Eintracht Frankfurt - FC Coleraine

Europapokal der Pokalsieger 1975/1976 - 1. Runde, Hinspiel

5:1 (5:0)

Termin: 16.09.1975
Zuschauer: 11.000
Schiedsrichter: György Müncz (Ungarn)
Tore: 1:0 Karl-Heinz Körbel (13.), 2:0 Klaus Beverungen (22.), 3:0 Bernd Hölzenbein (28.), 4:0 Bernd Nickel (32.), 5:0 Bernd Nickel (41.), 5:1 Terry Cochrane (80.)

 

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Eintracht Frankfurt FC Coleraine

 


  • Vincent Magee
  • Davie Gordon
  • Eugene McNutt
  • Liam Beckett
  • Davy Jackson
  • Ivan Murray
  • Terry Cochrane
  • Brian Jennings
  • Alan Simpson
  • Michael Guy
  • Des Dickson

 

Wechsel Wechsel
  • Hugh McIntyre für Davie Gordon (46.)
  • Frankie Moffatt für Michael Guy (65.)
Trainer Trainer
  • Ivan Murray

 

 

 

Ohne Herzklopfen

„Die Eintracht (..) will im Europacup eine wesentlich stärkere Rolle spielen als im vergangenen Jahr. Nach den Erfolgen auf nationaler Ebene wollen wir nun die nächste Bewährungsprobe auf internationalem Parkett bestehen“, hat Vizepräsident Berger als eines der Ziele für die neue Spielzeit ausgegeben, obwohl das Ausscheiden im Europapokal der Pokalsieger gegen den späteren Sieger des Wettbewerbs Dynamo Kiew sicher keine Schande gewesen ist. Der erste Gegner beim erneuten Anlauf kommt nun aus Nordirland, aus Coleraine, das gut 50 Meilen von der Hauptstadt Belfast entfernt liegt.

Der FC Coleraine schied im letztjährigen Landesmeisterwettbewerb in der 2. Runde gegen Feyenoord Rotterdam nach zwei Niederlagen mit insgesamt 1:11 Toren aus. „Eine irische Mannschaft ist immer mit Vorsicht zu genießen, aber die Iren sind sicher zu schlagen. Da es Profis sind, die auch im Europapokal der Landesmeister schon mitgespielt haben, verstehen sie ihr Handwerk. Dennoch meine ich, dass wir die besseren Techniker haben und vielleicht auch die größere Erfahrung, und das müsste sich auszahlen“, war Bergers Einschätzung direkt nach der Auslosung und er ergänzte: „Ich begrüße es, dass wir das erste Spiel hier im Waldstadion haben. Da sind die Iren für unser Publikum noch die großen Unbekannten und das sollte sich beim Besuch bemerkbar machen.“

Beim FC Coleraine feiert man die erfolgreichste Bilanz in der fast fünfzigjährigen Geschichte des Clubs. 1974 wurde erstmals die Meisterschaft gewonnen, ein Jahr später belegte man den zweiten Platz und holte sich den Cup. Zur Entscheidung im Finale waren allerdings drei Begegnungen notwendig, ehe Jim „Chang“ Smith im zweiten Wiederholungsspiel am 29. April 1975 in Ballymena schließlich den alles entscheidenden Treffer zum 1:0 erzielte.

Die Vereinsführung gibt sich im Vergleich mit der Eintracht zwar keinen Illusionen hin, aber einen Kampf auf Biegen und Brechen, den will man den Deutschen schon liefern. Coleraine verfügt über einen durchschlagskräftigen Sturm, der in der vergangenen Saison mit 58 Treffern in 22 Spielen die meisten Tore in der nordirischen Meisterschaft geschossen hat, wie der „kicker“ berichtet. Mittelstürmer Des Dickson gilt außerdem mit einem Durchschnitt von etwa 30 Toren pro Saison bereits seit einigen Jahren als der beständigste Goalgetter in Nordirland. Der 30-Jährige bringt internationale Erfahrung mit, 1970 und 1973 wurde er insgesamt viermal ins Nationalteam berufen. Dicksons Stärken sind seine urplötzlich aus der Drehung abgegebenen Schüssen sowie sein Kopfballspiel. „Er ist nicht groß, eher untersetzt, wirkt oft schwerfällig und langsam“, beschreibt der „kicker“ ihn fast wie einen Freizeitfußballer, warnt dann jedoch: „Aber der Schein trügt, denn Dickson hat einen ausgesprochenen Torriecher! Auf ihn als vorgeschobene Angriffsspitze wird die Eintracht-Abwehr besonders aufpassen müssen.“

„Er ist ein bulliger, kopfballstarker Torjäger, den meine Abwehr keine Sekunde aus den Augen verlieren darf“, hat Dickson auch Eintrachttrainer Weise beeindruckt, der den Gegner seiner Mannschaft vor einigen Wochen in Nordirland beobachtet hat. „Und mit Simpson hat Coleraine dazu noch einen Spielmacher, der ebenfalls gute britische Fußballklasse verkörpert“, fügt Weise hinzu, der Coleraine partout nicht auf die leichte Schulter nehmen will: „Die Franzosen haben wir im vergangenen Jahr mit fortschreitender Spielzeit aufgrund unseres Tempospiels in die Knie zwingen können. Die Nordiren aber gehen dieses Tempo über 90 Minuten mit. Sie sind eine typische britische Mannschaft: Geradlinig, kampfkräftig, kopfballstark.“

Dass seine Mannschaft am Dienstagabend mit ihren Gedanken möglicherweise schon beim nächsten Bundesligaspiel in Hannover sein könnte, schließt Weise aus: „Wir können uns gegen Coleraine keinen Schongang leisten. Hier im Waldstadion wollen und müssen wir die zweite Europacuprunde erreichen. Denn wer weiß, was uns beim Rückspiel in Nordirland alles erwartet.“ Personell sollte sich, so Weise, in der Frankfurter Mannschaft für den Europacup-Auftakt nicht viel ändern. Tatsächlich spielt Neuberger auch wieder Libero und Krobbach, dessen Stärke nach Weises Einschätzung „im direkten Zweikampf“ liegt, Vorstopper. Dennoch hat Weise die Mannschaft verändert: Weidle und Wenzel müssen auf der Bank Platz nehmen, weil der Trainer Helmut Müller nach seiner frühen Auswechslung bei seinem Comeback gegen Gladbach wieder aufbauen und Bernd Lorenz Spielpraxis geben will.

Immerhin 11.000 Zuschauern haben sich an diesem lauen Spätsommerabend im Waldstadion eingefunden, um den ersten Teil der Pflichtaufgabe gegen die Nordiren mitzuerleben. Die versuchen sich Respekt zu verschaffen, in dem sie beim Kampf um den Ball so dazwischenfegen, dass den Eintrachtspielern oft nur ein rettendes Hüpfen bleibt, um ihre Knochen und Bänder in Sicherheit zu bringen. Ihr erstes Opfer finden die rabiaten Gäste in Jürgen Grabowski, dem Jennings bereits in der ersten Spielminute einen mächtigen Tritt in die in die bereits geprellte Achillessehne verpasst, die den Einsatz des Kapitäns zuvor in Frage gestellt hatte. Grabowski humpelt, kann aber weiter spielen.

Mehr als britische Härte haben die überforderten Besucher von der grünen Insel nicht zu bieten. Von Beginn an ist es ein Spiel auf ein Tor, auf das der Nordiren. Der Club, in dessen Heiligtum bis 1952 Harry Gregg – „the man in the yellow sweater“ - stand, der später bei der WM in Schweden die deutschen Stürmer fast zur Verzweiflung getrieben hätte, vertraut 23 Jahre nach Gregg auf Vincent Magee, der der auffälligste Gästespieler ist. Das liegt an seiner unorthodoxen Art des Torwartspiels und an seinem Äußeren, dass durch einen mächtigen Bart und eine wild wuchernde Mähne geprägt ist, die von einem am Hinterkopf zusammengebundenen Stirnband nicht gebändigt werden kann.


'Abstauber' Körbel zum 1:0

Nach seinem Aussehen und den ersten Fangversuchen zu urteilen, würde man Magee eher auf einem Musikfestival a la Woodstock vermuten als in einem Europacupspiel. In der 7. Minute hat er noch Glück, als ein kraftvoller Schuss Nickels an die Latte kracht, doch gerade Nickels Weitschüsse bereiten ihm sichtlich Mühe. Magee kann die Grußbotschaften von „Dr. Hammer“ einfach nicht festhalten. So fällt auch der Frankfurter Führungstreffer in der 13. Minute, nachdem Magee einen Freistoß von Nickel von der schmächtigen Brust abprallen lässt und Körbel mit einem Ausfallschritt den Ball am Torwart vorbei über die Linie drückt.

Auch beim nächsten Treffer in der 22. Minute ist Nickel der Ausgangspunkt. Sein exakter Pass bringt Beverungen hinter die gegnerische Abwehr, wo er nur noch Magee vor sich hat. Der stürzt ihm entgegen, doch „Beve“ wartet im Lauf auf die Reaktion des Keepers. Als dieser zu Boden geht, hebt Beverungen den Ball locker über das ausgestreckte rechte Bein Magees und trifft in die linke Ecke zum 2:0.


Beverungens 2:0

Die Spieler des FC Coleraine sind den Spielzügen der Bundesligaprofis nicht gewachsen, die schnellen Kombinationen verlangen ihnen mehr ab, als sie an Gegenwehr zu leisten imstande sind. Ihrem Besten, Terry Cochrane, wird es in der 26. Minute offensichtlich zu bunt; er hat es satt, von einer Verlegenheit in die nächste gestürzt zu werden, und handelt sich eine Gelbe Karte ein. Der persönlichen Strafe durch den erfahrenen ungarischen Schiedsrichter Müncz folgt die Strafe der Eintracht, die zwei Minuten später Bernd Hölzenbein mit dem Kopf nach einer Maßflanke von Grabowskis vollstreckt. 3:0 und es ist nicht einmal eine halbe Stunde gespielt.

Doch es kommt noch ärger für die Nordiren, denn Bernd Nickel sprüht vor Spielfreude und lässt seinen beiden Torvorlagen in der 32. Minute seinen ersten Treffer folgen. Nachdem Coleraines Schlussmann Magee einige Male noch seine Fäuste rechtzeitig in den Weg der Geschosse des Frankfurter Spielmachers bringen konnte, trifft Nickel mit einem Flachschuss aus etwa 25 Metern voll ins Ziel.

Nickels Torhunger ist damit nicht gestillt. Vier Minuten vor dem Halbzeitpfiff knallt er einen Freistoß aus mehr als 20 Metern Entfernung ins lange Eck. Unterstützt wird Nickels zweites Tor durch Spielertrainer Ivan Murray, dem Nachfolger des nach dem Meistertitel zurück getretenen Coachs Bertie Peacock. Nickels Schuss ist so scharf getreten, dass Murray den bereits zur Abwehr gehobenen Fuß wieder wegzieht und damit seinen Torwart restlos irritiert - 5:0. Wiederum eine Minute später verfehlt Nickel nur um Zentimeter den Hattrick, als ein spektakulärer Volleyschuss aus 22 Metern wie ein Strich knapp am Torpfosten vorbeisaust.

Die Nordiren haben in den ersten 45 Minuten nur eine einzige Chance durch ihren Torjäger Dickson, die dieser eine Minute vor dem Halbzeitpfiff vergibt. Günter Wienhold im Kasten der Eintracht ist sonst beschäftigungslos, was seine Arbeit als Torwart betrifft. Dafür kann er in einer Szene wenigstens einmal als Libero mitspielen.

„Die Mannschaft spielt flach und schnell, so wie ich es angeordnet habe“, ist Trainer Weise zur Halbzeit zufrieden und schickt Wenzel für Hölzenbein ins Spiel. Davie Gordon muss auf der anderen Seite für Hugh McIntyre weichen. Nur sieben Minuten später verlässt auch Jürgen Grabowski nach einem weiteren Tritt in die Kniekehle das Feld. Winfried Stradt kommt für den Kapitän ins Spiel und zu seinem Europapokaldebüt. Anscheinend will Weise seine beiden Weltmeister nun doch für die Bundesligabegegnung in Hannover schonen.


Magee und Grabowski

Und um ein Haar besorgt Stradt sofort das 6:0; er trifft aber nach einem herrlichen Pass von Nickel nur den Pfosten des gegnerischen Gehäuses. Es ist aber nicht zu übersehen, dass Nickel die Partner abhanden gekommen sind, die auf seine Pässe und Ideen eingehen. „Als freilich Hölzenbein zur Pause in der Kabine blieb und auch der angeschlagene Grabowski sich in der 52. Minute auswechseln ließ, stand selbst Bernd Nickel dann da wie ein Magier, dem man den Hut genommen hatte, aus dem er die Kaninchen hervorzaubert“, notiert Wolfgang Tobien für den „kicker“. Zudem legen sich Körbel und Beverungen immer größere Zurückhaltung auf, weil die beiden nun offensichtlich auch die kommende Partie in Niedersachsen im Hinterkopf haben.

Im gleichen Maß wie die Zielstrebigkeit nachlässt, wird die Unordnung in den Reihen der Eintracht größer. Ohne Hölzenbein und Grabowski ist dem Spiel der Eintracht der Schwung und die Schönheit genommen. Es gibt zwar weiter zahlreiche Torchancen, aber der unübersehbare Eifer der Auswechselspieler Wenzel und Stradt geht mit ebensoviel Umständlichkeit wie Glücklosigkeit einher und mit der Schwäche des Eintrachtsturms wächst die Sicherheit Magees, der nun mit einigen Paraden einen höheren Rückstand verhindert und sich den sportlichen Respekt des Publikums doch noch sichert.

Den tapferen Iren, bei denen Frankie Moffatt in der 65. Minute für Michael Guy ins Spiel gekommen ist, gelingt zehn Minuten vor dem Ende bei ihren nun häufigeren Gegenstößen sogar der Ehrentreffer durch Cochrane. Das Ergebnis hätte gut und gerne zweistellig ausfallen können, aber es wird doch nichts mit einem neuen Frankfurter Rekordsieg auf internationalem Parkett. Nicht nur in dieser Beziehung bleibt seit 1960 der unvergessene 6:1-Sieg gegen die Glasgow Rangers unerreicht. Trainer Weise ist dennoch rundum zufrieden: „Wir können nun ohne Herzklopfen nach Coleraine fahren. Das war unser Ziel, und das haben wir erreicht. Jürgen Grabowski hat einen Tritt in die Kniekehle bekommen, Hölzenbein laboriert an Leistenbeschwerden. Deswegen wurden beide ausgewechselt. Wir rechnen damit, dass beide in Hannover spielen können. Wenzel hat sich übrigens bei einem Zusammenstoß im Strafraum eine Jochbeinverletzung zugezogen.“

Ivan Murray, Coleraines Spielertrainer, ist beeindruckt: „Wir haben hier gelernt, dass man mit einem Fußball auch um die Ecke schießen kann. Nickel ist ein Kunstschütze und ein Rätsel.“ „Ich habe zusammen mit dem Münchner Spieler Kapellmann den kleinsten Fuß unter den Bundesliga-Stürmern: Schuhgröße 40“, gibt Nickel einen Hinweis auf des Rätsels Lösung, während seine Ehefrau Evelyn erleichtert ist: „Gott sei Dank, er trifft wieder, jetzt geht es ihm wieder besser. In den letzten Wochen war es mit dem Bernd kaum noch aufzuhalten. Zu sehr hat er sich mit Selbstvorwürfen gequält.“ Auf ein gestärktes Selbstbewusstsein Nickels hofft auch Kapitän Grabowski: „Das wäre gut für uns. Bernd muss wieder unbekümmert abziehen. Seine Weitschusstreffer haben unter Sturmspiel erst abgerundet und den Eintracht-Rekord von 89 Toren in der letzten Saison möglich gemacht.“ (rs)


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