Atletico Madrid - Eintracht Frankfurt

Europapokal der Pokalsieger 1975/1976 - Achtelfinale, Hinspiel

1:2 (0:2)

Termin: 22.10.1975
Zuschauer: 30.000
Schiedsrichter: Burns (England)
Tore: 0:1 Bernd Hölzenbein (6.), 0:2 Bernd Hölzenbein (14.), 1:2 Capon (50.)

 

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Atletico Madrid Eintracht Frankfurt

  • Miguel Reina
  • José Luis Capón
  • Diaz
  • Marcelino
  • Heredia
  • Eusebio
  • Bermejo
  • Ayala
  • Garate
  • Leal
  • Salcedo

 


 

Wechsel
  • Becerra für Garate (46.)
  • Baena für Leal (46.)
Wechsel
Trainer
  • Luis Aragonés
Trainer

 

 

Besser als Bayern

Nach dem lockeren Sieg bei den Amateuren vom Offenburger FV wartet auf die Eintracht ein Team der europäischen Spitzenklasse: Atlético Madrid. Den deutschen Fußballfans sind die Spanier noch bestens vom Vorjahresfinale im Europapokal der Landesmeister in Erinnerung, als der deutsche Titelträger Bayern München durch ein Tor von Aragonés in der 116. Minute der Verlängerung schon bezwungen schien. Doch „Katsche“ Schwarzenbeck führte mit einem Weitschuss kurz vor Spielende das Remis und das Wiederholungsspiel herbei, in dem der Deutsche Meister die demoralisierten Madrilenen zwei Tage später mit 4:0 auseinandernahm.

Dennoch ist Atlético der amtierende Weltpokalsieger. Anstelle der verzichtenden Bayern traten sie gegen den Vertreter Südamerikas, Independiente Avellaneda, an und gewannen den Vergleich. In diesem Jahr wird es wegen Terminschwierigkeiten beim europäischen und dem südamerikanischen Champion zu einem solchen nicht kommen, so dass sich die Spanier eine weitere Saison mit dem sportlich umstrittenen, aber prestigeträchtigen Titel werden schmücken können.

Der spanische Torschütze aus dem ersten Endspiel gegen die Bayern, Luis Aragonés, der nur Luis genannt wird, spielte zwischen 1964 und 1974 für Atlético und ist mittlerweile Trainer der Madrilenen. Der Argentinier Juan Carlos Lorenzo, der Nachfolger Max Merkels, der Atlético vor zwei Jahren zur spanischen Meisterschaft führte, wurde bereits während der letzten Saison entlassen: Die Spielzeit endete mit einem enttäuschenden 6. Platz und im Finale um den spanischen Pokal, der Copa del Rey, gab es gegen den Lokalrivalen Real Madrid eine Niederlage. Da Real aber bereits im Landesmeisterwettbewerb antritt, startet Atlético im Pokal der Pokalsieger.

Auch in dieser Meisterschaftsrunde läuft bei Atlético längst nicht alles nach Wunsch: Aragonés’ Truppe kam schlecht aus den Startlöchern und stand nach drei Spieltagen mit nur einem Punkt auf den vorletzten Tabellenplatz. Durch das 3:0 gegen den Tabellenzweiten Barcelona am letzten Wochenende konnte man nun aber nach sechs Spieltagen den dritten Sieg infolge (9:1 Tore) einfahren und sich vom 15. auf den 12. Platz verbessern. Der unerwartet klare Erfolg gegen die Katalanen ist gleichzeitig eine besondere Genugtuung für Torhüter Miguel Reina, der im Sommer 1973 nach sieben Jahren beim FC Barcelona zu Atlético wechselte.

Am Sonntag vor dem Europacup-Spiel verblüffte der vor seiner Mannschaft angereiste Eintrachttrainer Weise seine Gastgeber in Madrid, als er mit Geschäftsführer Gerhardt im Vicente-Calderon-Stadion von Atlético auftauchte: „Hier wollen wir, bevor es ernst wird, nur Spazierengehen.“ Weise und Gerhardt beobachteten danach Atléticos Triumph gegen den von Hennes Weisweiler trainierten FC Barcelona. „Ihr werdet Atlético schlagen“, behauptet Weisweiler: „Eine Leistung wie gegen Barcelona kann Atlético wohl kaum schon drei Tage später wieder zeigen. Dafür ist diese Mannschaft in Spanien als zu unbeständig in Verruf.“ Weise, der Atlético Madrid bereits in der letzten Runde im Spiel bei Basel vor Ort unter die Lupe genommen hat, ist sich aber bewusst, was da auf ihn und seine Elf, die nun auch nicht gerade als ein Muster der Beständigkeit bekannt ist, zukommen wird. „Das ist eine schwer auszuspielende Mannschaft“, sagte er bereits nach der Auslosung nicht ohne Zuversicht: „Aber andererseits hat Basel ja auch in Madrid 1:1 gespielt.“ Und er sieht einen kleinen Vorteil darin, im ersten Spiel – wie von der UEFA entgegen der Auslosung bestimmt - auswärts anzutreten: „Der Gegner ist dann im Rückspiel, wenn es um alles geht, doch leichter auszurechnen.“

Zwei, die im Augenblick bei Atlético Schlagzeilen machen und die der Mannschaft unheimlichen Auftrieb gegeben haben, kann Weise aus seinen Berechnungen streichen: Die beiden im September aus Palmeira geholten Brasilianer, der elegante Abwehrorganisator Luis Pereira und der kopfballstarke Torjäger Leivinha, sind für den Europapokal¬ noch nicht spielberechtigt, da Atlético sie erst nach dem 15. August verpflichtet hat. Auf Javier Irureta können die Madrilenen ohnehin nicht mehr zurückgreifen; er lässt nach acht erfolgreichen Jahren bei Atlético seine Laufbahn bei Athletic Bilbao im heimischen Baskenland ausklingen.

Doch der Sturm Atléticos ist auch ohne Leivinha eine Gefahr für jede gegnerische Abwehr. Gárate, der in Argentinien als Sohn baskischer Eltern zur Welt kam, ist seit Jahren ein Torjäger von Format. Er sicherte sich von 1969 bis 1971 dreimal hintereinander die Pichichi-Trophäe des Schützenkönigs, die er sich jedoch `69 mit Amancio Amaro (14 Tore), `70 mit Amaro und Luis Aragonés (16 Tore) sowie 1971 mit Carles Rexach (17 Tore) teilen musste. Nachdem er in den beiden folgenden Jahren seltener zum Einsatz kam und ihm pro Saison nur jeweils fünf Ligatreffer gelangen, waren es in der vorletzten Saison 11 und in der letzten Spielzeit wieder 17 Tore. Gárate hat allerdings in den letzten beiden Wochen nicht trainieren können.

 


Ruben Ayala

An seiner Seite stürmt seit 1973 Ruben Hugo Ayala, einst erfolgreicher argentinischer Nationalspieler und WM-Teilnehmer, der im Sommer vom spanischen Recht Gebrauch machte, das Lateinamerikanern zugesteht, sich nach zwei Jahren einbürgern zu lassen und die spanische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Der langmähnige Stürmer, der schon in Argentinien „der König“ genannt wurde, fühlt sich in Madrid sehr wohl: „Hier verdiene ich zehnmal mehr Geld als zu Hause“, sagte er, als er vor seinen Vertrag unterschrieb. Im „Kicker“ wird der Stürmer so vorgestellt: „Ayala ist wieselflink und ein Artist am Ball. Der Ex-Argentinier repräsentiert zusammen mit dem nicht minder gefährlichen Gárate die Sturmspitze von Atlético. Und Sturm heißt bei Atlético heute wie schon vor fünf Jahren: Konterattacke. Dazu scheint Ayala wie geboren. Das Madrider Publikum gerät in Ekstase, wenn Ayala „Parade“ läuft. Wie ein Blitz rast er oft genug über das halbe Spielfeld, schlägt Haken vor dem, der ihn stoppen will. Doch sein Stil ist und bleibt typisch südamerikanisch: wenn er auf diese Art den Ball nach vorn getrieben hat, fehlt ihm oft genug die Kraft für das Letzte und Wichtigste: den Ball ins Tor zu setzen. Mit einem gepeinigten Aufschrei verfolgt das Publikum dann, wie Ayala wie eine Madonna allein vor dem Tor in die Knie sinkt, ein lautes „madre mia“ ausstößt und sich zehn Minuten lang für den nächsten Vorstoß ausruhen muss ...“

Stoppen soll Ayala Peter Reichel. „Der Peter ist dafür gerade der Richtige“, bestimmt Weise in Madrid, während der Außenverteidiger am Dienstagmittag vor dem Abflug der Eintrachtelf auf dem Rhein-Main-Flughafen von der Nachricht überrascht wird: „Ich weiß noch gar nicht, dass ich Ayala stoppen soll. Unser Trainer ist uns ja vorausgereist. Ich weiß nur von unserem Trainer, dass Ayala der beste Spieler Atléticos ist. Auf jeden Fall werde ich ihn messerscharf decken.“ Den spanischen Rundfunkmeldungen, nach denen Ayala verletzt ist und nicht spielen könne, nimmt Weise nicht ernst: „Daran glaube ich aber nicht.“ Seine Elf müsse aber auch auf Ayalas Mitspieler achten: „Wir müssen alles tun, damit die Spanier erst gar nicht in Spiellaune kommen. Wenn sie einmal entfesselt sind, kann man sie nicht mehr halten.“ „Madrid wird der Prüfstein für die Eintracht sein“, stellt Kapitän Grabowski vor dem Abflug klar: „Hier zeigt sich, ob wir internationale Klasse sind oder nicht. Wir haben Respekt, aber keine Angst.“

Die Eintracht kann bis auf den Rekonvaleszenten Kraus und Trinklein aus dem Vollen schöpfen. Trinklein teilt im laufenden Europacupwettbewerb das sportliche Schicksal der Madrilenen Carlos Pereira und Leivinha, weil auch er am 15. August noch nicht für seine Mannschaft spielberechtigt war. Zu diesem Zeitpunkt war Trinklein bekanntlich noch arbeitslos, erst vor 14 Tagen erhielt der langjährige Libero einen neuen Vertrag bei der Eintracht. Willi Neuberger, der am Samstag in Offenburg im Mittelfeld und in der Bundesliga zuletzt als Außenverteidiger gespielt hat, wird sich also erneut in einer anderen Rolle zurechtfinden müssen: Der Allround-Spieler soll als Libero die Eintracht-Abwehr organisieren.

Geschützt und begleitet von einer Polizeieskorte wird die Eintracht ins Stadion gebracht, wo Weise feststellt, mit seiner Vermutung richtig gelegen zu haben. „Ayala ist verletzt. Ayala bekommt Spritzen gegen seine Schmerzen. Ayala kann nicht spielen.“ So war es vor dem Spiel im Radio zu hören und in den Zeitungen zu lesen, doch Ayala ist dabei und wird von den 30.000 Zuschauern im längst nicht ausverkauften Stadion beim Betreten des Platzes fast frenetisch gefeiert. Noch einmal nimmt Weise Reichel beiseite: „Peter, egal was passiert. Sie bleiben Ayala auf den Fersen.“

Und während die vom Sieg gegen Barcelona immer noch euphorisierten Fans auf einen ähnlichen Blitzstart wie wenige Tage zuvor gegen die Katalanen warten, nimmt genau jener Peter Reichel nach einem Fehlpass des Gegners all seinen Mut zusammen und stürmt in der mit gewaltigem Antritt von der Mittellinie über das halbe Feld und flankt in den Strafraum der Gastgeber. Dort tritt Heredia über den Ball und der am Torpfosten stehende Hölzenbein hat leichtes Spiel und schiebt dem verdutzten Keeper Miguel Reina den Ball zwischen den Beinen hindurch ins Tor. Das erste Tor nach nur sechs Minuten. Es ist die von den Spaniern erwartete schnelle Führung, doch es sind völlig überraschend für Fans und Fachpublikum die Gäste aus Frankfurt, die in Front liegen.

Die Eintracht glänzt mit brillanten und direkten Ball-Stafetten, die die Madrilenen lediglich als hinterhechelnde Zuschauer begleiten. Und Jürgen Grabowski ist der Spielmacher, den man sich beim Nachbarn Real seit zwei Jahren von Günter Netzer erhofft. Wenn die Verantwortlichen Reals diese Partie heute Abend verfolgen, könnten sie durchaus auf den Gedanken kommen, den falschen blonden Deutschen in die spanische Hauptstadt gelockt zu haben.

Kaum weniger beeindruckend, ja geradezu zum Niederknien ist das zweite Tor der Eintracht in der 14. Minute. Roland Weidle ist auf dem Flügel unterwegs und sendet eine wunderschöne Flanke auf den Elfmeterpunkt, die Hölzenbein als eine Art menschliches Torpedo entgegennimmt und genau in den rechten Winkel von Miguel Reinas Heiligtum köpft. Die beiden Weltmeister im Team der Eintracht werden ihrem Titel gerecht. Das ist hohe Fußballkunst, die in Madrid von jeher gern gesehen wird und in den Augen des einheimischen Publikums nur einen einzigen Schönheitsfehler besitzt: Es sind die Gäste, die (ver-)zaubern und nicht die eigene Mannschaft.

Gut möglich, dass Luis Aragonés nun leise Verwünschungen in Richtung seines „Spions“ ausspricht, der die Eintracht vor dieser Begegnung beobachtet hat und den Trainer vor Mittelstürmer Wenzel gewarnt hat. Während sich dieser einer doppelten Bewachung gegenüber sieht, hatte man den zuletzt nicht besonders torgefährlichen Hölzenbein nicht auf der Rechnung. Doch der Nationalspieler zeigt heute auf der von ihm wenig geschätzten Position des Rechtsaußen eine formidable Vorstellung.


Körbel und Neuberger gegen Garate

So sieht der Coach Atléticos seine Abwehr in großen Nöten und seinen Angriff ausgeschaltet. Ob sich Ayala mit Reichel oder Gárate mit Körbel duelliert – der Sieger trägt immer das Gästetrikot. Was Atlético gegen den wesentlich stärker eingeschätzten Gegner aus Barcelona mit spielender Leichtigkeit gelang, scheint heute nicht einmal im Ansatz möglich. Den ruhmreichen FC Barcelona haben sie in Grund und Boden gespielt, doch gegen den westdeutschen Pokalsieger finden sie einfach kein Mittel.

Erst in der 29. Minute wird Wienhold ernsthaft gefordert, als Leal es aus der Distanz versucht, weil der Weg in den Frankfurter Strafraum wieder und wieder versperrt ist. Der Weitschuss ist nicht ungefährlich, doch er findet den Schlussmann der Eintracht auf dem Posten. von Leals erstmals ernsthaft geprüft. Das war es aber auch schon wieder vonseiten der Gastgeber. Stattdessen hat Beverungen auf der Gegenseite fünf Minuten später nach einem weiteren Musterpass die große Chance, das 0:3 zu erzielen. Der schussgewaltige Spieler steht unbehelligt vor dem Tor, nimmt den Ball direkt an – und jagt ihn volley über das Gehäuse.

Luis Aragonés hat genug und ebensoviel gesehen. Leal und Gárate bleiben nach der Halbzeitpause in der Kabine, Baena und Becerra kommen für die beiden in die Mannschaft. Auch die bissige Entschlossenheit, mit der Atlético nun zu Werke geht ist neu. Und sie wird schon nach fünf Minuten belohnt. Verteidiger Capon gelingt aus einer konfusen Situation heraus in der 50. Minute mit dem Kopf der stürmisch umjubelte Anschlusstreffer. Die Proteste der Frankfurter, die nicht allein den Ball vor der Flanke Baenas deutlich im Toraus gesehen haben, ändern nichts an der Entscheidung des Referees.

Die Platzherren wittern ihre Chancen und finden auch hier die Unterstützung des englischen Schiedsrichters, der den Gastgebern viele harte Attacken ungestraft durchgehen lässt. Doch selbst Mr. Burns gelingt es nicht, jedes Foul in der Kategorie „englische Härte“ abzulegen. Zum Beispiel, als Wenzel zu enteilen droht und von Eusebio umgemäht wird, obwohl der Frankfurter nicht im Ballbesitz ist. Eusebio erhält ebenso wie zuvor schon Marcelino die Gelbe Karte, die auch Ayala sieht, weil er ohne erkennbaren Grund nach Körbel schlägt. Nachdem sich auch Helmut Müller ebenfalls mit Schmerzen am Boden wälzt, gibt Grabowski seine Zurückhaltung auf und als Kapitän mit einem nicht eben zimperlichen Foul ein Signal, das seine Mitspieler, aber auch der Schiedsrichter verstehen: „Gelb“ für Grabowski.

Neuberger nutzt das überharte Spiel der Gastgeber zu einer Szene, die zum einen komödiantischen Charakter hat und zum anderen der Eintracht zu einem kleinen Vorteil gereicht: Als Diaz dem Frankfurter den Schuh vom Fuß tritt, hält Neuberger Schiedsrichter Burns mit einer zugleich auffordernd und klagend wirkenden Geste seinen weißen Socken hin. Und Burns bückt sich und reicht Neuberger den Kickstiefel, als sei er nicht Unparteiischer, sondern Neubergers Kammerdiener. „Das erste Mal, dass ich mit Hilfe eines Schiedsrichters Zeit geschunden habe“, schmunzelt der Eintracht-Libero.

Der Druck Atléticos nimmt zu und die Eintracht zeigt ihr anderes Gesicht, das aber ebenso zu begeistern weiß. Wo sich der Eintrachtliebhaber im ersten Durchgang an seiner im Spielrausch befindlichen Elf begeistern konnte, sieht er jetzt eine Mannschaft, in der einer für den anderen läuft und kämpft und sich von keinem noch so grenzwertigen Foul beeindrucken lässt. Neuberger glänzt als umsichtiger Libero, der das Spiel seiner Elf zu beruhigen versteht wie Grabowski, Hölzenbein und Hölzenbein, denen es Dank ihrer überragenden Technik immer wieder gelingt, den Ball zu halten und so dem Sturmlauf der Madrilenen etwas den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Atlético kommt dennoch zu guten Chancen durch die eingewechselten Baena und Becerra. In Wienhold hat die Eintracht allerdings einen Torhüter, der auch in dieser aufgeheizten und hektischen Atmosphäre keine Anzeichen von Nervenschwäche erkennen lässt: Baena und Becerra finden in Wienhold ihren Meister. Und langsam löst sich Weises Elf aus der Umklammerung, obwohl Atlético im Bemühen um den Ausgleich nicht nachlässt. Es ist nun aber die Eintracht, die durch Hölzenbein und Weidle sogar die Möglichkeit hat, auf 1:3 zu erhöhen. Am Ende fällt hüben wie drüben kein Treffer mehr und die Eintracht siegt sensationell in Madrid.

„Weltmeister sind eben Weltmeister“, sagt Atléticos Leivinha mit Blick auf die überragenden Grabowski und Hölzenbein knapp. Doch auch die spanische Presse ist sich in ihrem Tenor einig: ,,Sie erteilten Atlético eine Lektion“, schreibt „Nuevo Diario“ und „Arriba“ urteilt: „Eintracht machte, was sie wollte“. Das größte Lob für Eintracht Frankfurt kommt aber direkt vom gegnerischen Trainer Luis Aragonés: „Diese Eintracht war besser als Bayern München vor einem Jahr im Europacup-Finale!“

„Atlético spielte nach dem 3:0 am Sonntag über den CF Barcelona viel zu überheblich. Unsere Konter brachten die Spanier gleich zu Beginn aus dem Konzept. Nach langer Zeit bin ich mit der Eintracht endlich wieder einmal zufrieden. Meine taktische Marschroute wurde strikt befolgt“, freut sich Trainer Weise über den unerwarteten Erfolg beim Favoriten. „Natürlich ist nicht auszuschließen, dass auch uns wieder gleiches wie Atlético passieren kann“, räumt Weise in Anspielung auf Atléticos vorangegangen Sieg gegen Barcelona mit Blick auf das nächste Bundesligaspiel ein: „Doch die Art, wie die Mannschaft die Ärmel hochkrempelte, als nach der Zeit ihrer großen spielerischen Überlegenheit plötzlich Atlético am Drücker war, stimmt mich optimistisch.“

„Unser bestes Spiel seit Monaten“, jubelt gar Eintracht Vize-Präsident Ernst Berger, während Bernd Hölzenbein, dessen Ehefrau Jutta auf der Tribüne bei jedem Treffer ihres Gatten in Höhe gesprungen war, schon wieder in die Zukunft blickt: „Solche Chancen wie heute in Madrid wünsche ich mir in jedem Bundesligaspiel. Die Vorarbeit von Reichel und Weidle war derart glänzend, dass ich zweimal nur noch den Torhüter vor mir hatte. Ich bin sicher, dass wir die dritte Europacuprunde erreichen und im Europapokal noch für Furore sorgen.“

„Wir kamen eine Stunde vor Spielbeginn ins Stadion. Da staunte ich, wie sich Ayala warmlief. Ich studierte ihn genau. Das hat mir schon mein Jugendtrainer beigebracht. Nach wenigen Minuten wusste ich: Auf längere Strecken läuft er dir nicht davon“, berichtet Reichel, der nach seiner Vorbereitung des Führungstreffers von den Spaniern nicht mehr zu halten war: „Von da an hatte ich Oberwasser. Ayala fing an zu meckern, verlor die Konzentration und guckte mich nur noch böse an.“

Nicht die Konzentration, aber seine Beherrschung verlor wahrscheinlich zum ersten Mal in seiner Trainerlaufbahn Dietrich Weise, den es nach der Pause, als die Madrilenen seine Spieler immer wieder rüde von den Beinen holten, nicht mehr auf der Bank hielt. Er sprang auf, um dem schwachen und viel zu nachsichtigen Schiedsrichter Burns, der spanische Brutalität mit englischer Härte verwechselte, die Meinung zu geigen. Weise musste von den Ordnern zurückgehalten werden. „Um das zu erleben, mussten wir erst nach Madrid fahren. Sogar unser Präsidium hat Weise schon oft kritisiert, weil er wie aus Stein gemeißelt auf der Bank saß“, ist Geschäftsführer Jürgen Gerhardt erstaunt. Beim Schweizer Spielbeobachter Marcelinho dürfte sich Weise für seinen Temperamentsausbruch allerdings eine Strafe von 500 Schweizer Franken eingehandelt haben. „Das habe ich nun davon“, sagt Weise, aber seine Schützlinge sind ihm dankbar. „Wir fanden den Dietrich Weise von Madrid prima“, lässt Kapitän Grabowski keine negative Kritik an Weises Ausbruch zu: „Notfalls legen wir zusammen, um seine Strafe zu bezahlen.“

„Gestraft“ ist auch Neuberger mit seiner Vielseitigkeit. „Das ist das Los des Allroundspielers“, sagt Neuberger, der vor einem Jahr als Linksaußen geholt in Madrid als Libero groß aufspielte, doch am Wochenende gegen den MSV im Mittelfeld spielen soll: „Wenn wir in der Bundesliga endlich wieder auf der Erfolgsstrecke sind, dann wird es für mich wohl auch eine Rückkehr auf die linke Abwehrseite geben. Ich decke nun einmal lieber und versuche daraus, eigene Angriffsinitiativen zu entwickeln als wie beispielsweise als Mittelfeldspieler gedeckt zu werden.“ (rs)


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