Eintracht Braunschweig - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1966/1967 - 21. Spieltag

3:0 (1:0)

Termin: Sa 11.02.1967, 16:00 Uhr
Zuschauer: 37.000
Schiedsrichter: Hans Radermacher (Siegburg)
Tore: 1:0 Jürgen Moll (37.), 2:0 Wolfgang Grzyb (61.), 3:0 Erich Maas (86.)

 


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Eintracht Braunschweig Eintracht Frankfurt

  • Horst Wolter
  • Joachim Bäse
  • Klaus Meyer
  • Peter Kaack
  • Jürgen Moll
  • Gerd Saborowski
  • Walter Schmidt
  • Erich Maas
  • Lothar Ulsaß
  • Hans-Georg Dulz
  • Wolfgang Grzyb

 


 

Trainer
  • Helmuth Johannsen
Trainer

 

 

Die besseren Solisten

Das Aufeinandertreffen der beiden Eintracht-Mannschaften ist ohne Zweifel der Höhepunkt dieses 21. Spieltags: Der Spitzenreiter aus Braunschweig empfängt den Tabellenzweiten, die Eintracht aus Frankfurt. Den Charakter eines Endspiels hat die Partie 13 Spieltag vor dem Ende der Saison natürlich nicht, zumal beide Vereine nach Punkten gleichauf sind. Dennoch hat diese Partie möglicherweise auch eine psychologische Bedeutung für den Rest der Meisterschaftsrunde. Die Hinrunden-Begegnung in Frankfurt haben jedenfalls trotz drückender Überlegenheit der Gastgeber die Niedersachsen dank ihres überragenden Schlussmannes Wolter sowie des Torschützen Gerwien mit 1:0 für sich entscheiden können.

Beide Mannschaften haben sich direkt nach dem Saisonauftakt in der Spitzengruppe der Bundesliga etabliert. Die Eintracht stand seit dem 2. Spieltag nie schlechter als auf Platz 5 und rangiert seit Rückrundenbeginn wieder in der Lauerstellung hinter dem Tabellenführer aus Braunschweig, der diese führende Rolle seit dem 6. Spieltag nur drei Mal abgegeben hat.

Größere Unterschiede gibt es dagegen, wenn man den jeweiligen Kader mit dem des Vorjahres vergleicht. Bei den Niedersachsen ist lediglich Gerd Saborowski von Holstein Kiel dazu gestoßen, während zwei Spieler den Verein Richtung Südhessen verlassen haben: Lothar Weschke versucht sein Glück nun in der Regionalliga bei Kickers Offenbach und Dieter Krafczyk ist zur Frankfurter Eintracht gewechselt. Neu im Profi-Kader der Riederwälder sind außerdem die beiden Stürmer Ernst Abbé, der aus der eigenen Jugend nach oben gezogen wurde, sowie Siegfried Bronnert vom FC St. Pauli, Torhüter Siegbert Feghelm und der Außenverteidiger Fahrudin Jusufi. Die Frankfurter hatten aber auch zahlreiche Abgänge zu verkraften. So wechselten Ludwig Landerer zum FSV Frankfurt, Dieter Stinka und Erwin Stein zu Darmstadt 98, Horst Trimhold zum BVB, Friedel Lutz zum TSV 1860 München und Georg Lechner zurück zu Schwaben Augsburg.

Lechner, der kaufmännische Leiter der Frankfurter Niederlassung einer Augsburger Aufzugsfirma wollte seinen Beruf nicht aufgeben und Profi werden und sein Arbeitgeber hatte ihm vor Beginn der Rückrunde der letzten Saison vorübergehend die Freigabe für das von Elek Schwartz eingeführte vormittägliche Training entzogen, was Lechner seinen Platz im Team kostete. Den erhielt Lechner von Trainer Schwartz zwar wieder, nachdem der Arbeitgebers Lechners eingelenkt hatte, aber Lechner plagte wohl auch die Sehnsucht nach Augsburg, wohin die junge dreiköpfige Familie ohnehin bei Beginn der Schulpflicht des zweijährigen Sohnes Roby zurückziehen wollte.

Zwei Deutsche Meister und ein Europapokalheld haben die Eintracht also verlassen und mit Lechner und Trimhold hat die Eintracht über das Renommee hinaus auch fußballerische Klasse verloren. Dieter Krafczyk, der heute in Braunschweig gegen seinen alten Verein zu seinem erst vierten Bundesligaeinsatz für die Frankfurter kommt, hat diese Lücke nicht schließen können. Ernst Abbé kann noch keinen Pflichtspieleinsatz vorweisen und Siegfried Bronnert, der in 14 Ligapartien erstaunliche 12 Tore erzielen konnte, ist nach seiner indiskutablen Vorstellung beim 1:3 in Dortmund am letzten Wochenende heute nicht dabei. Bei aller Wucht und Abschlussstärke sind Bronnerts technische Fähigkeiten für die 1. Liga wohl auf Dauer nicht ausreichend. Uneingeschränkt zufrieden ist Trainer Elek Schwartz somit nur mit einem Neuzugang, dem jugoslawischen Nationalspieler Fahrudin Jusufi, der die Rolle des Außenverteidigers sehr offensiv interpretiert.

Mit 43 Toren verfügen die Frankfurter zurzeit über den zweitbesten Sturm der Liga, nur die Gladbacher können einen Treffer mehr vorweisen. Die Offensive der Braunschweiger ist mit 30 Toren nach 20 Spieltagen eher mittelprächtig, das Prunkstück der Niedersachen ist ihre Abwehr, die bislang nur 15 Gegentreffer zugelassen hat. In die Rückrunde sind die Braunschweiger erfolgreich gestartet und siegten bei Werder Bremen mit 3:2 und schlugen auch den TSV 1860 München mit 1:0, doch vor 14 Tagen gab es am letzten Spieltag ein 0:1 beim 1. FC Köln. Dieses Lapsus konnte die Elf von Elek Schwartz aber nicht nutzen, nachdem sie ihre drei bisherigen Rückrundenspiele allesamt gewonnen hatte - 2:1 gegen Bayern München, 4:1 in Köln und 3:0 in Düsseldorf. Im Nachholspiel des 16. Spieltages gab es am letzten Wochenende nämlich eine 1:3-Niederlage in Dortmund. Die beiden punktgleichen Eintracht-Mannschaften müssen auch darauf aufpassen, dass die mit zwei Zählern weniger ausgestatteten und auf Rang 3 liegenden Hamburger nicht aufschließen.

37.000 Zuschauer werden durch diese Partie angezogen, das ist ein Rekordbesuch für die Niedersachsen. Die Zuschauer, die zu den Braunschweigern halten, bereuen ihr Kommen auch sicher nicht, denn ihre Eintracht ist die deutlich bessere. Vom Anpfiff weg lassen die Gastgeber keinen Zweifel daran, wer in diesem Stadion das Sagen hat. Dies erreichen die elf Athleten im gelben Trikot nicht durch bloße Kraftmeierei, sondern durch einen Fußball moderner Prägung. Der Raum wird mit präzisen Pässen schnell überbrückt und jeder Akteur ist bereit, sich in den Angriff mit einzuschalten, aber es ist sich auch keiner zu schade, in der Defensive auszuhelfen. Das Laufwerk einer Uhr könnte nicht besser abgestimmt sein, als diese Elf von Trainer Johannsen.

Mit Fleiß allein hätten sich die Niedersachsen die Spitzenposition auch nicht erarbeiten können. Die technische Perfektion dieser Truppe ist ebenso beeindruckend wie die spielerische Klasse Einzelner. Dominierend sind dabei Spielmacher und Torjäger Lothar Ulsaß sowie der ehemalige Außenläufer Joachim Bäse, der als Libero in der Bundesliga auf dieser Position nur von Franz Beckenbauer übertroffen wird. Nationalspieler Ulsaß beweist seine Klasse in der 13. Minute, als er aus dem Mittelfeld zu einem sehenswerten Alleingang über mehr als 30 Meter ansetzt. Zum Glück für die Gäste bleibt dieser starke Auftritt folgenlos.

Die Frankfurter Eintracht dagegen enttäuscht am heutigen Tag, auch wenn man der Elf von Elek Schwartz mangelnden kämpferischen Einsatz bestimmt nicht vorwerfen kann. Es ist ihr hoch gelobtes Offensivspiel, das gegen die stärkste Defensive der Liga keine Früchte tragen will und teilweise sogar recht hilflos wirkt. Sicher, Jusufi vermag zu überzeugen und Grabowskis Fähigkeiten sind unbestritten, doch am Ende springt nichts Verwertbares dabei heraus.

Saison 1966/1967

Die Gastgeber agieren zielstrebiger und erhalten in der 37. Minute die Belohnung nach einer Ecke von Maas, die Moll von der Strafraumgrenze mit einem Bombenschuss zum 1:0 abschließt. Doch obwohl Verteidiger Moll als ehemaliger Stürmer auch in dieser Runde das Torschießen nicht verlernt hat, liegt im Abschluss das größte Manko der Niedersachsen. Sie benötigen zu viele Chancen, um zum Torerfolg zu kommen. Allein Maas vergibt in der ersten Halbzeit zwei glasklare Torgelegenheiten.

Die Qualität eines Endspiels um die Deutsche Meisterschaft hat das Aufeinandertreffen der beiden Spitzenteams nicht. Aber die Art und Weise wie der Tabellenführer den Verfolger beherrscht, spricht eine deutliche Sprache. Braunschweig scheint auf nahezu jeder Position besser besetzt und zeigt eine gute Mischung aus Technik und Kampfgeist. Ulsaß ist brillant und Dulz die perfekte Ergänzung im Braunschweiger Mittelfeld, das clever die Außenstürmer Grzyb und Maas einzusetzen weiß.

Saison 1966/1967Nur ein einziges Mal hat die Braunschweiger Abwehrreihe das Nachsehen, als Lotz in der 58. Minute nach einem Alleingang von Solz einen Schritt zu spät kommt, um die Flanke des „Brasilianers“ einzuschieben. Und drei Minuten später ist die Partie entschieden: Ulsaß und Saborowski liefern die Vorarbeit, Grzyb hat wenig Mühe aus acht Metern Torentfernung zu vollenden. Schämer muss sich zum wiederholten Male den Vorwurf gefallen lassen, den Braunschweiger nicht aufmerksam und eng genug markiert zu haben.

Die Frankfurter werfen nun die Flinte ins Korn und ziehen sich lediglich noch mit überharten Aktionen die Aufmerksamkeit und den Zorn des Braunschweiger Publikums zu. Besonders der Ex-Braunschweiger Dieter Krafczyk, der an der Aufgabe scheitert, Nationalspieler Ulsaß auszuschalten, nimmt seinen Auftrag so wörtlich, dass der Braunschweiger Anhang ihn mit eindeutigen Sprechchören bedenkt: „Krafczyk raus, Krafczyk raus!“ Krafczyk will viel, doch ihm gelingt nichts, weil er zu verkrampft spielt, was bei seinem erst vierten Punktspieleinsatz in dieser Saison vielleicht auch an der fehlenden Spielpraxis liegt.

Vier Minuten vor dem Ende der Partie versetzt Maas dem Gegner den dritten Hieb, Friedrich erleichtert ihm diesen Streich aber auch, in dem er den Ball verstolpert. Maas hat keine Mühe nach kurzem Sololauf aus sechs Metern zum 3:0 zu vollstrecken. Ulsaß hat in der zweiten Halbzeit noch einen vierten Treffer erzielt, doch Schiedsrichter Rademacher verweigert wegen eines Handspiels die Anerkennung. „Herr Rademacher hatte recht“, bestätigt Ulsaß nach dem Spiel

Im Braunschweiger Stadion herrscht geradezu Oktoberfest-Stimmung. „Oh, wie ist das schön“, singt der Anhang der Gastgeber und als dessen Mannschaft das Feld verlässt, braust ein fast tosender Beifall durchs Stadion. Die Frankfurter schleichen geradezu vom Ort ihrer Niederlage, die nicht allein schmerzt – zu deutlich war die spielerische und taktische Überlegenheit des Spitzenreiters. Das Bild des geschlagenen Verlierers wird abgerundet durch die angeschlagenen Huberts und Solz. Präsident Gramlich, der ankündigt, seiner Elf noch den Marsch blasen zu wollen, bekommt nach dem Spiel ebenfalls einen eingeschenkt – und zwar von der Braunschweiger Geschäftsführerin Magda Martini einen eben solchen

„Frankfurt hatte die besseren Solisten, Braunschweig jedoch stellt die weit stärkere Mannschaft“, kommentiert der Assistent von Bundestrainer Helmut Schön und frischgebackene FIFA-Trainer Dettmar Cramer: „Fragt sich, ob die besseren Solisten nicht das Spiel ihrer Mannschaft gebremst haben.“

Saison 1966/1967
Saison 1966/1967
Saison 1966/1967

 

Gelassen wie immer reagiert der Braunschweiger Trainer Johannsen auf die große Leistung seiner Mannschaft: „Gestern habe ich mir doch gewünscht, dass die Mannschaft so spielt, wie sie es heute getan hat. Wir haben uns nach der Pause vorübergehend etwas einengen lassen, aber das konnten wir uns ja erlauben, denn wir hatten den Gegner jederzeit im Griff.“ Und nach einer Pause fügt er hinzu: „Für den Verlierer ist noch lange nichts verloren. Die Frankfurter stehen ja nur zwei Punkte hinter uns.“

„Gewiss, die Braunschweiger haben verdient gewonnen. Sie überrollen einfach alles durch ihre große Kraft. Sie haben den besten Torhüter Deutschlands und in Ulsaß einen überragenden Stürmer. Aber alles andere ist doch recht hausbacken“, mosert Frankfurts Trainer Elek Schwartz, gibt allerdings auch zu: „Wir könnten morgen und übermorgen noch mal gegen Braunschweig spielen, wir würden immer wieder verlieren.“

Kurz vor Mitternacht reichen die Braunschweiger in ihrem Klubraum Sekt. Vereinspräsident Fricke, der vor kurzem von seinem Dackel Waldi in den Finger gebissen wurde, nutzt dieses Erlebnis, um festzustellen, dass der Frankfurter Eintracht eben dieser der Biss im Angriff fehlte. „Seit Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg schon vor dem Ersten Weltkrieg den Fußball in Braunschweig salonfähig machte, ist dies der stolzeste Augenblick unserer Braunschweiger Fußballgeschichte. 3:0 gegen die Frankfurter Eintracht! Spitzenreiter der Bundesliga! Keiner hätte so etwas erwartet“, jubelt Fricke: „Viele haben noch zu Beginn der Saison unseren Abstieg prophezeit.“

Der aus dem Training bereits angeschlagen nach Braunschweig gereiste Willi Huberts fliegt nach dem Spiel zu einem Fernsehinterview nach Wien. Ein Tritt in die Wade lässt ihn humpeln, doch der Österreicher grinst vor dem Abflug: „Gut, dass ich die blauen Flecke nicht im Gesicht habe. Das wäre ja nicht besonders telegen.“ (rs)

 

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