Eintracht Frankfurt - 1. FC Kaiserslautern

Bundesliga 1966/1967 - 12. Spieltag

1:1 (0:1)

Termin: Sa 05.11.1966, 15:00 Uhr
Zuschauer: 15.000
Schiedsrichter: Berthold Schmidt (Hermesdorf)
Tore: 0:1 Andrija Ankovic (17.), 1:1 Helmut Kraus (52.)

 


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Eintracht Frankfurt 1. FC Kaiserslautern

 


  • Wolfgang Schnarr
  • Herwart Koppenhöfer
  • Dietmar Schwager
  • Gerd Schneider
  • Uwe Klimaschefski
  • Andrija Ankovic (Platzverweis, 53.)
  • Otto Geisert
  • Gerhard Kentschke
  • Helmut Kapitulski
  • Otto Rehhagel
  • Willy Reitgaßl

 

Trainer Trainer

 

 

Bauer, Beine, Kopf

Trainer Elek Schwartz hat es in seinem zweiter Frankfurter Jahr geschafft: Endlich steht die Eintracht dort, wo sie seit der Einführung der Bundesliga noch nie gestanden hat – an der Tabellenspitze. Zum ersten Mal gelang ihr das in dieser Runde am 2. Spieltag, nach einem 4:0 gegen den 1. FC Köln. Und nach dem 1:1 in Essen am letzten Wochenende überholte die Eintracht den Tabellenführer aus Braunschweig. An die Spitze hat die Frankfurter jeweils Siegfried Bronnert geschossen, der bei dem 4:0 gegen die Kölner drei Tore erzielte und auch in Essen das Tor der Eintracht schoss. Auf insgesamt acht Treffer kommt der blonde Mittelstürmer nach nur sieben Punktspielen für die Frankfurter Eintracht in der Bundesliga.

Dabei hat der am 6. September 1944 in Aschenberg in Ostpreußen geborene Bronnert erst am 1. September 1955 — also kurz vor seinem elften Geburtstag — mit dem Fußballspielen begonnen. „Den Ort würde doch kein Mensch auf der Landkarte finden“, schweigt sich Bronnert über die Wohnstatt in der Gegend von Hannover aus, in der seine Eltern nach der Flucht 1945 sesshaft wurden. Später gelangte er über den TuS Celle zum FC St. Pauli nach Hamburg, wo ihn Elek Schwartz entdeckte und nach Frankfurt holte. Siegfried Bronnert, der seinen „Zivilberuf“ als Kraftfahrzeugmechaniker vorläufig noch bis Weihnachten an den Nagel gehängt hat, ist aber nicht allein an den Main gezogen: Seine Braut ist ihm aus Hamburg hierher gefolgt. Viel hat der Stürmer von seiner neuen Heimat noch nicht gesehen, wie er mit leichter Verwunderung über sich selbst bemerkt: „Nun bin ich seit dem 18. Juli in Frankfurt, bin aber noch nicht einmal ausgewesen.“

Bronnert ist in aller Munde und so berichten auch die "Bild"-Reporter Paul Palmert und Werner Ebert über den jungen Mann, dessen Mitspieler über ihn sagen: „Er hat einen Dickkopf in den Beinen“. Für diesen Satz gibt "es eine Erklärung: An Bronnert ist ein echter Bauer verlorengegangen“, schreiben Palmert und Ebert im Boulevardblatt. Zum Beweis schleppen sie Bronnert zum einem Landwirt nach Sulzbach, setzen ihn dort auf einen Traktor und zitieren Bronnert so: "Ich bin schon kompliziertere Landmaschinen gefahren rauf zum Mähdrescher. Ich bin auf dem Lande groß geworden.“ Der Landwirt lobt Bronnerts Arbeitsnachweis laut "Bild" mit den Worten: "Seine Fursche sind kerzegrad. Und der Kerle hot Ointracht zum Tabellenführer g'macht. Do guck emol her. Sacht mer blos nimmä, dass Bauern nix im Kopp hätte ...“

Was immer Bronnert im "Kopp" hat, das, was er in den Füßen hat, reicht für die erste Bundesliga spielerisch nicht aus, wie Trainer Schwartz dem Spieler, den er aus der Regionalliga geholt hat, früh mitteilt: „Sie können nicht mitspielen, Herr Bronnert, Sie müssen Tore schießen.“ „Heute glaube ich, es begriffen zu haben“, sagt der Stürmer: „Ich übe mich gar nicht erst In den feinen Künsten. Ich knalle druff.“ Wie zuletzt in Essen: „Da kam die Gurke im Bogen an. Essens Verteidiger Steinig wollte den hohen Ball zur Ecke schlagen. Was du kannst, kann ich auch, sagte ich mir, machte einen Satz und knallte aus der Luft. Ich habe mir allerdings eine andere Ecke ausgesucht, als der Steinig — ich traf haargenau in die oberste Torecke. Der Torwart konnte höchstens noch zwinkern.“ Trainer Schwartz lobt Bronnert anerkennend: „Da gehört doch auch Technik dazu, solch ein Tor zu schießen. Bronnert muss nur noch lernen, wie man den Ball genau abspielt. Dafür hat er Qualitäten, die nicht erlernbar sind: Unbeirrt und gradlinig geht er auf sein Ziel los!“

„Genau so einen Mann brauchen wir“, findet Mannschaftskapitän Dieter Lindner: „Er geht durch dick und dünn. Er zerreißt sich um ein Tor.“ „Das Verrückteste an ihm ist das: Die möglichen Tore schießt er meistens gar nicht. Die unmöglichen schießt er immer. Auch diese Methode ist wirksam. Wenn er das bis zum Saisonschluss durchhält, sind wir wahrscheinlich Meister“, hofft Hubert, während Solz’ Beschreibung knapper ausfällt: „Er geht mit dem Kopf durch die Wand. Typisch Bauer!“

Ein anderer Eintracht-Spieler lässt sich in diesen Tagen nicht auf dem Bauernhof mit einer Sau im Arm ablichten, sondern in seinem Schlafzimmer mit einer "Dame". Dass er beim Foto in einem Schlafanzug steckt, hat jedoch einen wenig aufregenden Grund - er liegt mit jemanden im Bett: nicht mit Angelika oder Regina, sondern mit einer Angina. Für die junge Dame an seinem Bett geht dafür an ihrem Geburtstag ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung: Die 13-jährige Frankfurter Schülerin Irmtraut Simon wird von ihrem Idol, dem Eintracht-Nationalspieler Jürgen Grabowski, empfangen und erhält ein Autogramm. Grabowski – so berichtet die Zeitung glaubhaft – soll verlegener gewesen sein als die muntere Irmtraut: Teenager-Schwarm Grabowski ist alles andere als ein „Thomas Fritsch im Fußballdress“ steht unter dem Foto zu lesen: Irmtraut, die züchtigerweise in Begleitung ihres Onkel Walter zum Besuch beim kranken „Grabi“ erscheint, stört das wenig: „Das ist doch ein herrliches Geburtstagsgeschenk!“

Ohne Grabowski, der in der letzten Saison beim 6:0-Erfolg gegen Kaiserslautern zwei Treffer beisteuerte, muss die Eintracht also gegen den Tabellendritten aus der Pfalz die Spitzenposition verteidigen. 14.000 Zuschauer sind gespannt, wie sich Gyula Lorants Elf schlagen wird, die der ehemalige ungarische Weltklassefußballer und Teilnehmer am WM-Finale 1954 von Platz 15 in der letzten Saison aktuell auf Rang 3 geführt hat. Am 4. und 5. Spieltag standen die Lauterer sogar ungeschlagen auf Platz 1. Und so ganz – das wissen die Anhänger der Eintracht – ist ihrer Diva ja nie zu trauen. Auch in dieser Runde gab es am 7. Spieltag eine böse Überraschung, als man sich beim Tabellenletzten Karlsruher SC mit 2:3 eine empfindliche Niederlage einhandelte.

Und auch heute erleben die Frankfurter ein ungemütliches Erwachen. Ihren Sturmlauf zu Beginn beantworten die Gäste in der 19. Minute durch ihren Neuzugang von Hajduk Split, der in seinem fünften Bundesligaeinsatz seinen ersten Treffer erzielt, Andrija Ankovic. Mit einem Bogenschuss aus 25 Metern überrascht der jugoslawische Nationalspieler den etwas zu weit vor seinem Tor stehenden Kunter.

Auf dem nassen und rutschigen Boden hat es Lorants Truppe vor allem mit Weitschüssen versucht - erfolgreich, kann man nun sagen. Die Lauterer müssen allerdings in der Folge mit einem Handikap fertig werden, denn ihr Verteidiger Koppenhöfer verletzt sich schon früh. Anstelle von Reitgaßl nimmt er nun die Position des Rechtsaußen ein, füllt diese Statistenrolle aber sogar noch recht zügig aus.

Nach der Pause wird aus dem Frankfurt Sturmlauf ein Tornado, der die Gästeabwehr zersaust, aber nicht zum Einsturz zu bringen vermag. In der 52. Minute schlägt dann aber der bis dahin beste Pfälzer eine Bresche in das eigene Bollwerk. Torhüter Schnarr verliert bei einem Zusammenprall mit Bronnert den Ball und Helmut Kraus hat keine Probleme, das Leder zum Ausgleich ins leere Tor zu schieben.

Eine Minute später erhalten die Lauterer den nächsten Nackenschlag – wieder durch einen der Ihren. Ankovic leistet sich zum zweiten Mal ein klares Foul, diesmal eines der ganz rüden Sorte, und wird vom oft unsicher wirkenden Schiedsrichter Schmidt des Feldes verwiesen. Damit ist es noch immer nicht genug, denn nach Koppenhöfer ist auch Kentschke schwer angeschlagen, so dass die Pfälzer mit nur noch acht voll einsatzfähigen Akteuren das Spiel zu Ende bringen müssen.

Die Eintracht lässt nicht nach, hält das hohe Tempo durch und feuert Schuss um Schuss auf Schnaars Gehäuse ab. Der Lauterer Schlussmann ist nun aber wieder wie vor dem Ausgleichstreffer der Fels in der Brandung der Frankfurter Angriffe. Schüsse oder Flanken werden die Beute seiner Fäuste, die den Ball mit einer Wucht aus dem Strafraum befördern, dass der Trommler einer Rockband neidisch werden könnte.

Es ist ein hochklassiges und temporeiches Spiel im Frankfurter Waldstadion, doch die dezimierten Gäste verlieren auch unter dem größten Druck nicht ihre taktische Linie. Immer wieder bedeutet Trainer Lorant seinen Spielern „Langsam, langsam!“ – und sie folgen ihm aufs Wort. Kapitulski versteht es besonders gut, den Ball zu halten, und hat den Blick für weiträumige Vorlagen, während der von Hertha BSC Berlin an den Betzenberg gewechselte Otto Rehhagel im Mittelfeld wie ein eiserner Besen kehrt.

Was nutzt alle Eifrigkeit Jusufis, was die überlegene Technik von Huberts und Solz? Den Eintrachtspielern klebt das Pech an ihren Schussstiefeln, und was nicht knapp daneben oder ans Gebälk geht, greift sich Schnarr. Und dass Schiedsrichter Schmidt den Frankfurtern einen einwandfreien Strafstoß verwehrt, als Klimaschefski in der Strafraumecke Solz die Beine wegzieht, erregt die Gemüter der Gastgeber noch lange nach dem Schlusspfiff.

„Muss man denn meine Spieler mit der Pistole ganz und gar totschießen, bevor wir einen Elfmeter bekommen?“, ist Eintrachttrainer Schwarz bedient und stöhnt: „Hätte ich heute nur einen Kapitulski gehabt, dann hätten wir drei Tore mehr geschossen.“ „Das war ein hartes Stück Arbeit“, meint Kaiserslauterns Trainer Lorant, „aber wir haben den einen Punkt redlich verdient.“ Mehr sei auch gar nicht das Ziel gewesen, versichert Lorant mit verschmitztem Gesicht: „Tabellenführung? Nein, ein Pünktchen wollten wir den Frankfurtern aus der Tasche stehlen. Das haben wir getan. Mit Mühe, denn Koppenhöfer war verletzt, Ankovic wurde vom Platz gestellt.“

Die Lauterer sind zufrieden, die Frankfurter aber sind niedergeschlagen und enttäuscht. „Wir hatten doch das Spiel in der Hand, wir hatten mit zwei Toren Unterschied gewinnen müssen“, klagt Jusufi, „aber alles lief gegen uns: drei Pfostenschüsse, zwei nicht gegebene Elfmeter, viel, viel Schusspech, und dazu eine gute Abwehr der Gäste mit einem Torwart, der wie verhext immer am richtigen Platz stand.“ „Wir haben nur mit den Beinen gespielt und nicht mit dem Kopf“, schimpft Schwartz aber auch auf die eigene Elf: „Es war ein schlechtes, kopfloses Spiel unserer Mannschaft.“ Schwartz überlegt einen Moment und schließt dann: „Vielleicht kann es unsere Mannschaft nicht vertragen, Tabellenführer zu sein.“ Wenn es so ist, dann wird ihr das nächste Spiel wieder leichter fallen, denn die Tabellenspitze hat man nun wieder an den Namensvetter aus Braunschweig abgegeben. (rs)


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