Eintracht Frankfurt - VfL Bochum

Bundesliga 1972/1973 - 5. Spieltag

4:1 (3:1)

Termin: Di 03.10.1972, 20:00 Uhr
Zuschauer: 10.000
Schiedsrichter: Heinz Quindeau (Ludwigshafen)
Tore: 0:1 Hans-Jürgen Köper (14.), 1:1 Roland Weidle (23.), 2:1 Jürgen Grabowski (31.), 3:1 Jürgen Grabowski (38.), 4:1 Bernd Nickel (72.)

 

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Eintracht Frankfurt VfL Bochum

 


  • Werner Scholz
  • Erwin Galeski
  • Reinhold Wosab
  • Harry Fechner
  • Dieter Versen
  • Hans Walitza
  • Michael Lameck
  • Reinhard Majgl
  • Werner Balte
  • Hans-Jürgen Köper
  • Franz-Josef Laufer

 

Wechsel Wechsel
  • Hermann Gerland für Werner Balte (65.)
Trainer Trainer
  • Heinz Höher

 

Frankfurter Füchse

"Ich forme Mannschaften. Bei mir gelten Moral und Kameradschaft. Ich züchte keine Primadonnen", sind die hart und angesichts des Berufsfußballertums auch etwas überholt klingenden Worte Herbert Widmayers. Auswahltrainer Widmayer allerdings kann sich seit Pfingsten in einem Erfolg sonnen, dem der DFB-Nachwuchs 18 Jahre lange hinterher gelaufen ist: Die von Widmayer betreute DFB-Jugendelf stand im Endspiel des UEFA-Turniers in Spanien.

Sein Team steht altersbedingt vor einem Umbruch. Neben Hoeneß, Huhse und Worm hießen seine Stützen Kargus, Kaster, Kaltz, Konopka und Körbel. Doch nur ein Spieler ist aus dem EM-Finale übrig geblieben: Karl-Heinz Körbel. Um Körbel und den ebenfalls aus Nordbaden, der Handballhochburg Ketsch, stammenden Stielike will Widmayer seine neue Elf aufbauen. Stielike wechselte zu Saisonbeginn zu Gladbach in die Bundesliga und auch Körbel steht bei der Eintracht erstklassig unter Vertrag, zum Einsatz gekommen ist der junge Mann aber in der Eliteliga des deutschen Fußballs noch nicht. In dieser Hinsicht hinderlich war sicher auch die Nordlandreise, die Körbel mit der DFB-Jugend unternommen hat.

Eintracht-Trainer Ribbeck hat an diesem Dienstagabend aber dringendere Probleme, als die Integration des hoffnungsvollen Talents in die Bundesligaelf der Riederwälder. "Wenn wir nicht gewinnen, hat der Punktgewinn in Düsseldorf überhaupt keinen Sinn gehabt", behauptet Trainer Ribbeck vor dem Heimspiel gegen den letztjährigen Aufsteiger VfL Bochum. Rohrbach, der in Düsseldorf verletzt ausgewechselt werden musste, fehlt weiter, Ribbeck vertraut seine Position aber nicht Lutz, sondern Kalb an, der für Grabowski nach hinten rückt - glücklicherweise kann die Eintracht heute auf die Dienste des wieder genesenen Kapitäns zurückgreifen. Die Heimstärke der Eintracht wird zwar langsam bereits zur Legende, doch der VfL Bochum hat vor drei Tagen den Vizemeister Schalke 04 überraschend mit 2:0 bezwingen können. Die Hessen sind also gewarnt.

Allerdings sind die Schalker auch in einer ernsten Krise, die sie von der Bundesligaspitze in dieser Saison sicher fernhalten wird. Wie tief der sportliche Fall des amtierenden DFB-Pokalsiegers gehen wird, kann noch keiner sagen, den finanziellen Ausfall haben die "Knappen" bereits beziffert. Auf eine Million Mark schätzt Schalkes Schatzmeister Aldenhoven den Verlust des Klubs durch die Urteile im Bundesliga-Bestechungsskandal. Zuletzt wurde Mittelstürmer Klaus Fischer am letzten Wochenende für zwei Jahre gesperrt. Vorher wurde bereits Stammspieler Jürgen Sobieray zu einer Sperre von zwei Jahren verurteilt. Und noch drei weitere Spieler aus der Mannschaft, die im letzten Jahr ein Bundesligaspiel gegen Bielefeld verkauft haben sollen, müssen mit Anklagen rechnen: Fichtel, Rüssmann und Lütkebohmert. "Jetzt geht es um unsere nackte Existenz", kündigt Torwart Norbert Nigbur an.

Auch die Eintracht drücken finanzielle Sorgen, diese hängen jedoch mit dem Stadionumbau zusammen: Gegen die Bochumer sind lediglich 10.000 Zuschauer in die Baustelle Waldstadion gepilgert. Die sehen in der ersten halben Stunde eine überraschend offensive Gästetruppe, die die Eintracht-Abwehr immer wieder in Verlegenheit bringt. Trinklein gibt gegen Bochums Torjäger Walitza alles andere als eine vernünftige Figur ab und kann den Gästestürmer nie bremsen. Selbst der sonst so sichere Kliemann ist heute nicht ohne Fehler.

Pech haben die Gäste aus Bochum, als Balte in der 11. Minute im Strafraum der Frankfurter nach einem klaren Foul zu Fall kommt. Schiedsrichter Ouindeau ist entweder geistig abwesend oder hat seinen Blick auf erfreulichere Dinge gerichtet, denn der eindeutige Regelverstoß entgeht ihm. Glücklicher ist dagegen Hans-Jürgen Köper, der bereits beim Bochumer Sieg gegen Schalke das erste Tor erzielte. Köper bringt auf Vorarbeit von Lameck auch heute seine Farben mit 1:0 in Front. 14 Minuten sind gespielt und die Führung des VfL geht sehr in Ordnung.

Die Bochumer nutzen die fortgesetzten Unsicherheiten der Frankfurter Hintermannschaft und erspielen sich gute Chancen. Die Eintracht kann sich glücklich schätzen, dass der sonst so treffsichere Walitza heute kein Zielwasser getrunken zu haben scheint. Mit seinen strammen Schüssen ist dem schussgewaltigen Stürmer heute jedenfalls kein Glück beschieden. Nicht besser ergeht es in der 18. Minute Uwe Kliemann auf der Gegenseite. Sein knallhartes Geschoss reißt Bochums gutem Keeper Scholz fast die Fäuste weg, aber in den Kasten fliegt der Ball leider nicht. Den Frankfurter Fans ist das erst einmal einerlei, sie feiern ihren neuen Liebling wieder einmal lautstark: „Uwe - Uwe - Uwe“ schallt es durch das Waldstadion.

Mit zunehmender Spieldauer macht sich ein gelungener, wenn auch längst überfälliger Schachzug von Trainer Ribbeck bezahlt. Jürgen Grabowski ist heute nicht als Außenstürmer aufgeboten; er bekleidet die Position des zentralen Mannes im Mittelfeld. Dem feinen Techniker ist diese neue Rolle wie auf den asketischen Leib geschneidert. In dieser Position hat er das Spiel endlich vor sich und kann es nach Belieben gestalten. Hier ist er nicht mehr abhängig von den Bällen, die ihm auf den Flügel gespielt werden – hier spielt er die Pässe. Endlich muss er sich nicht mehr wie ein Papagei im Käfig mit einem für ihn viel zu kleinen Platz begnügen - hier im Mittelfeld, da hat dieser Adler den Raum, seine mächtigen Flügel auszubreiten und zu seinen genialen Höhenflügeln anzusetzen. Kein Zweifel: „Grabi“ ist der geborene Dirigent dieser Diva.

An seiner Seite sind mit dem ballsicheren, trickreichen Hölzenbein und dem zweiten genialen Passgeber der Eintracht, Bernd Nickel, genau die Mitspieler, die Grabowski die nötigen Freiräume lassen und gleichzeitig kongeniale Partner sind. Mit anderen Worten: Die Eintracht übernimmt nun nach und nach das Kommando.


Weidle erzielt das 1:1

Dem VfL wird aber auch zum Verhängnis, dass die junge Elf über die Maßen offensiv agiert und in ihrem Sturm und Drang bei allem läuferischen Einsatz die Abwehrarbeit vernachlässigt. Roland Weidle ist der erste Nutznießer dieser Bochumer Unbedarftheit. Mit seinem ersten Saisontor sorgt er in der 23. Minute nach einem Steilpass von Nickel für den Ausgleich, in dem er Torhüter Scholz mit einem Flachschuss aus kurzer Distanz das Nachsehen gibt - Galeski kann nicht mehr eingreifen.

Nach einer guten halben Stunde kommt dann der Auftritt des Frankfurter Kapitäns, gegen dessen Klasse und Können die Gäste kein Mittel wissen. Innerhalb von wenigen Minuten erzielt Jürgen Grabowski zwei Treffer und dreht die Partie. In der 31. Minute lenkt Galeski Grabowskis Schuss unhaltbar für Scholz ab und nur sieben Minuten später trifft der Frankfurt erneut – die Eintracht liegt mit 3:1 vorne.

Trotz des Vorsprungs wechselt für den zweiten Durchgang nicht nur Reichel für Schämer ein, er warnt zur Pause auch seine Spieler: "Jetzt müssen wir aufpassen. Die Bochumer kämpfen um ihr Leben." Das ist sicher eine Übertreibung, aber mit einer Menge Wut im Bauch und der festen Absicht, der Eintracht doch noch den Sieg streitig zu machen, kehren die Gäste schon auf den Rasen zurück. Und sie fackeln auch nicht lange: In der 46. Minute zieht Balte beherzt ab, Dr. Kunter ist geschlagen, doch vom Innenpfosten des Frankfurter Tores prallt das Leder zurück ins Feld.

Der VfL sucht nun mit Gewalt sein Ziel zu erreichen, das aber tut dem Spiel der Gäste nicht gut. Im Laufe der zweiten Halbzeit ist von der Überlegenheit der ersten halben Stunde bei der Elf aus dem Ruhrpott nicht mehr viel zu sehen, die Aktionen der Bochumer wirken immer weniger durchdacht. Trainer Höher reagiert und bringt in der 65. Minute den erst 18-jährigen Hermann Gerland für Werner Balte. Gerland kommt damit zu seinem dritten Einsatz in der höchsten deutschen Spielklasse. An der Dominanz der Hessen vermag der junge Mann freilich nichts zu ändern.

Kalb, der durch den Bochumer Dreiersturm keinen direkten Gegenspieler hat, nutzt die Schwäche der Bochumer und seinen Freiraum weidlich. Die Bochumer haben aber das Glück, dass Thomas Parits und Ender Konca wiederholt beste Chancen auslassen. Mittelstürmer Parits fehlt es bei seinen Schussversuchen an Konzentration, bei Konca ist es eher das fehlende Selbstbewusstsein, das dem türkischen Linksaußen zu schaffen macht.

Was Parits und Konca nicht gelingen will, gelingt Bernd Nickel in der 72. Minute. Er bezwingt Werner Scholz im Bochumer Tor zum vierten Mal. Werner Scholz, der im Spiel mehrfach mit tollen Reaktionen glänzte, ist machtlos. 4:1 für die Eintracht - damit lassen es die Frankfurter für heute gut sein.

Bochum rutscht durch diese Niederlage vom fünften auf den neunten Rang, während es für die Frankfurter um drei Plätze nach oben geht: Die Eintracht ist nun Tabellendritter. Bochums Trainer Höher lobt trotz der nach dem Ergebnis deutlichen Niederlage seine junge Truppe. "Sie hat streckenweise sehr gut gespielt, auch wenn sie den Frankfurter Füchsen auf den Leim ging." "Beide Abwehrreihen hatten ihren Tag der offenen Tür", kritisiert Höher das Verhalten der Defensivabteilungen, schränkt aber ein: "Aber die Eintracht hatte außerdem noch Kliemann."

Bei allem verständlichen Jubel über Kliemanns Einstand und Grabowskis famose Partie, bleibt doch festzuhalten, dass die Eintracht weiterhin erhebliche Probleme in der Verteidigung hat. Die größte Gefahr scheint zurzeit für die Frankfurter nicht vom Gegner auszugehen, sondern von der eigenen Abwehrreihe. Gyula Lorant, der Trainer von Aufsteiger Kickers Offenbach, der am nächsten Spieltag auf die Eintracht wartet, wird das als interessierter Beobachter auf der Tribüne nicht entgangen sein. (rs)

 


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