08.10.2009

Holst du die Kadde? Ticketing heute und damals ...

 

Früher war echt doch alles viel besser ...

Bin morgens um 6 Uhr in den Oeder Weg gefahren, habe mich dort bei Kälte und Dunkelheit in die Schlange der schon Wartenden eingereiht, vielleicht sind um 6:15 Uhr schon an die Hundert da. Ich habe geschaut, ob kein Lehrer oder Mitschüler dort vorbeifährt, mich sieht und den erkennt, der unbedingt die ersten vier Stunden schwänzen muss. Und das ein paar Wochen vor dem Abi.

Um 9:02 Uhr kommt der alte Mann, schließt sein Heiligtum - die Geschäftsstelle - auf, zündet sich die obligatorische Zigarre an, hat die Stapel mit Eintrittskarten vor sich auf dem Tisch aufgebahrt wie den "Schatz der Nibelungen". Ein "JA" deutet dem ersten Kunden an, doch endlich einzutreten und die Tür hinter sich zu schließen. Die Geldbox, die sich im Laufe des Vormittags mit immer mehr Bargeld füllt, steht - ungefährdet - zu seiner Rechten, die Scheine quellen sichtbar über den Rand der Schatulle.

Gefühlt ist es 10:53 Uhr, als ich dann dran bin. Der Herr vor mir hat gerade 17 Tickets für "misch unn mei Kumpels aus de Klapper33" erstanden, ohne dass ich oder Andere auf die Idee kommen, dass er die bei eBay verhökern will.

Ich bestelle eine Handvoll Steher für den Block G und zwei Sitze für meine Eltern, die nur zweimal im Jahr- mangels finanzieller Masse - gegen die Bayern und den HSV mitkommen. Niemand sieht sie deswegen als Erfolgsfans an; sie sparen stattdessen die spärlich vorhandenen Gelder lieber für ihre fußballverrückten Söhne für eine erste Dauerkarte im Block G.

Der alte Mann, kein Wort des Grußes und des Dankes für den Schüler vor ihm, runzelt nur die Stirn heftigst, als dieser einen Blockwunsch auf der Gegentribüne äußert und auch mit der dann zugeteilten Reihe - direkt hinter dem Maschendrahtzaun - unzufrieden ist. Er kassiert schweigend das Geld, das der Schüler zuvor bei Kumpels und Eltern eingesammelt hat, und gibt es fast achtlos in die pralle Schatztruhe.

Der Junge verlässt stolz wie ein Spanier den mit Zigarrenrauch vernebelten Raum, um wenigstens noch zur fünften Schulstunde in Sachsenhausen zu erscheinen, wo die Freunde schon sehnsüchtig auf ihre Karten warten.

Zu späteren Zeiten - mit dem Mokick von Musch - wird der Riederwald die erste Anlaufstation, mit etwas kürzeren Wartezeiten bei den netten Damen Hering und Röbel, die auch immer ein privates Wort für den Kartenholer übrig haben. Jürgen Gerhardt schlurft ab und zu geschäftig über den Flur und grüßt in die Warteschlange.

Heute sitzt der Junge von damals auf seinem Allerwertesten im Chefsessel vor dem PC, rechts eine Tasse Roibuschtee, weil der laut Gemahlin gesund sei und geduldig macht. Der Flatscreen läuft im Hintergrund der warmen Stube, die Dame des Deutschen Sex Fernsehens hat Probleme mit intelligenten Anrufern, die keine Städte mit fünfmal A finden. Im Studio ist es wohl furchtbar heiß, denn sie entledigt sich immer mehr der Kleidung, obwohl das einige der Kandidaten sicher ablenken... oder doch abschrecken?... dürfte.

Der Junge, der heute ein alter Mann ist, eröffnet Punkt 24 Uhr die Jagd auf die Bayernschätze und sieht sich mit rund 4.000 Leidensgenossen konfrontiert. Das Bild auf dem Laptop baut sich unheimlich langsam auf, der grüne Balken zeigt keinen Fortschritt... aha... um 00:45... sagt das System wenigstens, dass es überlastet sei.

Der Roibuschtee zeigt erste Wirkung. Leider nicht in Richtung Geduld, sondern sucht nach "Absatz-Möglichkeiten". Gottseidank ist das Haus seinerzeit mit einem WC ausgestattet worden und die halbhohe Hecke aus dem Oeder Weg muss nicht mehr "missbraucht" werden. Um kurz nach 1:00 Uhr verabschieden sich immer mehr Leidensgenossen aus dem Netz, sicher alles Abiturienten, die ganz früh raus müssen und nicht die Schule schwänzen können. Die Anforderungen sind ja höher geworden, wie meine Kids nicht müde werden, immer wieder neu zu betonen.

Um 1:30 Uhr habe ich immer noch kein Durchkommen, meine Frau fragt jedoch, wann ich denn endlich ins Bett komme. Sie wirkt genervt, hat kein Verständnis für das Leiden eines Sportlers... was soll ich denn auch im Bett, kennt mich doch jeder... oder?

Um 1:42 Uhr frage ich mich, was ich denn eigentlich hier will, habe doch meine Dauerkartenplätze schon vor Tagen beantragt... die Freunde nutzen schamlos den Schulfreund von früher aus, der schon damals für die Beschaffung zuständig war.

Um 1:58 Uhr ist es soweit, die müden Krieger sind ausgestiegen, das System lässt meine vier Wünsche zu, meine besten Kumpels kommen einmal im Jahr aus allen Himmelsrichtungen zu mir. Igitt, "Eventies"... Wollen halt dabei sein, wenn IHRE Eintracht die Bayern weghaut.

Wieso bin ich jetzt nicht so richtig stolz...? Ich habe doch die Tickets, es war doch alles eben viel einfacher und bequemer... jetzt oder früher??

Nee, nee... Früher war alles viiiiieeelll besser... und was sage ich jetzt meinem Chef, weil ich morgen ...äh heute...so müde bin????

Ha... nix... bin ja mein eigener Chef. Ergo: Heute ist doch alles viel besser...

eagleburger47, im wirklichen Leben Uwe aus Heusenstamm.

 

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