25.12.2007

Mein erstes Eintrachtspiel – die etwas abweichende Fanhistorie

Ja, das kann man oft hören: zum ersten Mal mit dem Papa im Stadion. Leuchtende Kinderaugen, überwältigt von den Menschenmassen, den Rufen, dem Spiel – und seitdem Eintrachtfan. Ich war auch mit meinem Papa zum ersten Mal im Stadion. Ich war neun, und ich habe es gehasst.

Berlin, Olympiastadion, 34. Spieltag. Es ist der 4. April 1970 und die Hertha spielt gegen diese Frankfurter. Ist mir doch egal. Meine Eltern haben sich gerade scheiden lassen, ich wurde von meiner Mutter und meinem neuen Vater aus meinem geliebten Berlin gegen meinen Willen nach Walldorf in Hessen verschleppt. Ganz toll.

Jetzt war ich zu Besuch bei meiner Tante in Berlin, und mein Vater traf sich mit mir. Am liebsten wäre ich zu einem gerade stattfindenden Rummel gegangen, aber er hatte Fußballkarten. Drei Stück. Eine für mich, eine für ihn und eine für eine mir bis dahin unbekannte junge Frau im Pelzmantel, die blond, hübsch und definitiv nicht meine Mutter war. Im Stadion saß ich zwischen ihnen auf einer langen Holzbank auf der Gegentribüne. Unten auf dem Rasen liefen die zwei Mannschaften ein. Es war kalt. Ich wollte auf den Rummelplatz.

Um meine Stimmung etwas anzuheben, fragte mich mein Vater, für welche Mannschaft ich sei. Schließlich sei es doch lustig, wo ich doch jetzt in der Nähe von Frankfurt wohnen würde, dass ausgerechnet die Eintracht gegen Hertha blablabla. Erwähnte ich schon, dass ich auf den Rummelplatz wollte? Jedenfalls teilte ich dies jetzt meinem Vater mit. Er wechselte einen etwas verzweifelten Blick mit dem blonden Pelzmantel und schlug mir vor, dass wir nach dem Spiel zum Rummel gehen würden, wenn ich den Sieger der gerade eben angefangenen Partie richtig vorhersagen würde. Eine Wette also. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich damals instinktiv seinen Plan durchschaute, mich mit diesem Trick quasi zum Anhänger einer Mannschaft zu machen, jedenfalls sagte ich, ohne zu zögern: „Unentschieden“.

Nun lief das Spiel. Unter den 30.000 Zuschauern im Stadion war ich mit einiger Sicherheit der Einzige, der das Geschehen um so angenehmer empfand, je mehr es sich von den beiden Toren entfernte. Ballgeschiebe im Mittelfeld, Fehlpässe, unnötige Ballverluste – das war meine Welt.

Die Aufstellung der Hertha lässt einen heute eher kalt: Groß, Weber, Enders, Ferschl, Patzke, Wild, Witt, Brungs, Gayer, Horr und Steffenhagen. Und damit war man unter Kronsbein auf dem dritten Tabellenplatz.

Die Eintracht war 8., aber was für eine Mannschaft: Kunter, Hubert, Lutz, Schämer, Trinklein, Wirth, Hölzenbein, Kalb, Grabowski, Heese und Nickel. Trainer war Ribbeck. Als wenn mir das nicht völlig am Arsch vorbei gegangen wäre. Ich wollte ein Remis, und ein Null zu Null schien mir eine tragfähige Grundlage dafür zu sein.

Bis zur 69. Minute klappte auch alles prima, dann verwandelte Horr zum 1:0 für die Hertha. Ein Großteil der Dummköpfe rings um mich herum jubelte. Klar, die wollten ja auch nicht zum Rummel. Ich brüllte jetzt aber nicht etwa für die Eintracht, um den ja noch möglichen Ausgleich zu fördern. Vielmehr verharrte ich endgültig sauer und verbittert schweigend auf meinem Platz. Steffenhagen machte dann in der 84. mit dem 2:0 alles klar. Fußball war Scheiße.

Der Rest kann schnell erzählt werden. Mein Vater ging dann natürlich doch hinterher mit mir und dem Pelzmantel zum Rummel. In der Schule in Walldorf und später auf dem Gymnasium in Groß-Gerau waren die meisten aus meiner Klasse Bayern- oder Eintrachtfans. Ich selbst interessierte mich kaum für Fußball, spielte Tennis in der Vereinsmannschaft und schaute mir Wimbledon im Fernsehen an. Wenn ich gefragt wurde, nannte ich Hertha als meine Lieblingsmannschaft, das ging als plausibel durch, weil ich ja aus Berlin stammte. Erst die WM 74 in Deutschland hat mich für Fußball interessiert, ab dann habe ich auch samstags die Sportschau gesehen und den 'Kicker' gelesen.

Mit Hertha bin ich bis in die dritte Liga gegangen, nach dem Wiederaufstieg konnte ich mich aber nicht mehr mit Hertha identifizieren. Ist nicht so hübsch, wenn nach einer Fehlentscheidung weite Teile des Publikums „Jude, Jude“ rufen. Längst ging ich in Frankfurt ins Waldstadion zur Eintracht, und ab 1987 bin ich ausschließlicher Eintrachtfan.

Am 2. Februar spielen wir wieder in Berlin. Ich werde da sein, meine Liebste im Arm und werde für die Eintracht singen, bis ich heiser bin. Vielleicht reicht es aber doch nicht zum Auswärtssieg. Wenn das denn so sein sollte, hätte ich nur noch eine kleine Anregung: Könnten wir vor der Bembelbar ein kleines Karussell aufstellen, wenn das Spiel unentschieden ausgeht?

stefank, im wirklichen Leben Jurist für Urheberrecht, lebt im Frankfurter Nordend.

 

© text, artwork & code by fg