10.06.2006


Wie ein Eintrachtfan das 87er-Trikot entwarf und die Folgen in Ostwestfalen


Es war eines dieser Flutlichtspiele. Diese Spiele mit der knisternden Stimmung, dem speziellen Flair, das den Eindruck vermittelt: Heute passiert etwas Besonderes.

Peter Wuschek, aufgewachsen in Schwanheim/Bergstraße, in Hörweite zum Waldstadion, saß wie immer auf seinem Stammplatz und verfolgte das Spiel seiner Eintracht. Nervös, angespannt - ein Fan seit den 50er Jahren, ständig auf die überragende Technik der Eintracht fokussiert. Doch bei diesem Spiel der Saison 1986/87 war das anders. Peter Wuschek war abgelenkt vom Treiben auf dem Rasen. So sehr, dass er sich heute, 20 Jahre später, weder an den Gegner, noch an den Ausgang jenes Spiels erinnern kann. Es war das Trikot der Eintracht- Spieler, das "Wusch" daran hinderte, die Ballstafetten im üblichen Maße zu verfolgen. Die Hemden, getragen von Körbel, Kraatz, Smolarek und Co., störten ihn erheblich. An den Seiten und den Ärmeln waren sie rot, in der Mitte das Rot getrennt durch einen riesig breiten, schwarzen Streifen. Auf diesem prangte diagonal der Werbeschriftzug: "Hoechst". Der neue Trikot-Sponsor hatte sich vor der Saison beim Eintracht-Ausrüster "Adidas" ausbedungen, dass der Werbeschriftzug in weiß, vor schwarzem Hintergrund und diagonal platziert werden müsse. Die Lösung der Adidas-Designer sahen alle Fans im Stadion und nicht nur Herr Wuschek fragte sich: "Ein einzelner, breiter Streifen? In der Mitte?" Ein höchst ungewöhnliches Design für die damaligen Verhältnisse. "Furchtbar", fand Herr Wuschek dies und beschloss etwas zu tun.

Knapp 300 Kilometer nördlich vom Waldstadion spielte Henning, 10 Jahre alt, im Garten Fußball. Gegen seinen großen Bruder. Beide bemüht, die Blumenbeete der Mutter nicht zu zerstören. Zumeist ohne Erfolg. Die Fußball-Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko hatte Henning kurz zuvor endgültig zum Fußballer gemacht. Rummenigge und Matthäus wurden im Garten nachgespielt, Briegel nicht. Der hatte schließlich das Abseits aufgehoben und Burruchaga war mit dem Ball auf und davon gewesen. "Toni- halt den Ball!" – vergebens. Das WM-Sammelalbum von Duplo und Hanuta war daraufhin in die Ecke gepfeffert worden und Tränen waren geflossen. Nur mit Mühe und einem Duplo hatte der Vater mit Worten getröstet: "Wenigstens hat der Maradonna gegen Matthäus keine Schnitte gehabt".

Selbst in der ostwestfälischen Provinz war zu jener Zeit allen Jungen klar: Um sich darstellen und gleichzeitig von anderen abgrenzen zu können, muss man Fan sein. Fan eines Fußball-Vereins. Identifikation schafft Identität. Matthäus und (immerhin der kleine) Rummenigge ließen Henning daher die Bayern "gut finden". Ein bisschen auch, dass die immer gewannen. Tägliche Beschimpfungen seitens des großen Bruders jedoch (der hatte sich inzwischen ausgedacht Borussia-Dortmund-Fan zu sein), ein beschämendes 2:2 gegen den FC Homburg und ein plötzlicher Entwicklungsschub im Bereich der moralethischen Urteilsfähigkeit ließen Henning sich schnell wieder von den Bayern abwenden. Ein richtiger Verein musste her! Nur welcher? Regional spielten Gütersloh und Bielefeld in der Oberliga und zweiten Liga und boten kein Identifikationspotenzial. Alle Freunde waren Schalke-, Dortmund-, Köln- oder Mönchengladbach-Fans. Alles nett, aber der Funke sprang nicht über.

Etwas Besonderes sollte es sein.

Herr Wuschek hatte in Frankfurt noch am späten Abend nach dem Spiel den Filzstift zur Hand genommen um seine Idee zu Papier zu bringen. Es dauerte nicht lange, bis das Ergebnis auf dem Blatt mit dem Bild in seinem Kopf übereinstimmte. Herr Wuschek nahm ein Foto von Thomas Berthold, zeichnete die Umrisse des Oberkörpers nach und malte dem Eintracht-Spieler seinen Trikot-Entwurf auf den Leib: Kurze, rote Ärmel mit schwarzen Bündchen, ein V-Ausschnitt, links weiß, rechts schwarz und abwechselnd rote und schwarze Streifen- diagonal! Und in der "richtigen" Breite. Zwischen die Streifen setzte er aus Kontrastgründen feine, weiße Linien. Der "Hoechst"-Schriftzug kam auf einen der schwarzen Querstreifen. So war die Vorgabe des Sponsors, "diagonal dargestellt zu werden" elegant gelöst. Den Adler platzierte er auf dem roten Querstreifen darüber, auf Brusthöhe. Der Entwurf gefiel Herrn Wuschek auf Anhieb. Ein solches Trikot war gewagt, das war klar, bestimmten doch Fußball-Jerseys in "uni" das Bild der Bundesliga in den 80er Jahren.

Weil Herr Wuschek Druckaufträge von der Eintracht bekam, bestanden Kontakte zu einer Hand voll Personen, die bei dem hessischen Bundesligisten die Fäden zogen. Zum Beispiel zu Peter Röder, dem damaligen Geschäftsführer (späterer Vize-Präsident), dem Herr Wuschek den Trikot-Entwurf mit dem Kopf von Thomas Berthold umgehend vorlegte. Der war angetan, nahm das Bild an sich, konnte "aber nichts versprechen". Herr Wuschek hörte einige Wochen nichts von Röder, las aber in der Presse vom Ausrüsterwechsel bei der Eintracht von "Adidas" zu "Puma" und fragte sich: "Ist das jetzt gut oder schlecht?" Es war gut.

Einige Tage später, bei einem privaten Fußball-Spiel, an dem auch der Schatzmeister Wolfgang Knispel teilnahm, sagte dieser nach dem Spielchen zu Herrn Wuschek: "Ach, Peter! Puma nimmt übrigens dein Trikot". Das Trikot ging kurz darauf in Produktion und wenige Wochen vor der Saison 1987/88 wurden die Eintracht-Profis in Peter Wuscheks Trikot für Presse, Poster, Autogrammkarten und die vielen anderen Memorabilia von den Fotografen abgelichtet. Als Herr Wuschek die ersten Fotos in der Zeitung sah, setzte er sich zunächst einmal in seinen Sessel und war einige Momente lang einfach nur unheimlich stolz. Er, ein Fan der Eintracht, hatte seine Helden Körbel, Binz, Detari und Co. neu eingekleidet. "Unglaublich!", dachte er, stand auf und erzählte alles seiner Frau.

Kurz vor dem Saisonstart hatte Henning, noch immer von keinem Funken angesprungen, von seinen Eltern den Kauf des Panini-Bundesliga-Sammelheftes erquengelt. Mit Bildern zum Einkleben also, so ähnlich wie bei dem Duplo- und Hanuta-Heft der WM 86. Die Bilder waren nur teurer und die Schokolade fehlte. "Papa, brauchst Du noch neuen Pfeifen-Tabak? Oder Pfeifen-Filter? Oder Pfeifen-Reiniger?" Zur Not Streichhölzer, Hauptsache ein "Dienstbotengang" zu "Tabak-Kaiser" sprang beinahe täglich dabei heraus, der verkaufte nämlich auch die Panini-Bildchen. So konnte das Wechselgeld direkt und gezielt eingesetzt werden. Das Panini-Album füllte sich zusehends und Henning freute sich. Herr Kaiser freute sich auch. Nur Hennings Mutter nicht, der Vater rauchte auf einmal so viel.

Schon als die Doppelseite "Eintracht Frankfurt" im Panini-Album noch mehr Lücken als akkurat beklebte Felder aufwies, war Henning diese Mannschaft aufgefallen. Dieser Name schon: "Eintracht Frankfurt". Das war ein anderer Schnack als das sonst so übliche VFL-, VFB-, FC- Gekürzel. "Eintracht Frankfurt", da gingen die gegnerischen Mannschaften ja wohl alleine schon wegen des Namens in die Knie? Einige Spieler-Typen machten auch schwer Eindruck: Frank Schulz zum Beispiel.

Und das Wappen, ein Adler, das faszinierte auch. Der Adler war auch auf den Trikots der Spieler auf den Bildchen zu sehen.

Das Trikot.

Ja genau, das Trikot war es, das Henning zuallererst am schnellen Weiterblättern (wie z.B. bei Bochum, Dortmund oder Bremen, was gab es bei denen schon Interessantes?) gehindert hatte. Dieses Trikot der Frankfurter Mannschaft: rot-schwarz, das stach ins Auge. Und dann Streifen. Diagonal? Oben kleinere Streifen und nach unten werden sie länger? Fein abgetrennt durch weiße Linien? Wie sah denn das aus?

Großartig sah das aus! Es war kein einzelner Funke, der auf den 10-jährigen Jungen übersprang, es war ein Feuerwerk von Funken, das sich augenblicklich des Fußballer-Teils der Seele des Jungen bemächtigte, um fortan bei jedem Anblick dieser Bilder, beim Auspacken der bald folgenden Post mit Autogrammkarten, beim Ansehen der Fotos in der Zeitung und den Bildern im Fernsehen zu kribbeln, sich aufs Neue zu entzünden, aufzuflackern oder bei Live-Erlebnissen zu explodieren.

Auf das Trikot selbst musste Henning noch bis Weihnachten warten, ein lange Zeit. Aber das Warten sollte sich lohnen. Das Gefühl, dieses Trikot in den Händen zu haben, es tragen zu können, beim Bolzen, beim Vereins-Training oder einfach so - war unglaublich gut. Und noch heute, wenn Henning sich zwanzig Jahre später das Trikot von 1987, das erste Exemplar seiner Eintracht-Trikot-Sammlung, anschaut, flackert dieses Gefühl von damals wieder in ihm auf.

So ähnlich wie bei Herrn Wuschek, wenn dieser heute, ebenfalls zwanzig Jahre später, an die Wand seines Büros schaut. Auf seinen Trikot-Entwurf, mit dem Kopf von Thomas Berthold.

Vor ein paar Tagen haben Herr Wuschek und Henning telefoniert. Und beschlossen, die Geschichte aufzuschreiben.

Autor 'Henk' ist Henning, lebt in Köln und ist seit dem Trikot von 1987 Eintrachtfan.

 

 

 

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