Eintracht Frankfurt - Hamburger SV

Bundesliga 1973/1974 - 6. Spieltag

1:0 (0:0)

Termin: Sa 08.09.1973, 15:30 Uhr
Zuschauer: 23.000
Schiedsrichter: Horst Bonacker (Quadrath-Ichendorf)
Tore: 1:0 Bernd Nickel (78.)

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Eintracht Frankfurt Hamburger SV

 


  • Rudolf Kargus
  • Manfred Kaltz
  • Peter Nogly
  • Klaus Winkler
  • Peter Hidien
  • Caspar Memering
  • Hans-Jürgen Ripp
  • Georg Volkert
  • Ole Björnmose
  • Horst Heese
  • Franz-Josef Hönig

 

Wechsel Wechsel
Trainer Trainer
  • Kuno Klötzer

 

 

Nickels goldener Schuss

Im vorigen Jahr kam Eintracht noch mit einer Baustelle und 30 000 Plätzen aus. Jetzt musste die Stadt Luft schaffen für den erwarteten Massenzustrom zum nächsten Helmspiel der Frankfurter am 23. September gegen Gladbach. Magistrats-Direktor Gustav Hofmann, Leiter des Sport- und Badeamtes: „Wir werden die Zahl der verfügbaren Plätze im neuen Waldstadion von 35.000 auf 54.000 erweitern.“ „Noch ein gutes Spiel, dann hält der Besucherzustrom an“, hofft Schatzmeister Jakobi.

Eintracht-Trainer Dietrich Weise lässt indes nicht locker und hat beim Bundestrainer schon um ein Gespräch gebeten: „Zumindest Bernd Hölzenbein und unser „Funkturm“ Kliemann hätten einmal die Chance verdient. Der Bundestrainer sucht doch noch nach dem richtigen Vorstopper. Ich glaube, Uwe Kliemann dürfte nicht übergangen werden. Vor allem auswärts hat er stets großartige Partien geliefert. Leider hat ihn Herr Schön da noch nicht gesehen.“

Ein Wiedersehen feiert im Spiel der Eintracht gegen den Hamburger SV Mittelstürmer Horst Heese. Vor einem knappen Jahr ging Heese nach Hamburg und half mit, den HSV vor dem Abstieg zu retten. „Ich habe auch hier Freunde, den Montagsclub mit den Spielern und einen guten Nebenbei-Job: ich kaufe Grundstücke auf für eine große Firma. Ich könnte mir hier eine Existenz für die Zelt nach dem Fußball aufbauen, doch meine Wunsch-Stadt bleibt Frankfurt. Wenn ich meine aktive Laufbahn beendet habe, dann möchte ich am liebsten in Frankfurt leben und arbeiten.“ Mit Bernd Nickel verbrachte er den Urlaub in Griechenland und von Friedel Lutz wurde er eingeladen, mit Frau Anne nach dem Spiel über Sonntag zu bleiben. Kein Wunder, Heese war bei der Eintracht außerhalb des Platzes als geselliger Typ bekannt und beliebt, gründete den „Porsche-Club“ und war „Präsident“ des Kegelclubs „Hau rin“, der die Spieler im Jahr 1971, als die Frankfurter gegen den Abstieg kämpften, zusammenschweißte. Auch die Eintrachtfans haben den unermüdlichen Kämpfer Heese in guter Erinnerung. „Hoffentlich enttäusche ich die nicht, zurzeit läuft’s bei mir nicht so. Die Verletzung im Knie? Von der rede ich nicht. Entweder man spielt nicht oder man spielt und dann kann man sich nicht wegen einer Verletzung entschuldigen. Nein, ich bin nicht so recht in Form“, sagt er ehrlich und gibt seinen Tipp fürs Spiel ab: „Die Eintracht wird gewinnen. Hoffentlich nicht zu hoch. 2:0 reicht doch.“ Und fügt lachend hinzu: „Kann uns die Eintracht nicht von ihren zwei Klassetorleuten, den Kunter und den Wienhold, einen ausleihen?“

Der Eintracht scheint in dieser Saison alles zu gelingen. Auswärts ist der ehemalige Punktelieferant aus Hessen in drei Partien ungeschlagen geblieben, in denen nicht nur bei den ambitionierten Kölnern und – erstmals - beim „Angstgegner“ in Bochum gepunktet werden konnte, sondern auch die Lauterer auf dem heimischen Betzenberg mit 4:1 klar in die Schranken gewiesen wurden. Zu Hause können die Frankfurter auf einen klaren Sieg gegen den MSV sowie eine fantastische Aufholjagd gegen den VfB Stuttgart verweisen, bei der die Schwaben nach einer 3:0-Führung in den letzten 22 Minuten noch mit 4:3 abgefangen werden konnten.

Der heutige Gegner, der HSV, startete dagegen mit zwei Niederlagen in diese Saison und musste sich am letzten Samstag im Nord-Derby den 96ern im heimischen Volksparkstadion mit 1:4 geschlagen geben. Dabei soll es in dieser Saison für den HSV mit dem neuen Trainer Kuno Klötzer doch eigentlich wieder aufwärts gehen. Klötzer löste zu Saisonbeginn Klaus-Dieter Ochs ab, der die Hamburger drei Spielzeiten betreute. Ochs, der bei seinem Amtsantritt erst 31 Jahre zählte und somit drei Jahre jünger ist als sein damaliger Spielführer Seeler, schaffte es junge Talente wie Kargus, Kaltz und Memering in das Team des HSV einzubauen. Nach einem beachtlichen fünften Platz im ersten Trainerjahr entging der HSV in der vergangenen Saison mit Rang 14 jedoch nur knapp dem Abstieg. Platz 14 stellt darüber hinaus - gemeinsam mit der Saison 66/67 – das schlechteste Abschneiden des Gründungsmitgliedes der Bundesliga in der Eliteklasse dar. Ein Jahr nach dem Karriereende von „Uns Uwe“ soll es also nun „Ritter Kuno“ beim HSV richten. Auf Willi Schulz, den in Bochum geborenen Vizeweltmeister von 1966 und „Ausputzer“ vom Dienst, muss Klötzer bei seinem Neuaufbau allerdings verzichten: Schulz hat seine Karriere nach 263 Bundesligaspielen für Schalke und den HSV mit 34 Jahren beendet. Im Tor hat dagegen Rudi Kargus den langjährigen Stammtorhüter Arkoc Özcan endgültig abgelöst, wie es scheint.

„Die liegen mir etwas im Magen“, sagt Trainer Weise über den Gegner, „obwohl in den letzten zwei Jahren gewonnen wurde.“ Weise vertraut weitgehend der erfolgreichen Elf der letzten Wochen: Im Tor Kunter, in der Abwehr Vorstopper Kliemann, Libero Trinklein, die beiden Außenverteidiger Andree und Reichel, im Mittelfeld Hölzenbein, Körbel, Kalb und im Sturm Rohrbach, Grabowski und Nickel im Zentrum. Weise hält also an Nickel fest, der in dieser Saison noch nicht zu überzeugen wusste und schon dreimal jeweils recht früh (46., 48. und 68.) ausgewechselt wurde; dagegen fehlen aus der Startelf vom letzten Spieltag Kraus und Weidle, die von Hölzenbein und Kalb ersetzt werden.

Gleich zu Beginn wird deutlich, dass dem eingespielten Frankfurter Team das verstärkte Hamburger Mittelfeld mit den Strategen Hönig und Björnmose nicht behagt. Heinz-Josef Hönig - mit 11 Toren in der vergangenen Saison Torschützenkönig des HSV - ist gebürtiger Hesse, ein Rheingauer um genau zu sein, der in seinen frühen Tagen in der Nähe von Rüdesheim für den FV 08 Geisenheim die Fußballstiefel schnürte. Und Hönig, der über Holstein Kiel zum HSV kam, scheint die heimatliche Luft besser zu bekommen als den Gastgebern lieb sein kann.

Weniger gut bekommt diese Luft einem Franken im Dress des HSV: Georg „Schorsch“ Volkert. Der mit 10 Treffern zweitbeste Schütze der Norddeutschen in der letzten Spielzeit bildet mit Caspar Memering einen 2-Mann-Sturm, aber die Luft im Hessenland scheint dem Ex-Nürnberger zu Kopf gestiegen zu sein: Volkert markiert den wilden Mann und das leider ungestört – lediglich eine sanfte Ermahnung durch Schiedsrichter Bohnacker ist die milde und falsche Konsequenz für den zügellosen Linksaußen, der statt einer Kinderstube wohl nur eine Spielecke hatte.

Neben dem auf-, weil ausfälligen Volkert bekommen die Fans heute bei großer Hitze nicht viel geboten. Eine verkorkste Partie. Die Gastgeber verzetteln sich im Klein-Klein-Spiel, riskieren damit Zweikämpfe am laufenden Band, von denen sie zu viele verlieren und dadurch mit fortschreitender Spieldauer an Selbstbewusstsein einbüßen.


Kargus vor Rohrbach

So kommt es, dass die Eintracht – wie schon in der gesamten Saison – im ersten Durchgang kein Tor erzielt. Doch auch dem Gast ist in der ersten Halbzeit kein Treffer gelungen, so dass sich die Eintrachtfans in der Pause unzufrieden, aber vorerst gelassen eiskalten Erfrischungen zuwenden können, die die Wirkung der furchtbaren Hitze im Waldstadion etwas mildern sollen.

Hölzenbein hat wohl in der Halbzeit die richtige Mischung Pausentee zu sich genommen, denn er ist in der zweiten Hälfte aktivster Eintracht-Stürmer. Auch Bernd Nickel ist diesmal kämpferisch sehr stark und rechtfertigt so seine Aufstellung durch Trainer Weise. Leider macht HSV-Keeper Kargus alle Chancen der Frankfurter zunichte, mit glänzendem Stellungsspiel meistert er einige gefährliche Situationen. Das riecht hier und heute förmlich nach einem torlosen Unentschieden, mit dem die Hamburger sicher nicht unglücklich wären.

In der 60. Minute bringt dann Trainer Klötzer Walter Krause für Ole Björnmose. Kein Grund zur Aufregung auf Seiten der Eintracht: Krause wird zum vierten Mal in dieser Saison eingewechselt, gestochen hat der Joker bislang in keiner Partie. Sieben Minuten später regiert auch Weise und wechselt für den heute enttäuschenden Rohrbach Roland Weidle als neuen Flügelstürmer ein. Weitere zwei Minuten später ist das Spiel dann auch für den Ex-Frankfurter Heese zu Ende, dem heute kein Tor gegen seine alte Elf gelingt. Direkt nach seinem Wechsel zum HSV hatte er gleich im ersten Spiel für die Hanseaten mit seinem Tor die Niederlage seiner alten Kameraden besiegelt. Heute ist ihm diese sportliche Genugtuung nicht vergönnt und er muss seinen Platz für Peter Krobbach räumen.


Kargus geschlagen - 1:0 durch Nickel

12 Minuten sind noch zu spielen, als die Zuschauer ein Tor erleben, das so verkorkst ist wie die gesamte Partie: Hölzenbein tritt beim 14. Eckball für die Eintracht in den Boden und trifft dann erst den Ball, der auf seinem Weg zum Tor des HSV förmlich zu verhungern droht, als Nickel sich seiner erbarmt, im Glutofen des Waldstadions einen kühlen Kopf behält und dem Ball entgegen geht, den die HSV-Abwehr – vielleicht der Hitze wegen, in der nun jeder Schritt weh tut - schon abgeschrieben hat. Nickel schießt und zur Überraschung aller lässt der bis dahin so sichere Kargus den vergleichsweise harmlosen Schuss passieren. Nickel zahlt seinem Trainer das in ihm gesetzte Vertrauen in der Währung zurück, die Trainer für gewöhnlich am meisten schätzen – diese Währung nennt sich nicht DM oder Dollar, sondern Tor. Das 14. Saisontor für die Gastgeber – allesamt in der zweiten Hälfte erzielt. Es ist Nickels zweiter Saisontreffer. Sein erster gegen Stuttgart brachte die nicht mehr für möglich gehaltene Wende nach einem 0:3-Rückstand, ist es heute gar das goldene Tor, das den Sieg bringen wird?

Der Führungstreffer löst bei den Frankfurter Fans zwar Glücksgefühle aus, aber nicht die Hemmungen der Spieler auf dem Platz. Im Gegenteil. Statt selbstsicher aufzuspielen, bekommen die Hessen Angst vor der eigenen Courage und schalten den Rückwärtsgang ein. Trainer Weise hilft seiner Mannschaft in den Schlussminuten mit einer taktischen Auswechslung, die dem Publikum außerdem Gelegenheit gibt, den Mann oder doch zumindest den Schützen des Tages mit dem gebührenden Applaus zu verabschieden: Bernd Nickel verlässt unter dem dankbaren Beifall der Eintrachtfans das Feld und überlässt seinen Platz für die letzten Minuten Wolfgang Kraus.

Der Sieg der Eintracht ändert natürlich nichts daran, dass die Partie äußerst mager war: Nicht einmal gute Hausmannskost wurde dem zahlenden Publikum heute fürs Geld geboten, hier war Schmalhans Küchenmeister. Die Trainer machen die enorme Hitze für das schwache Spiel verantwortlich. Weise meint, dass die Hitze seiner Elf den Mut zu einem weiträumigen Flügelspiel genommen habe. Klötzer macht die Hitze zudem für die zahlreichen Fouls und Reklamationen verantwortlich. Nur mit dem Unparteiischen, der ebenfalls unter der Hitze litt und dennoch Schwerstarbeit verrichten musste, hat keiner Mitleid. Dabei kam der Mann im wetteruntauglichen Schwarz mit dem Winken der Gelben Karte kaum noch nach ...

Der dritte Sieg im dritten Heimspiel bedeutet weiterhin Platz 3 für die Eintracht. Für den HSV bleibt es nach dem dritten Auswärtsauftritt bei einem Punkt in der Fremde. 1:5 Tore und Punkte lautet die Bilanz, die nur durch das 1:1 in Bremen nicht noch vernichtender für die Hanseaten ausfällt. Die Hamburger rutschen von 14 auf 16 und sehen sich dort, wo sie nicht mehr hin wollten: im Tabellenkeller.

„Heimspiele sind schwerer als Auswärtsspiele“, lautet Weises Fazit: „Als Gast muss man weniger laufen und kann sich auf Gegenstöße verlegen.“ „Schnelle Führungstore, damit die Gäste kommen müssen“, lautet des Trainers einfaches Rezept, dass seine Mannschaft bisher nicht umsetzen konnte: Sie trifft nur nach der Pause. (rs)

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