Kickers Oxxenbach - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1972/1973 - 6. Spieltag

3:2 (1:1)

Termin: Sa 07.10.1972, 15:30 Uhr
Zuschauer: 32.000
Schiedsrichter: Hans-Joachim Weyland (Oberhausen)
Tore: 1:0 Erwin Kostedde (38.), 1:1 Jürgen Grabowski (39.), 1:2 Jürgen Grabowski (68.), 2:2 Erwin Kostedde (85.), 3:2 Erwin Kostedde (89.)

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Kickers Oxxenbach Eintracht Frankfurt

  • Fred-Werner Bockholt
  • Herbert Meyer
  • Lothar Skala
  • Amand Theis
  • Nikolaus Semlitsch
  • Erwin Kostedde
  • Winfried Schäfer
  • Siegfried Held
  • Josef Hickersberger
  • Egon Schmitt
  • Manfred Ritschel

Wechsel
  • Heinz Traser für Egon Schmitt (54.)
  • Rainer Blechschmidt für Winfried Schäfer (80.)
Wechsel
Trainer Trainer

Das dicke Ende

Spiele gegen Offenbach werden überbewertet. Allein das unaufhörliche Jammern der Offenbacher Verschwörungstheoretiker, die es sich seit Jahren in ihrer selbst gewählten Opferrolle bequem gemacht haben und sich auf ewig benachteilig fühlen, weil sie nur so ihr eigenes Versagen ertragen können, fällt unsagbar lästig. Aber gut, auch für einen Sieg auf dem Bieberer Berg gibt es schließlich zwei Punkte. Offenbachs Trainer Lorant kündigt allerdings an: "Wenn wir kurz vor Schluss nur mit einem Tor hinten liegen, dann gute Nacht, Eintracht."

Erich Ribbeck kann aber auf einige Spieler zurückgreifen, die ihm zuletzt gefehlt haben. Gegenüber dem Heimsieg gegen Bochum spielt Rohrbach auf der Außenverteidigerposition anstelle des Duos Reichel / Schämer. Heese, der seine Sperre abgesessen hat, spielt anstelle von Trinklein Vorstopper und soll Kostedde bewachen. Trinklein rückt ins Mittelfeld auf, während Weidle an die Stelle von Linksaußen Konca rückt, der neben Friedl Lutz auf der Bank Platz nehmen muss.

Von Beginn an wird selbst dem verblendeten Teil des Anhangs des deutschen Vizemeisters von 1959 klar, dass hier und heute zwei Welten aufeinander treffen. Den überragenden Frankfurter Spielern wie Kliemann, Rohrbach, Hölzenbein, Nickel und Grabowski hat der aktuelle Tabellenfünfte nichts auch nur annähernd Gleichwertiges entgegen zu setzen: Die Eintracht bestimmt das Geschehen. Eine Halbzeit lang sind die Frankfurter Herr im fremden Haus, ohne dass die Gastgeber ein Mittel dagegen finden würden. Die Eintracht kann aus ihrer Überlegenheit zwar kein Kapital schlagen, dafür verschlägt es dem Offenbacher Anhang aber weitgehend die Sprache.

Das ändert sich jedoch, als die Kickers mitten in die Frankfurter Dominanz hinein das 1:0 erzielen. Kostedde, der mit einer Grippe in die Partie gegangen ist, trifft - wie in den letzten drei Spielen auch. Dabei war er bislang - wie der Rest seiner Truppe - nicht zu sehen und bei Heese bestens aufgehoben. Doch nach Winfried Schäfers Vorlage schirmt der Mittelstürmer den Ball mit einer Körperdrehung gegen seinen Bewacher ab und schlenzt das Leder ins lange Toreck.

Die Antwort der Eintracht folgt nicht nur auf, sondern auch mit dem Fuß. Es ist der Fuß Jürgen Grabowskis, der das Ergebnis postwendend korrigiert. "Grabi" gibt in der fußballerischen Diaspora eine Kostprobe seiner unvergleichlichen Kunst, die von den Einheimischen verständlicherweise nicht goutiert wird. Mit dem Rücken zum Tor stehend nimmt er eine Flanke des auf den linken Flügel ausgewichenen Parits an und schießt den Ball aus der Drehung unhaltbar für Bockholt ins Offenbacher Tor.

Weidle wird kurz darauf ausgetauscht. Ender Konca macht aber im zweiten Durchgang klar, dass die Frankfurter sich mit diesem Tausch nicht geschwächt haben. Jürgen Grabowski liefert ohnehin – wie so oft – ein überragendes Spiel ab. Allein Hölzenbeins Dribblings sind häufig nicht von Erfolg gekrönt, dafür imponiert aber Bernd Nickels Übersicht, wenn auch seinen Torschüssen die bekannte Zielgenauigkeit abhanden gekommen ist. Skala spielt als Libero bei den Gastgebern gut, er wird aber von Kliemann aufseiten der Eintracht noch übertroffen. Kliemann ist um Längen gefährlicher, wenn er mit nach vorne geht. Aber auch Thomas Rohrbach überzeugt ohne Abstrich gegen Ritschel, der kaum etwas auszurichten vermag. Nur Trinklein verbraucht im Zweikampf mit Hickersberger zuviel Kraft. Trinklein läuft enorm viel, was ihm fehlt ist jedoch eine vernünftige Einteilung seiner Kräfte.

Die Eintracht beherrscht weiter das Spiel und den Gegner, der nicht in der Lage zu sein scheint, sich aus der spielerischen Unterlegenheit zu befreien. Die ganze Verzagtheit der Heimmannschaft zeigt sich nach einer guten Stunde: Kostedde, am Knie angeschlagen und auf dem Boden sitzend, blickt fast flehend zu seinem Trainer hinüber und will ausgewechselt werden. Doch Gyula Lorant bleibt hart, was Kostedde vorher hätte wissen müssen. Lorant hat nicht grundlos vor wenigen Tagen öffentlich auf das Problem hingewiesen, dass beim ersten Anlauf in Duisburg einen Stammplatz in der Bundesliga verhinderte: "Es liegt an dem Erwin selbst, ob er noch einmal den Durchbruch schafft. Er muss getreten werden, um flinker zu reagieren!" Kosteddes Bundesligadebütsaison beim MSV Duisburg wurde übrigens von seinem heutigen Trainer nach nur 19 Spielen im Frühjahr 1968 beendet. Und damals bereitete Kostedde in seinem letzten Bundesligaspiel für die Meidericher den 3:2-Sieg mit zwei Torvorlagen ein – gegen Eintracht Frankfurt. Doch heute ist von Kostedde bis auf seinen Führungstreffer nichts zu sehen.


Grabowski erzielt das1:2

Wesentlich auffälliger ist da schon Thomas Parits auf der Gegenseite. In der 68. Minute bedient Konca Parits, der nicht zum ersten Mal von Theis festgehalten wird. Den folgenden Freistoß dicht an der Strafraumlinie legt Hölzenbein zu Nickel, der hart und flach abzieht. Torwart Bockholt kann den strammen Schuss nicht festhalten, Grabowski ist gedankenschnell zur Stelle und angelt sich den abgeprallten Ball. Der Frankfurter Kapitän zieht nach außen und schießt wie beim Ausgleich aus der Drehung auf Bockholts Kasten. Skala und Bockholt werfen sich dem Schützen entgegen, doch der Ball zischt aus spitzem Winkel auch am auf der Torlinie stehenden Meyer vorbei unter die Latte. Mit seinem zweiten Tor hat Jürgen Grabowski den Ungläubigen bewiesen, dass er seine atemberaubenden Kunststücke nach Belieben wiederholen kann.

Längst ist - unabhängig vom Spielausgang - wieder einmal bewiesen, wer die Macht vom Main und die unbestrittene Nummer eins im hessischen Fußball ist. Doch die größte Gefahr für diese begnadeten Fußballspieler ist schon lange nicht mehr ihr jeweiliger Gegner – die größte Gefahr für die Eintracht ist die Eintracht selbst. Bundestrainer Helmut Schön, der die Partie als Zuschauer verfolgt, erkennt das richtig: "Die Eintracht ist die homogenere Mannschaft und hat klare Punktvorteile. Aber das zählt nicht."

So ist es. Zudem ist die Eintracht nach ihrer Demonstration hoher Fußballkunst eine Spur zu siegessicher. Das ist im Fußball gegen jeden Gegner gefährlich, selbst wenn dieser hoffnungslos unterlegen ist. Trainer Ribbeck begeht den zusätzlichen Fehler, den erschöpften Jürgen Kalb nicht nach 80 Minuten vom Feld zu holen. Kalb hat bislang das Duell der beiden Dauerläufer gegen Held für sich entscheiden, aber den Nationalspieler auch nicht immer stoppen können. Nun reicht Kalb die Luft noch für seine Vorstöße nach vorne, doch der Weg zurück ist lang und fällt dem Frankfurter von Minute zu Minute schwerer. Friedel Lutz wäre jetzt die Alternative, doch Ribbeck wechselt den blutjungen Wolfgang Kraus für Trinklein ein. Es ist erst der zweite Bundesligaeinsatz für Kraus.

Hickersbergers Lattenschuss ist ein erstes Warnsignal für die beginnende Schlussoffensive der verzweifelten Offenbacher. DFB-Trainer Helmut Schön nimmt das zur Kenntnis, steigt aber dennoch wenige Minuten vor dem Ende von der Tribüne hinunter: "Dieses Ergebnis stimmt!" Bis hierhin schon, doch Fußball ist keine Mathematik und in manchen Spielen geht nicht jede Rechnung auf.

So wird die Frage, wo eigentlich Kostedde abgeblieben ist, fünf Minuten vor dem Ende beantwortet. Ritschel zieht von der rechten Seite eine weite Flanke nach links hinüber, wo Held aus spitzem Winkel abzieht. Dr. Kunter kann parieren, aber wie sein Gegenüber beim 1:2 den Ball nicht festhalten. Als Kostedde nun der Ball vor die Füße prallt, ist der Stürmer gänzlich ungedeckt. Das "Böse" ist eben immer und überall.

Heute trägt das böse Ende für die Eintracht den Namen Kostedde. Nur vier Minuten nach seinem Abstauber zum 2:2-Ausgleich ist er erneut zur rechten Zeit am richtige Ort. Semlitsch ist mit mächtigen Schritten auf der linken Seite gestartet und zieht aus gut 30 Metern ab. Was als Flanke geplant ist, entwickelt sich fast zu einem Torschuss. Kostedde ist erneut ohne Bewacher, legt sich mit den Füßen voran in die Luft und in die Flugbahn des Balles und platziert die Kugel ins äußerste Eck des Frankfurter Tores. Wer bei Grabowskis Toren die Zunge schnalzen ließ, kommt auch hier nicht an der Anerkennung einer herausragenden sportlichen Einzelleistung vorbei.

"Es war ein glücklicher Sieg, den wir, als schon alles verloren schien, mit Begeisterung und der besseren Kondition noch herausholten", analysiert Trainer Lorant sachlich und vergisst nicht, seinem kickenden Personal einen Vorwurf zu machen: "Meine Spieler haben zu spät erkannt, dass die Eintracht in den letzten zehn Minuten mausetot war!" Lorant hadert außerdem mit Meyer, dessen Leichtsinn das erste Tor ermöglicht habe.

Der andere Außenverteidiger Semlitsch hat bereits während der Partie sein Fett abbekommen, nachdem er Grabowski mit gestreckten Beinen von denselben holte. Lorant war nach Semlitschs üblem Foul auf den Rasen gerannt und hatte sich seinen Angestellten zur Brust genommen: "Ich habe dem Semlitsch gesagt, dass ich solche bösen Sachen nicht mag. Er wird eine Geldstrafe von 200 Mark bekommen, unwiderruflich. Ich habe nichts gegen hartes Spiel, das ist normal unter Profis. Aber gerade die Profis müssen ihren Gegner achten, denn auch sein Beruf ist Fußball. Es darf hart, aber nicht brutal gespielt werden." Damit ist der Offenbacher Trainer noch nicht durch: Dem Frankfurter Konca, den Lorant schon zu seiner Zeit Kölner Trainer vorhersagte, er werde mit seinen Fouls nicht lange in der Bundesliga spielen, gibt Lorant wieder ein paar warme Worte mit auf den Weg: "Der ging doch auf die Knochen, die Spieler sind doch Profis, die auch am nächsten Samstag wieder spielen wollen!"

Der ehemalige Kickers-Kapitän Nuber verliert über das hart geführte Spiel kein Wort, ist aber über den Schlussspurt begeistert: "Das hat mich an meine Zeit erinnert." Auch Torhüter Bockholt, der nach dem 1:2 noch todunglücklich war, strahlt nun übers ganze Gesicht und schwärmt: "Wenn das kein Derby war!"

"Wir waren nicht nur auf ein Unentschieden aus, deshalb trifft uns das dicke Ende umso härter. Wir sind mit dem Vorsatz gekommen, zu gewinnen", sagt ein geknickter Erich Ribbeck und sucht eine Erklärung für das Unfassbare: "75 Minuten lang haben wir gut gespielt, mehr vom Spiel gehabt, den Gegner beherrscht. Vielleicht hatten die Kickers deshalb in den letzten zehn Minuten die größere Kraft, weil wir vorher mehr liefen." "Wir durften nach dem 2:1 kein Risiko mehr eingehen, und wir haben es versäumt in der Phase unserer Überlegenheit einen weiteren Vorsprung herauszuholen", sieht der Trainer den Grund für die entgangenen Punkte im Verhalten seiner Mannschaft, hat für den Offenbacher Sieggaranten aber ein Lob: "Dieser Kostedde wird unterschätzt." Jetzt wohl nicht mehr.

"Für mich war Lüttich der Wendepunkt", erzählt Kostedde: "Ich spielte dort drei Jahre lang, wurde dreimal Meister. Da habe ich mir jene Erfahrung angeeignet, die man heute im Bundesligafußball braucht." "Dabei glaubte ich fast, dass Trainer Lorant mich auswechseln würde", beschreibt der dreifache Torschütze die vorhin beschriebene Szene aus seiner Sicht: "Ich hatte nach einer Stunde ein mächtiges Ding gegen das Knie bekommen. Ich habe die ganze letzte Nacht zum Sonntag vor Schmerzen kein Auge zugemacht", klagt der Stürmer und fährt dann fort, als er erinnere er sich an die mahnenden Worte seines Trainers: "Aber was soll’s? Wir haben gewonnen. Und im Nachhinein war es vielleicht doch gut, dass ich im Spiel blieb", meint er abschließend schelmisch. Für die Eintracht war es das ganz sicher nicht. Die Frankfurter rutschen vom 3. auf den 7. Tabellenplatz ab. Der wieder einmal überragende Jürgen Grabowski hat vier der letzten sechs Frankfurter Treffer erzielt und steht – wie Thomas Rohrbach und die Offenbacher Theis und Held – im "Kicker" in der "Elf des Tages".

Punkte gibt es dieser Tage in Offenbach für die Eintracht keine zu holen, mit fahrbaren Untersätzen sieht das schon anders aus. Acht neue Audis wechseln nach dem Spiel in Mühlheim, das zum Kreis Offenbach gehört, ihren Besitzer. Fünf Spieler nehmen Kabrioletts und drei je einen Familienwagen, wobei sich Bernd Hölzenbein als einziger mit zwei Türen begnügt. Dass der Autohändler Best, der Dr. Kunter, Grabowski, Hölzenbein, Heese, Nickel, Parits, Rohrbach und Trinklein mit den neuen Wagen versorgt, Vorstandsmitglied bei den Offenbacher Kickers ist, erweckt trotz des immer noch nicht vollständig abgeschlossenen Bestechungsskandals in der Bundesliga keinen Verdacht – in Offenbach verliert kein Frankfurter freiwillig.


Epilog

An diesen Samstagnachmittag ist ein siebzehnjähriger Profi-Neuling, der in der DFB-Jugendnationalelf mit Egon Bihn, Manfred Dubski, Rüdiger Abramczik, Benno Möhlmann und Uli Stielike spielt, bei seinem Freund W. Kirsch zur Hochzeitsfeier eingeladen. Immer wieder läuft der junge Mann aus dem Zimmer und schaltet nebenan das Radio an. 2:1 führt seine Eintracht kurz vor Schluss und er geht beruhigt zum Kaffeetisch zurück.

Eine Stunde später sieht er in der Sportschau das Endergebnis: Da "hat mich fast der Schlag getroffen", wird er sich später erinnern. Ganz ruhig bleibt der junge Vorstopper dagegen, als er eine Woche später zu seinem ersten Bundesligaeinsatz für die Frankfurter Eintracht kommt und dabei gleich auf Gerd Müller, den "Bomber der Nation", trifft. Der Name des jungen Vorstoppers: Karl-Heinz Körbel. (rs)


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