Eintracht Frankfurt - Hamburger SV

Bundesliga 1971/1972 - 18. Spieltag

4:0 (1:0)

Termin: Sa 22.01.1972, 15:30 Uhr
Zuschauer: 21.000
Schiedsrichter: Rudolf Schröck (Riegelsberg)
Tore: 1:0 Bernd Nickel (5.), 2:0 Roland Weidle (47.), 3:0 Thomas Parits (63.), 4:0 Horst Heese (86.)

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Eintracht Frankfurt Hamburger SV

 


  • Rudolf Kargus
  • Helmut Sandmann
  • Manfred Kaltz
  • Peter Nogly
  • Hans-Jürgen Hellfritz
  • Uwe Seeler
  • Willi Schulz
  • Klaus Winkler
  • Ole Björnmose
  • Klaus Zaczyk
  • Franz-Josef Hönig

 

Wechsel Wechsel
  • Caspar Memering für Hans-Jürgen Hellfritz (63.)
Trainer Trainer
  • Klaus-Dieter Ochs

 

 

Hase im Pfeffer

Am Abend vor dem Rückrundenstart der Bundesliga bringt die Sportgerichtsverhandlung des DFB in Frankfurt die erste Überraschung: Der 3:0-Sieg von Hertha BSC Berlin gegen Schalke 04 am 15. Dezember 1971 im Rückspiel des DFB-Pokals wurde annuliert und die Partie für Schalke gewertet. Hertha BSC wurde außerdem zu 5.000 Mark Geldstrafe verurteilt. Grund für das Urteil des Sportgerichts ist der Einsatz des vom DFB wegen Manipulationsverdachts mit einer vorläufigen Sperre belegten Berliner Spielers Varga in der Partie gegen Schalke. Die Hertha glaubte, die Spielberechtigung Vargas mit einer einstweiligen Verfügung durch das Landgericht Berlin erwirkt zu haben. Sie irrte und nun zieht Schalke 04 anstelle der Hertha in die nächste Pokalrunde ein. Das DFB-Sportgericht tagt indes weiter, es verhandelt über die Manipulationsvorwürfe gegen die Berliner Spieler Varga, Rumor und Gergely.

Wohin führt die Frankfurter Eintracht der Weg in der Rückrunde? Bleibt man im Mittelfeld der Tabelle stecken? Führt der Weg in einen Kampf um die UEFA-Cup-Plätze oder doch nur wieder in den Abstiegskampf? Viel hängt davon ab, ob es den Mannen von Trainer Ribbeck in der zweiten Halbserie gelingen wird, auswärts ähnlich stark aufzuspielen wie im heimischen Waldstadion. Ausgeglichen haben die Hessen ihre Auswärtsschwäche bisher durch ihre beindruckende Heimbilanz: Ganze zwei Punkte hat man in der Vorrunde zu Hause abgegeben, nicht ein einziges Spiel dort verloren.

Vor dem Spiel gegen den HSV stehen die Zeichen eher ungünstig für die Eintracht. Der HSV holte bisher auswärts 10 Punkte, genauso viele wie zu Hause. Zum Saisonauftakt gab es für die Hessen eine 1:5-Abfuhr bei den Hansestädtern. Zudem haben die Adlerträger seit sechseinhalb Jahren gegen die Norddeutschen kein Heimspiel mehr gewonnen – seit dem 14. August 1965, um genau zu sein. "Schluss mit dieser Serie", sagt Eintracht-Trainer Ribbeck, "das 1:5 zu Saisonbeginn in Hamburg war die Niederlage, die uns bisher an meisten wehtat."

Sicher, bei den Hamburgern ist aus der Mannschaft von 1965 heute nur noch Willi Schulz in der Startelf und bei den Frankfurtern sogar kein einziger mehr. Doch genau diese Tatsache ist es, die der Eintracht Kopfschmerzen bereitet: Der einzige Spieler in ihren Reihen, der am letzten Heimsieg gegen den HSV mitgewirkt hat, fällt heute verletzungsbedingt aus: Jürgen Grabowski, der Kapitän und überragende Mann der Hessen in der Vorrunde.

"Grabi" bereitet sich für seine Rückkehr auf Spielfeld vor. Durch Fußbäder hofft der Eintracht-Kapitän, seinen lädierten Knöchel baldmöglichst kurieren zu können. Am Freitag beginnt der National-Rechtsaußen, jetzt mit üppigem Oberlippenbart ausgestattet, erstmals seit sechs Wochen wieder mit dem Lauftraining. Das Ergebnis des Tests stimmt optimistisch. Ein Einsatz in Köln scheint nicht ausgeschlossen zu sein.

Grabowskis Verletzungspech ist allerdings Roland Weidles Glück: Weidle, der am letzten Hinrundenspieltag gegen Duisburg ab der 72. Minute zu seinen ersten Bundesligaminuten in dieser Saison kam, spielte bis kurz vor Ende der Vorrunde in den Überlegungen von Trainer Ribbeck keine Rolle mehr. Auf der Seite des HSV kommt für den Stammkeeper Özcan der erst 19-jährige Rudi Kargus zu seinem zweiten Bundesligaeinsatz. Das Duell der beiden türkischen Bundesligaspieler - Ender Konca im Frankfurter Sturm und Arkoc Özcan im HSV-Tor - fällt also aus.

Während Roland Weidle von Beginn an deutlich macht, dass er seine Chance zu nutzen gedenkt, muss Rudi Kargus bitteres Lehrgeld zahlen. Schon nach fünf Spielminuten muss der blutjunge Keeper das erste Mal hinter sich greifen. Ender Konca hat sich den Ball in der eigenen Hälfte geholt und Bernd Nickel vor dem HSV-Tor angespielt. Der schlenzt den Ball von dort mehr, als er ihn schießt, die Kugel fliegt in einem geradezu sanften Bogen über den Torwart und fällt ins Toreck hinab. "Mann, hat dieser Ball geeiert", wundert und ärgert sich Kargus zugleich.

Trotz der frühen Frankfurter Führung verläuft das Spiel in der ersten Viertelstunde geradezu behäbig. Es gelingt dem HSV sogar, die nächsten Akzente zu setzen. Im Mittelfeld erspielen sich die Hanseaten dank der Übersicht von Klaus Zaczyk und der Laufstärke von Hönig einige Vorteile. Der HSV drängt und erspielt sich gute Chancen. Bei trefflichen Schüssen von Nogly, Hönig und Björnmose zeigt Peter Kunter tolle Reaktionen.


Friedel Lutz hat gegen Uwe Seeler
das Nachsehen

Uwe Seeler, der bei seinem letzten Punktspielauftritt im Waldstadion vom Frankfurter Publikum herzlich begrüßt wird, hat gleich mehrfach die Möglichkeit, sich in die Torschützenliste einzutragen. "Uns Uwe" trifft ans Außennetz, einer seiner Kopfbälle streicht knapp am Tor vorbei. Die größte Chance haben er und der HSV in der 21. Minute, als sich Hönig links außen durchsetzt, eine Flanke nach innen zieht, wobei Kunter den Ball nur abklatschen kann, direkt Uwe Seeler vor die Füße … Kunter wirft sich aber sofort dem Schuss hinterher und wehrt den Ball ein weiteres Mal ab, diesmal jedoch vor die Füße von Björnmose. Doch als der aufs Tor schlenzt, steht Trinklein goldrichtig und klärt den Ball auf der Linie.

Trinklein wächst nun zusehends in den Part des sicheren Libero, Lutz steigert sich ebenso im Duell der alten Recken mit Uwe Seeler wie Heese gegen den flinken Hönig. "Kalla" Wirth zieht sich nach einem Zusammenstoß mit Willi Schulz eine Prellung zu, als ihn der HSV-Libero am möglichen Torschuss hindert, hat aber dennoch den Ex-Offenbacher Winkler im Griff. Das Duell Kalb gegen Björnmose nimmt ohnehin eine ganz andere Wendung, als man dies bei den Gästen erwartet und bei der Eintracht befürchtet hat.

Obwohl auch die Eintracht ihre trefflichen Gelegenheiten in der Offensive hat, schaut man bei den Hessen eine Halbzeit lang fast sehnsüchtig auf die Frankfurter Reservebank, wo neben Erich Ribbeck in Zivil Jürgen Grabowski sitzt. Man vermisst bei allen guten Taten des verbesserten Ender, allen Ausbrüchen und -flügen von Parits, dem Wirken und Werkeln eines durch Zaczyk vielbeschäftigten Nickel und dem hartnäckigen Dribbel- und Laufduell von Hölzenbein gegen Nogly eben doch die besonderen Ideen des Eintracht-Kapitäns. Denn gerade da, wo sein Vertreter Weidle sich versucht, ist die von Willi Schulz dirigierte Abwehr am schwächsten.

Eintracht-Liga-Obmann Ernst Berger ist zur Halbzeit sichtlich unzufrieden und brummt: "Jetzt muss ich mal ein ernstes Wörtchen reden. Was wir uns an Fehlpässen leisten, geht ja auf keine Kuhhaut." Während Berger auf die eigene Truppe schimpft, macht er den Gästen ein Kompliment: "Sie decken ausgezeichnet!"

Nach Wiederanpfiff sind keine zwei Minuten gespielt, als Roland Weidle seitlich vor dem Tor der Norddeutschen auftaucht. Weidle täuscht ein Dribbling an und schießt plötzlich ins lange Eck. Kargus im Hamburger Tor zeigt keine Reaktion und der Ball schlägt zum 2:0 für die Eintracht im Kasten des HSV ein.

Keine Minute später muss es 3:0 stehen. Im Strafraum trudelt der Ball Hölzenbein vor die Füße, doch der Angreifer der Eintracht hebt den Ball über Kargus und leider auch über das Tor, in dem der Hamburger steht.


'Kalla' Wirth und Uwe Seeler

Der HSV bläst nun noch einmal zu einer großen Offensive und tatsächlich gelingt es ihnen, die Gastgeber in echte Bedrängnis zu bringen. Willi Schulz bemüht sich, Linie im Hamburger Spiel zu bringen, was ihm angesichts der Frankfurter Kampfkraft aber nur ungenügend gelingt. Auch im Sturm ist die Eintracht heute besser besetzt, obwohl Uwe Seeler wieder einmal mit vorbildlichem Einsatz glänzt. Seeler ist im Sturm des HSV aber zunehmend auf sich allein gestellt, weil der Ex-Offenbacher Winkler als Linksaußen auf der ganzen Linie versagt. Auf der Seite der Hessen sind Weidles geradliniges Spiel und Koncas kraftvolle Attacken einfach effektiver. Eine ständige Bedrohung für die Defensive der Gäste ist auch Thomas Parits, gegen den sich der junge Kaltz mit seiner ganzen Kraft wehren muss und dabei die Unterstützung von Schulz benötigt und erhält.

Manfred Kaltz in seiner ersten Profi-Saison spielt gegen Parits über weite Strecken des Spiels erstaunlich abgeklärt. Doch auch Kaltz kann nicht verhindern, dass der erfahrene Parits den immer nervöser werdenden Kargus ein drittes Mal düpiert. Und dieses dritte Tor müssen sich die Hamburger selbst zuschreiben. Hönig versucht Parits zu umdribbeln, macht einen krassen Fehler, bleibt hängen und schon hält der österreichische Nationalspieler eine Freifahrkarte zum Hamburger Tor in seinen Händen. Kargus kommt aus seinem Kasten, um das Unheil in Person von Parits aufzuhalten, doch der hebt einfach kurz entschlossen den Ball über den jungen Mann hinweg. Sanft schwebt das Leder ins Tornetz und es steht 3:0.

Direkt nach dem Tor nimmt HSV-Trainer Ochs Hellfritz aus dem Spiel und bringt den jungen Memering. Auch die Eintracht wechselt in der 72. Minute aus, um den aus der ersten Halbzeit angeschlagenen "Kalla" Wirth zu erlösen. Thomas Rohrbach kommt dafür in die Partie, die sich nun gänzlich in Händen der Gastgeber befindet. Vor allen Dingen das starke Eintracht-Mittelfeld dominiert den Gegner nahezu nach Belieben. Dem robusten Heese, dem laufstarken Kalb, dem schnellen Hölzenbein und dem gefährlichen Nickel hat der HSV im zweiten Durchgang nahezu nichts mehr entgegen zu setzen.

Jürgen Kalb, eigentlich Rohrbachs Vertretung am heutigen Tage, weil dieser vor dem Spiel nicht bei bester Gesundheit war, zwingt Björnmose einen Rollentausch auf – der Hamburger muss die Verfolgung von Kalb aufnehmen. Kalb treibt seine Elf vorwärts und bringt die Vorlagen an den rechten Mann, wie ein Postbote seine Briefe. Wenn er diagonal übers Feld sprintet, erinnert sich der fachkundige Teil des Frankfurter Publikums wieder an den hoffnungsvollen jungen Mann, den man so lang in Kalb gesehen hat.


Hölzenbein und Schulz

Chancen für weitere Tore, hat besonders Hölzenbein, aber bei allem prächtigen Drang in die richtige Richtung, sind seine Schussversuche an diesem Tag von minderer Qualität. Auch mit einem Kopfball aus dem Fünfmeterraum hat er kein Glück. Dafür trägt sich kurz vor dem Ende dann auch noch Horst Heese in die Torschützenliste ein: In der 86. Minute erzielt er mit tollem Kopfball nach Weidles Flanke das 4:0. Den lautstarken Schlusspunkt setzt "Dr. Hammer": Bernd Nickel nimmt in der 90. Minute noch einmal Maß und zimmert den Ball an die Latte des Hamburger Gehäuses. Ein 5:0 wäre denn auch vielleicht etwas übertrieben gewesen, aber absolut im Bereich des Möglichen, wenn Hölzenbein nur eine einzige seiner drei großen Chancen in diesem Spiel hätte verwerten können … Eine schöne Geste des Publikums ist der Applaus, mit dem Uwe Seeler, der Beste seines Teams, auch nach dem Abpfiff bedacht wird. Ein ganz großer Fußballer verlässt die Bühne der Fußballbundesliga auf Raten, vom Waldstadion hat er heute schon Abschied genommen.

Für Ender Konca hat die Karriere im deutschen Profifußball erst begonnen. Niemand weiß, wie viele Etappen dem jungen Türken noch vergönnt sein werden. Doch aktuell dürfte sich Konca neben seiner starken Leistung besonders über seinen Platz in der "Elf des Tages" im Sportmagazin "Kicker" freuen. Die Eintracht macht durch diesen Sieg in der Tabelle einen Sprung vom achten auf den begehrten fünften Platz. Diesen "Platz an der Sonne" muss der HSV als Strafe für seine höchste Saisonniederlage aufgeben und findet sich auf Rang sieben wieder.

"Nun haben wir ein Polster vor den schweren Spielen in Köln, Bremen und Schalke", freut sich Erich Ribbeck, "deshalb waren für uns zwei Punkte zum Auftakt der Rückrunde so wichtig. Über unsere mäßige Leistung vor der Halbzeit mache ich mir wenige Gedanken. Daran war die lange Winterpause schuld. Wir mussten erst wieder Tritt finden."

"Nach der 1:5-Vorspielniederlage in Hamburg habe ich mich über unseren hohen Sieg besonders gefreut. Zwar sah es nicht immer danach aus, doch nachdem Weidle gleich nach der Pause das 2:0 erzielt hatte, bahnte sich unser deutlicher Erfolg an. Torwart Kunter brachte Ruhe in unsere Abwehr. Wir werden auch in Zukunft dabei bleiben, dass Lutz Vorstopper und Trinklein Ausputzer spielt", ist Ribbeck überzeugt, während sein Kollege Klaus-Dieter Ochs resümiert: "Entscheidend für unsere 0:4-Niederlage war die bessere Besetzung der Eintracht im Mittelfeld und der Umstand, dass wir Mitte der ersten Halbzeit, als wir stärker als die Eintracht spielten, mehrere gute Chancen nicht verwerteten. Das 2:0 gleich nach dem Wechsel war dann entscheidend."

Ochs ist auf seine Mannschaft nicht eben wenig wütend: "Einigen unserer Spieler fehlt derzeit die innere Einstellung zum Spiel; sie wollen sich nicht quälen! Ohne Kampf kann man eben kein Bundesligaspiel gewinnen. Und es ist leider immer noch so, dass die Anzahl der gewonnenen Zweikämpfe ein Spiel entscheidet." Dass die Ostasienreise am Auftritt des HSV schuld sein könnte, bestreitet Ochs: "Sie hat vielleicht nur dazu geführt, dass etliche meiner Spieler nicht bissig genug waren. Dort hatten sie alles spielerisch und mit der Technik bewältigt."

Kargus dagegen nimmt der Trainer in Schutz: "Auf der Reservebank lernt er nichts. Die jungen Leute müssen ins Feuer!" Frankfurts Keeper Kunter, der einen ganz großen Tag hinter sich gebracht hat, bedauert seinen jungen Kollegen: "Schlimm für einen jungen Mann, solch ein Debüt!"

Entscheidend für die Niederlage sind für Willi Schulz die Lücken im Mittelfeld des HSV, das teilweise einem Niemandsland glich: "Da lag bei uns der Hase im Pfeffer, da lief einfach nichts. Da fehlten die 40-m-Pässe." "Dass Björnmose etwas zurückgezogen spielte, kam Kalb natürlich sehr gelegen", kommentiert Eintracht-Trainer Erich Ribbeck, der zudem meint: "Der Jürgen hätte sofort noch einmal 90 Minuten spielen und rennen können!"

Das eingangs erwähnte DFB-Sportgericht beendet am Sonntagnachmittag sein seit Freitagabend andauerndes Mammutprogramm mit einem Paukenschlag. Kurz nach 15 Uhr werden der geständige Jürgen Rumor und Laszlo Gergely zu 15.000 Mark Geldbuße und einer Sperre auf Lebenszeit verurteilt. Zoltán Varga wird neben der Geldbuße bis 30. Juni 1974 gesperrt. Ein schwerer Schlag für die drei Berliner Bundesligaspieler, aber auch für Hertha BSC. Die drei Fußballer werden für schuldig befunden, am 5. Juni 1971 für die Berliner Niederlage im entscheidenden Spiel um den Abstieg gegen Arminia Bielefeld Geld angenommen zu haben. (rs)

 


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