Eintracht Frankfurt - Karlsruher
SC |
Bundesliga 1964/1965 - 5. Spieltag
0:7 (0:5)
Termin: Sa 19.09.1964 16:00
Zuschauer: 20.000
Schiedsrichter: Alfons Betz (Regensburg)
Tore: 0:1 Klaus Zaczyk (4.), 0:2 Horst Wild (6.), 0:3 Johann Cieslarczyk (12.), 0:4 Johann Cieslarczyk (13.), 0:5 Horst Wild (30.), 0:6 Gustav Witlatschil (53., Foulelfmeter), 0:7 Gustav Witlatschil (84., Handelfmeter)
Eintracht Frankfurt |
Karlsruher SC |
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Trainer | Trainer
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Die höchste Heimniederlage Keine Frage, es wird Zeit die Heimschwäche abzulegen und den ersten Saisonsieg einzufahren. Während sich die Eintracht in München und Meiderich mit zwei Auswärtssiegen schadlos hielt, reichte es in den beiden bisherigen Heimspielen nur zu einem Zähler nach dem 2:2 zum Saisonauftakt gegen Schalke, die Partie gegen Bremen ging verloren. Der Karlsruher SC kommt da im Grund gerade recht. Schließlich haben die Badener die letzten drei Spiele nicht gewonnen, die letzten beiden sogar verloren – darunter das Heimspiel gegen 1860 deutlich mit 1:5 – und hatten schon in der letzten Spielzeit ihre liebe Not, die Klasse zu halten. Am Ende stand der 13. Platz mit nur einem einzigen Punkt Vorsprung auf den ersten Absteiger auf Platz 15. Allerdings sind die Frankfurter in jener Saison gegen den KSC auf eigenem Platz dennoch mit 0:3 untergegangen ... Neuzugang Tutschek spielt anstelle von Schämer und kommt so zu seinem ersten Bundesligaeinsatz. Da sich außerdem Eintracht-Kapitän Höfer im Abschlusstraining verletzt hat, muss sich der bundesligaunerfahrene Kübert um KSC-Rechtsaußen Cieslarczyk kümmern. Stinka und Solz stehen der Eintracht weiterhin nicht zur Verfügung, was der Laune der 20.000 erwartungsfrohen Zuschauer aber trotz strömenden Regens keinen Abbruch tut. Das nicht, aber die Führung der Gäste nach nur vier Minuten schon. Die Leute sind noch dabei, sich die besten der meist leerstehenden Plätze auszusuchen, da hat nach dreimaligem Wechselpass zwischen Cieslarczyk Zaczyk der Ex-Nationalstürmer den gebürtigen Marburger zum letzten Mal bedient und der jüngste Spieler aus der letztjährigen Startrunde der Bundesliga trifft zur schnellen Führung des KSC. Aus spitzem Winkel und elf Metern Torentfernung jagt er den Ball an Loy vorbei halbhoch neben den linken Pfosten ins lange Eck. Das ist alles andere als der erhoffte Auftakt für die Eintracht, doch es soll noch schlimmer kommen … Denn nur eine Minute später verletzt sich Eintracht-Stopper Landerer bei einem Foul an Wild am linken Bein. Er wird behandelt und kehrt drei Minuten später aufs Spielfeld zurück, doch er kann kaum auf seinem linken Bein stehen. Als Stopper ist er in dieser Verfassung natürlich nicht zu gebrauchen und so „wechselt“ er kurz darauf in den Sturm, um dort weiter hilflos umherzuhumpeln. Dieser Anblick tut weh. Schmerzhaft ist auch, dass die Eintracht nun ihres Stoppers verlustig gegangen ist, wo doch Stinka und Höfer wie erwähnt ebenfalls nicht zur Verfügung stehen und Kübert wirkt als habe er seinen Startplatz in der Aufstellung in einer Lotterie gewonnen. Aber die Schmerzen sind noch steigerungsfähig: Cieslarczyk legt den auf Landerers Foul folgenden Freistoß auf Wild ab und der trifft nach sechs Minuten aus 25 Metern zum zweiten Mal für die Karlsruher. Wieder schnellt das Leder an Loy vorbei ins lange Eck und schlägt neben dem linken Pfosten ein. Vor allem beim zweiten Treffer macht Loy nicht die glücklichste Figur, im Grunde macht er gar keine. Weber spielt nun Stopper, Blusch Verteidiger und Lind¬ner hinter den beiden die letzte Absicherung, die Löcher stopfen soll. Der schnelle und trickreiche Cieslarczyk führt derweil Kübert nach allen Regeln der Kunst vor, so dass dem Amateur Hören und Sehen vergehen. Wer auch immer auf die Idee gekommen ist, den völlig überforderten jungen Mann anstelle des einsatzbereiten Willi Herbert in das Feuer eines Bundesligaspiels zu schicken, hat dem unbedarft agierenden Spieler keinen Gefallen getan. Ex-Nationalspieler Cieslarczyk, der im Sommer aus Herne zum KSC in die Bundesliga gewechselt ist, hat dagegen wohl außer in Freundschaftsspielen gegen tiefklassige Gegner schon lange nicht mehr solch einen Spaß und so ein leichtes Spiel gehabt. Kaum ist dieser Gedanke zu Ende gebracht, da bricht der Karlsruher Mittelstürmer Jendrosch durch die Frankfurter Deckung und flankt auf den mitgelaufenen Cieslarczyk, der mit links Volley und diesmal tatsächlich unhaltbar für Loy einschießt. In den rechten Torwinkel verlängert der Stürmer das Leder. Ein wunderbares Tor für einen Anhänger des KSC und auch für den neutralen Beobachter, doch für den Eintrachtfan ist es eine schallende Ohrfeige. Es ist bereits die dritte an diesem Nachmittag, und wie es aussieht, wird es nicht die letzte bleiben. Dabei sind gerade einmal 12 Minuten gespielt … Der furios aufspielende Cieslarczyk scheint beispielsweise nun auf den Geschmack gekommen, denn nur eine Minute später startet er einen neuen Versuch aus der Distanz. Egon Loy beweist bei diesem Fernschuss aus über 20 Metern zum Leidwesen des Frankfurter Publikums erneut seine Standfestigkeit und bleibt wie angewurzelt stehen, während die Kugel erneut im rechten Giebel seines Kastens einschlägt. 0:4 nach 13 Minuten. Es ist ein Albtraum, doch niemand kommt, um die Männer mit dem Adler auf der Brust zu kneifen und aufzuwecken.
Im Gegenteil, der Albtraum wird immer schlimmer. Huberts, der nach dem 0:4 vor dem Anstoß beschwörend auf seine Mitspieler eingeredet hat, bekommt vier Stationen später den Ball 13 Meter vor dem Tor, stoppt ihn und schießt perfekt aus der Drehung, doch KSC-Keeper Paul lenkt den Schuss mit den Fingerspitzen über die Latte. Und Landerer, der zehn Minuten im Angriff herumgehumpelt ist, bricht nun vor dem KSC-Torhüter zusammen und muss vom Platz getragen werden. Wie sich herausstellt, hat der Stopper, den in den letzten Jahren ohnedies immer wieder Verletzungen zurückgeworfen haben, einen Wadenbeinbruch erlitten … Nein, das ist nicht der Tag Landerers und nicht der Tag der Riederwälder, ganz und gar nicht. Die Eintracht – das muss man sagen – kämpft jedoch auch mit 10 Mann und angesichts eines uneinholbaren Rückstandes mit bewundernswerter Kraft. Kampflos wollen sie sich nicht in das Schicksal einer deftigen Heimniederlage fügen. Schade, dass ihrem ehrlichen Bemühen nicht ein Erfolg vergönnt ist. Am Strafraum der Gäste finden die ernsthaft vorgetragenen Angriffe ein Ende. Auf der anderen Seite gelingt den Karlsruhern fast alles. Überwiegend mit Distanzschüssen haben sie ihr Glück versucht und das hat sich heute auch als geeignetes Mittel erwiesen. Warum also nicht ein weiterer Versuch, denkt sich wohl Wild. Er zieht aus 25 Metern ab und trifft erneut ins Herz der Eintracht. 0:5. Beim Schuss, der neben dem linken Pfosten ins Tor geht, sieht Loy, der auf einen Hechtsprung nach dem Ball verzichtet, wiederum nicht gut aus. Auch dieser Versuch des KSC schien alles andere als unhaltbar.
Loy lächelt süßsauer: „Das gibt's doch nicht. Das kann nicht sein!“ Egon Loy ist sicher zu bedauern, aber so schuldlos, dass er einen Stein nach einem seiner Mitspieler werfen könnte, ist er heute ganz sicher nicht. An seinen besten Tagen hätte er vielleicht vier der fünf KSC-Tore verhindern können, meinen nicht wenige Zuschauer in der Halbzeitpause, in die die Eintrachtspieler mit hängenden Köpfen geschlichen sind, während die mitgereisten Schlachtenbummler der Gäste allen Grund haben, ausgelassen zu feiern und das auch tun. Während bei ihren Helden fast jeder Schuss ein Treffer ist, scheitern die Frankfurter durch Huberts mit einer weiteren Chance an Paul oder bei einem Freistoß an der Querlatte und beim völlig missratenen Nachschuss, der aus kurzer Distanz in die Wolken geht, an der eigenen Unfähigkeit. In der zweiten Halbzeit sind nur wenige Minuten gespielt, als der gebürtige Hesse Zaczyk – der beste Gästespieler neben Cieslarczyk und Wild – von links in den Strafraum eindringt und von Blusch gefällt wird. Schiedsrichter Alfons Betz aus Regensburg bleibt als einzige Option ein Elfmeterpfiff. Witlatschil verwandelt den fälligen Foulelfmeter in der 53. Minute recht humorlos, aber sehr sicher, indem er Loy in die rechte und damit falsche Ecke schickt. 0:6 – nun ist auf der einen Seite der letzte Widerstand gebrochen und auf der anderen Seite der Torhunger durch das halbe Dutzend gestillt. Sechs Tore und bis zur Schlussphase drei Holztreffer durch Cieslarczyk, Geisert und Trimhold. Ein kurioser Kick, in dem der KSC scheinbar nach Belieben trifft und die Eintracht ihre Rolle darin sieht, die Fahne beim Untergang heftig über den Kopf zu schwenken. Seht her – wir leben noch, könnte das bedeuten, aber war für eine bedauernswerte Existenz ist das am heutigen Nachmittag. Mit fliegenden Fahnen untergehen ist ein beliebtes Bild, aber diesen Untergang möchte man eher mit einem Mantel bedecken, mit dem des Schweigens. Doch bevor der Rest tatsächlich Schweigen ist, unterläuft Lindner in der 84. Minute ein Handspiel. Betz entscheidet erneut auf Strafstoß und Witlatschil tritt zum zweiten Mal an. Loy entscheidet sich für die linke Ecke, liegt wieder falsch und ist zum siebten Mal an diesem Nachmittag geschlagen. 0:7. So hoch hat die Eintracht in der Bundesliga zu Hause noch nicht verloren. Huberts bietet sich kurz darauf die Chance, wenigstens den Ehrentreffer für die Gastgeber zu erzielen. KSC-Keeper Paul hat Stein zu Fall gebracht und Betz entscheidet zum dritten Mal in dieser Partie auf Elfmeter. Als Huberts anläuft, haben wohl nicht wenige der 20.000 Zuschauer das ungute Gefühl, dass auch dieser Schuss sein Ziel nicht erreichen wird. Und so ist es: Der Eintracht will an diesem Tag einfach nichts gelingen, Willi Huberts versagen am Elfmeterpunkt wie vor vierzehn Tagen gegen den Bremer Torhüter Bernhard die Nerven und Paul kann den halbhohen Schuss in die rechte Ecke abwehren. Was soll’s? Es sind ohnehin nur noch drei Minuten zu spielen und die Messe im Waldstadion ist längst gelesen. Tage wie diesen gibt es eben einfach, glücklicherweise jedoch nicht allzu oft. Wie aber konnte es gegen einen solchen Gegner, der nicht einmal einen überragenden Tag hatte, zu solch einer desaströsen Niederlage kommen? Trainer Ivica Horvat, der heute Paul Osswald am Spielfeldrand vertrat, hat nach der Partie folgende Erklärung: "Haben die geschossen wie Wilde und getroffen mit jedem Schlag." Es gibt aber noch ein paar andere Gründe für den "Zirkus", wie Eintracht-Präsident Gramlich die Niederlage nennt. Natürlich kommt der Verletzung von Ludwig Landerer nach nur 5 Minuten entscheidende Bedeutung bei, aber auch die Aufstellung von Fritz Kübert, der zu seinem ersten - und sicher auch letzten Bundesligaeinsatz für die Eintracht gekommen ist, wirft Fragen auf. Wie die, ob die Tatsache, dass Küberts Vater als Spielausschussvorsitzender der Eintracht in der Verantwortung steht, auf seine Nominierung Einfluss genommen hat. Was sonst hat für das Bundesliga-Experiment mit dem Verteidiger Kübert gesprochen? Die sportliche Eignung für die höchste Spielklasse konnte Kübert junior bei allem Bemühen nicht einmal im Ansatz nachweisen. Fritz Kübert stehen ungemütliche Tage bevor, doch noch heißer könnte es den Eintracht-Verantwortlichen im Hinblick auf die Jahreshauptversammlung am 2. November werden, wenn sich bis dahin keine Erfolge einstellen. Erfolg will erarbeitet sein, für Spott brauchen Frankfurts höchstklassige Fußballer nach dem 0:7-Debakel natürlich nicht zu sorgen - der kommt bei diesem Schaden ganz von alleine. So bekommen die Schlappekicker vom Riederwald einen neuen Spitznamen verpasst: „Eintracht 07". Na ja, Humor soll ja sein, wenn man trotzdem lacht …
DFB-Generalsekretär Hans Paßlack: „Sensationelle Niederlage, in dieser Höhe von keinem erwartet, trotz aufopferungsvollem Spiel der Frankfurter, die doch mehr können, als sie heute zeigten.“ KSC-Präsident Helmut Hodel: „Freud und Leid liegen im Fußball dicht beieinander. Wir stellten die Abwehr um, das war ein Erfolg, hatten vom Spiel gegen München her (1:5) einiges gutzumachen, das gelang, aber so ein klarer Sieg, das war für uns selbst eine Überraschung. Wir bleiben aber beidfüßig auf der Erde.“ Ivica Horvat: „Es läuft mal so, läuft mal anders. Was will man machen, wenn man viele Verletzte hat. Landerers Verletzung hat uns dann ganz umgeworfen.“ Adolf Bechtold, 15 Jahre Stammverteidiger: „So
lange ich gespielt habe, kann ich mich an eine 0:7-Heimniederlage nicht
erinnern.“ Anmerkungen Der KSC erzielte gegen die Eintracht mit dem 7:0 den höchsten Bundesligasieg seiner Geschichte, erlitt bei 1860 München aber in derselben Spielzeit nur fünf Monate später auch die höchste Niederlage: 0:9. Beide Rekorde haben bis heute (November 2009) Bestand. Damit nicht genug: Am Ende dieser Spielzeit waren die Karlsruher als Tabellenvorletzter sportlich abgestiegen. Der KSC konnte den Abstieg nur vermeiden, weil die Bundesliga in der Saison 1965/66 wegen des Zwangsabstiegs von Hertha BSC von 16 auf 18 Mannschaften aufgestockt wurde und der Abstieg für eine Saison ausgesetzt wurde. Eine elegante Lösung - so konnte man mit Tasmania Berlin einen Berliner Verein in die Bundesliga hieven und die beiden Absteiger Schalke 04 und KSC, die beide den Platz der Hertha beanspruchten, zufrieden und ruhigstellen. (rs)
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