1860 München - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1965/1966 - 10. Spieltag

4:2 (1:1)

Termin: Sa 23.10.1965, 16:00 Uhr
Zuschauer: 30.000
Schiedsrichter: Rudibert Jacobi (Heidelberg)
Tore: 1:0 Timo Konietzka (10.), 1:1 Wilhelm Huberts (22.), 2:1 Peter Grosser (63., Foulelfmeter), 3:1 Timo Konietzka (74.), 3:2 Jürgen Grabowski (87.), 4:2 Peter Grosser (88.)

 

>> Spielbericht <<

1860 München Eintracht Frankfurt

  • Petar Radenkovic
  • Bernd Patzke
  • Rudolf Zeiser
  • Manfred Wagner
  • Hans Reich
  • Rudolf Brunnenmeier
  • Zeljko Perusic
  • Hans Rebele
  • Friedhelm Konietzka
  • Peter Grosser
  • Alfred Heiß

 


 

Trainer
  • Max Merkel
Trainer

 

Das größte Talent nach Beckenbauer

Beim Spitzenreiter TSV 1860 München gilt es für die Frankfurter Eintracht die konzentrierte Leistung aus dem letzten Heimspiel zu bestätigen. Die Elf von Elek Schwartz trifft in München allerdings auf eine Truppe, die von Trainer Max Merkel gegenüber der letzten Saison noch einmal entscheiden verstärkt wurde. Von Dinamo Zagreb kam der 29-jährige jugoslawische Nationalspieler Željko Perušic und aus Dortmund der deutsche Nationalspieler Friedhelm Konietzka, der für den BVB in 163 Spielen 121 Tore erzielte.

Da die Münchner mit Perušic und Torwart Petar „Radi“ Radenkovic zwei Ausländer im Kader haben, wurde der dritte Jugoslawe Stefan Bena an Hannover 96 abgegeben. Nach nur einer Saison war für Bena an der Isar schon wieder Schluss – und es war eine bestenfalls durchwachsene Runde für den Nationalspieler. Er stand zwar im Europapokal der Pokalsieger in den drei Halbfinalspielen gegen den FC Turin sowie bei der Niederlage im Endspiel gegen West Ham United auf dem Platz, kam aber in der Liga nur zu insgesamt neun Einsätzen. Diese geringe Anzahl hing auch mit dem Platzverweis zusammen, den sich Bena am 17. Spieltag bei der 1:4-Niederlage im Waldstadion einhandelte – just zu dem Zeitpunkt, zu dem er sich mit seinem vierten Einsatz hintereinander als Stammspieler zu etablieren schien.

Nicht recht glücklich wurde bei den Löwen ebenfalls Engelbert Kraus, der mit Kickers Offenbach 1959 im Finale um die Deutsche Meisterschaft stand, wo man der Frankfurter Eintracht unterlag. Kraus ist nach zwei Jahren in München nun wieder an den Bieberer Berg zurückgekehrt. Auf lediglich 22 Punktspiele hat er es in diesen beiden Spielzeiten in der Bundesliga gebracht. Dabei fiel sein Einstand bei den Sechzigern am 10. Spieltag der Saison 1963/64 überragend aus, als er beim 7:1 gegen den 1. FC Saarbrücken drei Tore erzielte. Zwei Spieltage später gelang ihm gleich noch ein Treffer im Spiel bei der Frankfurter Eintracht, der aber die 2:5-Niederlage der Münchner nicht verhindern konnte. Wichtiger war sein Treffer im Halbfinale des DFB-Pokals am 3.6.1964, den dieses Tor in der 85. Minute rettete den TSV 1860 bei Altona 93 in die Verlängerung, die der hohe Favorit dann mit 4:1 für sich entscheiden konnte. Zum Nachteil für die Eintracht, denn die verlor zehn Tage später das Finale gegen die Münchner mit 0:2.

Weitaus ärger als Kraus erging es Alfred Pyka, der in der letzten Saison im Alter von bereits 30 Jahren von Westfalia Herne nach München wechselte. Er wurde von Trainer Merkel in der Bundesliga und im Europapokal nicht eingesetzt. Im DFB-Pokal kam er zu seinen beiden einzigen Pflichtspielen für die Sechziger: Er erzielte dabei den Siegtreffer zum 4:3 beim VfL Wolfsburg, war jedoch gleichfalls beim Ausscheiden mit von der Partie, als der Titelverteidiger sich vor eigenen Publikum mit einem 1:2 gegen den FSV Mainz 05 aus dem Wettbewerb verabschiedete und bis auf die Knochen blamierte. Enttäuscht kehrte Pyka im Sommer in den Ruhrpott zurück, wo er nun für Schalke 04 die Fußballstiefel schnürt. Dort ist er Stammspieler, konnte aber am Mittwoch nicht die 0:3-Niederlage der Knappen bei seinem alten Verein verhindern.

Der Erfolg gegen Schalke ist für den Tabellenführer aus München bereits der vierte Sieg hintereinander. Die Schwächephase, als die Sechziger nach drei Auftakterfolgen beim 1. FC Kaiserslautern mit 0:3 unterlagen und im folgenden Heimspiel gegen den VfB Stuttgart nicht über ein 0:0 hinauskamen, ist überwunden. Dennoch rechnet sich die Mannschaft von Elek Schwartz etwas in München aus, denn den Löwen ist es in den bisherigen vier Bundesligabegegnungen mit der Eintracht nicht ein einziges Mal gelungen, die Hessen zu bezwingen. Lediglich einen Punkt konnte man den Frankfurtern in der ersten Bundesligasaison abknöpfen, als 1860 zu Hause wenigstens zu einem 1:1 kam. Obgleich man die Frankfurter vor einem Jahr im DFB-Pokalfinale beherrschte und mit 2:0 geschlagen hat, sind die Hessen für die Bayern in der Liga also eine Art Angstgegner. Verteidiger Manfred Wagner drückt das so aus: „Wir gehen mit gemischten Gefühlen in dieses Spiel.“

Das kann man zu Beginn der Partie auch deutlich sehen, denn Max Merkels Mannschaft beginnt überaus nervös. Elek Schwartz hat seiner Elf ein defensives Korsett geschneidert, mit dem die Sechziger nicht gut zurecht kommen. Offensichtlich hat Schwartz Respekt vor dem 20-Tore-Sturm der Hausherren und traut gleichzeitig seiner Truppe nicht zu, der bislang mit nur sieben Gegentreffern sehr starke Löwen-Abwehr im offenen Schlagabtausch beikommen zu können.

So setzt der erfahrene Fußballlehrer auf seine Hintermannschaft, die bislang im Schnitt lediglich einen Treffer pro Spiel hat hinnehmen müssen, und hofft im Sturm auf entscheidende Nadelstiche, unter anderem von seinem Dribbelkünstler Jürgen Grabowski. Der junge Mann, der in seiner ersten Bundesligasaison bereits mehrfach zu überzeugen wusste, führt sich auch heute gut ein und wird nur von Reichs Rettungsaktion um den Torerfolg gebracht, als der Münchner Grabowskis Schuss von der Linie schlägt.

Während Trimhold und Lechner, der zusammen mit Lindner Frankfurts Bester ist, prächtig harmonieren, kommt der Angriff der Gastgeber nicht in Schwung. „Dem Rudi Brunnenmeier fehlen die Steilpässe, die er von mir bekommen könnte“, sagt Otto Luttrop, der auf der Tribüne zum Zuschauen verurteilt ist und nicht mitwirken kann. Kaum weniger schussgewaltig als „Atom-Otto“ ist eben jener Brunnenmeier, der seinen bisher fünf Treffern zu gerne ein weiteres hinzufügen würde. Das gelingt ihm nicht, doch im Anschluss eines abgewehrten Eckballes von Heiß ist es sein Fallrückzieher, der von Perušic zu Konietzka weitergeleitet wird und die nach dem bisherigen Beginn überraschende Führung der Sechziger einleitet. Konietzka bugsiert den Ball mit einem Schuss aus der Drehung zu seinem achten Rundentreffer in die rechte Ecke des Frankfurter Tores.

Vorbereiter Perušic avanciert im weiteren Verlauf der Begegnung zum wertvollsten Spieler auf dem Platz, der unermüdlich sowohl in der Abwehr als auch im Spielaufbau wirkt und wirbelt. Während ihre Nummer 2 den Münchnern eine große Stütze ist, ist die Nummer 2 der Eintracht erneut ihre Achillesferse. Blusch ist von Anfang an das schwache Glied in der Frankfurter Abwehrkette. Sehr zur Freude übrigens von Außenstürmer Hans Rebele, der dank Blusch als einziger seiner Sturmkollegen ausreichend Raum vorfindet. Dass Rebeles Nebenmänner aus dessen gelungenen Tricks keinen Nutzen zu ziehen vermögen, ist jedoch nicht nur glücklichen Umständen, sondern ebenso dem Frankfurter Schlussmann Peter Kunter zu verdanken, der seine Elf mit Paraden gegen Heiß und Grosser auf Tuchfühlung hält.

Die Münchner Führung egalisieren die Hessen dann in der 22. Minute durch Huberts, der schon im letzten Spiel der Eintracht für den Treffer der Frankfurter sorgte. Bei einem Freistoß Grabowskis verlässt sich in der Münchner Elf einer auf den anderen, während Radenkovic nicht entschlossen aus seinem Kasten kommt, als Huberts in Position läuft. Über Radenkovic hinweg köpft Huberts die Kugel in die lange Ecke.

Der Ausgleich lässt den Angstgegner vom Main mit einem Schlag wieder fürchterlicher erscheinen und das nicht nur in den Augen der 30.000 Zuschauer, sondern ebenso in den Köpfen der elf Löwen, die anscheinend umgehend schwerere Beine bekommen. Die Begegnung jedenfalls verflacht nach Huberts Treffer zusehends, was vor allem an den Fehlpässen und Missverständnissen aufseiten der Gastgeber liegt. Die Eintracht nutzt diese Konfusion leider nicht mit entschlossenem Spiel nach vorne, sondern verharrt in ihrem Defensivkonzept. Dieses kann aber nicht verhindern, dass die Münchner kurz vor der Halbzeitpause um ein Haar doch wieder in Führung gehen. Wagner, neben Perušic der stärkste Sechziger, schlägt einen sehenswerten Steilpass auf Konietzka, der aber Kunter nicht bezwingen kann.

Trotz des leichten Übergewichts an Tormöglichkeiten können sich die Gastgeber nicht entscheidend durchsetzen, die Partie bleibt im zweiten Durchgang vorerst weiterhin ausgeglichen. Nach einer verpassten Gelegenheit von Reich vier Minuten nach Wiederanpfiff sorgt allein ein vermeintlicher Treffer von Brunnenmeier in der 53. Minute für Aufregung, weil Schiedsrichter Rudibert Jacobi eine Abseitsstellung des Mittelstürmers ausgemacht hat.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass den Unparteiischen diese Szene unterbewusst beschäftigt. Wie auch immer - die Strafstoßentscheidung Jacobis zehn Minuten später löst noch weit größere Proteste aus, dieses Mal allerdings aufseiten der Frankfurter. Die haben zwar gesehen, dass Brunnenmeier im Zweikampf mit Blusch zu Fall kam, konnten jedoch beim besten Willen kein Foul ihres Verteidigers erkennen. Peter Grosser raubt die umstrittene Rechtmäßigkeit des Pfiffs weder den Mut noch lässt er sich von der Aufregung um sich herum anstecken. Er schickt Kunter in die falsche Ecke und verwandelt mit einem wuchtigen Schuss.

Erneut in Rückstand geraten, muss die Eintracht ihre defensive Haltung aufgeben. Nach vorne geht aber wenig, denn Huberts gelingt bis auf sein Tor heute wenig und Sztani findet überhaupt nicht ins Spiel. Zudem befindet sich mit der Nummer 11 Walter Bechtold im Sturm nach Blusch und Sztani der dritte Totalausfall in den Reihen der Frankfurter, die es dem starken Lechner verdanken, dass sie in der 66. Minute noch einmal am Gleichstand schnuppern dürfen. Leider scheitert der ehemalige Augsburger mit seinem Versuch am Pfosten des Münchner Kastens.

Die Gastgeber finden jetzt endlich den Raum, den sie für ihre Kombinationen bislang vergeblich gesucht haben. Und da sie nicht lange fackeln, fällt in der 74. Minute die Vorentscheidung nach einem großartigen Spielzug über Grosser und Brunnenmeier, der von Konietzka mit einem Volleyschuss abgeschlossen und gekrönt wird. Und zur Freude des Münchner Anhangs nimmt das Spiel weiter an Fahrt auf: Rebele trifft die Latte.

Es kommt nicht von ungefähr, dass der Hoffnungsfunke, der bei der Eintracht zwei Minuten vor dem Ende noch einmal kurz aufflackert, von Jürgen Grabowski entfacht wird. Als Radenkovic einen seiner gewagten Ausflüge aus seinem Kasten unternimmt, bedient Blusch den jungen Rechtsaußen, der den zuvor abgefangenen Ball mit einem Schrägschuss über den zurückgeeilten Keeper hinweg ins Netz hebt.

Im direkten Gegenzug gelingt Grosser allerdings der letzte Paukenschlag dieses furiosen Finales, als er mit dem Ball durch die gegnerischen Reihen spaziert und zu guter Letzt auch noch Kunter ausspielt, bevor er zum 4:2 einschiebt. Den Schlusspunkt setzt Georg Lechner in der 89. Minute, als er zum zweiten Mal am heutigen Nachmittag den Pfosten trifft.

„Ich habe es ja auch gesagt, dass es sehr schwer werden würde“, lobt sich Max Merkel wieder einmal selbst und mosert mit seiner Hintermannschaft: „Ich bin mit der Abwehr unzufrieden. Die beiden Gegentreffer durften nicht fallen!“ Der Meckerer vom Dienst kann aber auch loben: „Den Ausschlag gab unser schwungvoller Angriff.“

Diese Meinung des Münchner Trainers teilt jedoch nicht jeder. „Der Elfmeter, der nicht gerechtfertigt war, hat dieses sonst faire Spiel entschieden“, findet Eintracht-Präsident Gramlich und liegt damit auf einer Linie mit Trainer Elek Schwartz: „Der Elfmeter war entscheidend für unsere Niederlage.“

„1860 spielte alle faulen Tricks aus, um nur vorne zu bleiben“, schimpft Schwartz ungewohnt heftig auf den Gegner: „Meine Elf hat sich anständig verhalten“, fügt er hinzu. „Die qualitativ bessere Mannschaft hat gewonnen“, gibt der gemeinhin als untadelig geschätzte Sportsmann zu, erinnert aber gleichsam an Lechners Pfostentreffer: „Wir haben zwar nicht so gut wie gegen Werder gespielt, hätten aber ein Unentschieden verdient gehabt.“ Letztendlich hat ihn seine Mannschaft aber auch enttäuscht, wieder einmal, denn: „Sie hielt sich nicht an das Konzept, das ich ihr aufgegeben hatte.“

Die Elf nicht, aber einer schon, dessen Fähigkeiten Schwartz begeistern und ins Schwärmen geraten lassen: Jürgen Grabowski. „Nach Beckenbauer das größte Talent im deutschen Fußball“, lautet das Urteil des Fußballlehrers und dieser Meinung des anerkannten Fachmannes kann sich wohl selbst das Boulevardblatt „Bild“ nicht länger entziehen: Es nominiert die Nummer 8 der Eintracht erstmals in ihrer „Nationalelf der Woche“. (rs)


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