23.03.2007

Mein erstes Auswärtsspiel: 2. April 1994

Im Dezember 1982 habe ich am Abendgymnasium I in Frankfurt mit 25 Jahren mein Abitur gemacht.
Zuvor habe ich mit noch nicht 16 Jahren und dem Realschulabschlusszeugnis in der Tasche bei Siemens AG Dental-Depot meine Lehre als Groß- und Außenhandelskauffrau (damals natürlich noch nur „Mann“) angefangen, beendet und in diesem Beruf gearbeitet.

Nach dem Abitur habe so ca. 25 ½ Jahre Soziologie studiert, erst von Bafög und dann von einem Halbtags-Bürojob gelebt und bin 1990 zur Firma LIBRI in die Verlagsauslieferung für Bücher gegangen. Bis zum Jahre 2001 – in dem Libri nach Bad Hersfeld umgezogen ist - hat fast jeder Mensch in Frankfurt, dem ich erzählte, dass ich bei LIBRI arbeite gemeint: „Oh je, dort! Da habe ich auch mal gearbeitet, das war aber schrecklich.“

Ich arbeitete also bei Libri und mit mir ein nicht so besonders gut aussehender Herr – so ca. 8 Jahre älter als ich – der da irgendwie gar nicht hinpasste. Er sprach fließend französisch und englisch sowieso. Er war sehr gebildet. Er redete sehr gepflegt und benutzte Fremdwörter. Alles im Gegensatz zu den anderen Büromenschen dort, die eher schlichten Gemütes waren. Außerdem war er ganz „heiß“ auf Überstunden, was ich nun mal überhaupt nicht verstehen konnte, und seine Tischmanieren waren im Gegensatz zu seinem sonstigen Auftreten nicht manierlich. Na ja, es kam wie es (fast) kommen musste: Er lud mich zum Essen ein, und ich - ohne Beziehung und einsam - ließ mich auf die von ihm angestrebte Beziehung ein.

Das Geheimnis seiner Bildung lichtete sich dahingehend, dass er zum damaligen Zeitpunkt „Freigänger“ des nahen Preungesheimer Gefängnisses war. Er war einst ein erfolgreicher Wirtschaftsanwalt mit Millionenerlösen – zumindest seine Erwähnung in einem populären Buch incl. Bild von ihm habe ich gesehen – die, wie er sagte, seiner Frau leider nicht gereicht hatten, und der nun wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis saß.

Allerdings war er schon draußen, als er mit mir diese Beziehung begann. Nun durfte ich Geschichten lauschen, so dass ich mir vorkam, als wäre ich bei "Dallas". Aber leider hatte er überhaupt kein Geld mehr, nur sehr viele Schulden. Jedenfalls konnte ich ihn öfters erfolgreich überreden mit mir zur Eintracht zu gehen.

Wir schrieben sowieso das Jahr 1991 und die Eintracht spielte „Fußball 2000“, so dass das Mitgehen nicht nur mir zuliebe erfolgte, denn es wurde ja etwas geboten fürs Geld. Wir hatten immer einen Sitzplatz, denn damals fing es mit meinen Knochen an schlimm zu werden, so dass ich kaum noch laufen und vor allen Dingen nicht stehen konnte. Er begleitete mich auch auf den Paulsplatz die Rostock-Geschichte anzusehen.

Dann, am 28.12.1992, lernte ich in Kur in Sasbachwalden den Mann meines Lebens kennen. Ich verliebte mich so was von unsterblich, und diese Liebe beruhte auf Gegenseitigkeit. Allerdings hatte sie einen „kleinen“ Schönheitsfehler, denn der Mann meiner Träume war verheiratet und hatte auch nicht vor, an diesem Zustand etwas zu ändern oder mit mir „offen“ fremd zu gehen. Dies hatte er mir sogar schon vor dem Kennenlernen gesagt. Das Verlieben passierte trotzdem und ich machte mit meinem Ex-Juristen Schluss. Dieser belatscherte mich dann ständig, dass diese Liebe doch verheiratet wäre, niemals zu mir kommen würde und machte mir sogar einen Heiratsantrag.

Wie oft und was wir noch miteinander unternahmen, weiß ich nicht mehr. Ich ging jedenfalls regelmäßig zu den Heimspielen und über Ostern 1994 lud er mich ein, mit ihm nach Berlin zu fahren. Wir fuhren also zusammen nach Berlin. Er zeigte mir Werder an der Havel, Potsdam und Babelsberg. Es war alles sehr schön, wenn ich mich nur nicht so nach dem Anderen gesehnt hätte. Ich hatte richtige Schmerzen und der arme Jurist konnte mich nicht aufheitern. Er fuhr sogar mit mir nach Dessau, damit ich die Geburtsstätte des Bauhauses sehen konnte. Wir aßen dort zu Mittag und fuhren weiter auf der Autobahn Richtung Frankfurt. Da stand dann das Schild „Leipzig“.

OK, es war Samstag, so gegen 13.00 oder 14.00 Uhr... Ah, die Eintracht spielt ja heute gegen den VfB Leipzig. Ich sagte dies und später kam dann von ihm: “Wollen wir da hinfahren?“ Ich getraute mich erst nicht, aber - da er ja mir zuliebe fast alles tat - sagte ich dann: „Klar.“ So fuhren wir also nach Leipzig, fuhren durch die ganze Stadt immer dem Schild „Zentralstadion“ nach und gelangten auf einen Parkplatz. Leider fasste ich den Entschluss, meinen Fotoapparat nicht mitzunehmen. Wegen Gedränge und so. Aber irgendwie war es komisch; außer uns war wirklich niemand da, alles leer.

Allerdings fand sich jemand in einem Kassenhäuschen, der uns eine Karte verkaufte und dann betraten wir das Stadion, das Wikipedia so beschreibt: „Das Stadion am Elsterflutbecken, dessen 23 Meter hoher Wall aus 1,5 Millionen Kubikmetern Kriegstrümmern geformt wurde, entstand zwischen 1954 und 1956 unter der Leitung von Karl Souradny. Es wurde 1956 mit einer Kapazität von 100.000 Sitzplätzen eröffnet und war bis zu seinem Umbau 2000 das größte Stadion Europas. Hier fanden die Turn- und Sportfeste der DDR, alle wichtigen DDR-Fußball-Länderspiele und Leichtathletik-Wettkämpfe statt.“

Und es war der Wahnsinn: Wir hatten so ungefähr eine ganze Stadionseite für uns alleine. Laut Eintracht-Archiv waren 8.500 Zuschauer da. Um auf die Toilette zu kommen, musste ich "stundenlang" laufen und zu trinken gab es gar nichts.

Das Spiel war dann ein typisches Eintracht-Spiel. Diva halt. Gegen den Tabellenletzten, den ersten Deutschen Meister überhaupt, dem in dieser Spielzeit allerdings nur drei Siege gelangen, verloren wir mit 1:0, das Jürgen Rische schon in der 29.Minute schoss.

Ich erinnere mich nur an Langeweile und Ödnis. Niemand weit und breit, erst recht keine Frankfurter und nur dieses leere Stadion. (Oh, hätte ich doch nur meinen Fotoapparat mitgenommen…)

Auf der Rückfahrt kamen wir dann auf der Autobahn in einen fürchterlichen Schneesturm und hielten an einer Raststätte an. Und siehe da, da waren Eintrachtfans. So mit Kutte, Gesang und Bierflasche. Allerdings getraute ich mich nicht, mich zu erkennen zu geben. Aber das ist eine andere Geschichte, die ich ein anderes Mal erzähle.

Der Jurist half mir dann noch in diesem Sommer bei meinem Umzug nach Niederrad und heiratete kurz drauf eine Psychologin. Diese verbot ihm den Umgang mit mir und ich habe ihn seither nie wieder gesehen.

Die Autorin 'womeninblack' ist Sabine C. Klug, wohnt in Frankfurt am Main
und ist Eintrachtfan seit mindestens 1966.

 

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