Hertha BSC Berlin - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1973/1974 - 29. Spieltag

2:1 (1:1)

Termin: Sa 06.04.1974, 15:30 Uhr
Zuschauer: 24.000
Schiedsrichter: Walter Eschweiler (Euskirchen)
Tore: 0:1 Gert Trinklein (31.), 1:1 Holger Brück (40.), 2:1 Gerhard Grau (72.)

 

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Hertha BSC Berlin Eintracht Frankfurt

  • Thomas Zander
  • Michael Sziedat
  • Hans Weiner
  • Ludwig Müller
  • Frank Hanisch
  • Lorenz Horr
  • Erwin Hermandung
  • Kurt Müller
  • Erich Beer
  • Holger Brück
  • Gerhard Grau

 


 

Wechsel
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Trainer
  • Hans Eder
Trainer

 

 

Der Bundesligaalltag ist Grau

Die Zeichen stehen auf Abschied: Vorstopper Uwe Kliemann will bekanntlich zu Hertha BSC und auch Mittelstürmer Thomas Parits, dessen Vertrag ebenfalls ausläuft, zieht es zurück in seine österreichische Heimat. Kliemann kann die finanzschwache Eintracht nicht halten, Parits will sie nicht halten, vorausgesetzt natürlich, dass in beiden Fällen die Ablösesumme stimmt. Sie soll sich bei Kliemann auf runde 800.000 Mark belaufen. Das jedenfalls soll, nach Vorstellungen der Eintracht am Samstag die Grundlage für das Gespräch mit den Hertha-Verantwortlichen sein. Bei dem österreichischen Nationalspieler, der in seiner dritten Saison am Frankfurter Riederwald nach einer wochenlangen Verletzungspause zu Beginn nicht mehr recht Fuß fassen konnte, wird man die finanziellen Vorstellungen bei einer Freigabe natürlich weit niedriger schrauben müssen. Über die Nachfolge schweigt man sich noch aus, weil man durch vorzeitige Namensnennungen "nichts kaputt machen möchte". Der in der Schweiz spielende Olympia-Amateur Ottmar Hitzfeld soll allerdings weiterhin als Mittelstürmer im Gespräch sein.

Einig ist sich die Eintracht bereits mit dem Schalker Mittelfeldspieler Klaus Beverungen. "Wenn Beverungen gehen will, legen wir ihm keinen Stein in den Weg", kommentiert Schalkes Schatzmeister Heinz Aldenhoven und Eintracht-Trainer Weise ist erfreut: "Beverungen wäre nach dem Weggang von Kliemann eine Verstärkung für uns. Er könnte im Wechsel mit Körbel Vorstopper spielen."

Aber auch die Eintracht ist sich einig: Diesmal gewinnen wir bei Hertha. Das gelang in den letzten sechs Jahren im Olympiastadion nicht. Die Hertha ist seit drei Spielen ohne Sieg, eigentlich der richtige Gegner, um die schwache Auswärtsbilanz der Eintracht in der Rückrunde ein wenig aufzubessern. Kein Sieg und 2:10 Punkte sind die magere Ausbeute der Hessen aus den letzten sechs Auftritten in der Fremde. Die deutsche Meisterschaft wurde nicht im Waldstadion, sondern in der Fremde verspielt. Herthas Ex-Spieler und aktueller Interims-Trainer Hans "Gustav" Eder, der am 14. März auf den tags zuvor gekündigten langjährigen Coach Kronsbein folgte, bangt noch um Brück, der an einer Knochenabsplitterung laboriert, und meint: "Frankfurt ist eine Klasse-Elf. Aber gerade gegen solche Mannschaften haben wir uns immer enorm gesteigert. Die Eintracht wird sich wundern!"

Dietrich Weise, der es auswärts in den letzten Spielen gerne mit einem verstärkten Mittelfeld und einem 4-4-2-System versucht hat, setzt an der Spree auf das offensiver ausgerichtete 4-3-3. Der Eintracht-Trainer muss seine Elf nur auf einer Position verändern, die allerdings dürfte dem Frankfurter Fußballlehrer einiges Kopfzerbrechen bereitet haben: Roland Weidle soll heute versuchen, den zweifachen Torschützen und besten Spieler beim 6:0-Heimsieg gegen Rot-Weiss Essen, Bernd Nickel, zu ersetzen. Nickel hat eine leichte Oberschenkelzerrung und pausierte zunächst beim Training, bis am Freitag fest stand, dass die Eintracht bei der Hertha auf ihn verzichten muss. Youngster Wolfgang Kraus, der mit Weidle vor zwei Spieltagen noch in der Anfangsformation stand, muss erst einmal auf der Ersatzbank Platz nehmen.

Thomas Parits, der Weise mit guten Trainingsleistungen wieder auf sich aufmerksam gemacht hat, bekommt nach seiner erneut enttäuschenden Vorstellung gegen Essen eine zweite Chance. Sein zweites Saisontor in der letzten Spielminute konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Österreicher von der Form der Saison 71/72 meilenweit entfernt ist. Die Eintracht hat auf der Mittelstürmerposition ein ernsthaftes Problem, zumal sich Krauth bei seinen Einsätzen ebenfalls nicht für einen Stammplatz empfehlen konnte. Im Einzelnen sieht die Aufstellung wie folgt aus: im Tor Dr. Kunter, in der Abwehr mit Trinklein, Kliemann sowie den beiden Außenverteidigern Müller und Kalb, im Mittelfeld mit Körbel, Hölzenbein und Weidle sowie im Sturm Rohrbach, Grabowski und Parits.

Die Hertha, die im Berliner Olympiastadion in dieser Saison schon achtmal Unentschieden spielte, aber nur einmal verlor, vertraut auf zwei Hessen: Holger Brück und Gerhard Grau. Die beiden Ex-Spieler des KSV Hessen Kassel, die der Hertha bei einem Freundschaftsspiel gegen die Löwen auffielen, sind bereits seit der Saison 72/73 an der Spree, allerdings mit unterschiedlichem Erfolg.

Graus Bilanz bei der Hertha ist durchwachsen: In der ersten Saison schoss er in 28 Spielen nur ein Tor und in dieser Saison läuft es beim schnellen Rechtsaußen noch schlechter. Die Spielzeit ist fast vorüber, doch Grau hat immer noch kein Tor erzielt. Heute kommt er zu seinem 12. Einsatz in der laufenden Punktspielrunde, davon wurde er allerdings achtmal eingewechselt. Grau hat aus deswegen vor vierzehn Tagen bei Hertha selbst gekündigt: "Was soll ich noch bei Hertha? Hier bekomme ich viel zu selten eine Chance, und der Vorstand bemüht sich ja auch nicht um eine Vertragsverlängerung."

Holger Brück dagegen wurde bereits in der letzten Saison zum Stammspieler und versäumte wegen einer Auswechslung am vorletzten Spieltag lediglich 25 Minuten Spielzeit, sonst war der Nordhesse in allen Punktspielen über die volle Distanz auf dem Platz. Vier Tore erzielte er in der vergangenen Saison, in dieser Spielzeit sind es seit dem letzten Spieltag zwei. Ob die beiden Nordhessen den Nachbarn aus dem Süden ein Bein stellen können? Alle Hertha-Spieler sollen übrigens nach dem Willen des Vorstandes für einen Sieg gegen die Eintracht nur 500 Mark - statt wie sonst 1000 –bekommen. Ob sich die Verkündung der Prämienkürzung kurz vor dem Anpfiff leistungsfördernd auswirken wird?

Diese Fragen wird später beantwortet werden, jetzt entwickelt sich zur Freude der 24.000 Zuschauer erst einmal ein von beiden Seiten offensiv ausgerichtetes Spiel, das nicht körperlos, aber dennoch nahezu ohne Fouls geführt wird. Die Frankfurter erscheinen allerdings mit ihren Angriffsaktionen eine Spur gefährlicher als die Hausherren. Geschickt und schnell überbrücken die Eintrachtspieler das Mittelfeld, dirigiert von einem wieder einmal brillanten Jürgen Grabowski. Die erste große Torchance hat aber ein anderer: Kalb marschiert in der 10. Minute 70 Meter weit ziemlich unbehelligt bis in den Strafraum der Herthaner, dann aber mangelt es ihm an der Konzentration und Kaltschnäuzigkeit, um auch noch Torwart Anders zu überwinden. In der Defensive macht Kalb die bessere Figur und den abgeklärteren Eindruck, in dem er dem Schweizer Nationalspieler Kurt Müller nicht viel Spielraum lässt.

Grabowskis Gegenspieler Hanisch, der schon in der Vorrunde am Frankfurter Ausnahmetechniker verzweifelte, ist dem Biebricher Ballkünstler auch heute hoffnungslos unterlegen. Grabowski operiert aus der Tiefe des Raumes, stößt dann immer wieder nach vorne und wechselt beständig die Flügel – Hanisch lernt so jeden Zentimeter des heimischen Rasens aus der Nähe kennen, besonders glücklich macht ihn das aber nicht. Obwohl doch eigentlich er dem Frankfurter Kapitän nachjagt, wirkt Hanisch selbst wie ein gehetztes Reh.

Grabowskis überlegenes Spiel und das hohe Tempo der Frankfurter zahlen sich nach etwas mehr als einer halben Stunde aus: Gert Trinklein nutzt einen seiner zahlreichen Ausflüge vor das Tor der Hertha nach einem langen Zuspiel von Hölzenbein aus acht Metern Torentfernung zum verdienten Frankfurter Führungstreffer. Das scheint nur der Anfang zu sein, denn schon zwei Minuten später verhindert nur der akrobatische Einsatz von Luggi Müller das 0:2: Akrobatisch rettet er nach einem von Rohrbach geschossenen und von Zander nur notdürftig abgewehrten Ball mit einem Fallrückzieher für seinen geschlagenen Keeper auf der Linie.

Weitere zwei Minuten später können sich die Herthafans gleich doppelt freuen: zum einen über den Freistoß von Uwe Kliemann, der zur Erleichterung der Berliner nur an den Pfosten klatscht, und zum anderen darüber, dass der "Funkturm" zur nächsten Saison an die Spree zurückkehren wird - zur Hertha. Ein herber Verlust dagegen für die Eintracht, denn Kliemann ist nicht nur aufgrund seines Körperwuchses ein im wahrsten Sinne des Wortes überragender Spieler. In der 36. Minute hat Kliemann allerdings Glück, als Schiedsrichter Eschweiler beim Zweikampf des Frankfurters mit Horr nicht auf Strafstoß entscheidet.


Das 1:1 durch Brück

Mitten in diese Phase, in der die Frankfurter dem zweiten Tor nahe sind, schlägt Gerhard Grau eine schöne Flanke in den Strafraum der Eintracht, wo der aufgerückte Holger Brück mit einem Kopfball den überraschenden Ausgleich erzielen kann. Zwei Nordhessen schenken den Südhessen kräftig ein und Trainer Weise rauft sich die Haare: "Das musste doch längst zum Sieg reichen."

Nach der Pause ist es nun die Hertha, die glänzend aufspielt und Dr. Kunter im Tor der Eintracht zu mehr als einer Glanzparade zwingt. Gut, dass der routinierte Schlussmann heute so prächtig aufgelegt ist, sonst würde die Elf von der Spree jetzt in Führung gehen. Gefahr droht den Gastgebern nur noch, wenn Nationalspieler Jürgen Grabowski seine brillanten Alleingänge startet. Parits kommt gegen Weiner meist einen Schritt zu spät, Körbel ist zu sehr mit defensiven Aufgaben gegen Hermandung beschäftigt und Weidle bleibt gegen Brück so wirkungslos, dass er nach 62 Minuten Kraus Platz machen muss. Erich Beer, der in den letzten Wochen nicht immer überzeugen konnte, treibt auf der Gegenseite das Berliner Spiel an und gewinnt das Duell im Mittelfeld gegen Hölzenbein klar. Neben Grau, Brück und Luggi Müller gehört Beer heute zu den besten Berlinern.

Den Führungstreffer erzielt jedoch ein anderer: Gerhard Grau. Der Ex-Kasselaner nimmt vor der Strafraumgrenze eine verunglückte Abwehr von Außenverteidiger Helmut Müller, der Grau heute überhaupt nicht in den Griff bekommt, auf und schießt hoch ins Eck zum 2:1 für die Hertha ein. Graus erster Saisontreffer. Es ist nicht zu fassen.

Das Spiel ist bis zum Abpfiff spannend und hält das hohe Tempo, ein Tor will jedoch keiner der beiden Mannschaften mehr gelingen. Es bleibt beim 2:1, was bedeutet, dass die beiden Nordhessen Brück und Grau als Torschützen für die Niederlage der Südhessen verantwortlich zeichnen. Es ist das gerechte Ergebnis eines "schnellen und vor allem abwechslungsreichen Spieles", wie Eintrachttrainer Dietrich Weise sagt. "Das Spiel durften wir wirklich nicht verlieren", ist Weise zwar enttäuscht, "aber ich gebe zu, dass Herthas Sieg nicht unverdient ist. Die Berliner haben in der zweiten Halbzeit ihre Chancen besser ausgewertet." "Wir wollten eigentlich in Berlin einen Punkt holen, doch das hat wieder einmal nicht geklappt, diesmal hatten die Berliner auch noch Glück", sieht Grabowski die Göttin Fortuna aufseiten der alten Dame Hertha. "Hertha hat mir gut gefallen", schließt Kliemann, der in der letzten Woche - unbemerkt von Öffentlichkeit und Verein - seine Verlobte Agnes geheiratet hat, "dennoch hätte ich gern heute mit der Eintracht hier gewonnen."

Gewonnen hat die Hertha aber auch Kliemann und das – wie sie meint – zu einem günstigeren Preis. Eintracht-Vizepräsident Berger und Schatzmeister Jakobi einigen sich am Rande des Spiels in Sachen Kliemann-Transfer relativ schnell mit dem Hertha-Präsident Warneke. Beide Parteien verzichten auf das Schiedsgericht des DFB. "Wahrscheinlich hätte der DFB die Ablösesumme für Kliemann auf 860.000 Mark festgesetzt", freut sich Heinz Warneke nach der Verhandlung. Wie der DFB auf diese Summe gekommen wäre, erläutert Warneke natürlich nicht.

Die Hertha bleibt Tabellenzehnter, Frankfurt rutscht von Rang 3 auf 4 ab. Doch in Frankfurt spricht ohnehin fast jeder nur noch über das Halbfinale im DFB-Pokal gegen die Bayern im Waldstadion. In einer Woche ist es endlich soweit. (rs)


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