Hertha BSC Berlin - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1971/1972 - 24. Spieltag

0:0

Termin: Sa 11.03.1972, 15:30 Uhr
Zuschauer: 13.000
Schiedsrichter: Gerd Hennig (Duisburg)
Tore: ./.

 

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Hertha BSC Berlin Eintracht Frankfurt

  • Volkmar Groß
  • Uwe Witt
  • Peter Enders
  • Karl-Heinz Ferschl
  • Erwin Hermandung
  • Wolfgang Gayer
  • Erich Beer
  • Lorenz Horr
  • Michael Sziedat
  • Arno Steffenhagen
  • Peter Gutzeit

 


 

Wechsel
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Trainer
  • Helmut Kronsbein
Trainer

 

Der Knabenchor

Nur fünf Tage nach dem Nachholspiel in Köln müssen die ersatzgeschwächten Hessen zu einem direkten Konkurrenten um Platz fünf an die Spree reisen: Die alte Dame Hertha bittet zum Rendezvous. Doch was ist die Hertha des Jahres 1972 ohne ihre - wegen der Spielmanipulation gegen Bielefeld in der letzten Saison - gesperrten Spieler Gergely, Patzke, Rumor, Varga und Wild noch wert? In Köln zumindest, wo die im Grunde auswärtsschwachen Frankfurter gerade einen Punkt mitgenommen haben, verlor "Fiffi" Kronsbeins Truppe am letzten Samstag mit 0:3.

Doch auch die Eintracht muss auf einige Spieler verzichten, allerdings nicht wegen Sperren, sondern aufgrund von Verletzungen. Dr. Kunter kehrt zwar nach überstandener Ellbogenblessur ins Tor zurück, aber Jürgen Kalb fällt immer noch wegen seiner am Faschingsdienstag im Spiel gegen Kiew erlittenen Sehnenverletzung im Knöchel aus. Gleich zu Beginn des Spiels wird zudem deutlich, wie sehr der Eintracht im Sturm die verletzten beziehungsweise angeschlagenen Grabowski und Konca fehlen. Das Flügelspiel der Hessen findet ohne die beiden nicht statt, wobei man aber nicht vergessen darf, dass Koncas letzte Leistungen auch durchwachsen zu nennen waren. Die Vertreter sind heute jedenfalls überfordert: Roland Weidle bemüht sich zwar nach Kräften, von Thomas Rohrbach ist jedoch in der Offensive nur wenig zu sehen.


Weidle versetzt Ferschl

Thomas Parits wird von seinem Bewacher Enders auf Schritt und Tritt verfolgt und kann nur wenig zum Spiel seiner Mannschaft beitragen. Der Gegner macht es allerdings kaum besser, die Frankfurter Defensive wird vom Berliner Sturm nur selten auf die Probe und schon gar nicht vor unlösbare Probleme gestellt. Der Herthaner Peter Gayer kann in dieser Saison nicht an die Torgefährlichkeit der letzten drei Spielzeiten anknüpfen. In der ersten Halbzeit fällt er durch das reihenweise und konsequente Auslassen selbst hochkarätiger Torchancen auf und bringt seinen Trainer Kronsbein an den Rand der Verzweiflung.

Noch heftiger zerrt wahrscheinlich lediglich Arno Steffenhagen mit einer erneut unterdurchschnittlichen Leistung am Nervenkostüm seines Coachs. Steffenhagens Sturmpartner Gutzeit ist zwar fleißig, aber unproduktiv. Der "ersten Reihe" der Hertha in diesem Spiel das Prädikat "Sturm" abzusprechen, würde jedoch zu weit gehen. Damit würde man dem besten Berliner Stürmer Lorenz Horr bitter unrecht tun, auch wenn Horr kein Treffer gegen den guten Frankfurter Keeper Dr. Kunter gelingen will.

Erwin Hermandung und der vor der Saison von Rot-Weiß Essen zur Hertha gewechselte Erich Beer verhelfen den Berlinern immerhin zu einer optischen Überlegenheit, aber eben nicht zu einem Torerfolg. Zu behäbig und wenig inspiriert werden die Angriffe vorgetragen, zu schwach sind die seltenen Schussversuche, die Unbeholfenheit der skandalgeschädigten Truppe ist stellenweise erschreckend.

Auf der anderen Seite macht den Gastgebern das konzentrierte Defensivspiel der Eintracht das Leben auch nicht gerade leichter. Reichel und Wirth präsentieren sich in guter Verfassung, und Trinklein passt die Rolle des Liberos immer besser. Entscheidend aber ist, dass der 33-jährige Friedel Lutz seine alte Zuverlässigkeit wiedergewonnen hat und sich mit Trinklein ausgezeichnet ergänzt. Ebenso darf man Torhüter Dr. Kunter und die Helferarbeit von Heese, Rohrbach und Nickel, zu der auch oft noch Weidle beiträgt, nicht unterschlagen.


Hermandung, Lutz und Trinklein

Um Haaresbreite wird die Eintracht für ihre glänzende Abwehrarbeit in der Offensive belohnt. Drei Minuten vor der Pause beendet Bernd Nickel nämlich den Mangel an herzhaften Abschlüssen mit einem Gewaltschuss und Volkmar Groß im Berliner Kasten ist geschlagen. Doch zur Enttäuschung des Scharfschützen vom Main klatscht der Ball nur an den Pfosten des Hertha-Tores, es geht mit dem torlosen Unentschieden in die Halbzeitpause.

Nach dem Wiederanpfiff zur zweiten Hälfte ist es zuerst die Eintracht, die den Zuschauern etwas Sehenswertes bietet. Weidle bringt einen Eckball von rechts, Volkmar Groß startet einen vergeblichen Versuch, den Ball abzufangen, und Rohrbach schießt auf das verlassene und leere Tor. Groß kann sich bei Witt bedanken, der sich in die Flugbahn der Kugel wirft und sie zum nächsten Eckball lenkt, dass die Hertha nicht in Rückstand gerät.

Danach ist es allerdings wieder Groß, der seiner Mannschaft einen wertvollen Dienst leistet. Ein scharfer Schuss aus dem Hause Dr. Hammer rast auf das von Groß gehütete Tor zu, doch so sehenswert, wie das Geschoss von Nickel ist, gerät auch die Parade des Berliner Keepers, der das Leder im letzten Moment über die Latte des Tores lenken kann.


Kunter am Boden,
Hermandungs Treffer
findet keine
Anerkennung

Im Tor liegt das Spielgerät aber in der 51. Minute. Hermandung ist hochgestiegen und hat den Ball mit der Stirn ins Netz gedrückt. Doch Schiedsrichter Hennig aus Duisburg erkennt ein Foulspiel an Eintracht-Torhüter Dr. Kunter, der zuvor zu Boden gegangen ist, und verwehrt dem Treffer die Anerkennung.

Thomas Parits zieht im zweiten Abschnitt seine Lehre aus der gnadenlosen Bewachung von Enders und lässt sich immer öfter in die zweite Reihe zurückfallen. Tatsächlich bringt ihm diese Maßnahme den dringend benötigten Raum für seine Aktionen. In der 56. Minute nutzt Parits diesen Raum für einen überraschenden, schnellen Antritt und spielt im Alleingang Enders und Witt aus. Allein vor Groß versucht Parits den Torhüter mit einem Schuss zu überwinden, doch der Keeper lenkt den Ball mit einer Reflexbewegung zur Ecke. Eine große Tat von Groß, ein misslungener Versuch von Parits. Dessen Erklärung für die vergebene erstklassige Torchance fällt so aus: "Plötzlich glaubte ich, Blei an den Füßen zu haben."

Nach der verpassten Führung beginnt eine Drangperiode der Berliner, die Ausmaße annimmt, dass einem als Eintrachtfan Angst und Bange werden kann. Nicht wenige haben noch vor Augen, wie in der letzten Saison in Schlussphasen Spiele verloren gingen. Die Eintracht der Saison 1971/72 erscheint aber robuster und weniger anfällig, obwohl die Kräfte gegen Ende der Partie aufseiten der Hessen deutlich nachlassen. Verständlich nach dem anstrengenden Spiel am Dienstag in Köln.

In dieser schwierigen Phase erhalten die Frankfurter die Unterstützung von Schiedsrichter Hennig, dem man heute ganz sicher nicht vorwerfen kann, dass er die Heimmannschaft bevorzugt, weil ihn die laustarke Kulisse beeindruckt. Denn in der 74. Minute trifft Hermandung wieder ins Tor der Eintracht und wieder verweigert Hennig dem Schützen und damit der Hertha den Lohn - erneut entscheidet der Unparteiische auf Freistoß für die Eintracht, weil Dr. Kunter ein weiteres Mal regelwidrig angegangen worden sein soll. Prompt gibt es die in allen Stadien bekannten "Schieber"-Chöre und das fast schon ebenso übliche Papierbecher-Bombardement. Es entbehrt allerdings nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik, dass Fans einer Mannschaft, die aktuell auf drei Spieler verzichten muss, die wegen nachgewiesener "Schiebung" gesperrt sind, dem Schiedsrichter genau diese Unsportlichkeit und Unehrlichkeit andichten zu wollen …

Der folgenden Flut von Eckbällen, die am Ende mit 18:6 deutlich für die Hertha sprechen, erwehren sich die Eintrachtspieler dann wieder ohne den regulierenden Eingriff des Schiedsrichters. Noch einmal geraten die Frankfurter in Bedrängnis, sie wanken, aber sie fallen nicht. 0:0 – ehrliche Arbeit und gerechter Lohn für beide Mannschaften.

Erich Ribbeck freut sich nach dem Abpfiff besonders über die in den letzten beiden Auswärtspartien sichere Defensive: "Endlich spielen wir einmal so aus der Abwehr heraus, wie ich mir das schon lange vorstelle!" Der altgediente Abwehrrecke Friedel Lutz, der wieder zu seiner alten Sicherheit gefunden hat, verrät das Geheimnis seiner Leistungssteigerung in den letzten Spielen: "Ich mache mich weniger verrückt; ich denke öfter einmal an das bekannte Götzzitat."

Herthas Trainer Kronsbein hat wenig Grund zur Freude, wobei die gute Leistung des erst 19-jährigen Neu-Profis Michael Sziedat zu diesen raren Gründen zu zählen wäre. Kronsbein hadert mit der eigenen Situation und macht aus seinem Herzen keine Mördergrube: "Es ist fürchterlich, wenn ich auf der Bank sitzen muss, ohnmächtig, nicht in der Lage, zu reagieren, wie es eigentlich die Vernunft erforderte. Das wissen manche Spieler. Sie nutzen das aus, dass wir nicht genügend Ersatzleute haben. Unter diesen Umständen müssen wir völlig realistisch denken, der Wunsch bleibt, Fünfter zu werden."

"Das 0:0 gegen Eintracht Frankfurt hat mich sehr enttäuscht", sagt Kronsbein, um dann loszupoltern. "Aber wir mussten einige krasse Ausfälle durchschleppen. Wenn ich nur Steffenhagen denke! Er geht jedem Kampf aus dem Wege. Er gehörte längst auf die Reservebank. Wenn er glaubt, auf diese Art und Weise leichter wegzukommen, so irrt er sich. Dann wird der Verein eine Ablösesumme festsetzen, die jeden Verein zu der Überlegung zwingt, ob es gut ist, so einen launischen Mann zu verpflichten."

"Mein Sturm wirkte manchmal wie ein Knaben-Chor", lästert der Hertha-Trainer weiter und fordert: "In Berlin müssen wir doch ganz anders auftrumpfen. Junge, Junge, aus unserer spielerischen Überlegenheit musste doch einfach ein Sieg herausspringen." "Ein Remis wollten wir, das ist uns geglückt. Wie in Köln. Das reicht", bleibt Ribbeck angesichts des aufgebrachten Kollegen Kronsbein betont gelassen: "Ist doch korrekt, dieses 0:0, ich bin zufrieden … Endlich spielen wir einmal so aus der Abwehr heraus, wie ich mir das schon lange vorstelle." "Es war ein wichtiger Punkt", sagt auch Frankfurts Lizenzspieler-Obmann Ernst Berger und ist überzeugt: "Unsere Mannschaft hat sich weiter gefestigt!" Dies gilt vor allen Dingen für die Abwehr, die vor dem Spiel in Köln in 22 Spielen 44 Treffer hat hinnehmen müssen, also zwei pro Spiel, doch nun in zwei aufeinanderfolgenden Auswärtsspielen nur ein einziges kassiert hat und dieses auch noch durch einen Elfmeter.

Für "Fiffi" Kronsbein geht diese Rechnung jedoch nicht auf und so schimpft er auf den in seinen Augen dafür Hauptschuldigen: "Zwei Tore hat uns der Schiedsrichter nicht gegeben!" Erwin Hermandung ärgert sich ebenfalls über Hennig, weil der ihm zwei reguläre Tore aberkannt habe: "Ich habe Dr. Kunter bei beiden Toren nicht berührt." Der Schiedsrichter bestätigt Hermandung zwar, gibt aber zu Protokoll: "Es waren andere Spieler, die Dr. Kunter behinderten." Eintracht-Schlussmann Peter Kunter bestätigt den Unparteiischen: "Beide Male bin ich behindert worden!" Wie unberechtigt in der Tat die Schieber-Rufe des Berliner Publikums waren, belegen die Fernsehbilder: Gayer und Witt behinderten den Frankfurter Keeper bei Hermandungs Treffern jeweils regelwidrig.

Die Hertha bleibt damit zum ersten Mal seit dem 5. Juni 1971 im Olympiastadion ohne Torerfolg. Das Spiel damals war übrigens das 0:1 gegen Arminia Bielefeld, das im Zuge des aufgedeckten Bundesligaskandals das Sportgericht beschäftigt hat und immer noch beschäftigt. Die Eintracht rutscht trotz des wichtigen Auswärtspunktes um einen Platz auf Rang sechs ab, weil die punktgleichen Lauterer in dieser Woche gleich zwei Siege einfahren konnten. Die Hertha bleibt mit einem Zähler Rückstand Siebter.

Die negative Serie der Eintracht gegen Hertha bleibt: Seit September 1964 hat die Eintracht in Berlin nicht gewinnen können. Die beste Nachricht kommt zum Schluss aus dem Lazarett der Eintracht: Der Gips an Jürgen Grabowskis lädierten Knöchel wird am Montag entfernt. (rs)


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