Hertha BSC Berlin - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1974/1975 - 12. Spieltag

2:1 (1:0)

Termin: Sa 09.11.1974, 15:30 Uhr
Zuschauer: 30.000
Schiedsrichter: Wilfried Hilker (Bochum)
Tore: 1:0 Erwin Hermandung (12.), 1:1 Jürgen Grabowski (69.), 2:1 Uwe Kliemann (83.)

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Hertha BSC Berlin Eintracht Frankfurt

  • Thomas Zander
  • Michael Sziedat
  • Ludwig Müller
  • Uwe Kliemann
  • Hans Weiner
  • Lorenz Horr
  • Wolfgang Sidka
  • Kurt Müller
  • Erwin Hermandung
  • Erich Beer
  • Gerhard Grau

 


 

Wechsel
  • Holger Brück für Hans Weiner (76.)
Wechsel
Trainer
  • Georg Kessler
Trainer

Funkturm schlägt Bierdeckel

In München mit einer 1:2-Niederlage die Tabellenführung in der Bundesliga verloren, danach im Derby gegen Offenbach im Waldstadion nur ein torloses Unentschieden erreicht und vor vier Tagen in Kiew nach einer 1:2-Niederlage aus dem Europapokal ausgeschieden – die Bilanz der Frankfurter Eintracht aus den letzten Wochen wird lediglich durch einen 2:1-Sieg im DFB-Pokal verschönt. Dieser Sieg gelang jedoch erst kurz vor dem Ende der Verlängerung und das bei den Amateuren von Union Solingen.

Wenn der Tabellendritte vom Main seinen dritten Tabellenplatz festigen will, muss er heute an der Spree punkten, am Besten wäre natürlich ein Sieg. Das ist jedoch keine leichte Aufgabe, denn die Hertha hat in dieser Saison zu Hause noch kein Spiel verloren und in den letzten 9 Ligaspielen nur einmal mehr als ein Gegentor kassiert. Und noch etwas kommt hinzu: Die Eintracht hat vor mehr als zehn Jahren das letzte Mal bei der Hertha gewinnen können, seitdem gab es bei sechs Gastspielen fünf Niederlagen für die Hessen.

Wenn es nach der Hertha geht, werden die Gäste ihre Bilanz heute nicht aufbessern. Drei Siege sollen es in den nächsten drei Partien werden, die die Hertha allesamt im heimischen Olympiastadion bestreiten kann, weil dort auch das „Auswärtsspiel“ gegen den Neuling und Lokalrivalen Tennis Borussia ausgetragen wird. Die Gäste aus Frankfurt und Kaiserslautern dürfen wie TeBe keine Punkte mitnehmen, fordert Uwe Kliemann: „In diesen drei Spielen müssen wir 6:0 Punkte holen - sonst haben wir im Spitzenkampf nichts zu suchen.“ Uwe Kliemanns Wort hat in der Mannschaft und bei den Fans Gewicht, obwohl der Vorstopper erst zu Beginn dieser Saison von der Eintracht zur Hertha gewechselt ist.

Auf den von Kliemann bei den Hessen verlassenen Vorstopperposten kehrt Körbel zurück, der im Europapokal-Rückspiel in der Ukraine im Mittelfeld agierte. Amateur Simons, der gegen Kiew in seinem ersten Pflichtspiel als Vorstopper nicht enttäuschte, muss seinen Platz in der ersten Elf deshalb wieder räumen. Thommy Rohrbach kommt für Simons in die Mannschaft und spielt Stürmer, Grabowski ist damit von der ungeliebten Position in vorderster Front aus dem Kiew-Spiel erlöst und kann - wie in dieser Saison gewohnt - wieder im Mittelfeld spielen. Außerdem löst Dr. Kunter Wienhold wieder im Tor ab, so dass die Eintracht heute mit folgender Elf antritt: Dr. Kunter - Kalb, Trinklein, Körbel, Müller - Beverungen, Grabowski, Nickel, Kraus – Hölzenbein und Rohrbach.

Die Hertha zeigt von Beginn an, dass sie Uwe Kliemanns Forderung in die Tat umzusetzen gedenkt. Mit schnellen Kombinationen dominieren die Gastgeber das Geschehen und ihr Einsatz macht deutlich, wer hier Herr im Hause sein will. Nach 10 Minuten wird diese Überlegenheit auch akustisch untermalt: Nach einem Freistoß von Erich Beer trifft Kurt „Kuddi“ Müllers Geschoss mit einem lauten Klatschen die Latte des Frankfurter Tores. Der Schweizer Nationalspieler, der seit fast zwei Jahren für die Berliner stürmt, hat in dieser Saison kein Schussglück. Nachdem er in eineinhalb Jahren in 47 Bundesligaspielen 14 Mal ins Schwarze getroffen hatte, bleibt ihm in dieser Spielzeit bisher ein Treffer verwehrt.

Es ist ohnehin das Manko der Hertha in dieser Saison, dass ihre Stürmer kaum Tore schießen. Von den bisher 14 Treffern entfallen gerade einmal drei auf die Angreifer, je eines auf Gerhard Grau, Lorenz Horr und Benno Magnusson. Magnusson, der im Sommer 1973 mit Roland Sandberg aus Schweden zu Kaiserslautern stieß, hat sich an der Spree bisher ebenso wenig durchsetzen können wie in der vorherigen Saison in der Pfalz, wo er in 16 Bundesligapartien nicht ein Tor erzielte. Für die Hertha war er in dieser Spielzeit in der Ersten Liga nur dreimal im Einsatz, zweimal wurde er dabei eingewechselt.

Es ist also kein Wunder, dass die Gastgeber aufgrund des überlegen geführten Spiels in Führung gehen und keine Überraschung, dass es wieder kein Stürmer ist, der das Tor erzielt. Einer der vielen Fehlpässe bei der Eintracht, dieses Mal fabriziert von Wolfgang Kraus, ist der Ausgangspunkt, den folgenden Schuss von Sidka lenkt dann Hermandung mit der Stirn ins Eck. 1:0 für Hertha BSC nach zwölf Minuten.

Die alte Dame demonstriert danach ihr bekanntes Leiden so deutlich, als wolle sie um Heilung flehen. Doch heilen könnte im Berliner Sturm nur der ehemalige Alsenborner Lorenz Horr, der seine Torgefährlichkeit in der Vergangenheit bereits unter Beweis gestellt hat. Nur lässt Horr in den letzten Monaten seine Chancen aus wie ein sattes Kleinkind den Nachtisch. Was nützen geschickte Ballpassagen und die Überlegenheit im Mittelfeld, wenn das stürmende Personal an der Strafraumgrenze des Gegners einen erfolgreichen Abschluss so anhaltend ablehnt wie eine Klosterschülerin ein unmoralisches Angebot?

Der gute Start kann wegen der Schussschwäche von Horr, Grau und Müller nicht in ein zweites Tor umgemünzt werden und nach gefährlichen Vorstößen von Hermandung und Beer verläuft die Hertha-Offensive langsam im Sande, zumal der vortreffliche Dr. Kunter gegen „Kuddi“ Müller und Hermandung zweimal glänzend pariert. Es ist eine gute halbe Stunde gespielt und die Eintracht wird nun immer wieder stärker. Die Führung der Gastgeber bleibt bis zum Halbzeitpfiff bestehen, doch es ist unübersehbar, dass sich das Blatt gewendet hat.

Um seiner Elf noch eine bessere Karte in die Hand zu geben, wechselt Trainer Weise zur zweiten Halbzeit Roland Weidle für Wolfgang Kraus ein, der heute ohnehin nicht seinen stärksten Tag erwischt hat. Und tatsächlich setzten die Frankfurter ihren in der ersten Hälfte begonnenen Aufschwung fort und trumpfen im zweiten Durchgang mächtig auf. Die Eintracht gibt nicht nur den Ton an, sie bestimmt auch, welche Musik gespielt wird.

Das Mittelfeld ist nun klar in den Händen der Eintracht, bei der von Nickel, Weidle und Grabowski das Spiel auf Touren gebracht wird wie ein Rennwagen mit durchgedrücktem Gaspedal. Grabowski gelingt es jetzt immer besser, sich der Sonderbewachung von Sidka zu entziehen, und der Kapitän der Eintracht ist es auch, der das Ruder herumreißt: Etwas mehr als 20 Minuten sind noch zu spielen, als er einen kapitalen Fehler von Verteidiger Sziedat zum 1:1 zu nutzen versteht.

Das energische Aufbäumen der Eintracht-Recken gegen die drohende Niederlage hat die verdiente Belohnung erhalten. Und es wäre noch mehr zu erreichen, wenn Libero "Luggi" Müller im Berliner Abwehrzentrum nicht mit all seiner Routine aus Sicht der Gastgeber Schlimmeres verhindern würde. Schade, dass Thommy Rohrbach manchmal etwas die Geradlinigkeit bei seinen Attacken fehlt, sonst könnte der schnelle und trickreiche Stürmer die Eintracht schon entscheidend nach vorne gebracht haben.

So ist es nicht unerwartet „Funkturm“ Kliemann, der vor wenigen Monaten im Waldstadion noch der Publikumsliebling war, der nun seinerseits zum Gegenangriff bläst. Unermüdlich ist er weiterhin unterwegs, lässt sich auch vom ständig auf die Flügel ausbrechenden Hölzenbein nicht aus dem Konzept bringen und richtet nach dem Ausgleich seine Mitspieler auf. Die Frankfurter kennen diese Eigenschaft Kliemanns nur zu gut, der sich in der letzten Saison im Dress der Riederwälder bei einem 0:3-Rückstand gegen den VfB selbst von einer gebrochenen Nase nicht aufhalten ließ und erst Ruhe fand, als die Schwaben nach einer schier unglaublichen Aufholjagd mit 4:3 geschlagen vom Platz schlichen. Aus diesem Grund hat Trainer Weise seinen Männern für die Kopfballduelle mit Kliemann eine eindeutige Anweisung mit auf den Weg gegeben: „Immer zwei Mann gegen Uwe!“

Doch manchmal ergeht es Trainer wie Eltern, deren gut gemeinte und von Erfahrung geprägte Ratschläge ungehört verhallen oder zumindest im Laufe der Zeit nicht mehr mit dem notwendigen Ernst befolgt werden. Sieben Minuten sind im Berliner Olympiastadion noch zu spielen, als der Nordhesse Gerhard Grau eine Ecke in den Strafraum der Frankfurter schlägt, wo entgegen Weises Anweisung nur Libero Gert Trinklein Kliemann bewacht. Anstatt mit Kliemann nach dem hoch hereingeschlagenen Ball zu springen, versucht Trinklein Kliemann am Boden zu halten, was ihm gründlich misslingt. Ebenso gut hätte er versuchen können, einen Hubschrauber mit bloßen Händen am Start zu hindern. Kliemann ist so frei und rammt das Leder mit seinem Wuschelkopf in die Maschen des Frankfurter Tores, da können auch Dr. Kunters ausgezeichnete Reflexe und seine tolle Sprungkraft nichts mehr ausrichten. „Uwe, Uwe“ tönt es von den Rängen und den Frankfurtern schmerzlich in den Ohren. Von diesem Kopfstoß erholen sie sich in dieser Partie nicht mehr.

Frankfurts Trainer Dietrich Weise ist nach der 1:2-Niederlage fassungslos: „Nach den Leistungen in der zweiten Halbzeit hätten wir ein 1:1 verdient. Dass ausgerechnet Kliemann für unseren K.o. sorgt, ist mehr als Pech.“ Bei Hertha-Trainer Georg Kessler fällt unterdessen der Jubel nur dezent aus: „Der Sieg erfreut mich, aber, mein Gott, wie viel Chancen haben wir wieder versiebt.“

So unterschiedlich die beiden Halbzeiten für die Mannschaften liefen, so einstimmig fällt die Begründung der Trainer dafür aus: „Die Spieler hatten Angst“, erklären Weise und Kessler einstimmig. „Jeder hatte Angst, etwas falsch zu machen, war gehemmt und gerade deshalb unterliefen die Fehler“, sagte Weise. Als die Überlegenheit nach einer halben Stunde zu den Frankfurter wechselte, muss die Angst zur Hertha gewechselt haben, meint ihr Trainer Kessler: „Da glaubten meine Spieler, sie könnten den knappen Vorsprung nicht halten.“

Angst oder Hemmungen, weil es gegen seine alte Elf ging, waren bei Uwe Kliemann nicht zu spüren. Zwei Jahre lang stand er mit Gert Trinklein im Frankfurter Abwehrzentrum und dann erzielt im Zweikampf mit ihm das Siegtor. Doch wie im Spiel bleibt der „Funkturm“ auch bei seinem Kommentar danach gelassen: "Ja, wenn der Gerd nicht an den Ball kommt ... Es ist mir bestimmt nicht peinlich, dass ausgerechnet ich das Siegestor gegen die Eintracht erzielte“, gesteht der waschechte Berliner Uwe Kliemann freimütig.

Den Treffer lastet Kliemann seinem allen Abwehrkumpan Trinklein an: „Er springt nun einmal nicht höher als ein Bierdeckel. So hat er versucht, mich festzuhalten und wegzuschieben, wenn ich in seinem Strafraum aufgetaucht bin. Beim entscheidenden Tor kam er nicht hoch und ich konnte mich von ihm losreißen.“ Seine anderen ehemaligen Kameraden haben ihn ebenfalls nicht überzeugen können: „Einige Spieler und damit die ganze Mannschaft sind derzeit nicht in allerbester Form. Dass wir unsere beiden Tore mit Kopfbällen erzielten, spricht nicht gerade für die Kopfballstärke der Hintermannschaft der Eintracht.“

Es spricht auch nicht für die Transferpolitik der Eintracht, die den Verlust Kliemanns heute mehr betrauern dürfte, als es ohnehin schon der Fall war. Das hängt jedoch weniger mit der Niederlage zusammen, als mit dem aktuellen Zustand der Frankfurter Abwehr. „Seinen Weggang hätte ich auch dann bedauert, wenn wir heute 2:1 gewonnen hätten“, meint Trainer Weise vielsagend mit Blick auf Kliemann.

„Diese Hertha könnte Herbst-Meister werden“, behauptet Frankfurts Trainer Weise. Seiner Elf will der geduldige Coach aus der erneuten Niederlage keinen Strick drehen: „Sie hat in der zweiten Halbzeit gekämpft, das 1:1 als Ergebnis lag dicht vor unseren Füßen. Natürlich ist die Mannschaft psychisch etwas angeknackst. Die Abspielfehler beispielsweise sind kein technisches Unvermögen. Außerdem: Wenn man am Dienstag im Europapokal spielt, macht sich das am Samstag bemerkbar.“ Auffällig ist, dass Weise nicht von einem Tief sprechen will; Mannschaftskapitän Grabowski verwahrte sich am letzten Wochenende nach dem torlosen Remis gegen Offenbach ebenfalls gegen den Begriff „Krise“. Das beste Argument gegen das eine wie das andere sind jedoch Erfolge und nicht abwiegelnde Worte.

Das letzte Wort hat Jürgen Grabowski indes in Sachen Nationalmannschaft gesprochen. Der ehemalige Nationalspieler beendete in einem Telefongespräch mit Bundestrainer Helmut Schön alle Spekulationen über ein mögliches Comeback. „Ich bleibe bei meinem Entschluss und meinen Argumenten und werde auch nicht als Mittelfeldspieler wieder das Nationaltrikot anziehen“, zieht Grabowski den endgültigen Schlussstrich unter seine Karriere in der DFB-Auswahl.

Die Aufgaben mit der Eintracht werden ihn und seine Mitspieler in den nächsten Wochen auch genug fordern, denn der ehemalige Tabellenführer ist nach der heutigen Niederlage auf Platz 7 abgerutscht. Auf Platz 13 sind es nur noch zwei Punkte Vorsprung, gegen den Drittletzten VfB Stuttgart muss im nächsten Heimspiel ein Sieg her. (rs)

 

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