergröße ... oder ein Bundestrainer, der sich von fehlender Körpergröße nicht beeindrucken lässt.

Die Bedeutung des Frankfurter Torhüters für das Ergebnis dieses Spiels ist auch Braunschweigs Trainer Otto Knefler nicht entgangen: "Glück und Torhüter Dr. Kunter haben es die Frankfurter zu verdanken, dass wir nicht höher gewannen." "Wir kamen vom Willen zur Leistung, vom Kampf zum guten Spiel. Wir waren im Mittelfeld schneller, kamen aus dem Mittelfeld schneller und stärker. Jeder Spieler hat sich diszipliniert an seine Aufgabe gehalten. Von der ersten bis zur 90. Minute sah man den Willen zum Sieg", begründet Otto Knefler den zweifachen Punktgewinn seiner Elf und wird von seinem Spieler Merkhoffer bestätigt. Der erklärt nämlich ganz ähnlich, wie es ihm gelungen ist, Grabowski auszuschalten: "Erst muss man zeigen, dass man da ist, und dann 90 Minuten da sein, auf Fuß- und Tuchfühlung."

"Wir hatten zu viele Solisten", klagt Ribbeck währenddessen den Journalisten sein Leid, "bei meiner Mannschaft sah man zu viel Spiel auf eigene Faust." "Mein Angriff war stumpf. Ich hatte nie das Gefühl, dass ein Tor für uns hätte fallen können", kritisiert Ribbeck enttäuscht seine Spieler, ohne seine taktischen Vorgaben infrage zu stellen.

Die Eintracht aus Braunschweig springt vom 14. auf den 11. Platz, während die Frankfurter Eintracht vom 11. auf den 12. abrutscht. Am nächsten Spieltag gilt es gegen den Tabellenvorletzten aus Oberhausen, im Waldstadion verlorenen Boden wieder gutzumachen.

Nachtrag

Lothar Ulsaß erhält trotz seiner laufenden Sperre - wie einige andere Spieler – später die Freigabe fürs Ausland. Am 16. August 1972 wird ihm diese erteilt und er wechselt zum traditionsreichen Wiener Sport-Club. Der gelernte Großhandelskaufmann hat zu diesem Zeitpunkt auch seinen Job als Prokurist einer Elektrofirma verloren. Später arbeitet Ulsaß lange Jahre in seiner neuen Heimat Wien als Generalvertreter einer Sportartikelfirma. Lothar Ulsaß verstirbt in seiner Wahlheimat Wien am 16. Juni 1999 im Alter von nur 58 Jahren an einem Schlaganfall.

Neben dem "Verhandlungsführer" Ulsaß erden von den Braunschweiger Spielern, die für ihren Sieg Geld wollten und bekommen haben, nur zwei weitere Akteure gesperrt: Burkhard Öller – mittlerweile bei Hannover 96 unter Vertrag - vom 9. Februar 1973 bis 8. Mai 1973 sowie Max Lorenz vom 15. 1. 1972 bis 31. 3. 1973. Lorenz beendet daraufhin im Sommer 1972 seine aktive Laufbahn als Profi-Fußballer.

Die anderen Spieler Horst Wolter, Wolfgang Grzyb, Peter Kaack, Franz Merkhoffer, Bernd Gersdorff, Klaus Gerwien, Rainer Skrotzki, Eberhard Haun, Jaro Deppe, Dietmar Erler, Friedhelm Haebermann, Joachim Bäse und Michael Polywka erhalten keine Sperre, sondern lediglich die obligatorische Geldstrafe. (rs)

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© text, artwork & code by fg

 




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