10.06.2006
Peter Wuschek, aufgewachsen in Schwanheim/Bergstraße,
in Hörweite zum Waldstadion, saß wie immer auf seinem Stammplatz
und verfolgte das Spiel seiner Eintracht. Nervös, angespannt - ein
Fan seit den 50er Jahren, ständig auf die überragende Technik
der Eintracht fokussiert. Doch bei diesem Spiel der Saison Knapp 300 Kilometer nördlich vom Waldstadion spielte Henning, 10 Jahre alt, im Garten Fußball. Gegen seinen großen Bruder. Beide bemüht, die Blumenbeete der Mutter nicht zu zerstören. Zumeist ohne Erfolg. Die Fußball-Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko hatte Henning kurz zuvor endgültig zum Fußballer gemacht. Rummenigge und Matthäus wurden im Garten nachgespielt, Briegel nicht. Der hatte schließlich das Abseits aufgehoben und Burruchaga war mit dem Ball auf und davon gewesen. "Toni- halt den Ball!" – vergebens. Das WM-Sammelalbum von Duplo und Hanuta war daraufhin in die Ecke gepfeffert worden und Tränen waren geflossen. Nur mit Mühe und einem Duplo hatte der Vater mit Worten getröstet: "Wenigstens hat der Maradonna gegen Matthäus keine Schnitte gehabt". Selbst in der ostwestfälischen Provinz war zu jener Zeit allen Jungen klar: Um sich darstellen und gleichzeitig von anderen abgrenzen zu können, muss man Fan sein. Fan eines Fußball-Vereins. Identifikation schafft Identität. Matthäus und (immerhin der kleine) Rummenigge ließen Henning daher die Bayern "gut finden". Ein bisschen auch, dass die immer gewannen. Tägliche Beschimpfungen seitens des großen Bruders jedoch (der hatte sich inzwischen ausgedacht Borussia-Dortmund-Fan zu sein), ein beschämendes 2:2 gegen den FC Homburg und ein plötzlicher Entwicklungsschub im Bereich der moralethischen Urteilsfähigkeit ließen Henning sich schnell wieder von den Bayern abwenden. Ein richtiger Verein musste her! Nur welcher? Regional spielten Gütersloh und Bielefeld in der Oberliga und zweiten Liga und boten kein Identifikationspotenzial. Alle Freunde waren Schalke-, Dortmund-, Köln- oder Mönchengladbach-Fans. Alles nett, aber der Funke sprang nicht über. Etwas Besonderes sollte es sein. Herr Wuschek hatte in Frankfurt noch am späten Abend
nach dem Spiel den Filzstift zur Hand genommen um seine Idee zu Papier
zu bringen. Es dauerte nicht lange, bis das Ergebnis auf dem Blatt mit
dem Bild in Weil Herr Wuschek Druckaufträge von der Eintracht bekam, bestanden Kontakte zu einer Hand voll Personen, die bei dem hessischen Bundesligisten die Fäden zogen. Zum Beispiel zu Peter Röder, dem damaligen Geschäftsführer (späterer Vize-Präsident), dem Herr Wuschek den Trikot-Entwurf mit dem Kopf von Thomas Berthold umgehend vorlegte. Der war angetan, nahm das Bild an sich, konnte "aber nichts versprechen". Herr Wuschek hörte einige Wochen nichts von Röder, las aber in der Presse vom Ausrüsterwechsel bei der Eintracht von "Adidas" zu "Puma" und fragte sich: "Ist das jetzt gut oder schlecht?" Es war gut. Einige Tage später, bei einem privaten Fußball-Spiel, an dem auch der Schatzmeister Wolfgang Knispel teilnahm, sagte dieser nach dem Spielchen zu Herrn Wuschek: "Ach, Peter! Puma nimmt übrigens dein Trikot". Das Trikot ging kurz darauf in Produktion und wenige Wochen vor der Saison 1987/88 wurden die Eintracht-Profis in Peter Wuscheks Trikot für Presse, Poster, Autogrammkarten und die vielen anderen Memorabilia von den Fotografen abgelichtet. Als Herr Wuschek die ersten Fotos in der Zeitung sah, setzte er sich zunächst einmal in seinen Sessel und war einige Momente lang einfach nur unheimlich stolz. Er, ein Fan der Eintracht, hatte seine Helden Körbel, Binz, Detari und Co. neu eingekleidet. "Unglaublich!", dachte er, stand auf und erzählte alles seiner Frau. Kurz vor dem Saisonstart hatte Henning, noch immer von
keinem Funken angesprungen, von seinen Eltern den Kauf des Panini-Bundesliga-Sammelheftes
erquengelt. Mit Bildern zum Einkleben also, so ähnlich wie bei dem
Duplo- und Hanuta-Heft der WM 86. Die Bilder waren nur teurer und die
Schokolade fehlte. "Papa, brauchst Du noch neuen Pfeifen-Tabak? Oder
Pfeifen-Filter? Oder Pfeifen-Reiniger?" Zur Not Streichhölzer,
Hauptsache ein "Dienstbotengang" zu "Tabak-Kaiser"
sprang beinahe täglich dabei heraus, der verkaufte nämlich auch
die Panini-Bildchen. So konnte das Wechselgeld direkt und gezielt eingesetzt
werden. Das Schon als die Doppelseite "Eintracht Frankfurt" im Panini-Album noch mehr Lücken als akkurat beklebte Felder aufwies, war Henning diese Mannschaft aufgefallen. Dieser Name schon: "Eintracht Frankfurt". Das war ein anderer Schnack als das sonst so übliche VFL-, VFB-, FC- Gekürzel. "Eintracht Frankfurt", da gingen die gegnerischen Mannschaften ja wohl alleine schon wegen des Namens in die Knie? Einige Spieler-Typen machten auch schwer Eindruck: Frank Schulz zum Beispiel. Und das Wappen, ein Adler, das faszinierte auch. Der Adler war auch auf den Trikots der Spieler auf den Bildchen zu sehen. Das Trikot. Ja genau, das Trikot war es, das Henning zuallererst am schnellen Weiterblättern (wie z.B. bei Bochum, Dortmund oder Bremen, was gab es bei denen schon Interessantes?) gehindert hatte. Dieses Trikot der Frankfurter Mannschaft: rot-schwarz, das stach ins Auge. Und dann Streifen. Diagonal? Oben kleinere Streifen und nach unten werden sie länger? Fein abgetrennt durch weiße Linien? Wie sah denn das aus? Großartig sah das aus! Es war kein einzelner Funke, der auf den 10-jährigen Jungen übersprang, es war ein Feuerwerk von Funken, das sich augenblicklich des Fußballer-Teils der Seele des Jungen bemächtigte, um fortan bei jedem Anblick dieser Bilder, beim Auspacken der bald folgenden Post mit Autogrammkarten, beim Ansehen der Fotos in der Zeitung und den Bildern im Fernsehen zu kribbeln, sich aufs Neue zu entzünden, aufzuflackern oder bei Live-Erlebnissen zu explodieren. Auf das Trikot selbst musste Henning noch bis Weihnachten warten, ein lange Zeit. Aber das Warten sollte sich lohnen. Das Gefühl, dieses Trikot in den Händen zu haben, es tragen zu können, beim Bolzen, beim Vereins-Training oder einfach so - war unglaublich gut. Und noch heute, wenn Henning sich zwanzig Jahre später das Trikot von 1987, das erste Exemplar seiner Eintracht-Trikot-Sammlung, anschaut, flackert dieses Gefühl von damals wieder in ihm auf. So ähnlich wie bei Herrn Wuschek, wenn dieser heute, ebenfalls zwanzig Jahre später, an die Wand seines Büros schaut. Auf seinen Trikot-Entwurf, mit dem Kopf von Thomas Berthold. Vor ein paar Tagen haben Herr Wuschek und Henning telefoniert. Und beschlossen, die Geschichte aufzuschreiben. Autor 'Henk' ist Henning, lebt in Köln und ist
seit dem Trikot von 1987 Eintrachtfan.
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