Eintracht Frankfurt - MSV Duisburg

Bundesliga 1975/1976 - 11. Spieltag

1:1 (1:0)

Termin: Sa 25.10.1975, 15:30 Uhr
Zuschauer: 12.000
Schiedsrichter: Klaus Ohmsen (Hamburg)
Tore: 1:0 Bernd Nickel (12.), 1:1 Herbert Büssers (59.)

 

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Eintracht Frankfurt MSV Duisburg

 


  • Gerhard Heinze
  • Kees Bregman
  • Detlef Pirsig
  • Werner Schneider
  • Bernard Dietz
  • Rudolf Seliger
  • Michael Bella
  • Ronald Worm
  • Herbert Büssers
  • Kurt Jara
  • Theo Bücker

 

Wechsel Wechsel
  • Lothar Schneider für Herbert Büssers (69.)
Trainer Trainer
  • Willibert Kremer

 

 

Totale Ernüchterung

Wieder mal „vom Tisch“ ist der auf dem DFB-Bundestag vom Schiedsrichterausschuss eingereichte und vom Spielausschuss unterstützte Antrag, zukünftig alle Spieler automatisch für ein Spiel zu sperren, die innerhalb einer Saison zum dritten Male verwarnt wurden. Dieser Antrag wurde übrigens schon vor einem Jahr gestellt, doch damals bereits im Beirat „abgewürgt“. Bestätigt wurde dagegen der in dieser Saison bereits praktizierte Beiratsbeschluss, die Zweitligavereine des abgelaufenen Spieljahres in die 1. Pokalrunde der folgenden Saison aufzunehmen, sowie der letzte der insgesamt 28 eingereichten Anträge, der sich mit der Trikotwerbung befasst. In die bisher gültige Fassung wird ein neuer Punkt 6 eingefügt: „Bei Endspielen und Endturnieren des DFB darf keine Werbung auf der Spielkleidung getragen werden.“


Dr. Gösmann und Neuberger

Der auf dem DFB-Bundestag als Nachfolger des nach 13 Jahren aus dem Amt scheidenden Präsidenten Dr. Hermann Gösmann gewählte Hermann Neuberger, bisher Vizepräsident der FIFA und Präsident des Saarländischen Landessportbundes, sieht seinen Verband aktuell begründeter Kritik ausgesetzt. Bayern München hat nämlich vor vier Monaten mit der Verpflichtung von Edmund Kaczor, dem Bruder des Bochumer Torjägers Josef, gegen das Lizenzspielerstatut verstoßen: Mit dem staatenlosen Kaczor hatte der Verein nunmehr drei anstelle der maximal erlaubten zwei ausländischen Spieler aus einem Land, das nicht der EG angehört, unter Vertrag genommen. „Außer der selbstverständlichen Konsequenz aber, dass die Bayern den Vertrag mit Kaczor annullieren mussten, geschieht ihnen nichts“, kommentiert Heinz Wiskow im „kicker“ die „Konsequenz“ des DFB: „Der Verein versicherte, nicht gewusst zu haben, dass Kaczor staatenlos ist, die DFB-Zentrale erklärte sich auch noch für mitschuldig und damit hat sich’s. Eine Lehre aber – Donnerwetter! - will der DFB doch aus der Affäre ziehen: Alle Vereine sollen darauf hingewiesen werden, dass sie sich nach der Staatsangehörigkeit erkundigen müssen, bevor sie einen Spieler unter Vertrag nehmen. Als ob die Klubs dazu bisher nicht auch schon verpflichtet waren ...“

Noch mehr im Gespräch als sein Verein wegen Kaczor, der von den Münchnern übrigens nicht in der Liga und nur einmal im Europapokal eingesetzt wurde, ist Franz Beckerbauer, der seinem erst vor wenigen Jahren erschienenem Buch „Halbzeit – eine sportliche Zwischenbilanz“ ein weiteres folgen lässt: „Einer wie ich“. „Beckenbauer packt aus“ verspricht die „Hör zu“ und das Buch selbst behauptet: „Der erste Hintergrundbericht über das härteste Showgeschäft der Welt.“ Karl-Heinz Heimann, der im „kicker“ in seiner gleichnamigen Kolumne den „Scheinwerfer dreht“ fasst seine Eindrücke so zusammen: „Es ist noch nicht sehr viel mehr als ein Jahr her, da sagte mir Beckenbauer in einem Gespräch, in dem es um das doch arg zwiespältige Echo des großen Erfolges bei der Fußball-WM und die diversen „Enthüllungs-Stories“ ging: „Wenn ich die Serie und mein Buch heute noch einmal schreiben würde, dann packte ich es ganz anders an, alles war damals viel zu sehr unter Zeitdruck und den unmittelbaren Eindrücken geschrieben.“ Das, was jetzt in dem Vorabdruck zu lesen war und die Gemüter so sehr in Wallung brachte, lässt den Abstand zum damaligen Geschehen auch heute vermissen. Wenn man das ganze Buch gelesen hat, dann verliert sich viel von den ersten, viele schockierenden Eindrücken, denn da sind auch eine ganze Menge vernünftiger Gedanken zu finden, Überlegungen, die der Diskussion wert sind, auch wenn man anderer Meinung ist. Wie dem auch sei, wer noch mitten in seiner sportlichen Laufbahn in einem Mannschaftsspiel steckt, in dem auch der „Star“ immer von anderen abhängig ist, schadet sich selbst, wenn er sich über Leute auslässt, mit denen er in einer Mannschaft auch weiterhin zusammenspielen muss. Mag manches gar nicht in abwertender Absicht geschrieben sein, auf die Wirkung kommt es an. Und die läuft mitunter ganz konträr dem Grundgesetz aller Mannschaftssportarten: Ohne Harmonie läuft nichts! Die Beckenbauer dazu geraten haben, um des geschäftlichen Buch-Erfolges willen Breitseiten gegen Mitspieler abzuschießen, haben ihm keinen Gefallen getan. Übrigens auch der Verlag nicht, denn das Buch scheint ziemlich schlampig lektoriert zu sein. Oder war’s wieder der Zeitdruck?“

Druck ganz anderer Art hat die Frankfurter Eintracht, die in ihrer Sportzeitung zum Heimspiel gegen den MSV Duisburg in großen Lettern fragt: „Neuer Anfang?“ Tatsächlich könnte der fast schon sensationell zu nennende Erfolg beim favorisierten Team von Atletico Madrid im Europapokal der Pokalsieger für den Schub sorgen, der die Eintracht nach fünf sieglosen Partien in der Bundesliga aus dem Niemandsland der Tabelle zurück in die Spitze zu führen vermag, in der sich die Eintracht nach Jahren im ungeliebten Mittelmaß in den beiden letzten Spielzeiten getummelt hat. „Die Beulen von Madrid tun kaum noch weh“, meint jedenfalls Kapitän Grabowski am Spieltag und fügt hinzu: „Natürlich hat der 2:1-Sieg bei Atletico Kraft gekostet, natürlich haben wir Blessuren, aber der Sieg hilft doch über das meiste hinweg. Heute sind wir bestimmt wieder voll da. Denn jetzt haben wir Selbstvertrauen.“

Und die Qual der Wahl für Eintracht-Trainer Weise, der vor der Frage steht, ob er die siegreiche Mannschaft ändern soll. Trinklein, der in der laufenden Saison aus der Arbeitslosigkeit in den Kader zurückgeholt wurde, um der Abwehr die vermisste Stabilität zu verleihen, drängt zurück in die Elf, nachdem er im Europapokal nicht spielberechtigt war. Doch für Trinklein müsste Neuberger, der gegen die Spanier einen überragenden Libero gab, ins Mittelfeld rücken, wobei Neuberger nach eigenen Worten „nun einmal lieber“ deckt, „als wie zum Beispiel als Mittelfeldspieler gedeckt zu werden“. Und wen dann für Trinklein aus der Mannschaft nehmen? Müller, der von den Spaniern hoch gelobt wurde, oder Weidle, der in Madrid wieder einmal zu den Emsigsten zählte?

Doch auch der Gegner, der der Eintracht vor vier Monaten im DFB-Pokalfinale einen harten Kampf geliefert hat, hofft nach dem 4:0 in der 2. Runde des DFB-Pokals gegen Karlsruhe und dem 3:2-Sieg im Hinspiel der Runde 2 des UEFA-Cups gegen Levski Sofia auf den ersten auswärtigen Punkt dieser Bundesligahinrunde. 1:5, 0:3, 0:3, 2:3 und 2:5 lautet die Reihe der in der Fremde seit Saisonbeginn erzielten Ergebnisse. Zudem wartet der MSV nach dem 3:2 gegen Hannover 96 am 5. Spieltag auf den dritten doppelten Punktgewinn, lediglich die Offenbacher Kickers konnten noch geschlagen werden – das allerdings überaus deutlich mit 6:2. Die Offenbacher haben aber auch die nach Gegentoren schlechteste Abwehr, wobei die der Duisburger mit 28 Treffern nur ein Tor weniger gefangen hat. Es ist also keine Überraschung, dass MSV-Trainer Willibert Kremer Ende September nach dem 2:5 in Essen und dem Absturz auf den letzten Tabellenplatz zur Disposition stand. Bei einer Niederlage gegen den VfL Bochum eine Woche später wäre er wohl entlassen worden, doch Nationalspieler Dietz erzielte vier Minuten vor dem Ende das 1:1 für die Duisburger. Der Einsatz der Mannschaft ließ ohnehin keinen Zweifel daran, dass sie gewillt ist, weiter mit dem Trainer zu arbeiten, der sie Mitte August bei der 1:5-Niederlage in Schalke in der Halbzeit angeschrien hatte: „Wir spielen wie eine Thekenmannschaft. Das ist ja unmöglich. Keine Bewegung im Spiel, kein Kampf, kein Ehrgeiz, Stellungsfehler am Band …“

Aber nun scheint der MSV die Wende eingeläutet zu haben, auch wenn die Elf noch Tabellenvorletzter ist. Mit einem Sieg in Frankfurt könnten die „Kellerkinder“ sogar nach Punkten mit der Eintracht gleichziehen, die auf Platz 13 rangiert, ihrerseits jedoch ebenfalls nur zwei Zähler von den Rängen 5 und 6 entfernt ist, die von Hertha BSC und dem bislang überraschend starken Aufsteiger KSC belegt sind. Und so ist der Duisburger Dietz seit dem klaren Erfolg gegen den KSC überzeugt: „Das ist das Ende der Krise! Wir haben zuletzt doch alle gegen unsere Nerven anzukämpfen gehabt. Selbst gegen Karlsruhe hatten wir anfangs noch nicht die klare Linie gefunden, die uns später auszeichnete.“ Für Trainer Kremer, dem das Vertrauensvotum des Präsidiums einen Tag nach seinem 37. Geburtstag vor dem KSC-Spiel den Rücken stärkte („Das brachte Ruhe in unsere Reihen.“), liegt der Grund für die Wende auf der Hand: „Erstmals seit Saisonbeginn konnten wir zwei Wochen lang ungestört trainieren und damit den Vorsprung aufholen, den unsere Konkurrenten uns voraus hatten. Jetzt ist jeder in bester körperlicher Verfassung. Selbst in den letzten Minuten haben wir unsere Zweikämpfe und Sprintduelle noch gewonnen.“ Außerdem erinnert der Fußballlehrer an seine unmissverständliche Drohung, nach Ausheilung aller Verletzungen genügend Spielraum zu besitzen, um bei fehlender taktischer oder kämpferischer Einstellung eines einzelnen sofort von der Auswechselmöglichkeit Gebrauch zu machen: „Der Konkurrenzkampf hebt naturgemäß das Geschäft.“

Den hat auch Kurt Jara neu zu entfachen geholfen. Kein Wunder also, dass es um den österreichischen Nationalspieler, der für 100.000 DM für ein Jahr vom FC Valencia ausgeliehen wurde, im Vorfeld des Länderspiels vor zwei Wochen eine Kontroverse mit dem ÖFB gab. Branko Elsner, Trainer von Wacker Innsbruck und seit acht Wochen auch interimsweise Trainer der ÖFB-Auswahl für die beiden Europameisterschafts-Ausscheidungsspiele gegen Luxemburg und am 19. November in Wrexham gegen Wales, einigte sich dann aber doch noch mit dem MSV-Trainer und stellte in Aussicht: „Wenn mir Herr Kremer alle Unterlagen über die Schwächen von Kurt Jara zur Verfügung stellen würde, wäre ich gerne bereit, mich danach bei der Mannschaftsvorbereitung zu richten. Jara ist für mein Konzept durch niemand zu ersetzen, in keiner österreichischen Mannschaft gibt es zurzeit einen gleich starken Spieler wie ihn. Anerkennung dem MSV Duisburg für seine Bereitwilligkeit, den für uns so wichtigen Spieler doch noch freigegeben zu haben.“

Allzu gerne freigeben würde der MSV den ehemaligen Offenbacher Walter Krause, obwohl der gegen Sofia in der Nachspielzeit das Siegtor erzielte. Krause kommt jedoch auch im zweiten Jahr beim MSV wie zuvor beim HSV nicht über die Rolle des Einwechselspielers hinaus. „Wir kaufen Struth sofort, wenn wir Krause an Leverkusen verkaufen können und dann nicht zuviel drauflegen müssen“, erklärt Vizepräsident Heinz Neuhaus die Personalpolitik des Vereins. Immerhin hat die mögliche Verpflichtung des KSC-Liberos Karl-Heinz Struth bei Abwehrorganisator Detlef Pirsig bereits zu einer Formsteigerung geführt.

Opfer des neu entfachten Ringens um die Stammplätze könnte überraschend Klaus Thies werden. Nach dem Pokalfinale gegen die Frankfurter sah das noch ganz anders und die Zukunft für Thies rosig aus. „Den Jungen muss ich in nächster Zeit des Öfteren beobachten“, erklärte Bundestrainer Schön: „Er hat alles, was ein guter Außenstürmer mitbringen muss. Er bekommt sicher bald eine Chance in der B-Elf.“ „Oh ja, das wäre schon eine tolle Sache, wenn ich einmal eine Chance bekommen würde“, meinte der. „Aber ich weiß auch, dass ich erst am Anfang stehe. Ich muss noch vieles dazulernen.“ „Da zweifle ich keinen Moment dran“, bestätigte Willibert Kremer: „Der Klaus kommt noch ganz groß heraus. Das stand für mich schon seit einem Jahr fest.“ Da holte Kremer den völlig unbekannten jungen Mann im Sommer 1974 für etwas mehr als 20.000 DM vom Verbandsligaklub Bonner SC. „Ich wollte eigentlich Brücken holen, der jetzt zum 1. FC Köln wechselt, aber als ich in demselben Spiel Klaus Thies sah, habe ich sofort umgeschaltet. Nachdem ich ihn mir einige Male angesehen hatte, stand für mich fest: den musst du haben.“ Doch Thies wollte nicht so recht. „Ich hatte einen guten Beruf in Bonn, außerdem war mir der Beruf des Fußballers etwas zu risikoreich. Aber dann habe ich schließlich doch unterschrieben. Ich bin im Nachhinein froh, dass ich es getan habe.“

Auf 600.000 DM wurde der Marktwert von Thies nach dem Finale taxiert, doch das ließ Kremer kalt: „Für diesen Preis würde ich ihn noch nicht hergeben. Er ist einer meiner besten Spieler. Für mich ist er heute schon unser bester Außen in Deutschland. Ich habe das nur noch nie gesagt, weil ich die Sache nicht künstlich anheizen wollte. Aber nachdem diese Partie in voller Länge im Fernsehen übertragen wurde, lässt sich das nicht mehr verheimlichen.“ „Er hat im Training noch ganz andere Sachen drauf. Seine Aufwärtsentwicklung wird sich auch in der nächsten Bundesligasaison fortsetzen, denn die Einstellung von Klaus Thies ist beispielhaft“, schwärmte Kremer von der Berufsauffassung seines Spielers. „Ich bin, nachdem ich meinen Beruf aufgegeben habe, ein Fußballprofi. Ich lebe vom Fußball, also muss ich alles tun, um in diesem Metier groß herauszukommen. Schließlich möchte ich meinen Marktwert und meinen Kurs steigern“ erläuterte Thies und fügte hinzu: „Nach Ablauf der nächsten Saison sind außerdem neue Vertragsverhandlungen fällig.“ Doch beim MSV fühlte er sich wohl: „Ich verdanke vor allem meinem Trainer sehr viel. Er hat immer an mich geglaubt und das hat mir Selbstvertrauen gegeben.“ Mittlerweile scheint Kremer an andere zu glauben.

Aber auch Dietrich Weise hat die in Madrid siegreiche Mannschaft geändert. Trinklein spielt tatsächlich Libero und feiert damit sein Comeback vor heimischer Kulisse. Neuberger rückt wie erwartet ins Mittelfeld, und anstelle von Helmut Müller gibt Beverungen nominell den linken Außenverteidiger. Da der MSV aber nur mit zwei Sturmspitzen agiert, rückt er ins Mittelfeld auf: Seliger wird von Reichel und Mittelstürmer Worm von Körbel bewacht. Gästetrainer Kremer atmet auf: „Ich hatte Angst, dass zwei Außenverteidiger sich um unsere beiden Spitzen Worm und Seliger kümmern würden, Körbel gegen Büssers spielen und ständig gefährlich nach vorne stoßen würde.“

Die Gastgeber beginnen abwartend und konzentriert. Dann aber erfreuen sie die angesichts des Erfolges in Madrid enttäuschende Kulisse von nur 12.000 Zuschauer, die gleichbedeutend ist mit dem in dieser Runde schwächsten Besucherzuspruch, mit direktem Passspiel und raumgreifenden Kombinationen, die fast immer über Hölzenbein laufen. Fast zwangläufig erspielt sich die Eintracht so ihre ersten Tormöglichkeiten. Bernd Nickel, heute als Linksaußen aufgeboten, gibt in der 11. Minute eine Kostprobe seiner Spezialität, die dem MSV zum Warnschuss wird: „Dr. Hammers“ Geschoss zischt knapp am Pfosten vorbei. Eine Minute später macht Nickel dann Ernst. Aus gut 25 Metern stellt er sein Visier noch etwas präziser ein als zuvor und überrascht die Duisburger Hintermannschaft inklusive Torwart Heinze nach einer kurzen Körpertäuschung mit einem Aufsetzer, während alle auf einen Pass auf die rechte Seite zum frei stehenden Bernd Hölzenbein warten. Heinze wirft sich vergebens, die Eintracht führt mit 1:0.

Weises Elf schaltet wieder einen Gang zurück, was die Gäste verstärkt in die Partie kommen lässt. Ein halbes Dutzend Mal kreuzen sie durchaus gefährlich vor Wienholds Kasten auf. Die beste Gelegenheit zum Ausgleich vergibt Bücker, der in der 23. Minute eine Flanke von Jara per Kopf aus kürzester Entfernung aufs Eintrachttor bringt. Günter Wienhold ist jedoch auf dem Posten und wehrt den Ball gekonnt ab. Kurz zuvor musste der Keeper bereits Kopf und Kragen riskieren, als er sich Bücker vor die einschussbereiten Füße warf, um Schlimmeres zu verhindern.

Weise wird sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, dass er Neuberger im Mittelfeld verschenkt. Der Mannschaft gehen die auf- und mitreißenden Flankenläufe ab, mit der Neuberger als linker Verteidiger die Abwehrreihe des Gegners in Konfusion zu setzen vermag. So erklingt stattdessen das sattsam bekannte Lied über die Schwächen der Riederwälder, in dem über die mangelnde Bewegung im Angriff, das verzögerte Überbrücken des Mittelfeldes und die Unsicherheiten in der Defensive geklagt wird. Wie so oft versucht es die Eintracht durch die Mitte, wird dort aber nur dann zwingend, wenn Trinklein, der eine fehlerlose Liberopartie liefert, aufrückt und die Stürmer in Schussposition bringt. Im Angriff aber agiert Wenzel glücklos, weil sein Spiel nicht nur kraftvoll, sondern leider ebenso umständlich ist. Und auch Jürgen Grabowskis Aktionen missraten ungewohnt oft. Außerdem reibt sich der Kapitän zu sehr in den Duellen mit seinem alten Widersacher Michael Bella auf, der eine starke Leistung zeigt.


Heinze, Reichel
und Beverungen

Erst gegen Ende der ersten Halbzeit kommt wieder mehr Schwung ins Spiel der Gastgeber. Beverungen verpasst in der 37. Minute nach glänzender Vorarbeit Trinkleins eine große Chance und eine Minute später stellt Nickel Heinze mit einem Gewaltschuss erneut auf die Probe. Doch wieder ist der Schlussmann zur Stelle und liefert seinem Trainer einen weiteren Arbeitsnachweis, der belegt, dass Kremer richtig gelegen hat, als er dem Neuzugang vom VfB Stuttgart nach dem 2:5 in Essen gegenüber Stammtorwart Dietmar Linders dem Vorzug gab. Der fast genau acht Jahre ältere Linders kommt zwar noch im UEFA-Pokal zum Einsatz, weil Heinze dort wie Trinklein bei der Eintracht nicht spielberechtigt ist, aber der Wachwechsel im MSV-Tor ist vollzogen. Heinze, der in einem Monat seinen 27. Geburtstag feiert, löst nicht zum ersten Mal einen erfahren Mann zwischen den Pfosten ab. Beim VfB, dem er acht Spielzeiten lang angehörte, gelang ihm das schon 1968, als er den Ex-Nationaltorhüter Günter Sawitzki verdrängte.

Aus der Halbzeitpause kehrt die Eintracht mit größerer Entschlossenheit und mehr Elan zurück. Nun wird das Tempo angezogen, wobei es hilfreich ist, dass Grabowski nun schnörkelloser spielt. Die Dribblings und die Abspiele des Mannschaftsführers gelingen jetzt viel besser und verhelfen seinen Mitspielern zu Chancen, die aber vorerst nicht genutzt werden können. Schüsse vom heute eher durchschnittlichen Weidle und auch von Nickel verfehlen Heinzes Gehäuse und gehen knapp über die Latte ins Aus. In der 58. Minute zielt Nickel besser, die Eintrachtfans haben den Torschrei bereits auf den Lippen, doch das vorfreudige „Oh“ wird zu einem enttäuschten „Och“. Heinze fischt das Leder mit den Fingerspitzen aus dem oberen Torwinkel.

Es kommt aber noch ärger, denn eine Minute später steht es 1:1, weil sich die Eintracht-Abwehr übertölpeln lässt. Worm, zunächst von Wienhold statt vom abwesenden Körbel verfolgt, zieht im Strafraum nach rechts und flankt auf die andere Seite, während der Eintracht-Torwart in seinen Kasten zurückkehrt. Reichel tut es Körbel gleich und so kann Seliger zur Mitte in den Fünfmeterraum zurück köpfen, wo Büssers trotz zweier Gegenspieler die durch Wienholds Ausflug entstandene Verwirrung nutzt und mit einem wuchtigen Kopfstoß den Ausgleich erzielt. Im dritten Heimspiel hintereinander verspielt die Eintracht also eine 1:0-Führung.

Was nutzt es, dass die Gastgeber weitaus häufiger in Ballbesitz sind? Letztendlich fehlt Weises Elf heute neben der Laufbereitschaft die geistige Frische, der Esprit, der notwendig ist, um ein derart massives Bollwerk aus den Angeln zu heben. Zudem kann Grabowski Bella ebenso wenig abschütteln wie Hölzenbein Dietz oder Wenzel Werner Schneider. In der 69. und 70. Minute tauschen MSV-Trainer Kremer und Dietrich Weise nacheinander aus. Lothar Schneider kommt bei Duisburg für den Torschützen Büssers, bei der Eintracht muss der enttäuschende Wenzel für Bernd Lorenz Platz machen, der mal wieder eine Chance erhält.

Lorenz’ Einwechslung ist ein deutliches Signal: Die Eintracht will mit Macht und vor allem Kraft das dritte 1:1 infolge vor heimischem Publikum vermeiden und wirft in der Schlussphase weitere Kräfte in die vorderen Linien. Neuberger schaltet sich jetzt fast ohne Unterbrechung in den Angriff ein, dem er mit seinen Aktionen neuen Schwung verleiht. Insgesamt aber bleiben die Spielzüge zu umständlich und zu durchsichtig, um gegen einen taktisch disziplinierten, punktgenau deckenden und mit verstärkter Defensive spielenden MSV zum Erfolg kommen zu können. In der 73. Minute verpasst dann auch noch Lorenz die dickste Eintrachtchance in dieser Drangperiode, als er vor dem leeren Duisburger Tor nicht an einen Hölzenbein-Schuss heran kommt. Noch einmal wechselt Weise aus: Müller darf in der 74. Minute für Weidle ran. Doch so sehr sich die Eintracht auch bemüht, so turbulent es zum Schluss im Duisburger Strafraum zugeht, es fehlt die Spritzigkeit, um die gestaffelte Duisburger vor dem katzengleich parierenden Heinze ein zweites Mal zu überwinden. Es bleibt beim Unentschieden.

„Noch nie sind wir ein Bundesligaspiel so langsam angegangen wie diesmal“, beschreibt Weise den Substanzverlust seiner Schützlinge. „Meine Mannschaft hat das Spiel sicher nicht zu leicht genommen, aber sie hatte nicht die Frische, die wir normal haben“, sucht Weise nach Gründen: „Wir müssen uns damit abfinden, nach so schweren Spielen wie im Europapokal, dass man auch drei Tage später ein Bundesligaspiel frisch bestreiten muss. Das ist halt so. Wir konnten es nicht, und deshalb haben wir den einen Punkt verloren.“ „Hoffentlich hat wirklich nur die Frische gefehlt, denn wenn es die alten Fehler waren, die uns heute wieder um den Sieg gebracht haben, dann hieße es wirklich, wieder dort anzufangen, wo wir vor zwei, drei Wochen aufgehört haben“, fürchtet Jürgen Grabowski, der den letzten Teil dieser „Woche der Wahrheit“ als „einen Rückschlag“ wertet und die „totale Ernüchterung“ ausmacht: „Wir sind Profis. Da müssen wir zwei Spiele in drei Tagen ohne weiteres verkraften.“ Er selbst schien aber auch nicht der Frischeste zu sein … „Das darf austrainierten Profis wie uns nichts ausmachen“, stimmt jedoch Hölzenbein seinem Kapitän zu, schränkt aber hinzufügend ein: „Dennoch - ein Tag mehr zur Erholung tut auf jeden Fall gut.“

Die Eintracht bleibt 13., während sich der MSV um einen Rang auf Platz 16 verbessert, obwohl die Meidericher wie die Frankfurter im sechsten Spiel hintereinander sieglos geblieben sind. Immerhin haben die „Zebras“ auswärts ihren ersten Punkt geholt - „aber nur, weil wir hinten kein zu Null mehr halten können und dann vorne mit der Brechstange arbeiten müssen“, kritisiert Grabowski. Kremer sieht den Punktgewinn nicht in der Schwäche des Gegners, sondern der eigenen Leistung begründet: „Bella war die Basis hierfür. Er hing wie eine Klette an Grabowski. Und Heinze war ein hervorragender Torwart. Die Eintracht tut sich nun einmal schwer, wenn sie ein Spiel mit kämpferischen Mitteln rumreissen muss.“ Der schwerfällig wirkende Beverungen verstand es zudem nicht, Büssers in die Duisburger Hälfte „zurückzuwerfen“, hebt Kremer einen weiteren wichtigen Grund für den Teilerfolg hervor: „Büssers war stets vor dem Eintrachttor, wenn Gefahr drohte. Es kam nicht von ungefähr, dass gerade er den Ausgleich erzielte. Er hat seine taktische Aufgabe hervorragend gelöst.“

„Das 1:1 ist sicher gerecht“, urteilt Weise in seiner bekannt sportlich-sachlichen Art: „Der MSV Duisburg war der erwartet schwere Gegner. Zwar sind wir in der letzten Viertelstunde noch einmal mit dem Mut der Verzweiflung angerannt, aber da stand die Abwehr des Gegners allzu gut.“ „Drei Tage nach dem großen Erfolg gab es wieder eine große Enttäuschung“, bilanziert er und fügt in einem seltenen Anflug von Sarkasmus hinzu: „Wie erwartet kamen nur 12.000 Zuschauer. Wären mehr gekommen, wären auch mehr enttäuscht gewesen.“


Nebengeräusche aus den Amateurklassen

Der Herbst hat es in sich, wenn man sich die Fußballlandschaft in deutschen Landen anschaut. Selbst im eher beschaulichen Hessen mangelt es nicht an Themen, die - allerdings nur lokal - für Gesprächsstoff sorgen. So ist beim Hessenligisten Spvgg. Neu-Isenburg, wie der „kicker“ schreibt, der „geplante Durchmarsch in die 2. Liga, der bei der Spvgg. Bad Homburg und dem SV Wiesbaden erst mit dem finanziellen Debakel der Vorsitzenden Willy Ulrich und Günter Goers aufgegeben werden musste“, gestoppt. Geldgeber Rolf(-Jürgen) Otto, der wie Harald Stenger im „kicker“ berichtet „beruflich in der Bau- und Gastronomiebranche tätig und ansonsten noch in der Kommunalpolitik aktiv“ ist, trat in diesem Monat als Vorsitzender der Spvgg. zurück. „Ich bin menschlich enttäuscht und werde mich nie mehr in einem Verein engagieren. Da gebe ich mein Geld lieber der Altenhilfe“, beklagt Otto den „Erpressungsversuch eines Spielers“, der allerdings von der „Gegenseite als Forderung nach rückständigen Geldern“ dargestellt wird.

Was aber auch immer der Grund für Ottos Demission ist: Es erscheint ausgeschlossen, dass sich die Neu-Isenburger ohne Otto eine Mannschaft leisten können, in der neben Spielertrainer Wolfgang Solz mit Siegbert Feghelm und Friedel Lutz weitere ehemalige Profis der Frankfurter Eintracht, Ex-Nationalspieler Herbert Laumen und hessenligaerprobte Akteure wie Diehl, Zorn und Torjäger Otto Jordan stehen oder standen. Im Sommer wurden gar - am Ende allerdings ergebnislose - Verhandlungen mit Gert Trinklein und Erwin Kostedde geführt. Der von Otto avisierte sportliche Erfolg („Wir wollen Meister werden, nur dann können unsere Bemühungen rentabel sein.“) ist angesichts eines Mittelfeldplatzes ohnehin in die Ferne gerückt und führte erst vor kurzem zum Streit und nach der Niederlage gegen den bis dahin punktlosen Tabellenletzten VfB Gießen auch zur vorübergehenden Beurlaubung von Spielertrainer Solz, der Ottos Ansinnen öffentlich zurückgewiesen hatte: „Wir sind mit einem Mittelplatz zufrieden. Sicherlich möchte ich auch gern Meister werden und wir können vielleicht auch an der Spitze mitmischen, aber der Titelgewinn ist nicht drin.“ Nun aber hofft der mit dem Ex-Vorsitzenden wieder versöhnte Solz, dessen Beurlaubung Otto später als krankheitsbedingte Abwesenheit zu verkaufen suchte: „Es wäre für den Verein am besten, wenn Otto wieder zurückkäme.“

Diskussionen gibt es auch in der Nachbarschaft der Isenburger. Denn dort, wo die Spvgg. derzeit ist, will Kickers Offenbach mit der zweiten Mannschaft hin: „Wir haben in der Hessenliga aufgehört, dort möchten wir auch wieder hinein“, kündigt Willi Konrad, der schwergewichtige Kickers-Geschäftsführer, an. Hintergrund ist der vom DFB-Beirat nun offiziell gefasste Beschluss, dass Lizenzspielervereine ab der Saison 1976/77 eine Amateurmannschaft in der Punktrunde des jeweiligen Landesverbandes mitspielen lassen müssen. Doch die Kickers hatten mit Einführung der 2. Ligen von der bisherigen Bestimmung Gebrauch gemacht, dass für die Lizenzvergabe zehn Jugend- oder/und Amateurmannschaften genügen, und ihre zweite Mannschaft aufgelöst. Eine neue zweite Mannschaft zusammenzustellen ist für die Offenbacher kein Problem, doch in welcher Klasse soll diese Elf antreten? Wer diese Frage nach der Satzung des Hessischen Fußballverbandes beantwortet, kommt zu einer einfachen Lösung: In der B-Klasse. Doch damit sind die Kickers nicht einverstanden. „Wir sind ja nicht scharf darauf, eine Amateurmannschaft zu stellen“, betont Konrad, „aber wenn wir müssen … Man soll sich daran erinnern, dass wir durch unseren damaligen Verzicht, der ja keineswegs spontan war, in der Terminliste der Hessenliga viel retteten. Denn Bürstadt, Hessen Kassel und der FSV Frankfurt stiegen aus der aufgelösten Regionalliga Süd ab und der Hessenmeister Aschaffenburg durfte nicht aufsteigen. Nur dadurch, dass wir als fünfter Hessenligist aufhörten, konnte die Abstiegsquote im ersten Jahr nach der Neubildung der 2. Liga Süd in der Hessenliga dann gemildert werden. Durch uns!“

Theo Lauber, vom SSV Dillenburg, lässt das Lamento Konrads kalt: „Die Kickers haben keinen Anspruch darauf, dass sie wieder in die Hessenliga eingegliedert werden. Da könnte ja jeder einmal aussetzen, wie es ihm beliebt.“ „Die Kickers in die Hessenliga - das wäre ungerecht“, findet auch Viktoria Aschaffenburgs Spielausschussvorsitzender Seppl Schellenberger, der allerdings einräumt: „Ich gebe zu, dass es sehr hart wäre, würde man sie in der untersten Klasse neu anfangen lassen. So um die Bezirksklasse herum sollte man sie einordnen.“ „Sportlich wären die Kickers-Amateure eine Bereicherung für die Hessenliga“, meint dagegen Günter Dutine, Trainer des FCA Darmstadt, „aber ich bin zu wenig satzungskundig, um sagen zu können, wohin man die Kickers-Amateure eingliedern soll. Nur sagte ich zu meinem Offenbacher Kollegen Hermann Nuber damals schon, dass es dumm war, diese Mannschaft aufzulösen.“ Der Dumme wird aber nun Frankfurts Bezirksfußballwart Hans Baumgärtner, wie er selbst fürchtet: „Das wird hart mit den Kickers-Amateuren. Wahrscheinlich bekomme ich den Fall auf den Tisch gelegt.“

Epilog

Rolf-Jürgen Otto, der sich nach seinem Abgang bei der Spvgg. Neu-Isenburg nie mehr bei einem Verein engagieren wollte, wird im Januar 1993 zum Präsidenten des Erstligisten Dynamo Dresden gewählt. An Ottos Seite taucht auch Willi Konrad, der ehemalige Geschäftsführer von Kickers Offenbach auf, der sich als Spielervermittler einen Namen gemacht hat, um den ihn kaum einer beneidet. Konrad wird zum Technischen Direktor befördert. In seiner Zeit in Dresden macht Konrad vor allen Dingen durch seinen verbalen Ausfall gegenüber einem Fernsehjournalisten auf sich aufmerksam, den er vor laufender Kamera zweimal „Dreckschwein“ nennt und droht: „Ich hau Ihnen in die Fresse, mehr sind sie nicht wert.“ Der Journalist hat ihn zuvor nach einer angeblichen Überweisung in die Schweiz gefragt.

Als Dynamo 1995 als Tabellenletzter aus der Bundesliga absteigt, findet sich der Verein in der 3. Liga wieder, weil ihm wegen Schulden in zweistelliger Millionenhöhe bereits zuvor die Lizenz für die 1. und 2. Liga verweigert wurde. Rolf-Jürgen Otto wird am Morgen des 2. August 1995 verhaftet. Dem Bauunternehmer, der für die FDP sogar in den Dresdner Stadtrat eingezogen war, wird vorgeworfen, drei Millionen DM veruntreut zu haben. Er wird zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, die 1997 endet. Otto und Konrad spielen nach ihrer Zeit in Dresden im deutschen Profifußball keine Rolle mehr. Willi Konrad stirbt im Januar 2005 im Alter von 64 Jahren an Herzversagen. (rs)

 

 


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