Hannover 96 - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1972/1973 - 2. Spieltag

2:1 (0:1)

Termin: Mi 20.09.1972, 20:00 Uhr
Zuschauer: 15.000
Schiedsrichter: Gerd Hennig (Duisburg)
Tore: 0:1 Thomas Parits (37.), 1:1 Willi Reimann (56., Foulelfmeter), 2:1 Willi Reimann (73.)

 


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Hannover 96 Eintracht Frankfurt

  • Franz-Josef Pauly
  • Jürgen Bandura
  • Peter Anders
  • Hans-Josef Hellingrath
  • Rainer Stiller
  • Pedro Milasincic
  • Ludwig Denz
  • Willi Reimann
  • Peter Rühmkorb
  • Hans Siemensmeyer
  • Karl-Heinz Mrosko

 


 

Wechsel
  • Rolf Kaemmer für Peter Anders (46.)
  • Georg Beichle für Pedro Milasincic (68.)
Wechsel
Trainer
  • Hans Hipp
Trainer

 

 

Arbeitssieg und Einzelkönner

Gleich zu Saisonbeginn hat die Frankfurter Eintracht ihre Heimstärke beim Sieg gegen den HSV – wenn auch erst in der zweiten Halbzeit – unter Beweis gestellt. Zufrieden war Trainer Erich Ribbeck nach der enttäuschenden Leistung und dem glücklichen 2:1 dennoch nicht, was er seinen Spielern auch so knapp wie unmissverständlich gesagt hat: "So geht es nicht!" Nachdrücklich fordert er für das Spiel in Hannover die Bereitschaft, sich voll einzusetzen. Konca betrifft das aber nicht, denn den Außenstürmer setzt eine Zerrung im Oberschenkel außer Gefecht. Weidle soll Koncas Position beziehen und Hölzenbein dafür von Anfang an dabei sein.

In Hannover gilt es nun etwas gegen die bekannte Auswärtsschwäche der Eintracht zu unternehmen. Die Chancen stehen nicht schlecht, zumal die 96er die Hypothek eines 1:3 zum Saisonauftakt mit sich herumtragen. "Wir kämpfen gegen Frankfurt mit Wut im Bauch", verspricht Kapitän Hans Siemensmeyer. Hannovers Problem ist allerdings die Schwäche der eigenen Flügelstürmer. "Da muss ich mir etwas einfallen lassen", sagt Trainer Hipp.

In der letzten Saison verlor die Eintracht beim Amtsantritt von 96-Trainer Hipp an der Leine nach einer Führung noch mit 1:3. Eine unnötige Niederlage beim damaligen Tabellenletzten, bei dem Willi Reimann schon nach 36 Minuten mit einer tiefen Fleischwunde den Platz verlassen musste. Die Wende brachte seinerzeit der Ausgleich durch einen von Siemensmeyer verwandelten Handelfmeter.

Doch wichtige Spieler aus der letzten Runde stehen den Niedersachsen nicht mehr zur Verfügung. Mit Ferdinand Keller ist der erfolgreichste Torschütze zu 1860 München zurückgekehrt. Die 39 Treffer Kellers in den letzten beiden Bundesligaspielzeiten werden den Hannoveranern ebenso fehlen wie Hans-Joachim Weller, der nun ebenfalls für die 60er aufläuft. Im Mittelfeld ist den Hannoveranern zudem noch Horst Bertl abhanden gekommen: Den Stammspieler zog es eine Klasse tiefer in die Regionalliga West zu Borussia Dortmund.

Alles in allem sind "die Roten", die in der letzten Saison nur den 16. Platz belegten, in dieser Spielzeit schwächer einzuschätzen als im Vorjahr. Dass der vom Club aus Nürnberg an die Leine gewechselte ehemalige Bayern-Spieler Mrosko die Lücke, die Keller hinterlassen hat, wird füllen können, dürften nicht einmal die kühnsten Optimisten erwarten. Ludwig Denz, ein ehemaliger 60er Löwe, der von Oberhausen nach Hannover gekommen ist, könnte allerdings im Mittelfeld zur Verstärkung werden.

Davon ist zu Beginn der Partie aber nicht zu sehen, für das überaus konfuse Spiel der Hausherren zeichnet er jedoch nicht allein verantwortlich. Fehlpässe ersetzen Steil- und Doppelpässe, während zahlreiche Missverständnisse den notwendigen Raumgewinn beständig verhindern.

Die Eintracht nutzt die Verwirrung der Gastgeber zu ihren technisch perfekten Kombinationen, verschafft sich so schnell Vorteile und erhält vom Leckerbissenentwöhnten einheimischen Publikum Beifall auf offener Szene. Grabowski reißt mit seinen Dribblings die gegnerische Abwehr immer wieder auf und bringt mit seinen Hereingaben von der Grundlinie stetig Gefahr in den Strafraum der Niedersachsen. Im Sturmzentrum der Frankfurter ist der wendige Parits bestens aufgelegt. Sein Gegenspieler Anders hat alle Mühe mit ihm und bekommt den Österreicher zu keiner Zeit in den Griff.

Nach einiger Zeit gelingt es Denz und Rühmkorb, das Frankfurter Kombinationsspiel – wenn schon nicht zu unterbinden, dann - wenigstens einzuengen. An der Gefährlichkeit der Eintracht-Konter ändert dies jedoch nichts. Auf der anderen Seite bieten die 96er nur mäßige Schussleistungen, die wenigen ernsthaften Prüfungen besteht der sichere Dr. Kunter glänzend. Die Paraden des Eintracht-Keepers scheinen den Hannoveranern Stürmern zudem den letzten Nerv zu rauben.

Anstelle der angekündigten Wut macht sich bei Hannover nur ein Gefühl breit: Nervosität. Aus der lähmenden Angst wird durch den Frankfurter Angriffswirbel sehr bald Nervenflattern. Und Schiedsrichter Henning sorgt mit umstrittenen Entscheidungen dafür, dass Hannovers Spieler und Anhang schließlich vollends die Nerven verlieren. Auf dem Höhepunkt der Hektik droht das Spiel aus den Fugen zu geraten, als der Unparteiische in der 37. Minute einen Angriff von Siemensmeyer auf Grabowski mit einem Freistoß ahndet. Zu den Pfiffen der Fans der Hannoveraner gesellen sich leider auch einige Büchsen, die ihren Weg auf den Platz suchen.

Den Freistoß setzt Nickel in die Mauer der Abwehr, doch Hennig lässt zur Überraschung und zum wachsenden Unmut der Hannoveraner den Freistoß wiederholen. Vielleicht erinnert sich Parits nun daran, wie er in der letzten Spielzeit beim 1:3 einen Freistoß aus über 30 Metern an die Latte des 96er Tores setzte? Diesmal sind es nur 20 Meter und Parits netzt unhaltbar unter die Latte ein. Parits strahlt und die Spieler auf der Reservebank springen hoch und umjubeln den Torschützen, Hannovers neuer Manager Kleemann dagegen schimpft: "Dieser Freistoß war eine Frechheit. Wenn man so was pfeift, darf man sich nicht wundern, wenn einem das Spiel aus der Hand gleitet!"

Mrosko hat zwei Minuten vor dem Halbzeitpfiff die Gelegenheit, Spiel und Gemüter zu beruhigen, doch er verpasst den Ausgleich, als er frei stehend an Dr. Kunter im Frankfurter Tor scheitert. Nicht nur der Schiedsrichter, auch Hannover 96 wird bei Halbzeit mit Pfiffen verabschiedet.

Trainer Hans Hipp erkennt nicht erst in der Pause, dass seine Order, die drei Musketiere vom Main – "Grabi", "Holz" und "Dr. Hammer" – abzudecken, ebenso wenig umgesetzt wurde, wie Kliemann nicht zu seinem Kopfballspiel kommen zu lassen. Zunächst belässt es Hipp jedoch dabei, den am Arm verletzten Parits-Bewacher Anders auszutauschen. Kaemmer kommt für Anders neu ins Spiel.

Ob Hannover in der Kabine anstelle des Pausentees Baldrian verabreicht wurde? Die Nervosität des ersten Durchgangs ist jedenfalls weitgehend verschwunden. Das Bild dieser Partie ändert sich jetzt grundlegend. Die Hannoveraner verleihen dem Spiel mit ihrer bravourös kämpfenden Mittelreihe nicht nur eine bessere Qualität, nein, sie entfesseln einen wahren Sturmlauf, dem die Frankfurter zunächst nur ihre feine Technik entgegenzusetzen haben.

In der 56. Minute liegt Schiedsrichter Hennig nach Meinung der Hannoveraner mit einer seiner Entscheidungen dann endlich einmal richtig: Er gibt Elfmeter für die Heimmannschaft. Bandura war in den Frankfurter Strafraum gestürmt, wo Roland Weidle ihn mit einem langen Bein zu stoppen versuchte. Nach Ansicht des Schiedsrichters ein regelwidriger Versuch. Wie die Spiele sich gleichen: wie in der letzten Saison folgt auf die Eintracht-Führung nun die Chance zum Ausgleich für 96 durch einen Elfmeter. Diesen tritt allerdings nicht wieder Siemensmeyer, sondern Willi Reimann. Doch das ist der einzige Unterschied – auch Reimann trifft. 1:1.

Nach 68 Minuten muss dann Pedro Milasincic das Feld räumen. Der Neuzugang von der TSV Marl-Hüls, der am ersten Spieltag gleich zu seinem ersten Bundesligatreffer kam, ist heute eine Enttäuschung. Für ihn kommt der Ex-Offenbacher Beichle, der gegen Schalke noch für Milasincic Platz machen musste. Ein ähnlicher glücklicher Einstand wie dem Jugoslawen, der in Gelsenkirchen nur drei Minuten nach seiner Einwechslung zuschlug, gelingt ihm aber nicht.

Dafür ist Reimanns Torriecher an diesem Tag - aus Frankfurter Sicht leider - noch für einen zweiten Treffer gut. In einem sich dramatisch zuspitzenden Kampf schießt Reimann nach herrlichem Steilpass von Kaemmer in der 73. Minute das 2:1 für Hannover 96. Dr. Kunter hat keine Abwehrchance.

Ribbeck bringt zwei Minuten nach dem Rückstand Neuzugang Krauth für Weidle, die Eintracht steckt nicht auf. Die nächste große Chance haben jedoch die Gastgeber: Reimann ist in der 82. Minute auf dem Weg zu seinen dritten Treffer, als er von Rühmkorb bilderbuchmäßig frei gespielt vor Kunter auftaucht, doch dann am Tor vorbei schießt.

Das Spiel wird spannender, die Szenerie wechselt blitzschnell. Eben noch stand Dr. Kunter im Brennpunkt des Geschehens, da muss Pauly auf der anderen Seite seine ganze Kunst aufbieten, um vor allem gegen den quicklebendigen Parits Einschläge im Kasten der 96er zu verhindern. Parits taucht mehrmals gefährlich vor Paulys Heiligtum auf, doch so gut Parits heute auch ist – Pauly ist einen Tick besser: Mit einer Faust kommt der Torhüter der Gastgeber noch an den Ball heran, den nicht nur Parits schon im Tor gesehen hat. Dem Stürmer gelingt heute kein zweites Tor mehr und der Eintracht nicht der Ausgleich …

Der Hannoveraner Sieg geht aufgrund der enormen kämpferischen Leistung der Gastgeber im zweiten Abschnitt in Ordnung. Die 96er wurden durch den Rückstand aufgeweckt, während die Hessen sich zu früh darauf beschränkten, die Führung lediglich zu verwalten und am Ende nicht genug zulegen konnten. Die bessere Kondition hat den Ausschlag zugunsten der Gastgeber gegeben, was deren Trainer Hipp dennoch keinen Anlass zu überschäumender Freude gibt: "Das war ein Arbeitssieg. Frankfurt hatte die besseren Einzelkönner."

In der nach dem 2. Spieltag natürlich wenig aussagekräftigen Tabelle rutscht die Eintracht von Platz 8 auf 9, während Hannover von 14 auf 12 klettert. Die Eintracht kann ihre bekannte Auswärtsschwäche auch in der neuen Saison nicht abstreifen. Auf fremden Plätzen - das ist gegen den Abstiegskandidaten von der Leine deutlich geworden – entfaltet die Macht vom Main keine Wirkung, die Frankfurter Mark ist außerhalb des Stadtwaldes nicht einmal 50 Pfennig wert. Vielleicht hat Regionalligist Bayer Uerdingen in dieser Woche auch deswegen die Eintracht, die tags zuvor in Wuppertal antritt, für den 12. November zu einem Gastspiel in der Krefelder Grotenburg-Kampfbahn verpflichtet ... (rs)


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