Reinhold Jessl

*02. 01. 1962

Bis 1986 SV Lettgenbrunn, FSV Bad Orb, 1986/87 Eintracht, 1987 bis 1989 SpVgg Bad Homburg, 1989 bis Dezember 1990 FSV Frankfurt, Dezember 1990 bis 1991 Bayern Alzenau, 1991/92 FSV Bad Orb, 1992 bis 2000 Spielertrainer TSV Höchst, 2000 bis 2004 Trainer SV Bernbach, 2004 bis Dezember 2006 Trainer TSG Wörsdorf, bis 2007 FSV Feldkahl

Bundesliga
DFB-Pokal
Europapokal
1986/87
4
1
1
1
-
-

Saison 1986/1987

 

..., so stellte die Abendpost/Nachtausgabe (A/N) in ihrer Ausgabe vom 16.7.1986 einen Neuzugang der Frankfurter Eintracht vor. Reinhold Jessl hatte seinen Beruf als Postbeamter aufgegeben. Die erhoffte Freistellung für zwei Jahre wurde ihm zwar nicht gewährt, dafür wurde jedoch vereinbart, dass er bei einer eventuellen Rückkehr nach einem Jahr als Angestellter wieder in den Staatsdienst übernommen werden würde. „Doch daran denke ich jetzt überhaupt nicht“, versicherte er: „Ich möchte den Riesensprung schaffen.“

Ein Riesensprung, fürwahr, denn Jessl hatte bislang lediglich in der Landesliga auf sich aufmerksam machen können, wo er im Spessart für den FSV Bad Orb erfolgreich auf Torejagd gegangen war und in der letzten Runde dort 36 Treffer erzielt hatte. „Da ist kein Vergleich mehr möglich“, beschied Jessl entsprechende Nachfragen: „Früher hatte ich zweimal die Woche Training, jetzt zweimal am Tag. Das sagt alles.“ Das Tempo sei viel höher, er müsse noch schneller werden, „aber das geht alles nicht von heute auf morgen“, erklärte er: „Ich möchte erst einmal den Anschluss schaffen.“ Den hatte er da im Kreis der neuen Kollegen schon erfolgreich hinter sich gebracht und mit Torwart Hans-Jürgen Gundelach und Uwe Müller eine Fahrgemeinschaft gegründet: „Ich habe nicht gedacht, dass ich gleich akzeptiert werde.“

„Er war für uns keine Risiko-Verpflichtung und hat in den bisherigen Spielen gezeigt, warum er in der Landesliga stets für 20 bis 30 Tore gut war. Er ist immer für eine überraschende Aktion gut und hat auch spielerisch einen Sprung nach vorne gemacht“, lobte Trainer Dietrich Weise den Neuzugang, der für eine Ablöse von 28.000 DM zu haben war. „Jessl – der Beste ist der Billig-Bomber“, bilanzierte Paul Palmert deshalb auch für die „Bild“ am 1.8.1986. Jessl hatte innerhalb von vier Wochen von seinen 86 kg zwar acht bis zehn Pfund verloren, aber in der Vorbereitung mehr Tore als die stürmenden Konkurrenten Smolarek oder Mitchell erzielt.

„Ich vermeide unnötige Zweikämpfe, spiele Doppelpass und kam damit recht gut an allen Gegnern vorbei. Mit Hilfe meiner Mitspieler kann ich es auch in der Bundesliga schaffen“, hoffte Jessl. „Er spielt aufmerksam und überschätzt seine Möglichkeiten nicht“, konstatierte Trainer Weise sachlich. „Er schießt nicht raffiniert, aber dafür sofort“, registrierte Torhüter Gundelach und Kapitän Körbels Urteil klang fast überschwänglich: „Der kann der Bomber werden, den wir so lange suchen.“ Auch die Abendpost/Nachtausgabe meinte am 3.8.1986: „Einen Glücksgriff scheint Eintracht Frankfurt mit der Verpflichtung des Bad Orber „Billig-Bombers“ Reinhold Jessl für die neue Bundesliga-Saison geglückt zu sein: Beim 6:1-(2:0-)Freundschaftsspielsieg des hessischen Bundesligisten bei einer B-Klassen-Auswahl des Kreises Gelnhausen erzielte der für 28.000 Mark verpflichtete Landesliga-Stürmer die Hälfte der Eintracht-Tore und schraubte damit sein Konto in acht Vorbereitungsspielen auf 20 Treffer.

Doch Testspiele und Bundesliga waren damals schon verschiedene Paar Schuhe. Und so erklärte Trainer Weise vor dem Punktspielauftakt gegen Fortuna Düsseldorf: „Die Mannschaft stellt sich deshalb fast von alleine auf“, verzichtete jedoch auf den Torjäger: „Reinhold Jessl hat einen großen Schritt nach vorne getan, aber er hat noch immer ziemliche Probleme mit Bundesliga-Tempo.“ Das zeigte sich bei seiner Einwechslung am 1. Spieltag prompt, als er beim Stand von 5:0 für die Eintracht für den zweifachen Torschützen Smolarek ins Spiel kam und nicht nur nach Meinung der A/N zwar „kämpfte und rackerte, aber durch ein ungenaues Abspiel ein weiteres Tor verpatzte“.

Knapp einen Monat musste Jessls auf seine nächste Bewährungschance warten, bis er am 5. Spieltag im Heimspiel gegen Kaiserslautern beim Spielstand von 1:2 für Harald Krämer in der 63. Minute eingewechselt wurde. Keine vier Minuten stand der Stürmer auf dem Feld, als im Strafraum ein Schuss von Manfred Binz zu ihm prallte und Jessl mit dem zweiten Ballkontakt sein erstes Bundesligator erzielte. Dem Lauterer Michael Dusek, der sich vergeblich hinter die eigene Torlinie begeben hatte, um Jessl abseits zu stellen, wies sein Trainer Hannes Bongartz die Schuld am Ausgleich zu: „Beim zweiten Tor, als wir abseits spielen wollten, blieb er wie angewurzelt hinten stehen. Da hat er wohl Pattex an den Schuhen gehabt.“

„Ich habe nicht gesehen, ob ich im Abseits stand. Auch Dusek hinter dem langen Torpfosten fiel mir nicht auf. Ich sah nur, die lange Ecke ist frei und konnte den Ball mit dem Außenrist nehmen“, erzählte der glückliche Jessl später: „So konzentriert wie vor meinem ersten Bundesliga-Tor war ich noch nie. Ich fühlte den Ball am Schuh, schoss nicht allzu fest, aber die Richtung stimmte. Ein tolles Gefühl.“ „Der schönste Tag in meinem Fußballer-Leben“, jubelte Jessl, „davon habe ich immer geträumt.“ „Ich dachte, du rennst zum Jubeln bis nach Bad Orb“, flachste Trainer Weise, dessen Urteil über Jessls Leistung wie in der „Bild“ sicher nüchterner ausfiel: „Rettete mit seinem ersten Bundesligator den Punkt. Ein überlegter Schuss, sonst noch viel Hektik.“

Und so konnte sich Jessl auch in der Folge nicht gegen die aus Smolarek und Mitchell sowie den Eintracht-Eigengewächsen Holger Friz, Harald Krämer und Uwe Müller bestehende Konkurrenz durchsetzen. Dass Jessl in Testspielen traf, wie beim 1:3 gegen die Deutsche Fußballnationalmannschaft mit einem abgefälschten Schuss, nutzte ihm herzlich wenig. Und als die Eintracht am 24.10.1986 zur zweiten Runde des DFB-Pokals beim zwei Klassen tiefer spielenden FSV Mainz 05 antrat, warteten die Hessen nicht nur seit gut zwei Monaten auf einen Pflichtspielsieg, sondern Jessl fast ebenso lange auf eine neuerliche Bewährungschance.

Eintrachts Ehrenspielführer Jürgen Grabowski hatte der Eintracht als „Glücksfee“ bei der Auslosung die Aufgabe in Mainz zugewiesen. „Wir sind gewarnt“, erinnerte Trainer Weise daran, dass der Tabellenvierte der Oberliga Südwest in der 1. Runde Schalke 04 mit 1:0 ausgeschaltet hatte. (Bei jenem Spiel bestritt übrigens ein gewisser Michael Skibbe, der 2009 Trainer der Eintracht werden sollte, sein letztes Pflichtspiel als Profi, das allerdings bereits nach 27 Minuten wegen einer Verletzung beendet war.)

Die Stimmung bei der Eintracht war wegen der langen sieglosen Zeit ohnehin angespannt. Das zeigte sich auch bei Nationalspieler Thomas Berthold, den Weise wegen seines Fehlverhalten in einem Training vorzeitig zum Duschen schicken musste. „Die holen sich im Europacup das Selbstvertrauen für die Bundesliga. Das müsste uns am Sonntag im DFB-Pokal in Mainz gelingen“, appellierte Kapitän Körbel angesichts des 5:1 der Gladbacher über Feyenoord Rotterdam und warnte ebenfalls: „Eine Niederlage wäre katastrophal.“ Während Körbel auf einen 4:0-Sieg tippte, hoffte man beim Außenseiter auf ein Unentschieden. „Unser Traum wäre ein Wiederholungsspiel. Dann könnten wir noch einmal groß verdienen“, sagte das Mainzer Vorstandsmitglied Dr. Enders. Auch die Jugendabteilung wollte die Kasse aufbessern und verkaufte Kuchen und Bierseidel. Die Gelegenheit war günstig, denn bei einem Zuschauerschnitt von 510 und dem höchsten Zuspruch am 1. Spieltag mit 1.462 Besuchern gegen Eintracht Trier wollten die Eintracht aus Frankfurt 16.000 Fans sehen.

Die sahen einen couragierten Auftritt des Gastgebers und eine enttäuschende Vorstellung des Favoriten, bei dem Trainer Weise Friz für den formschwachen Mitchell aufgeboten hatte. Doch statt ein Tor zu erzielen, wehrte Friz einen Kopfball von Manfred Binz für die Mainzer kurz vor deren Torlinie ab …. Smolarek machte es in der 16. Minute nicht viel besser, als er allein auf Torwart Manfred „Moppes“ Petz zu lief, doch seinen Heber knapp neben das Tor platzierte. Und in der 27. Minute setzte Uwe Müller eine gefühlvolle Flanke von Andreas Möller freistehend per Kopf an den Innenpfosten. Zum letzten Mal fiel der Angriff der Eintracht in der regulären Spielzeit durch Smolareks Heber an die Latte auf, der noch vor der Halbzeitpause die Führung hätte bedeuten können.

Im zweiten Durchgang jedoch blieb Petz, der zum ersten Mal in dieser Saison den neuen Stammtorwart Dieter Ingendae in einem Pflichtspiel ersetzen durfte, gegen den harm- und ideenlosen Erstligisten beschäftigungslos. Die Mainzer ihrerseits hatten Pech, dass Sturmführer Karl-Heinz „Charly“ Mähn an seinem 26. Geburtstag wegen einer Fußverletzung weiter pausieren musste und Erik Kunz in der 35. Minute aus zehn Metern ebenfalls nur die Latte traf, nachdem Armin Maier an der Mittellinie nacheinander Körbel, Möller und Ralf Sievers genarrt hatte und dann im Strafraum auch noch Berthold hatte aussteigen lassen, bevor er den dadurch blank stehenden Kunz bediente.

Bis zur 98. Minute dominierten die Gastgeber die Partie, ehe der 18 Minuten zuvor für den enttäuschenden Friz eingewechselte Jessel nach einem Eckball von Smolarek den Ball zum Tor des Tages über die Linie drückte. Joker Jessl konnte bei seinem Siegtreffer aus 30 Zentimetern Torentfernung „dem Ball gar nicht mehr ausweichen“, wie der Mainzer Trainer Horst-Dietrich Strich, der als Torwart mit dem 1. FC Kaiserlautern im Finale der Saison 1964/65 die Eintracht im Waldstadion mit 2:1 schlagen konnte, mit Bitternis feststellte. „Es ist schon ärgerlich, wenn man durch ein solch saudummes Tor rausfliegt“, echauffierte sich nicht nur Petz, der ein Vierteljahrhundert später bei der Eintracht als Torwarttrainer einsteigen sollte: „Es war genau ein Ball für mich, ich habe auch noch gerufen, doch Micki Becker hat mir unglücklicherweise das Leder praktisch aus den Händen geköpft.“ „Das Tor war ganz klar ein Fehler von mir“, stimmte der Unglücksrabe zerknirscht zu. „Ich hätte weder mir, noch der Mannschaft einen Gefallen erwiesen, wenn ich gespielt hätte“, erklärte der enttäuschte Mähn: „Die Truppe hat super gespielt, so dass die unglückliche Niederlage in der Verlängerung das schlimmste war, was ihr passieren konnte.“

„Ich muss allen ein großes Kompliment machen“, verbeugte sich FSV-Trainer Strich vor seiner Mannschaft und wurde von Eintracht-Trainer Weise bestätigt: „Mainz war sehr stark, spielte diszipliniert und war taktisch hervorragend eingestellt. Gefallen haben mir vor allem die beiden Spitzen (Maier und Kunz).“ Die eigene Elf kritisierte Weise dagegen: „Mit unserer Leistung konnte ich dagegen nicht zufrieden sein. Wir haben uns unheimlich schwer getan, weil es vor allem an der intelligenten Spielweise haperte. Der Sieg war sehr glücklich.“ Seine Mannschaft habe geistlos gespielt, schimpfte Weise und fuhr fort: „Dann, sind wir auch noch ständig in die Abseitsfalle getappt, das passte noch dazu.“ „Wichtig ist, dass wir hinten zu null spielen. Wäre Mainz die Führung gelungen, hätten wir alt ausgesehen“, bekannte Armin Kraaz.

Der freute sich übers Weiterkommen: „Ich bin zum ersten Mal in der dritten Runde.“ Und auch Weise erinnerte bei aller Kritik daran, dass die Eintracht in den letzten Jahren nach guten Spielen in Mönchengladbach und Kaiserslautern früh ausgeschieden war: „Diesmal haben wir schlecht gespielt und sind weiter. So ist eben der Pokal.“ Zeugwart Anton „Toni“ Hübler ließ sich die Laune ohnehin nicht verhageln und fragte mit dem für ihn typischen Lächeln verschmitzt: „Was wollt ihr denn? Wir haben den Pokalschreck geschlagen.“

„Da bin ich ja doch ein guter Trainer“, schmunzelte Dietrich Weise nach dem Tor des von ihm eingewechselten Jessl, doch die zweite Amtszeit des großen Fußballlehrers bei der Eintracht neigte sich bereits einem überaus unerfreulichen Ende zu. Längst hatte der Bundesligaalltag den Mann eingeholt, der mit den „Weise-Bubis“ 1984 den nicht mehr für möglich gehaltenen Klassenerhalt geschafft hatte. Doch als die vom „kicker“ viel zu früh als die „Meister von Morgen“ hochgejubelten Spieler in ihrer Entwicklung als Mannschaft nicht weiter und in der Liga über einen 12. Platz nicht hinaus kamen, stand der Mann, der alle Zeit vor allzu hohen Erwartungen gewarnt hatte, im Mittelpunkt der Kritik. Als er dann seinen Spieler Wolfgang Kraus als Manager vor die Nase gesetzt bekommen sollte, verbannte er diesen aus dem Kader und lieferte so den Anlass, dem einstigen Retter noch vor dem Ende der Hinrunde den Stuhl vor die Tür setzen zu können.

Dass der Trainer, der sich um die Eintracht in seinen beiden Amtszeiten verdient gemacht hatte, obwohl ihm jeweils nur relativ geringe finanzielle Mittel zur Verfügung standen, zum Abschuss freigegeben war, hatte der Boulevard schon länger registriert. So durfte sich am 13.11. in der „Bild“ sogar der ehemalige Trainer von Reinhold Jessl unter der Schlagzeile „So macht Weise meinen Jessl kaputt“ zu Wort melden. „Ich mache mir Sorgen um meinen Schützling Reinhold Jessl. Ich habe ihn zur Eintracht gebracht und Weise garantiert, dass Jessl als Joker sieben bis zehn Tore in der Saison schießen wird“, berichtete der Übungsleiter des FSV Bad Orb und schob Weise die Verantwortung zu, dass der Stürmer diese Quote nicht erfüllen konnte: „Jessl ist ein Junge mit unverbrauchten Nerven. Nach jedem Tor wird er ein Stück größer. Statt diese Euphorie aufzubauen, wird er in Frankfurt nach Torerfolgen in die Ecke gestellt. So war es nach seinem 2:2 gegen Lautern und nach dem 1:0 im Pokal in Mainz.“ „Es ist richtig, dass Weise technisch noch viel bemängelt“, räumte Ott zwar ein, versuchte seine Kritik aber mit einem vielleicht nur auf den ersten Blick nicht haarsträubenden Vergleich zu rechtfertigen: „Doch Jessl ist einer wie der von Köln zu Dortmund gewechselte Dickel. Solche Burschen steigern sich unter Druck. Reinhold macht keine schönen Tore, aber er schießt die, die man einfach machen muss.“

Ob das Weise veranlasste, Jessl zwei Tage später gegen mauernde Uerdinger in der 70. Minute einzuwechseln und Jessl zu seinem dritten Bundesligaeinsatz zu verhelfen? Fest steht nur, dass die „Bild“ Jessls Leistung so beurteilte: „Der Joker kam diesmal über rechts, wirkte nach Missverständnis mit Mitchell nervös, keine Torchance.“ Den erlösenden 1:0-Siegtreffer erzielte Uwe Müller in der 94. Minute – dank Schiedsrichter Osmers, der die Zeitverzögerungen der Gäste zu deren Unwillen unbeeindruckt von ihren Protesten nachspielen ließ.

Auch in den Augen des bisherigen Assistenten Timo Zahnleiter, der dem entlassenen Weise am 4.12.1986 als Cheftrainer nachfolgte, war die 1. Liga für Jessl mindestens eine Nummer zu groß. Außerdem war zur Rückrunde die Anzahl der Konkurrenten um die Plätze im Sturm nicht gesunken. Holger Friz war zwar an Viktoria Aschaffenburg ausgeliehen worden, doch mit Janusz Turowski war ein neuer Bewerber für die Position an der Seite von Smolarek aufgetaucht. Turowski schlug im Vergleich zu den Stammstürmern Smolarek und Mitchell, die am Ende der Runde in 62 Punktspielen zusammen nur 9 Treffer erzielt hatten, fast schon ein wie eine Bombe, denn ihm gelangen in 17 Einsätzen allein 7 Treffer. „Reinhold hinkt im Training hinter den anderen her, aber das ist ganz normal, wenn ein Spieler den großen Sprung von der Landesliga in die Bundesliga macht“, erklärte Zahnleiter kurz vor dem Rückrundenstart Mitte Februar 1987 und versprach: „Wenn er eine leichte Verletzung überwunden hat, bekommt er wieder seine Chance.“

Die erhielt er aber erst am 26. Spieltag, als Zahnleiter nach nur einem Sieg und sechs Niederlagen in neun Punktspielen mit seinem Latein bereits wieder am Ende war und die Eintracht nach einem 1:1 gegen den VfL Bochum im folgenden Heimspiel gegen den Tabellenletzten Blau-Weiß Berlin an einem Freitagabend nur noch 8.000 Zuschauer sehen wollten. Die Frankfurter waren auf Platz 15 abgerutscht und schwebten in Abstiegsgefahr, als der bislang auswärts sieglose Aufsteiger im Waldstadion gastierte. „Jetzt kommt’s auf die Nerven an“, lautete die Überschrift auf dem Stadionheft zum Spiel, doch die versagten an jenem Abend.

Nach der 1:3-Niederlage, die Karl-Heinz Riedle mit zwei Treffern eingeleitet und der ehemalige Eintrachtstürmer Bodo Mattern in der Schlussminute besiegelt hatte, rang Tribünengast Bernd Hölzenbein mit seiner Fassung: „Das schlimmste hier ist das Schweigen. Die Leute sind nicht mal mehr sauer, haben nur noch Mitleid. Das ist für mich erschütternd.“ „Vor dem Spiel hatte ich Angst vor den Frankfurter Stürmern“, erzählte Berlins Trainer Hoss angesichts der von Zahnleiter in der Startelf aufgebotenen Mitchell, Smolarek und Turowski und demütigte den bereits blamierten Gegner mit seiner Ergänzung noch einmal verbal: „Später konnte ich über die nur noch lachen.“ „Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll“, sagte der kleinlaute Zahnleiter nach „der Pleite des Jahres“ (A/N) bat: „Ich möchte mir jeden weiteren Kommentar ersparen.“ Den ersparte die A/N weder ihm noch Jessl: „10 Minuten im Spiel, ein Ballkontakt, Einwurf zum Gegner.“

Am 14.5.1987 wurde bekannt, dass die Eintracht Jessls bis 30.6.1988 laufenden Kontrakt auf dessen Wunsch hin bereits am 11.5. zum 30.6.1987 aufgelöst hatte und der Stürmer zum Oberliga-Aufsteiger SpVgg Bad Homburg wechseln würde. Bei seinen vier Einwechslungen hatte Jessl es zwar auf einen Treffer, aber nicht einmal auf insgesamt 90 Erstligaminuten gebracht. „Dass es schwer wird, war zu erwarten, aber eine echte Chance habe ich nie bekommen“, klagte Jessl und fühlte sich aufs Abstellgleis geschoben: „Von Dietrich Weise bekam ich sie noch ab und zu, und von ihm wurde ich auch gefordert. Von seinem Nachfolger Hans-Dietrich Zahnleiter nicht mehr.“ Und zu ihm könne er nicht hingehen und sagen, „dass ich nicht schlechter als die anderen bin und auch einmal spielen müsste“. Auch unter dem künftigen Eintracht-Trainer Karl-Heinz Feldkamp hatte Jessl keine Hoffnung auf eine Verbesserung seiner Situation, „denn Zahnleiter bleibt als Co-Trainer, und es gibt keinen im ganzen Verein, der mir Mut macht.“

„Wer nimmt schon einen Spieler ohne Einsatz?“, fragte Jessl, dem Ende 1986 laut eigenen Angaben noch Angebote anderer Profivereine vorgelegen hatten, der aber bei der Eintracht meist nicht einmal als Reservespieler nominiert worden war. „Wenn ich noch ein Jahr vergeblich warte, habe ich weitere Zeit für einen ordentlichen Beruf verloren“, erläuterte der 25-Jährige, der in Langenselbold gerade eine neue Wohnung bezogen hatte und dem sich in Bad Homburg neue berufliche Möglichkeiten eröffneten, wie die FAZ berichtete. Nur negativ wollte Jessl sein Fazit über sein Jahr bei der Eintracht aber dann doch nicht ausfallen lassen: „Es war sehr lehrreich!“ (rs)

 

 

© text, artwork & code by fg