30.04.2007 "Die, die immer da sind!" Es ist Halbfinale und die Eintracht spielt in Nürnberg. Ein Sieg noch und wir fahren wieder nach Berlin. Doch bereits zu Beginn beschert uns eine Unaufmerksamkeit von Fink – unaufmerksam in diesem Spiel! – den Rückstand, der unser taktisches Konzept über den Haufen wirft. Die Eintracht erspielt sich – warum auch nicht – eine wunderbare Chance zum Ausgleich. Der Ball segelt von der linken Torauslinie auf den kurzen Pfosten in Höhe des Nürnberger Fünfmeterraumes. Der Keeper des Clubs geht dem Ball nicht entgegen und auch Benni Köhler verzichtet darauf, entschlossen mit dem Kopf in den Ball zu gehen und das Tor zu erzielen. Warum verzichtet er darauf? Hat er Angst, wie im Pokalfinale gegen Sagnol, körperlichen Schaden zu nehmen? Was ist ein Schneidezahn oder eine gebrochene Nase gegen das Erreichen des Pokalfinales?
Karl-Heinz Körbel war nicht nur der treue, er war
auch der harte Charly. Vor allen Dingen gegen sich selbst. Charly trug
in der Saison 83/84 nicht nur den Adler auf der Brust, sondern auch die
Kapitänsbinde am Arm. Dabei hätte er weder die noch die harte
und überzogene Kritik im Vorfeld an seiner Person gebraucht, um Körbel erzielt gegen die auswärts punktlosen Nürnberger nach fünf Minuten die Führung. Nach Abramcziks Ausgleich ist es wieder Charly, der neun Minuten vor dem Ende mit letztem Einsatz das 2:1 macht. Körbel will sich mit seinen beiden Toren nicht zufrieden geben. Er will nicht Torschütze sein. Er will Sieger sein. Siegen kann nur der, der den Ball hat. Also ist unser Kapitän direkt nach seinem Treffer schon wieder im Kampf um den Ball, wo er mit Abramczik zusammenprallt, der auf Körbels Unterschenkel fällt. Körbels Triumph, sein bestes Spiel der Saison enden nicht mit jauchzendem Jubel auf dem Platz, sondern mit schmerzvollem Stöhnen im Krankenhaus. Falkenmayer verschießt unter diesem Schock einen
Elfer, aber auch mit 10 Mann - wir hatten schon zweimal gewechselt - erzielen
die Adler noch das 3:1 durch Thomas Berthold, über das sich Körbel
trotz Schmerzen in der Kabine freut, bevor er ins Krankenhaus gebracht
wird. Und sie blieben in der Bundesliga. Sind Harry und Charly Helden? Nein, sie sind viel mehr als das. Sie sind Legenden. Und die sterben nie.
Wer würde Benni Köhler seine einmalige Zurückhaltung in Nürnberg vorwerfen, wer Michael Thurk seine unterdurchschnittliche Saison, wenn ihnen das entscheidende Tor zum Klassenerhalt gelingen sollte? Trainer Funkel muss sich keine Psycho-Tricks einfallen lassen oder den Motivator spielen. Wem die Aussicht, zur Legende zu werden, nicht Ansporn genug ist, sollte nicht nur dem Profi-Fußball Adieu sagen, sondern gleich seine Fußballschuhe an den Nagel hängen. Selbst in der Kreisklasse hätte so jemand auf dem Platz nichts zu suchen. Auf wen können wir Fans uns am Ende nun wirklich verlassen, auf wen zählen, wenn es eng wird? Auf den Vorstand, auf den Trainer, auf die Spieler - wer immer sie auch sein mögen? Nein, wir können uns nur auf uns selbst verlassen, nur auf unsere Gemeinschaft, unsere "Eintracht" zählen. „Wir geben alles und bekommen nichts“, schrieb hier ein junger Fan enttäuscht. Er hat Recht. Genau so ist es. Wir – die Fans – bekommen nichts. Unser einziger
dauerhafter „Lohn“ ist es, diesen Verein leidenschaftlich
zu lieben. Und ist sich Liebe nicht selbst genug? Liebe erwartet keine
Belohnung, sie hofft auf Erfüllung. Manchmal allerdings erreichen die Fans die Unerreichbaren oder tragen sogar dazu bei, dass Unmögliche möglich zu machen. In diesen raren Momenten bekommen die Fans für ihre leidenschaftliche, eifersüchtige Liebe doch etwas zurück. Es sind die einzigartigen Momente, in denen unsere Liebe von den Adlern auf dem Rasen im wahrsten Sinne des Wortes erhört und endlich, endlich erwidert wird: Wer - von denen, die dabei waren - möchte den Moment missen, als wir den tor- und erfolglosen Arie, den die Presse bereits zum Fehleinkauf abstempeln wollte, im Waldstadion gegen Oberhausen buchstäblich zu seinem ersten Tor sangen? Wer will - von denen, die dabei waren - den Moment missen, als der als Cha“ncentod“ verschriene Du-Ri in Oberhausen aus der allerbesten Möglichkeit wieder einmal kein Tor machte und die Fans Du-Ri so lange anfeuerten, bis er doch noch ins Tor traf? Wer will den Moment missen, als wir in der 85. Minute am ersten Spieltag der Saison 2005/06 beim Stande von 1:4 gegen Leverkusen alle, aber wirklich alle aufstanden – soweit wir nicht schon die ganze Zeit standen – aber nicht um zu gehen, sondern um unseren enttäuschten Aufsteigern mit „Steht auf, wenn ihr Adler seid“ den Rücken zu stärken? Wer will die Momente als Fjørtoft das 5:1 und Schur das 6:3 erzielte eintauschen? Wer? Gegen was?
Doch hat sich für diese kurzen Momente des Glücks nicht alles gelohnt? Alles Warten, Hoffen, Bangen, alle Mühen und Entbehrungen? Natürlich hat es das. Nur: Eine Garantie für solche unersetzlichen Momente gibt es nicht, selbst wenn wir alles geben. Na und? Wie gesagt: Unsere Liebe zur Eintracht ist selbstlos und wird nie vergehen. Oder glauben wir etwa nicht mehr an das, was wir in der Kurve singen? Sind wir nicht mehr „treu bis in den Tod“? Dabei geht es an diesem Samstag nicht um Leben und Tod und sterben muss erst recht keiner für unsere Eintracht, auch wenn er singt, er wäre bereit dafür. Es reicht, wieder einmal alles zu geben. So wie immer! Vielleicht reicht es am Ende nur dazu, wieder einmal unsagbar traurig, aber mit erhobenem Haupt das Waldstadion zu verlassen. Doch im Gegensatz zu den meisten Spielern werden wir die sein, bei denen sich unser Schui nach seinen beiden Toren zum 6:3 bedankt hat: „Es gibt drei Kategorien von Fans: Die ersten sind immer kritisch, die zweiten kommen nur, wenn Erfolg da ist, und dann gibt es Euch – die, die immer da sind!“
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