Eintracht Frankfurt - Nationalmannschaft Ungarn

Freundschaftsspiel 1965/1966

5:4 (2:3)

Termin: 13.11.1965 im Waldstadion (tw. Flutlichtspiel)
Zuschauer: 9.500
Schiedsrichter: Siebert (Mannheim)
Tore: 1:0 Jürgen Grabowski (5.), 2:0 Walter Bechtold (19.), 2:1 János Farkas (21.), 2:2 Gyula Rákosi (35.), 2:3 Flórián „Császár“ Albert (40.), 2:4 Flórián „Császár“ Albert (51.), 3:4 Walter Bechtold (54.), 4:4 Walter Bechtold (58.) , 5:4 Walter Bechtold (82.)

 

 

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Eintracht Frankfurt Nationalmannschaft Ungarn

 


  • József Gelei
  • Sándor Mátrai
  • Kálmán Mészöly
  • Ferenc Sipos
  • Kálmán Ihász
  • Erno Solymosi
  • Gyula Rákosi
  • János Farkas
  • Ferenc Bene
  • Flórián „Császár“ Albert
  • Dr. Máté Fenyvesi

 

Eingewechselt Wechsel
  • János Göröcs für Gyula Rákosi (46.)
  • István Nagy für Erno Solymosi (46.)
  • Dezsö Novak für Sándor Mátrai (46.)
Trainer Trainer
  • Lajos Baróti

 

 

Das Schreckgespenst

An diesem Sonntag steht das letzte WM-Qualifikationsspiel der DFB-Auswahl an, der nach ihrem Sieg in Schweden auf Zypern ein Unentschieden reicht, um sich endgültig die Teilnahme an der im nächsten Jahr in England stattfindenden Endrunde zu sichern. Daran zweifelt aber kaum einer, denn in den bisherigen fünf Punktspielen der Gruppe 2 hat Zypern nicht einen Treffer erzielen können.

So fällt es nicht ins Gewicht, dass Bundestrainer Helmut Schön auf den Stuttgarter Stopper Klaus-Dieter Sieloff verzichten muss. Sieloff laboriert an einer Fußverletzung, die seinen Einsatz unmöglich macht. Aus diesem Grund berief Schön am Dienstag kurzfristig Eintrachtspieler Friedel Lutz in den Kreis der Nationalmannschaft. Es ist aber nicht zu erwarten, dass Lutz, den Schön zuletzt am 7.6.1964 in Helsinki beim 4:1 über Finnland einsetzte, zu seinem 8. Länderspiel kommen wird. Die Stopperposition wird wieder der Kölner Wolfgang Weber bekleiden.

Nicht unter den 16 Spielern, die nach Zypern fliegen, ist Jürgen Grabowski, den Schön noch für sein vorläufiges 22-köpfiges Aufgebot nominiert hatte. Allzu traurig sein muss der Senkrechtstarter vom Riederwald aber nicht sein, denn auch für die Eintracht kommt es am Wochenende zu einem internationalen Vergleich. Und der Gegner der Eintracht ist sportlich deutlich höher anzusiedeln, als die Auswahl Zyperns, die vor einer Woche zuhause gegen Schweden eine 0:5-Niederlage kassiert hat und in der Dreiergruppe mit 0:13 Toren und 0:6 Punkten abgeschlagen Letzter ist. Die ungarische Nationalmannschaft ist immerhin amtierender Olympiasieger und Dritter der letzten Europameisterschaft, bei der man im Halbfinale dem späteren Europameister Spanien erst in der Verlängerung mit 1:2 unterlag. Durch einen 3:2-Sieg gegen die DDR haben die Ungarn außerdem bereits ihr Ticket für die WM-Endrunde in England gelöst.

Bei ihrer Ankunft am Frankfurter Flughafen kommen die Magyaren an den Beamten und den zur Einreise auszufüllenden Dokumenten nicht so einfach vorbei wie an ihren Gegenspielern auf dem grünen Rasen. Doch weder die bürokratischen noch die logistischen Hürden – die Blumen zur Begrüßung der Gäste treffen nicht rechtzeitig ein – können verhindern, dass Christian Kiefer den Ungarn einen herzlichen Empfang bereitet. Kiefer, nach dem Ende des 2. Weltkriegs kommissarischer 1. Vorsitzender der Eintracht und außerdem Träger des goldenen Eintracht-Ehrenrings, ist ein Mann von Welt und findet die passenden Worte und den richtigen Umgang.

Die Ungarn verteilen durch ihren Trainer Lajos Baróti artig Komplimente: „Wir haben auch sehr genau die Entwicklung in der deutschen Bundesliga verfolgt. Und wir glauben, dass Deutschland bis 1966 eine sehr starke Mannschaft haben wird. Wir hoffen deshalb, dass wir nicht mit Deutschland zusammen in eine Gruppe bei der Weltmeisterschaft gelost werden. Australien und Korea wären uns als Vorrundengegner weit angenehmer.“

Mit dem Spiel gegen die Frankfurter Eintracht beginnen die Ungarn sozusagen ihre Vorbereitung auf die WM-Vorbereitung und eine Tournee, die sie bis nach Südamerika führen wird. „Aber ich glaube, dieses Spiel in Frankfurt wird nicht nur das erste, sondern auch das schwerste unserer Reise sein“, erklärt Baróti: „Ich kenne meinen Trainerkollegen Schwartz sehr lange und glaube, dass er auch jetzt wieder eine gute Mannschaft haben wird. Deshalb spielen wir ja hier.“

Kaiserslauterns Trainer Gyula Lorant, einst Mittelläufer der bereits legendären ungarischen Elf der 50er Jahre, urteilt über die neue Mannschaft seines Heimatlandes: „Natürlich ist sie noch nicht so eingespielt, wie wir es damals waren, natürlich fehlt ihr noch die Vielzahl der Spielerpersönlichkeiten – aber es ist eine sehr zukunftsträchtige Mannschaft. Sie scheint immer besser zu werden und hat ihren Höhepunkt noch längst nicht erreicht.“

Diese Elf, der die Zukunft gehören könnte, wollen im Waldstadion leider nur 9.500 Zuschauer sehen. Die Eintracht kann wegen des fehlenden Lutz und des angeschlagenen Lindner natürlich nicht in Bestbesetzung spielen. Die Beiden werden durch Ludwig Landerer und Richard Weber ersetzt. Landerer hat allerdings seit dem 4. Spieltag keinen Pflichtspieleinsatz mehr gehabt und Weber in dieser Saison noch gar keinen.

Ob es an der geschwächten Defensive liegt, dass die Eintracht ihr Heil in der Offensive sucht? Die Schützlinge von Elek Schwartz legen das von József Gelei gehütete Gehäuse jedenfalls gleich unter Dauerfeuer. Und schon nach fünf Minuten sind sie erfolgreich, als Grabowski nach einem Pfostenschuss von Huberts zur frühen Führung trifft.

Sándor Mátrai, der ungarische Spieler des Jahres, der vor seiner Fußballerkarriere 1952 als Ersatzmann der ungarischen 4 × 100-m-Staffel bei den Olympischen Spielen war, kann seine Schnelligkeit bei den schnellen Kombinationen der Eintracht besonders gut gebrauchen. Doch die Ungarn geben ihre an Überheblichkeit grenzende Lässigkeit trotz des Rückstandes nicht ab, was den Gastgebern weitere gute Einschussmöglichkeiten beschert. Als der junge Bechtold, der in der Liga bislang ohne Treffer geblieben ist, in der 19. Minute das 2:0 erzielt, könnte es bereits gut und gerne 4:0 stehen.

Ferenc Sipos, Kapitän und rechter Läufer, ruft seine Elf zur Ordnung und schon zwei Minuten später verkürzt János Farkas auf 2:1. Mit dem Anschlusstreffer kommt der Schnee, der den Rasen und die Ränge mit einem dünnen Schleier überzieht und es scheint, als würde das weiße Pulver den Ungarn endgültig zu Bewusstsein bringen, dass die Partie längst begonnen hat.

Nun präsentieren die Ungarn den Spielwitz und das präzise Passspiel, für das sie gerühmt werden. Schnell haben sie zudem Peter Blusch als die Achillesferse der Frankfurter Deckung ausgemacht. Zehn Minuten vor der Pause sorgt Gyula Rákosi für den Ausgleich und fünf Minuten später geht der große Favorit dann mit 2:3 in Führung. Flórián Albert, der elegante Stürmer, hat zugeschlagen.

Für die Gäste in die Fußballwelt wieder in Ordnung und so nimmt sich ihr Trainer zur zweiten Halbzeit die Freiheit, drei seiner Aktiven zu ersetzen. János Göröcs kommt für den Torschützen Gyula Rákosi, István Nagy für Erno Solymosi und Dezsö Novak für Sándor Mátrai. Dem Spiel der Ungarn scheint das nicht zu schaden, denn schon in der 51. Minute erhöht Flórián Albert, den sie in Ungarn auch „Császár“ – Kaiser – nennen, auf 2:4.

Die Eintracht steckt jedoch nicht auf und nimmt die Begegnung offensichtlich ernster, als man es bei einem Freundschaftsspiel von den Profis erwarten müsste. Und wieder ist es ein Pfostenschuss von Huberts, der einem Tor der Eintracht vorausgeht. Walter Bechtold vollstreckt in der 54. Minute zum Anschlusstreffer.


Huberts schießt - Solymosi schaut zu

Nach dem 3:4 spielt die Eintracht im Schneewirbel groß auf. Huberts serviert seine Pässe weiter so schön und genau, dass die Ungarn den Österreicher wohl auch gerne in ihrem Team sähen. Und wieder ist es der junge Walter Bechtold, der nur vier Minuten nach seinem letzten Tor, ins Netz trifft: 4:4! Es ist ein Jammer, dass diesem Fußballfest nicht mehr Zuschauer beiwohnen.

Von den Gästen kommt nun immer weniger, allein der eingewechselte Novak weiß mit einigen guten Pässen, die er aus der Tiefe spielt, für Glanzpunkte zu sorgen. Das zuvor so überzeugende Flügelspiel ist jedoch erlahmt. Respekt zeigt die Eintracht keinen, obwohl nach der Auswechslung von Sándor Mátrai mit Flórián Albert und Máté Fenyvesi immer noch zwei Spieler von Ferencváros Budapest dabei sind, die in diesem Jahr den Messepokal errungen haben. Nacheinander wurden dabei Spartak Brünn, der Wiener SC, der AS Rom, Athletic Bilbao, Manchester United und schließlich im Endspiel in Turin auch Juventus ausgeschaltet, wobei der jetzt 32-jährige Máté Fenyvesi den 1:0-Siegtreffer erzielte. Heute bleibt Fenyvesi jedoch ohne Torerfolg. Dem 20-jährigem Ferenc Bene ergeht es nicht besser. Dabei hat sich der untersetzte, aber dynamische Stürmer trotz seiner Jugend bereits einen Namen gemacht: 1963 wurde er in der ungarischen Liga ebenso Torschützenkönig wie im letzten Jahr bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio.

Der beste Scharfschütze steht an diesem Tag aber in den Reihen der Gastgeber. Es ist Walter Bechtold, der mit seiner Schusskraft zur spielerischen Klasse von Grabowski, Huberts und Trimhold aufschließt. Acht Minuten vor dem Ende erzielt Bechtold sein viertes Tor und zieht mit Huberts gleich, der vier Tore vorbereitet hat.

Ungarns Trainer Baróti will erst keinen Kommentar zur Niederlage abgeben: „Nach fünf Toren bitte nicht.“ Eintrachttrainer Schwartz gehen die Worte natürlich leichter von den Lippen: „Es war die stärkste von vier Nationalmannschaften, gegen die wir in dieser Saison gespielt haben, und auch unser stärkstes Spiel.“

„Wir hatten anfangs Mühe gehabt, mit diesem perfekten 4-2-4 und den Vorstößen der Abwehrspieler zurechtzukommen“, bricht Baróti doch noch sein Schweigen. „Dass die Frankfurter Eintracht stark ist, hatte ich gehofft“, fügt er hinzu, „deshalb haben wir ja dieses Spiel abgeschlossen. Aber ich hätte nie geglaubt, dass mein Trainerkollege Schwartz eine so starke und vor allem technisch durchgebildete Mannschaft hat.“

In den Spielen gegen die Nationalmannschaften Frankreichs (2:2), Rumäniens (1:0) und nun Ungarns hat die Eintracht nicht eines verloren. „Wir wollen nicht nur Schreckgespenst der Nationalmannschaften sein“, kündigt Huberts an, diesen Lauf mitzunehmen, „wir wollen auch in der Bundesligatabelle ein ganzes Stückchen nach oben kommen.“

Epilog

Lutz wird auf Zypern nicht eingesetzt. Schöns Elf siegt auf dem staubigen Hartplatz in Nikosia ungefährdet mit 6:0 und qualifiziert sich für die WM-Endrunde in England. Bei dieser ist Lutz aber ebenso dabei wie Jürgen Grabowski. Im Gegensatz zum Rechtsaußen kommt Lutz zu einem Einsatz: Im Halbfinale gegen die Sowjetunion ist er mit von der Partie. Im Finale muss er seinen Platz trotz guter Leistung jedoch wieder an Horst-Dieter Höttges abtreten.

Der Wunsch Barótis nach einer leichten Gruppe geht bei der Endrunde nicht in Erfüllung. Nach der Auftaktniederlage gegen Portugal bringt seine Elf aber dem amtierenden Titelträger die erste WM-Niederlage seit 1954 bei, als die Brasilianer ebenfalls gegen Ungarn verloren. Auch im letzten Gruppenspiel gegen Bulgarien siegen die Ungarn. Erst im Viertelfinale ist nach einem 1:2 gegen die Sowjetunion Endstation. Neben János Farkas (1) und Kálmán Mészöly (2) trägt sich Ferenc Bene während der Endrunde gleich vier Mal in die Torschützenliste ein, wobei er in jeder Partie einen Treffer erzielt.

1968/69 steht Bene mit Újpest Dózsa Budapest nach Erfolgen gegen Aris Saloniki, Legia Warschau, Leeds United und Göztepe Izmir im Finale des Messepokals, das aber gegen Newcastle United verloren wird. Im Jahr zuvor gelingt es Ferencváros Budapest mit Dezsö Novak, Flórián Albert, Gyula Rákosi, Mate Fenyvesi erneut in das Finale des Messepokals einzuziehen. Dort unterliegt Ferencváros aber Leeds United mit insgesamt 0:1 Toren.

Flórián Albert, der zweifache Torschütze aus dem Spiel im Waldstadion, wird 1967 zu Europas Fußballer des Jahres gewählt und wird damit Nachfolger von Bobby Charlton. (rs)

 

 


 

 

 

Huberts-Pässe, Bechtold-Tore

Eintr. Frankfurt — Ungarn 5:4 (2:3)

Die Lässigkeit der Ungarn wurde von der Eintracht prompt genutzt. Das 2:0 war verdient, ein 4:0 war möglich bis zur 20. Minute. Dann erst wachten die Ungarn auf, wurde lebhafter und erspielten bis zur Pause ein 2:3. Ihre Technik begeisterte, ihr genaues Zuspiel brachte sie auf 2:4 davon. Wie der sichere Sieger sahen sie aus, wechselten drei Spieler aus. Dann aber kamen nur noch von Novak gute Pässe aus der Tiefe. Das vorher gute Flügelspiel erlahmte. Als es 3:4 hieß, spielte die Eintracht im Schneewirbel groß auf. Die schönsten und genauesten Pässe servierte Huberts über 90 Minuten. Er leitete vier Tore ein. Nach zwei Pfostenschüssen von Huberts schossen Grabowski (1:0) und Bechtold (3:4) Tore. Nachdem Bechtold sein erstes Tor (2:0) wuchtig erzielt hatte, bekam er Selbstvertrauen. Als vierfacher Torschütze durfte der Junge aus Nieder-Wöllstadt in sein Wetterauer Heimatdorf fahren. Nun wird er gewiß auch in der Bundesliga mit mehr Selbstvertrauen aufspielen. Neben Grabowski, Trimhold und Huberts zählte Bechtold zu jenen, die sich mit Ungarns Stars messen konnten. Lutz und Lindner fehlten, aber Weber und Landerer waren sicherer als Blusch (einziger schwacher Punkt). Ein begeisterndes Spiel. Schade, daß es nicht 95.000 statt nur 9500 sahen. ('Kicker' vom 15.11.1965)

 

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