Werder Bremen - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1975/1976 - 2. Spieltag

1:2 (0:1)

Termin: Fr 15.08.1975, 20:00 Uhr
Zuschauer: 27.000
Schiedsrichter: Gerd Hennig (Duisburg)
Tore: 0:1 Rüdiger Wenzel (39.), 0:2 Bernd Hölzenbein (47.), 1:2 Werner Görts (48.)

 

>> Spielbericht <<

Werder Bremen Eintracht Frankfurt

  • Dieter Burdenski
  • Klaus Rütten
  • Horst-Dieter Höttges
  • Rudolf Assauer
  • Karl-Heinz Kamp
  • Sanny Aslund
  • Jürgen Röber
  • Werner Görts
  • Wolfgang Schlief
  • Franz Hiller
  • Per Röntved

 


 

Wechsel
  • Uwe Bracht für Per Röntved (46.)
  • Werner Weist für Sanny Aslund (67.)
Wechsel
Trainer
  • Herbert Burdenski
Trainer

 

Ein Wunschtraum

"Wir bestimmen nicht, wer noch Amateur ist, sondern die Finanzämter", stellt der Schatzmeister des Hessischen Fußball-Verbandes (HFV) Edgar Roth auf der Hessenligatagung in der Sportschule Grünberg fest. Während Roths Vortrag über "Steuerfragen der Vereine" wird so manchem Vereinsvorsitzenden etwas blümerant zumute. "Wenn ich dazu noch mehr erfahre, muss ich zurücktreten", meint Karl Eyerkaufer vom FC Hochstadt immerhin noch mit einem Augenzwinkern. "In den letzten Monaten sind die Finanzämter besonders aufmerksam geworden und haben bereits mehrere Vereine überprüft", berichtet Roth. Und Jürgen Gerhardt, Geschäftsführer der Frankfurter Eintracht, pflichtet ihm bei: "Ich kann nur jedem empfehlen, sich in der nächsten Zeit mit den Steuerfragen ernsthaft auseinanderzusetzen." Gerhardt weiß wovon er spricht, denn in den letzten Monaten fanden am Riederwald eingehende Prüfungen sowohl der Lizenzspieler- als auch der Amateurabteilung statt.

Rainer Franzke informiert im "kicker" die Leser über die Hintergründe: "Bis zu 300 Mark dürfen laut Gesetzgeber die Vereine ihren Spielern an Vergütungen erstatten. Bis 700 Mark monatlich dürfen sie ferner zahlen, wenn der Akteur eine Steuerkarte abgibt und Lohnsteuer zahlt. Jede Mark, die über diese Grenze hinaus dem Spieler zufließt, kann den Verein und damit auch den Verband, der für seine Mitglieder verantwortlich zeichnet, die Gemeinnützigkeit kosten. Gemeinnützigkeit wird nur denjenigen Organisationen zugesprochen, die nach den bestehenden Gesetzen kein Mitglied "unangemessen bevorzugen". Acht Mark dürfen die Vereine ihren Spielern für ein Heimspiel, 24 Mark für ein Auswärtsspiel vergüten. Über Aufwandsentschädigungen, die die Spieler für die Trainingsteilnahme erhalten, müssen genaue Listen geführt werden. (..) Sollte ein Akteur keine Lohnsteuer zahlen, kann unter gegebenen Umständen der Vorstand dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Auch neue Vorstände, die aus der Zeit ihres Vorgängers Schulden übernahmen, die nicht dem Finanzamt gemeldet worden waren, können haftbar gemacht werden." (..) Die Vereinsvertreter jedenfalls sind aufgeschreckt und bitten den HFV, eine außerordentliche Tagung für Hessenligavertreter einzuberufen, auf der die Probleme der einzelnen Vereine offen diskutiert und auch der eine oder andere gute Tipp gegeben werden soll - unter Ausschluss der Öffentlichkeit, versteht sich.

Die Amateure der Eintracht sollen keine Goldgrube für das Finanzamt werden, sondern weiterhin der Talentschuppen für die Profi-Abteilung sein. Dazu wird die Nachwuchsarbeit intensiviert, in dem mit dem 38-jährigen Hans-Dieter Roos ein hauptamtlicher Trainer angestellt wurde. "Wir wollen einen Platz unter den ersten sieben Mannschaften belegen", kündigt Roos an, dessen Kader ein Durchschnittsalter von nur noch 20,3 Jahren aufweist: "Das bedeutet eine gute Ausgangsposition, aber auch viel Arbeit. Gerade durch den jugendlichen Übereifer wird auch vieles falsch gemacht." Die Stützen der Elf sollen der aus Hanau übergesiedelte 23-jährige Libero Horch und der ein Jahr ältere Mittelfeldspieler Disser werden. Neben Disser stehen auch Torhüter Arnold und Zeh - ebenso wie schon seit der letzten Saison Jugendnationalspieler Stradt und Simons - unter der Beobachtung des Cheftrainers Weise. Als weitere Kandidaten für die Profis sind wie in der letzten Runde auch Dörr und Göttmann im Gespräch, doch sie wurden inzwischen – wie Wirtz - zur Bundeswehr eingezogen und sind dadurch etwas gehandikapt. Gespannt ist man auf Torjäger Podkalicki, der auf Empfehlung von Nationalspieler Körbel von dessen Heimatverein FC Dossenheim zur Eintracht gestoßen ist.

Von den insgesamt 20 Spielern stehen Roos zum Saisonstart aber längst nicht alle zur Verfügung: Neben den Rekruten Göttmann und Wirtz sind Trumpp aus Studiengründen und Clemens wegen einer langwierigen Knieverletzung zunächst ebenfalls nicht einsatzfähig. Roos, der zuletzt drei Jahre als Trainer bei den Amateuren des 1. FC Köln tätig gewesen ist und mit seiner neuen Mannschaft dreimal in der Woche trainiert sowie montags zusätzlich Einzeltraining anbietet, ist dennoch zuversichtlich: "Bürstadt ist die Ausnahmeerscheinung, die anderen sind ziemlich gleichwertig, da können wir auch mithalten."


Krobbach und Wenzel
beim Training

Eine Ausnahmeerscheinung soll auch die Auftaktniederlage der Profis gegen den Aufsteiger aus Karlsruhe gewesen sein. Trainer Weise sieht seine Elf, die "von Anfang oben mitmischen" soll, am Freitagabend im Bremer Weserstadion unter "Zugzwang". "Wir werden uns in Bremen zerreißen, damit uns nicht gleich alle Felle davonschwimmen", verspricht Kapitän Grabowski, während Weise seine Ansprüche etwas zurückgeschraubt und "auch mit einem Punkt zufrieden" sein will. Verzichten wird der Eintrachtcoach gegen Werder auf Klaus Beverungen: "Er ist momentan nicht in bester Verfassung." Dafür sollen Rüdiger Wenzel und Bernd Lorenz als "echte Flügelstürmer auch wirklich an der Außenlinie kleben", nachdem gegen den KSC zu viel durch die Mitte versucht wurde. "Aber", ist Weise zuversichtlich, "so dumm kann man nur einmal spielen. Ich bin sicher, dass sich die dilettantischen Fehler des letzten Samstags nicht wiederholen."

Lorenz, der vor seiner Zeit bei Rapid Wien für Werder in der Bundesliga stürmte, ist zufrieden, dass er sich in die erste Elf zurück kämpfen konnte, "denn wenn man erst zur zweiten Halbzeit ins Spiel kommt, ist es sehr schwer den Rhythmus zu finden, vor allem, wenn das Spiel nicht richtig läuft." Überrascht ist dagegen Bernd Hölzenbein, das sein lang gehegter Wunsch endlich erfüllt wird und er wieder im Mittelfeld spielen soll: "Davon weiß ich noch gar nichts. Im Mittelfeld habe ich mehr Bewegungsfreiheit, kann überraschend und effektvoll nach vorne stürmen. Die permanenten Zweikämpfe an vorderster Front, wenn einem ständig einer auf den Füßen steht oder am Hemd klebt, machen einen auf die Dauer mürbe."

Geschafft war man bis vor wenigen Wochen auch an der Weser. "Der nervenaufreibende Abstiegskampf war nichts im Vergleich zu dem, was wir in den letzten zehn Tagen durchgemacht haben", klagte Werders Vizepräsident Fischer Anfang Juli, denn der als Nachfolger für Trainer Piontek verpflichtete Herrmann Eppenhoff hatte einen Herzinfarkt erlitten. Eppenhoff ersetzen wird Herbert Burdenski, ein ehemaliger Nationalspieler, der nach dem Krieg von 1948 bis 1954 selbst bei Werder spielte, ehe er zu Schalke 04 wechselte, und Westfalia Herne, Hamborn 07, Borussia Dortmund und Rot-Weiß Essen trainierte, aber in den letzten beiden Jahren als Sportlehrer an einer Gelsenkirchener Schule tätig war. "Normalerweise wollte ich in der Bundesliga nicht mehr arbeiten", gibt Burdenski zu, "aber Werder reizt mich natürlich besonders. Nicht nur, weil ich dort selbst spielte und heute mein Sohn dort als Lizenzspieler tätig ist. Da werde ich auch sportlich richtig gefordert ..." Burdenski will aber nicht falsch verstanden werden: "Mein Sohn wird mit Sicherheit keine Vorteile gegenüber den anderen Spielern haben. Erstens sprüht er selbst vor Ehrgeiz, so dass ich ihn nicht erst wecken muss und zweitens hat ein so guter Torwart wie der Dieter auch keine Verwandtschaftshilfe nötig." Vom geplanten Engagement des Vaters bei Werder soll der Filius nach Aussage des Vaters nur zufällig bei einem Anruf zu Hause erfahren haben.

Dabei pflegen die Beiden doch ein enges Verhältnis, wie an anderer Stelle deutlich wird: "Ich habe die Elf sehr oft gesehen, kenne sie genau, weiß auch die Internas, denn ich hatte immer einen sehr guten Kontakt zu meinem Sohn. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir es zunächst einmal darauf anlegen müssen, nicht abzusteigen", gibt "Budde" das Saisonziel aus: "Im letzten Jahr ging der "Kelch" ganz knapp an Werder vorbei. Ich bin der Meinung, dass Werder sich sportlich keineswegs echt verstärkt hat. Ich habe zunächst nur einen Einjahrsvertrag mit Werder geschlossen. In diesem einen Jahr soll nicht nur der Abstieg verhindert werden, wir wollen gleichzeitig mit dem Neuaufbau beginnen." Burdenskis Ehefrau wird in Gelsenkirchen wohnen bleiben: "Ich nehme mir in Bremen ein Appartement. Ich werde wie ein wirklicher Profi leben und meinen Spielern mit gutem Beispiel vorangehen. Bei mir herrschen auf der einen Seite zwar Strenge, Ordnung und Disziplin, auf der anderen Seite werden die Mannschaft und ich aber auch mit Sicherheit gemeinsam viel Spaß haben. Werder muss wieder an bessere Zeiten anknüpfen."


Burdenski und Böhmert bei
der Vertragsunterzeichnung

"Hier bedarf es noch einer endgültigen Klärung, schließlich hatten wir ja einen rechtsgültigen Vertrag abgeschlossen", beantwortete Präsident Dr. Böhmert bei der Pressekonferenz für den neuen Trainer Burdenski die Fragen nach einer Einigung mit dem erkrankten Eppenhoff: "Juristisch kann man uns wohl nichts am Zeug flicken, zumal Hermann Eppenhoff mit einer vorsorglichen Kündigung einverstanden war. Wir glauben auch nicht, dass er uns nachträglich irgendwelche Schwierigkeiten bereiten wird. Dafür ist er ein viel zu anständiger Mensch." Doch wenig später fordert Eppenhoff eine Entschädigung, die die Bremer nicht zahlen wollen. "Uns wurde bewusst die Unwahrheit über den wahren Zustand Eppenhoffs gesagt", erhebt Geschäftsführer Hans Wolff einen schweren Vorwurf und fügt hinzu: "Wenn ich nicht selbst misstrauisch gewesen wäre, hätten wir bei Trainingsbeginn am Montag ohne Trainer dagestanden!" "Herr Eppenhoff hat einen harten Schicksalsschlag erlitten, ich finde die ganze Entwicklung bedauerlich", beteuert Dr. Böhmert, der dem Trainer angeboten hatte, erst einmal nach Bremen zu kommen, dort die Genesung abzuwarten und dann weiterzusehen: "Aber das wollte er nicht. Für mich ist das Ganze nur noch eine Sache der Anwälte."

Eine andere Sache ist dagegen die Vertragsverlängerung mit Peter Dietrich. Der Mittelfeldspieler, der mit Borussia Mönchengladbach 1970 Deutscher Meister wurde, doch bereits 1968 das erste Mal wegen seines Rückens mit einem Chirurgen Bekanntschaft machte, sollte wegen seiner verletzungsbedingten Ausfälle eigentlich gekündigt werden. Nun erhielt der einmalige Nationalspieler Dietrich, der aus Neu-Isenburg vor den Toren Frankfurts stammt und für die dortige Spvgg. 03 spielte, im beiderseitigen Einverständnis doch noch einen Vertrag für ein Jahr "auf Probe". Unter Vertrag steht bei den Norddeutschen auch der erste Afrikaner im deutschen Profifußball. Ibrahim Sunday, "Afrikas Fußballer des Jahres", steht zwar nicht auf dem Platz, weil er nach Ansicht von Burdenski der Mannschaft nicht helfen kann, dient jedoch Geschäftsführer Hans Wolf immerhin als Beweis für dessen bekannten Satz: "Ich kann jeden Spieler der Welt holen. Egal, ob Indianer, Eskimo oder Chinese."

Die Bremer gehen übrigens im Gegensatz zur Eintracht gestärkt in diese Begegnung, haben sie doch am 1. Spieltag in Bochum glatt mit 3:0 gesiegt. Gesteigertes Selbstbewusstsein ist Burdenskis Truppe jedoch nach dem Anpfiff nicht anzumerken, während die Frankfurter offensichtlich beweisen wollen, dass die Niederlage gegen den Aufsteiger aus Karlsruhe nur ein Ausrutscher gewesen ist. Mit großer Disziplin gehen Weises Männer zu Werke, ohne Abweichung wird die abgesprochene Taktik eingehalten, in der die beiden Außenstürmer nicht von den Seitenlinien weichen sollen, um das Spiel auseinanderzuziehen. Das Mittelfeld trägt schnelle und präzise Angriffe vor, ohne die Deckungsarbeit zu vernachlässigen, und die Abwehrspieler lassen ihren Gegnern gerade noch genug Luft zum Atmen.

Besonders der von Espanyol Barcelona an die Weser gewechselte vielgelobte schwedische Neuzugang Aslund muss sich offensichtlich noch an die rauere Bundesligaluft gewöhnen. Aslund, der zwischen 1971 und 1973 auch als Eishockeyspieler in der höchsten schwedischen Spielklasse antrat, wird von Karl-Heinz Körbel zum Statisten degradiert. Eintrachts Vorstopper meldet den Stürmer völlig aus dem Angriffsbetrieb der Werderaner ab.

Umso mehr im Spiel ist dafür auf der anderen Seite Torhüter Dieter Burdenski, der bei den gefährlichen Kontern der Gäste jede Menge Arbeit verrichten muss, die er aber aufmerksam und in großartiger Manier erledigt. So verhindert er in der 17. Minute gegen Hölzenbein den Rückstand und rettet auch drei Minuten später gegen Wenzel.

Roland Weidle agiert mit ungeheurem Fleiß als eine Art zweiter Libero, eine Taktik, mit der Werder einfach nicht zurechtkommt. Strikt hält sich Weidle an die Trainerorder, nicht die Mittellinie zu überqueren, und eröffnet damit seinen Abwehrspielern, allen voran Körbel, immer wieder die Möglichkeit, nach vorne zu stoßen.


Wienhold vor Görts

Die gute Gesamtleistung der Eintracht krönt ihr Kapitän Jürgen Grabowski, der selten schlechte Tage, meist sehr gute und heute einen seiner großen Tage erwischt hat. Grabowskis Gegenspieler Hiller gleicht einem Debütanten, der keine Ahnung hat, welches Spiel gespielt wird. So verzweifelt wie vergeblich bemüht sich Hiller, die Kreise des Frankfurter Mannschaftsführers zu stören. Der jedoch ist ständig in Bewegung, immer anspielbar und technisch so perfekt, dass er auch von Hillers nicht minder überforderten Kameraden nicht zu stoppen ist. Der ehemalige Nationalspieler spielt, trickst und schießt, dass es eine Freude ist, wenn man nicht gerade Anhänger der Heimmannschaft ist. Sechs Minuten vor der Halbzeit leitet er auch die überfällige Frankfurter Führung ein, als Burdenski sich zwar zwischen Grabowskis Schuss und dem Tor bringen kann, doch Wenzel zur Stelle ist, um den Abpraller zu seinem ersten Bundesligator für die Eintracht einzudrücken.

Burdenski senior bringt nach der Halbzeitpause Uwe Bracht für Per Röntved, doch nur zwei Minuten nach Wiederanpfiff ist Grabowski erneut im Spiel, sieht Hölzenbein frei und der erzielt einen geradezu traumhaften Treffer zum 2:0 für die Eintracht. Welchen Druck die Niederlage gegen den KSC aufgebaut hat, sieht man spätestens jetzt an Trainer Weises ungewohnter Reaktion: Der sonst so zurückhaltende Fußballlehrer, springt von seiner Bank auf und klatscht begeistert – und erleichtert - Beifall.

Die Steine, die dem Coach vom Herzen gefallen sind, lasten jedoch keine 60 Sekunden später wieder auf der Seele des sensiblen Sachsen. Während die Frankfurter noch jubeln, hat Werder gezeigt, was an Kämpferqualitäten in der Truppe steckt. Görts, der es bisher allein versteht, die Eintracht-Abwehr in Schwierigkeiten zu bringen, erzielt umgehend das Anschlusstor.

Weise gibt nun den Rest seiner selbstauferlegten Zurückhaltung auf. Selten zuvor ist der Eintrachtcoach so temperamentvoll, gestikulierend und schreiend am Spielfeldrand aufgetreten wie im Weserstadion. Kaum einer kann sich erinnern, dass Weise zuvor schon einmal so weithin sichtbar mit seiner Mannschaft gezittert hat. Und dass ein Linienrichter den mehr als lebhaften Trainer der Eintracht energisch auf seine Bank verweisen muss, ist ganz sicher neu.

Dabei geht Weises Konzept, mit nur zwei Sturmspitzen und überfallartigen Angriffen aus der eigenen Hälfte heraus zu operieren, weiter auf. Hölzenbein ist im Mittelfeld nicht wieder zu erkennen und deutlich stärker als zuvor im Sturm. Die Bremer Verteidiger haben außerdem einige Schwierigkeiten mit den Spitzen Wenzel und Lorenz, woran auch ein Platztausch zwischen Kampf und Werders Debütanten Rütten nichts ändert. Allein Torwart Burdenski verhindert durch einige vorzügliche Reaktionen und Paraden einen höheren Rückstand.

Im Angriff kann Weist, der ab der 67. Minute für Aslund im Spiel ist, gegen Körbel nicht einmal ansatzweise seine Ansprüche auf den Platz des Mittelstürmers durch Leistung untermauern. Ähnliches gilt für die Darbietung Brachts, der im Mittelfeld nicht besser spielt als Röntved zuvor.

Erst in der Schlussphase gelingt es Werder, die Gäste, die zuvor das Geschehen dank ihrer überlegenen Technik und Spielanlage im Stile eines Meisterschaftskandidaten sicher beherrscht hatten, doch noch in Unordnung und Bedrängnis zu bringen. Die größte Turbulenz herrscht dabei in der 77. Minute, nachdem Bracht einen Freistoß in den Frankfurter Strafraum geschlagen hat und Schlief Richtung Tor köpft. Der Ball liegt nicht im Netz, doch sofort entsteht großes Getümmel, Bremer Jubel auf der einen und Frankfurter Beschwichtigungsversuche auf der anderen Seite. Schiedsrichter Hennig bleibt unbeeindruckt und lässt weiterspielen. War es ein Handspiel von Reichel bzw. Krobbach, wie einige Bremer behaupten, oder gar ein Rettungsversuch hinter der Torlinie, wie wiederum andere gesehen haben wollen? Selbst die sonstige Kontrollinstanz Fernsehen bringt diesmal keine Aufklärung.

"Jetzt verstehe ich die Welt nicht mehr!", schimpft Frankfurts Torhüter Wienhold nach dem siegreichen Spiel: "Alle behaupten, ein Verteidiger hätte den Kopfball des Bremers Weist hinter der Linie aus dem Tor geschlagen. Selbst Schiedsrichter Hennig nach der Fernsehaufnahme. Dabei kann ich beschwören, dass ich das war. Und der Ball war nicht hinter der Linie." Lorenz beschäftigt mehr die ungewohnten Temperamentsausbrüche seines im Allgemeinen durch nichts zu erschütternden Trainers am Spielfeldrand. "Ich bin regelrecht erschrocken."

Weise erscheint frisch geduscht und strahlend in der Pressekonferenz: "Die Disziplin und die Kampfbereitschaft der ganzen Mannschaft haben diesen Erfolg in erster Linie möglich gemacht. Wenzels und Lorenz’ Disziplin am Flügel machte unseren Dribblern in der Mitte Platz. Die Leistung der Mannschaft war insgesamt hervorragend. Rüdiger Wenzel hat eine Stunde lang angedeutet, zu welch guten Leistungen er fähig ist. Ihm fehlt nur noch das Durchstehvermögen." Weise bemängelt "die Tänzelei am Ball", hält Wenzel aber zugute, dass er es in der 2. Liga zu leicht gehabt habe. "So stark hätte ich mir den Wenzel noch nicht vorgestellt", kommt Kollege Burdenski zu einem etwas anderen Urteil: "Er wird bestimmt noch viele Tore für die Eintracht schießen." "Die Eintracht brachte heute alles mit, was sich die Zuschauer wünschen. Das heutige Spiel der Frankfurter ist mein Wunschtraum", schwärmt Burdenski und kritisiert seine Spieler: "Wir haben verloren, weil meine Abwehr zu brav und unentschlossen spielte. Gegen solche Techniker muss man richtig einsteigen. Nicht unfair, aber hart!"

"Besser und routinierter als Karl-Heinz Körbel kann man mit zwanzig Jahren nicht spielen", begeistert sich Weise und gibt sogar dem Bundestrainer einen Rat: "Helmut Schön sollte sich über die Besetzung des Vorstopperpostens in der Nationalmannschaft keine Sorgen mehr machen. Körbel hat all seine Kritiker Lügen gestraft." Körbel gibt das dicke Lob weiter an Weidle: "Ohne Rolands Absicherung in der Abwehr hätte ich nicht so viel für den Angriff tun können."

"Ein Glück, ich kann’s doch noch", ist mit Hölzenbein der andere Nationalmannschaftskandidat der Eintracht erleichtert: "Diese Steigerung war sehr wichtig für mein Selbstbewusstsein." Seine Leistungssteigerung stand im Zusammenhang mit der Rückkehr ins Mittelfeld, wo Hölzenbein bewies, dass er auch Abwehraufgaben erfüllen kann: "Heute habe ich hoffentlich gezeigt, dass ich auch decken kann." Hölzenbein hofft darauf, auch in der DFB-Auswahl auf diesen Posten spielen zu dürfen: "Schön wäre es. Ich könnte mir durchaus vorstellen, eine ähnliche Rolle zu spielen wie Uli Hoeneß. Doch ich wäre schon froh, überhaupt ins Aufgebot zu kommen, selbst wenn ich dann nur auf der Reservebank sitze."

Am Boden zerstört stöhnt Grabowskis Bewacher Jürgen Hiller: "So bin ich noch nie genarrt worden." "Ich habe ihm eingehämmert, Grabowski enger zu decken", ist Burdenski mit Hiller nicht zufrieden, weist aber jede Kritik an seiner Personalentscheidung zurück: "Wen hätte ich anders gegen Grabowski stellen sollen? Höttges hätte sich mit Sicherheit noch schlechter angestellt." In dieser Form würde Grabowski außerdem jeden Mittelfeldspieler in Europa ausstechen, meint Burdenski: "Da kommen Wolfgang Overath und Günter Netzer nicht mit. Jürgen Grabowski ist ein Fußball-Genie." Selbstverständlich steht der Kapitän der Eintracht auch im "kicker" in der "Elf des Tages".

Dietrich Weise denkt derweil schon an das nächste Heimspiel gegen Aufsteiger Uerdingen: "Da müssen wir uns alle noch etwas einfallen lassen. Als Heimmannschaft wird man praktisch gezwungen, Fehler zu machen. Irgendwas stimmt da noch nicht." Soll er mit der Taktik von Bremen gegen den Aufsteiger aus Krefeld spielen lassen? Weise weiß, dass man sich mit nur zwei Angreifern schnell den Zorn des eigenen Publikums zuziehen kann.

Der Blick des Trainers ist aber auch schon einen Monat weiter gerichtet. "Die wollten mir doch tatsächlich die erste Mannschart als halbe Reserve verkaufen", berichtete Weise nach seiner Rückkehr aus Nordirland, wo er den Gegner im Europapokal der Pokalsieger, den FC Coleraine, beim 3:0-Heimsieg gegen Ballymena United beobachtet hat. "Ein Platz wie in Alsenborn", stellte Weise fest, meint damit aber nicht die 3.000 anwesenden Zuschauer, sondern Zustand und Beschaffenheit der Blechtribüne, die laut Weise das Provinzielle des Stadions "The Showgrounds" unterstreicht, dessen Trainingsplatz sich "hierzulande nicht einmal Jugendliche zu betreten bequemen würden". (rs)


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