25.05.2006

Der erste (?) Supportboykott

Supportboykotts gehören heute wohl noch nicht ganz zum Standardrepertoire der organisierten Fan-Kurven, es wird aber doch immer mal wieder einer durchgeführt. Mein letzter fand bei unserem Heimspiel gegen Stuttgart im Herbst vergangenen Jahres statt und richtete sich gegen allzu strenge Ordnungsmaßnahmen gegen Fußballfans. Er hatte ausdrücklich nichts mit der Mannschaft zu tun. Das war aber nicht immer so. Ich weiß nicht, ob das, was ich hier gleich erzählen werde, das erste Mal war, dass auf den Rängen im Waldstadion geschwiegen wurde und damit eine Botschaft transportiert werden sollte. Ich könnte es mir aber vorstellen, da meines Wissens erst die Ultras Schritt für Schritt eine so geschlossene und organisierte Kurve aufgebaut haben, wie wir sie heute gewohnt sind. Vielleicht stimmt das aber auch nicht; das wird vielleicht der eine oder andere aufklären können.

Meine Geschichte spielt jedenfalls im November 1996. Hinter mir liegen meine schlimmsten Monate als Eintracht-Fan.

Vor gut einem Jahr wurde Bayern München mit 4:1 aus dem Waldstadion geputzt, was für längere Zeit der letzte große Moment der Eintracht blieb. Einige Wochen später erklärte Manager Hölzenbein, mit ganzen 20 Punkten zur Winterpause „zufrieden“ zu sein (ja, es gab die 3-Punkte Regelung schon) und die meisten träumten noch vom Einzug in den UEFA-Cup.

Oh, wie sollte es anders kommen! Ich war damals noch kein regelmäßiger Stadiongänger, sondern verfolgte die Spiele immer vor dem Radio. Aus irgendeinem Grund war ich am 4. Mai 1996 nicht einmal dazu in der Lage, so dass mir erst nach dem Spiel ein Freund die Nachricht von der 0:3 Heimniederlage gegen Schalke mit den einfühlsamen Worten „die Eintracht kannste vergessen. Dreinull verloren, abgestiegen“ überbrachte. Auch wenn es sich die ganze Zeit schon abzeichnete, ich hatte es nie glauben wollen. Diese verkorkste Saison war doch nur ein kleiner Unfall, schlecht gelaufen, aber in Wirklichkeit gehörte meine Eintracht doch nach Europa! Absteigen kann so ein Verein doch gar nicht! Fußball 2000, Bundesligagründungsmitglied, nie zweitklassig gewesen, unabsteigbar! Abgestiegen.

War das schon hart, so kam es noch härter. Im Sommer, Ohms und Holz waren geschasst, kam zu dem sportlichen Desaster das finanzielle hinzu. Der Nebel lichtete sich und die Schuldenberge wurden sichtbar. Ich kaufte mir jede Zeitung mit regionalem Sportteil und die Bild spekulierte, dass die Eintracht in wenigen Tagen wohl Insolvenz anmelden muss, das Licht ausgemacht wird und sie einfach aufhört zu existieren. Ich konnte es kaum fassen. Irgendwie überstand man aber diese Phase und die Zweitligasaison konnte in Angriff genommen werden. Für mich war jetzt klar, dass ich ins Stadion gehen muss. Jetzt hieß es Farbe bekennen!

Es begann auch recht verheißungsvoll: Vier Spiele, drei Siege, Platz 2 in der Liga und im Pokal die erste Runde überstanden! Jawohl, wir wirbeln diese popelige Fußballprovinz einfach durcheinander; wir steigen einfach sofort wieder auf und zeigen es allen!

Nix war’s. Es folgte: Pokal: Meppen - Eintracht 6:1 (Meppen!!!), gleich darauf in der Liga: Eintracht - Meppen 0:1. In einer Woche zweimal gegen Meppen verloren (Meppen!!!). Niederlagen gegen Unterhaching, Stuttgarter Kickers, Uerdingen, Leipzig, Gütersloh. Dazwischen ein paar Unentschieden gegen Hochkaräter wie Jena, Mainz und Wolfsburg. Laut Archiv haben wir sogar einmal gegen Hertha BSE gewonnen, aber daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Für mich waren es Wochen der Ohnmacht. Der Abstieg und die Fast-Insolvenz waren adrenalingetränkte, kurze Schock-Momente, aber der Albtraum zweite Liga wollte gar nicht mehr enden und wenn doch, dann wohl in der Regionalliga. Wir standen jetzt auf Platz 12, vier Punkte vor einem Abstiegsplatz. Sechs Punkte aus den letzten zehn Spielen. Na, bravo!

Lebt meine Eintracht eigentlich noch oder ist sie schon längst tot und es hat nur keiner bemerkt?

Das Spiel gegen Rot-Weiß Essen fand an einem Freitag abend statt. 22.11.1996. Flutlichtspiel. Wenn Essen gewinnen sollte, hätten wir die Abstiegsplätze erreicht. Ich machte mich mit meinem Kumpel auf den Weg ins Stadion, G-Block. Wie unsere Stimmung war, weiß ich nicht mehr. Vor dem Block standen Leute und verteilten Flyer; die Ultras gab es damals noch nicht, aber es waren wahrscheinlich die selben, die einige Monate später eben jene UF97 gründeten.

Zu einem Stimmungsboykott wurde da aufgerufen, um die Mannschaft endlich wachzurütteln. 15 Minuten lang sollten sich alle Fans im G-Block und auf der Gegentribüne setzen und schweigen. Dann sollte es eine Humba geben und die restlichen 75 Minuten sollte lauter und besser angefeuert werden als je zuvor. Heute sollte die Mannschaft notfalls zum Sieg getragen werden.

Die Idee fand ich gut. Es musste jetzt etwas Außergewöhnliches passieren, um diese Ohnmacht und Abwärtsspirale der letzten Wochen endlich zu beenden. Aber würde es auch funktionieren? Die ganzen Blöcke ruhig und sitzend? Ich befürchtete, dass nur die Hälfte mitmacht und damit jegliche Wirkung verpufft.

Es ließ sich aber erstaunlich gut an. Während vor dem Spiel noch alle standen und krakeelten, forderten mit dem Anpfiff immer mehr Leute ihre Nachbarn auf, sich hinzusetzen und tatsächlich, gespenstige Stille zog ein. Nur noch ein gleichmäßiges Murmeln und Brummeln lag über den sitzenden Blöcken. Alle Blicke waren bang auf den Platz gerichtet und niemand wusste, was er erwarten sollte. Würde sich eine Wirkung zeigen oder verlieren wir das Spiel und alles versinkt in Lächerlichkeit? Es war ein komisches Gefühl da schweigend, wartend und hoffend im Staub und Dreck des G-Blocks zu sitzen. Einfach faszinierend. Würde das tatsächlich eine Viertelstunde halten?

Nein, es hielt nicht. Nach vier Minuten war es mit der Ruhe vorbei. Wie das Tor fiel, weiß ich nicht mehr genau. Ich glaube, es war auf der Gegenseite, also ewig weit weg und in meiner Erinnerung war es ein Kopfball, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Ich weiß aber noch, wer es geschossen hat. Er war im Sommer als unbekannter Amateur zur Eintracht gekommen und sein Name hatte noch nicht den Klang, den er heute hat. Er hieß einfach nur Alexander Schur.

Die Humba kam dann auch noch – nach dem Torjubel. Die Atmosphäre im Spiel war riesig. Uwe Bindewald (!) schoss das 2:0, Johnny Ekström das 3:0 und ich hatte nach dem Spiel endlich das sichere Gefühl: Ja, sie lebt noch und wie!

Der Tiefpunkt war zwar noch nicht erreicht. Stepi schaffte es noch, in seinen letzten zwei Spielen als Trainer, die Eintracht pünktlich zur Winterpause zum ersten und einzigen Mal auf einen Abstiegsplatz in der zweiten Liga zu führen. Dann aber kam Horst Ehrmantraut und es ging aufwärts. Für mich persönlich war aber der 22.11.1996 der Wendepunkt; von da an wusste ich, dass die Eintracht wieder kommt.

'Haddekuche' wohnt in Würzburg, hört auf den Namen Martin und ist nicht nur Fan der Eintracht, sondern auch eines wohlschmeckenden Hartgebäcks, das sich leider immer seltener in den Körben der Brezelmänner findet. Er hat den deutschen Vereinsfußball erstmals am 28.05.1988 bewusst wahrgenommen und ist nach eigenen Aussagen seitdem erleuchtet.


 

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