31.05.2006

Die Kutte

Mein erstes Fußballspiel im Waldstadion sah ich in Begleitung meines Vaters 1974: Das legendäre WM-Spiel Deutschland gegen Polen. Nach diesem Erlebnis waren wir beide öfters draußen, um die Eintracht anzufeuern. Wir hatten immer Stehplätze im Block L, wo größtenteils ältere Herrschaften (mind. 2.000 potentielle Nationaltrainer oder ehemalige BL-Profis) zu meiner Belustigung lautstark ihre Kommentare zum Spielverlauf abgaben.

Im frühreifen Alter von 13 Jahren erlaubten meine Eltern mir, gemeinsam mit Klassenkameraden ohne Begleitung Erziehungsberechtigter, die Spiele der Eintracht zu besuchen. Der Weg zum Stadion war kurz und ungefährlich, ich hatte nette, vertrauenserweckende Freunde, die zum Teil bereits ein Jahr älter waren... also stand dem nichts im Wege.

Vor, während und nach den Spielen wanderten unsere Blicke immer wieder anhimmelnd Richtung G-Block und den Fans in den farbenprächtigen, eindrucksvollen Kutten. Wir wollten unbedingt dazugehören!

Ich weiß nicht, wie meine damaligen Kumpels es hinbekommen haben - meine Jeansweste habe ich heimlich von meiner Oma anfertigen lassen, die mit Sicherheit nicht die geringste Ahnung von meinem Treiben hatte. Hinten ein rückengroßer, runder Eintrachtadler, vorne ein Aufnäher '1.FCN + SGE' in Freundschaft, einige andere Sticker und Buttons, dazu ein schwarz-weißer Schal (ebenfalls aus Omas Produktion)... fertig war mein Samstagsanzug zur Heldenverehrung!

Es gab ein kleines Problem, das jedoch schnell gelöst wurde: die Eltern durften das Outfit nicht sehen, daher versteckte ich es im Fahrradkeller und zog es erst zum Spieltag hervor, brachte es zusammengefaltet aus der Wohnsiedlung heraus und schlüpfte kurz vor Treffpunkt Oberforsthaus in die Kluft.

Das erste Spiel im G-Block: März 1980, Mönchengladbach zu Gast, eine Menge Tore und ein Sieg! Wir fühlten uns dazugehörig zwischen den Fans (mittenrein trauten wir uns aber noch nicht so richtig), sangen die Lieder mit, klatschten mit den anderen, trugen stolz unsere Westen (Jens hatte sogar eine kleine Kette von Schulter zu Schulter hängen) und waren glücklicher als an Weihnachten und Geburtstag zusammen!

Nach dem Spiel traten wir den Heimweg an - immer noch beseelt von dem Dazugehörigkeitsgefühl und dem tollen Erlebnis an diesem Tag, das uns irgendwie älter und unantastbar machte, bis wir unter Absingen der Strophe 'Sch....mönchengladbach, wir singen Sch....mönchengladbach' die Unterführung an der Straßenbahnhaltestelle erreichten, wo uns Gladbacher Fans stellten. Sie waren mindestens fünf Jahre älter, sahen zehnmal so gefährlich aus, waren in der deutlichen Überzahl und vier Köpfe größer als wir. Unsere Gesänge verstummten, wir bekamen Angst. 'Jacke her... Deine und Deine auch' - so oder ähnlich lautete der barsche Befehl des fürchterlichsten der Borussen-Truppe.

Angstschlotternd zogen wir die Kutten aus, die Gladbacher griffen sie jubelnd und rannten davon. Wir standen mit Tränen in den Augen in der Unterführung und waren fassungslos...

Als uns die Sprache wiedergegeben wurde, schworen wir Rache. "Wenn wir die Gladbacher nächstes Jahr wieder treffen, kommen wir mit dem ganzen G-Block und schlagen sie zu Brei!", verkündeten wir übermütig.

Es kam besser: vorzeitiger als von uns vermutet empfing die Eintracht die Borussia bereits am 21. Mai 1980 wieder im Waldstadion, gewann das Spiel 1:0 und wurde dadurch UEFA-Pokalsieger! Aber das ist eine andere Geschichte...

'Hackentrick' wohnt in Frankfurt.

Anmerkungen zu diesem Spiel am 5. März 1980: "... welch schicksalsträchtiger Tag. Wir haben gefeiert, dabei hätten wir flennen sollen. Spielte da doch bei Gladbach ein fränkischer Dampfplauderer, der Grabi so massiv und unfair in die Parade fuhr, dass damit seine aktive Karriere beendet war. Und den wollten doch tatsächlich ein paar Hohlroller aus dem e.V. (pardon) vor ein paar Jahren zum Eintrachttrainer machen..." (fnf). "Gegen Grabis Karriereende wiegt der Verlust der Kutte nichts (die liess sich ersetzen)..." (Hackentrick).

 


 

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