Eintracht Frankfurt - Bayern München

Bundesliga 1974/1975 - 27. Spieltag

2:0 (1:0)

Termin: Sa 05.04.1975, 15:30 Uhr
Zuschauer: 58.400
Schiedsrichter: Paul Kindervater (Köln)
Tore: 1:0 Karl-Heinz Körbel (40., Foulelfmeter), 2:0 Bernd Nickel (84.)

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Eintracht Frankfurt Bayern München

 


  • Sepp Maier
  • Johnny Hansen
  • Georg Schwarzenbeck
  • Franz Beckenbauer
  • Björn Andersson
  • Gerd Müller
  • Franz Roth
  • Bernd Dürnberger
  • Jupp Kapellmann
  • Rainer Zobel
  • Ulrich Hoeneß

 

Wechsel Wechsel
  • Josef Weiß für Johnny Hansen (58.)
  • Klaus Wunder für Bernd Dürnberger (68.)
Trainer Trainer

 

Eine erfreuliche Erscheinung

Einen Tag vor dem Heimspiel gegen den amtierenden Deutschen Meister wird es publik: Die Frankfurter Eintracht interessiert sich für den Alfred Riedl, der es in Österreich und Belgien zum Torschützenkönig gebracht hat. Trainer Weise war wegen des 24-jährigen, der für den belgischen Tabellenfünften FC Royal Antwerpen aufläuft, in Wien, um ihn bei seinem Debüt als Linksaußen in der Nationalmannschaft Österreichs beim 0:0 gegen Ungarn zu beobachten. Österreichs Nationalspieler dürfen zwar seit dem Beschluss des ÖFB vom 21. April 1974 nicht zu einem ausländischen Club wechseln, bevor sie 26 Jahre alt sind, doch Riedl ist von dieser Regelung nicht betroffen – er heuerte bereits vor drei Jahren in Belgien an.

Riedls Manager – wie könnte es anders sein? – preist seinen Schützling in den höchsten Tönen: „Alfred kann im Sturm alles spielen. Er hat den härtesten Schuss Österreichs seit Bimbo Binder, ist kopfballstark und über 100 Meter 11,2 Sekunden schnell.“ Der Leser ist beeindruckt und fragt sich unter Umständen nur, warum „der härteste Schuss“ jenseits der Alpen noch nicht in Italien oder Spanien untergekommen ist. Dietrich Weises Urteil fällt gewohnt sachlich aus – und zurückhaltend: „Riedl ist ein guter Spieler, kräftig und mutig. Aber wir wollen ihn noch einmal beobachten, bevor wir eine Entscheidung fällen. Wir haben bis jetzt nur Gespräche geführt, aber noch nicht echt verhandelt.“

„Er selbst ist nicht geldgierig, doch sein Verein wird rund 500.000 DM fordern, denn Riedl steht noch ein Jahr unter Vertrag“, gibt Riedls Manager zu bedenken, was den Spott des Salzburger Spielervermittlers Herbert W. Tomandl herauszufordern scheint: „Wie wollen die Frankfurter den bezahlen? Die haben doch vor lauter Hunger keinen Stuhlgang!“ Tomandl, das ist kein Geheimnis, will das Geschäft mit Riedl selbst machen. Der Eintracht dient er dafür einen anderen Österreicher an, Hans Winklbauer, den Libero von Austria Salzburg: „Der kostet höchstens 300.000 Ablöse. Die Eintracht hat ihn schon angebohrt, um mich auszutricksen. Aber wenn ein Vertrag geschlossen wird, stehe ich hinter dem Torpfosten und verlange mein Geld.“ Weise dementiert kopfschüttelnd die Fantasien Tomandls: „Alles Unsinn. Wir brauchen keinen Libero. Winklbauer interessiert uns nicht.“

Ebenfalls wenige Tage vor dem Spiel will die „Bild“ mit Bayern-Trainer Cramer gesprochen haben, der sich in der Freitagsausgabe des Boulevardblattes den Kopf über eine Frage zerbricht: „Wer soll den Frankfurter Grabowski decken? Dieses Problem hat mir schon einige schlaflose Nächte verschafft. Grabi ist wie ein Schmetterling.“ Bulle Roth komme nicht infrage: „Das kann ich Roth nicht antun.“ Kapellmann sei ebenso wie Zobel kein Thema: „Gegen Jupp wurde in München schon der Wuppertaler Lömm zum Starspieler“ und Zobel „hat nicht die Kraft, diesen Marathonlauf mitzumachen.“ Schwarzenbeck „ist noch grippegeschwächt. Ich kenne nur einen, der diesen Grabi halten kann: Das ist Berti Vogts. Aber dar spielt nicht bei uns.“ Cramer weiß laut „Bild“ nur einen Ausweg: „Wahrscheinlich decken wir Grabi gar nicht. Er soll sich totlaufen.“ Eine großartige Idee. Wenn doch nur alle Probleme so leicht zu lösen wären …

Alles andere als eine überzeugende Runde spielt der von Cramer betreute amtierende Deutsche Meister und Europapokalsieger der Landesmeister. Die mit Fußballweltmeistern gespickte Elf der erfolgsverwöhnten Bayern kommt in dieser Saison nicht über einen Platz im Bundesligamittelfeld hinaus. Immerhin hat Gerd Müller nach anfänglicher Ladehemmung, die er in der Hinrunde gegen die Eintracht beendete, wieder zu alter Treffsicherheit zurückgefunden. Außerdem ist ein Aufwärtstrend beim Meister nicht zu übersehen: Zuletzt blieben die Münchner in vier Ligaspielen hintereinander ungeschlagen und gingen dabei dreimal als Sieger vom Platz. Die Bundesligaheimbilanz der Eintracht gegen die Bayern ist auch nicht furchteinflößend: Vier Siege, drei Unentschieden und zwei Niederlagen stehen gegen die Münchner zu Buche, in der letzten Saison gab es im Waldstadion ein 1:1.

Die Eintracht ist also gewarnt, man weiß, auf wen man heute trifft. Was bei der Eintracht dagegen noch nicht gewiss ist, ist der Verbleib des Kapitäns. „Bis zum Samstag vor dem Spiel muss mir die Eintracht Bescheid geben, ob sie auf meine Vertragsforderungen eingeht“, hatte Jürgen Grabowski nach der wochenlangen Hängepartie gefordert. Das Spiel beginnt, doch ob Grabis Forderungen erfüllt wurden, weiß niemand zu sagen.

Wahrscheinlich auch die Mannschaft nicht, die der Kapitän bei strahlendem Sonnenschein im vor mit 58.400 Zuschauern ausverkauften Waldstadion aufs Feld führt. Die vermeintlichen Bayern-Bezwinger heißen so: Wienhold - Reichel, Trinklein, Körbel, Neuberger - Beverungen, Kraus, Nickel – Rohrbach, Grabowski und Hölzenbein.

Beiden Mannschaften merkt man zu Beginn den Respekt vor dem Gegner an. Langsam, fast vorsichtig tasten sich die beiden Teams in die Partie. Es ist kein Beschnuppern, man kennt sich ja bereits, es ist ein beobachtendes Abwarten auf die erste Lücke in der Deckung des Gegners. Die tun sich zuerst bei der Eintracht auf und werden von den Gästen sogleich bemerkt und ausgenutzt. Zwei raffinierte Hinterhaltsschüsse von Zobel zischen in der 9. und 11. Minute auf das von Wienhold gehütete Tor, doch der Keeper ist auf dem Posten. Mit den Fingerspitzen kommt er jeweils an Zobels Geschosse, die er einmal über die Latte und beim nächsten Mal um den Pfosten dreht.

Die Bayern haben mit diesen beiden Angriffen jedoch keinen Waldbrand entfacht, sondern lediglich ein Strohfeuer entzündet, das die Adlerträger alsbald zu löschen versuchen, in dem sie den Druck aus ihrem immer in Bewegung befindlichen Mittelfeld erhöhen. Dennoch kann die Defensive der Eintracht in der Folge zwei gefährliche Aktionen des pfeilschnellen Uli Hoeneß nicht verhindern, wobei nach der ersten der Ball im Frankfurter Tor liegt.

Nach einem Befreiungsschlag in der 14. Minute war Hoeneß allein auf und davon gezogen und hatte den Ball in Wienholds Kasten untergebracht. Schiedsrichter Kindervater ist die Abseitsstellung von Hoeneß im Gegensatz zu seinem Linienrichter nicht entgangen und so verweigert er dem Treffer die Anerkennung, weil Hoeneß nach seiner Meinung nicht vor der Mittellinie gestartet ist. Solch eine Entscheidung sorgt immer für Gesprächsstoff, unabhängig davon, ob sie nun gegen oder für die angreifende Mannschaft ausfällt.

Für Diskussionen bleiben auch auf den Rängen nicht viel Zeit, denn nur drei Minuten später bricht Hoeneß abermals durch die Reihen der Frankfurter. Es ist Pech für den Bayern-Stürmer und Glück für die Eintracht, dass Hoeneß das Außennetz und nicht ins Tor trifft.

Trainer Dietrich Weise stellt seine Klasse als Trainer wieder einmal unter Beweis und handelt kurz entschlossen. Weise hat genug gesehen, um die Bayern-Gefahr erkannt zu haben. Um diese zu bannen, benötigt er nicht einmal eine Auswechslung, er stellt einfach seine Abwehr um. Anstelle des athletischen, aber nicht eben sprintstarken Klaus Beverungen wird Hoeneß nun von Willi Neuberger bewacht, den die Antrittsstärke des jungen Weltmeisters nicht zu beeindrucken vermag. Hoeneß hat fortan einen treuen Begleiter an seiner Seite und kommt sich vor wie der biblische Samson, nachdem Delila ihm die Haare scheren ließ. Hoeneß ist im Gegensatz zu Samson zwar nicht seiner Stärke - seiner Schnelligkeit - beraubt, doch sie ist ihm im Zweikampf mit Neuberger keine Hilfe mehr. Bayerns Sturmspitze sticht nicht mehr oder bestenfalls wie ein abgebrochener Speer. Von Gerd Müller ist zudem keine Unterstützung zu erwarten, der Mittelstürmer lässt sich ins Mittelfeld zurückfallen. Hoeneß ist auf sich allein gestellt, wirkt mit zunehmender Spieldauer überlastet und muss immer längere Pausen einlegen.


Hölzenbein setzt sich
gegen Hansen durch

Doch auch die Eintracht-Stürmer können sich über mangelnde Aufmerksamkeit und Zuwendung ihrer Gegenspieler nicht beklagen. Hautnah und knochenhart werden Bernd Hölzenbein von Schwarzenbeck und Jürgen Grabowski von Andersson gedeckt. Auszuschalten sind die beiden Eintracht-Spitzen dennoch nie, Hölzenbein sorgt mit raffinierten Hebern vor Maiers Tor mehrfach für Gefahr. In der 20. Minute rettet Hansen beispielsweise in letzter Sekunde, nachdem der gewohnt quirlige Kraus einem Torpedo gleich in eine solche Vorlage Hölzenbeins hineingeflogen kommt. Fünf Minuten später versetzt die Bayern-Abwehr Hölzenbein dafür quasi einen Denkzettel, der Holz leicht angeschlagen humpeln lässt, aber nicht am Weiterspielen hindern kann.

Thommy Rohrbach ergeht es bei Hansen keinen Deut besser als seinen Sturmpartnern. In der 28. Minute hat der schnelle Thommy dann aber einen großen Auftritt, an dem er sich auch von dem Kettenhund an seiner Seite nicht hindern lässt. Einen herrlichen Diagonalpass von Hölzenbein nimmt Rohrbach mit der Brust an, lässt zwei Gegner stehen und scheitert erst im letzten Moment an Sepp Maier.

Grabowskis Widerpart Andersson scheint unterdessen endgültig die Sportart wechseln zu wollen. Als Catcher würde der Schwede heute eine passable Vorstellung geben, als Fußballer ist er jedoch eine glatte Fehlbesetzung. Als er in der 33. Minute gegen Grabi im Strafraum das Klammeräffchen gibt, kann sich Andersson bei Kindervater bedanken, dass der den misslungenen Auftritt nicht mit einem Elfmeterpfiff bedenkt.

Die Eintracht ist mittlerweile Herr im eigenen Hause, setzt die Gäste zunehmend unter Druck und profitiert dabei von einigen Fehlpässen und festgefahrenen Dribblings Franz Beckenbauers. Gut tut der Eintracht-Offensive auch die quirlige Wühlerei des kleinen Kraus. Schade nur, dass sich in der 36. Minute kein Abnehmer für seinen Querpass findet, nachdem er erfolgreich in den Bayern-Strafraum eingedrungen ist.


Körbels Elfmeter zum 1:0

Doch irgendwann ist jedes Glück einmal aufgebraucht, das der Gäste läuft bereits auf Reserve. Fünf Minuten vor der Pause wendet sich dann Fortuna endgültig wichtigeren Dingen zu. Kaum hat die Glücksgöttin den Schiedsrichter für einen Moment aus den Augen gelassen, wirft der das seine auf Anderssons abermals meisterschaftsreifen Ringergriff gegen Grabowski. Der Eintracht-Kapitän landet unsanft auf dem Boden und die Pfeife in Kindervaters Mund: Strafstoß. Karl-Heinz Körbel lässt sich die Chance zu seinem 10. Saisontreffer nicht eingehen und schießt von Maier aus gesehen eiskalt und knallhart rechts ein. Mit seinem 10. Saisontor zieht der Vorstopper mit Bernd Nickel gleich und liegt nur noch einen Treffer hinter dem internen Torschützenkönig Bernd Hölzenbein.

Eine harte, aber nicht unfaire erste Halbzeit endet mit einiger Hektik. Gelbe Karten für Jupp Kapellmann für eine „Fausttätlichkeit“ an Kraus sowie für Trinklein, der Roth über ein gestrecktes Bein hatte stolpern lassen, sind kennzeichnend für die Verbissenheit des Spiels, das verhalten begonnen hatte. „Die Eintracht schien in dieser (Anfangs-)Phase Angst vor der eigenen Courage zu haben“, urteilt Bundestrainer Helmut Schön als aufmerksamer Beobachter zur Pause. Die entscheidenden Vorteile der Frankfurter liegen zweifelsohne im Mittelfeld, wo sich Wolfgang Kraus in der Kopfnote Fleiß eine Eins mit Sternchen verdient, während Bernd Nickel mit der Übersicht eines Feldherrn Regie führt.

Elanvoll stürmt die Eintracht in die zweite Halbzeit. Rohrbach brilliert mit Dribblings und ist respektlos genug, selbst Franz Beckenbauer zu düpieren und wie einen Anfänger stehenzulassen. Alles, was Rohrbachs Sololäufen meist zur Krönung fehlt, ist der gelungene Abschluss.

Der gelingt Hölzenbein drei Minuten nach Wiederanpfiff, doch der Jubel der Zuschauer ist verfrüht. So schön das Tor anzusehen war, so sehr muss ihm Kindervater wegen eines vorangegangenen Foulspiels von Nickel doch die notwendige Anerkennung verweigern. Keine Frage, die Offensive der Gastgeber, allen voran Bernd Hölzenbein und Jürgen Grabowski, sind druckvoller und gefährlicher als ihre mitunter einfallslos wirkenden Konkurrenten von der Isar, denen heute der Spielwitz abgeht, vor dem die Eintrachtspieler heute nur so sprühen.


Körbel und Müller

Dass die Bayern nach gut einer Stunde die Eintracht dann doch mehr und mehr in deren eigene Hälfte drängen, hängt nicht mit der kurz zuvor erfolgten Einwechslung von Weiß für den angeschlagenen Hansen zusammen. Die Bayern besitzen natürlich trotz ihrer durchwachsenen Saison immer noch die notwendige Klasse, um auch Spiele gegen Spitzenmannschaften zu drehen. Plötzlich findet selbst Gerd Müller zur bekannten und gefürchteten Gefährlichkeit zurück und prüft in der 65. Minute Günter Wienhold mit einem Flachschuss. Der Eintracht-Torhüter ist nicht nur in dieser Phase ein sicherer Rückhalt seiner Mannschaft und meistert auch diesen Versuch des freistehenden Bayern-Stürmers prächtig.

Noch sind wenig mehr als 20 Minuten zu spielen und Cramer zieht den nächsten Trumpf. Für den überraschend aufgestellten, aber enttäuschenden Dürnberger kommt Klaus Wunder. Am Bayern-Stürmer war vor zwei Jahren auch die Eintracht interessiert, als der damalige MSV-Stürmer in der Bundesliga mit 17 Treffern in einer Saison seine beste Zeit hatte. Zu Beginn dieser Spielzeit wechselte Wunder von der Wedau an die Isar, doch eingeschlagen hat er bei den Bayern noch nicht. In der Liga nur vier Tore, davon eines per Elfmeter und das letzte Anfang November des letzten Jahres – das ist eine karge Ausbeute für den 24-jährigen Stürmer. Nun soll Wunder den Bayern-Druck verstärken helfen und tatsächlich gelingt ihm das auch vorübergehend, wobei den Gästen die verletzungsbedingte Auswechslung des Frankfurter Liberos Gert Trinklein durchaus in die Karten spielt. Weise wechselt Roland Weidle für Trinklein ein, was eine erneute Umstellung seiner Mannschaft notwendig macht, denn Weidle ist Mittelfeldspieler. Aus diesem rückt nun Beverungen nach hinten und übernimmt die Position von „Schoppe-Gert“.


Flugeinlage von Kapellmann und Kraus

Mit zwei saftigen Schüssen in den ersten Minuten führt sich Wunder gut ein und bringt damit schon mehr zustande als Dürnberger vorher in über einer Stunde. Die Fans der Gastgeber spüren, dass ihre Mannschaft Unterstützung von außen braucht und die „Eintracht, Eintracht“-Rufe verfehlen ihre Wirkung tatsächlich nicht. Die Frankfurter sind klug genug, sich nicht auf einen offenen Schlagabtausch einzulassen und verlegen sich aufs Kontern. Ein Fall für Bernd Nickel, der diese mit viel Übersicht einzuleiten pflegt.

Die Eintracht kämpft unverdrossen und bekommt in der 72. Minute die nächste große Torchance. Beckenbauer muss nach einem herrlichen Zusammenspiel von Grabowski und Hölzenbein sowie einem Musterpass von Nickel für seinen bereits geschlagenen Torwart auf der Torlinie klären. Diese in höchster Not vereitelte Gelegenheit ist das Signal für eine Reihe weiterer gefährlicher Eintracht-Angriffe. In der 75. Minute ist Maier erneut geschlagen, doch anstelle von Beckenbauer rettet diesmal die Querlatte gegen den Kopfball des unermüdlich rackernden Kraus. Nur eine Minute später hat Maier dann endlich die Gelegenheit seine besondere Klasse unter Beweis zu stellen und nutzt diese auch. Einen Nickel-Schuss, der unterstreicht, warum sein Absender „Dr. Hammer“ genannt wird, pariert der Maier-Sepp glänzend. Bei den Versuchen von Kraus und Hölzenbein in den Folgeminuten muss Maier dagegen nicht eingreifen, beide verfehlen nacheinander aus bester Position das Tor.


Das 2:0 durch Bernd Nickel

Sechs Minuten sind noch zu spielen, als Grabowski mit einer raffinierten Körpertäuschung Nickel freie Schussbahn verschafft. Diese Chance lässt sich der Eintrachtspieler nicht entgehen und knallt das Leder unhaltbar für Maier zum vorentscheidenden 2:0 ins Netz. Die Schlussminuten verlaufen so hektisch, wie die der ersten Halbzeit, Gerd Müller holt sich eine Gelbe Karte ab, doch am Ergebnis ändert sich nichts mehr.

Mit diesem Sieg hat die Eintracht die jüngste Erfolgsserie des FC Bayern München gestoppt, der damit seine 12. Niederlage in dieser Bundesligasaison erlitten hat. Die Eintracht spielte weitaus sieges - und zielbewusster, besaß mehr Elan, Begeisterung und kämpferischen Einsatz, dem die Bayern auf die Dauer einfach nicht gewachsen waren.

Gäste-Trainer Dettmar Cramer erkennt das als Sportsmann auch ohne Umschweife an: „Die Eintracht hat so gut gespielt, wie ich es erwartet hatte. Ihr 2:0-Sieg geht voll in Ordnung. Die Eintracht hat unsere Schwächen aufgezeigt, die im Mittelfeldspiel liegen. Mir hat bei den Frankfurtern besonders Grabowski imponiert, der eine erfreuliche Erscheinung auf den deutschen Fußballplätzen ist. Was mir besonders beim Gegner gefiel: wenn es nach vorne geht, wie schnell das Mittelfeld nachrückte. So schaffte die Eintracht jenes zahlenmäßige Übergewicht durch starke Laufarbeit, mit der man aufwarten muss, wenn man ein solches Spiel gewinnen will. Die Eintracht kann nach wie vor Deutscher Meister werden, es ist nur die Frage, ob der Abstand zu Gladbach noch nicht zu groß ist. Aber die Borussia hat ja noch viele sehr schwere Spiele.“

Während Cramer am verdienten Sieg der Frankfurter keinen Zweifel lässt und „Schiedsrichterentscheidungen grundsätzlich nicht kritisiert, weil ein Schiedsrichter selbst dann recht hat, wenn er unrecht hat“, schneidet der Ausbruch von Hoeneß wie ein Säbelhieb durch die Luft des Kabinenganges: „Man kann uns doch in Frankfurt nicht ständig den Sieg klauen!“ Beckenbauer, der Mann des eleganten Balls, versucht sich in bissiger Ironie und tauscht Hoeneß Säbel gegen das Florett: „In Frankfurt sind wir an solche Schiedsrichter-Entscheidungen schon gewöhnt. Doch diesmal gab es wenigstens nur einen Elfmeter. Und für Abseitsentscheidungen ist doch wohl der Linienrichter zuständig, weil er besser steht.“ Nun, Bayern, die bei einer sportlichen Niederlage im Waldstadion ihre wahre Größe zeigen, sind in Frankfurt auch nichts Ungewöhnliches mehr.

Dietrich Weise ist mit seinen Zwölf natürlich hochzufrieden: „Das Bedeutendste am heutigen Spiel war für mich, dass wir in der Phase, als die Münchener um die 60, Minute herum mit aller Macht den Ausgleich erzielen wollten, uns durchschlugen, moralisch so stark waren, dass am Ende das 2:0 voll verdient ist. Ich möchte niemanden herausheben. Wir hatten in Essen und in Düsseldorf mit Beverungen und Grabowski jene Spieler, die den I-Punkt setzten, diesmal war es die Leistung der gesamten Mannschaft, die für den Erfolg ausschlaggebend war. Der große Rückhalt unserer Mannschaft ist Wienhold, und ich glaube, dass die Eintracht mit der heute gezeigten Moral stärker ist als im Vorjahr.“

Auch wenn der Eintracht-Trainer keinen Spieler hervorheben möchte, die Journalisten tun es. Jürgen Grabowski ist zum fünften Mal in diesem Jahr in der Starparade der Abendpost/Nachtausgabe und im „Kicker“ zum siebten Mal in „der Elf des Tages“, in der nach diesem Spieltag zum jeweils zweiten Mal auch seine Mannschaftskameraden Nickel und Wienhold vertreten sind. Nervös wird Wienhold übrigens erst nach dem 2:0-Sieg, als er erfährt, dass sein einjähriges Söhnchen Sascha am Freitag eine Schraube verschluckt hat. „Hoffentlich kommt die Schraube wieder auf natürlichem Wege raus“, entfährt es dem Keeper.

Doch außer der vermissten Schraube fehlt doch noch etwas an diesem Tag. Was wird nun aus Jürgen Grabowski? Bleibt er der Eintracht erhalten? Die Journalisten sind gewohnt, dass Grabi - mit Abstand – stets der Letzte ist, der die Kabine nach dem Spiel verlässt. Duschen und Fönen erledigt der Eintracht-Kapitän regelmäßig mit größter Sorgfalt und in aller Ruhe. Nach dem Bayernspiel aber scheint er sämtliche Rekorde zu brechen: Erst eine Stunde und zwanzig Minuten nach dem Schlusspfiff tritt er aus der Kabine.

Was ihn dort so lange festgehalten hat, waren jedoch weder Sauberkeitsfimmel noch besondere Eitelkeit. Das komplette Eintracht-Präsidium mit Achaz von Thümen, Ernst Berger und Gerhard Jakobi sowie Trainer Dietrich Weise haben vielmehr mit dem unumstrittenen Star der Eintracht in den Kabinen-Katakomben das letzte Gespräch über die Vertragsverlängerung geführt. Fürwahr ein ungewöhnlicher Ort und ein nicht weniger ungewöhnlicher Zeitpunkt, möchte man meinen. Doch was verschlägt das eine wie das andere, wenn am Ende ein für alle Seiten positives Ergebnis steht. „Wir haben soeben das entscheidende Gespräch geführt und sind uns grundsätzlich einig geworden. Ich werde das Ergebnis dieses Gesprächs jetzt noch einmal überschlafen, ehe dann am Montag oder Dienstag alles perfekt gemacht wird und am Donnerstag Details, wie beispielsweise die Dauer des neuen Vertrages, bekanntgegeben werden“, erklärt Jürgen Grabowski. Die positive Lösung des derzeit wohl schwierigsten personellen Problems am Riederwald signalisiert: Bei der Eintracht stimmt im Augenblick alles.

“Ich hatte ein gutes Angebot aus Spanien, aber als die finanziellen Seiten meines neuen Frankfurter Vertrages geklärt waren, verzichtete ich auf das Abenteuer Spanien“, berichtet Grabi und sieht in dem Dreijahresvertrag keinen Widerspruch zu seinem Alter: „Ich spiele jetzt Mittelstürmer, da muss ich doch in bester Kondition sein. Ich habe auch gelernt, meine Kräfte einzuteilen. Ich glaube, ich kann noch sehr gut diese drei Jahre in der Bundesliga spielen.“

Trainer Weise fällt nach dem „Ja“ seines Kapitäns ein Stein vom Herzen: „Ohne Grabowski hätte unser Spiel ganz anders Züge bekommen. Nun können wir so weiter arbeiten, um zu einer echten Spitzenmannschaft zu werden.“ Ob sich die Eintracht dagegen tatsächlich von Trinklein und Rohrbach trennen wird, ist weiterhin ungewiss, sagt der Trainer: „Vielleicht wird der Verein vorsorglich die Vorträge kündigen. Doch ist damit noch keine endgültige Entscheidung über den Verbleib gefallen.“

Libero Gert Trinklein, der wegen einer Oberschenkelzerrung in der 70. Minute verletzt das Feld räumen musste, erklärt unterdessen den Anlass seiner Auswechslung: „Bei einer Abwehraktion habe ich plötzlich den Schmerz gespürt und wusste sofort: Es hat keinen Zweck mehr.“ „Trinklein hob die linke Hand zum Zeichen der Aufgabe“, wie Trainer Weise es formulierte. „Zum Glück sind die Spieler mittlerweile so vernünftig und lassen sich in einem solchen Fall gleich austauschen. So ist die Gefahr gebannt, dass die Verletzung noch schlimmer wird. Trinklein können wir nun sehr wahrscheinlich schon im Pokalspiel gegen Fortuna Köln wieder einsetzen“, lobt Weise die Vernunft seines Liberos.

Der Sieg gegen die Bayern macht sich übrigens auch im Portemonnaie der Spieler bezahlt. Mit 58.400 Zuschauern war das Frankfurter Waldstadion erstmals in dieser Saison ausverkauft. Das Stadion fast zwar 62.000 Zuschauer, doch so viele Karten standen nicht zum Verkauf an. Die Eintracht nahm rund 600.000 Mark ein, von denen 0,6 Prozent, 3.600 Mark, an jeden eingesetzten Spieler als Siegprämie abfallen.

Wenn es nach den Eintracht-Akteuren geht, soll das nicht der letzte Jubel- und Zahltag dieser Spielzeit gewesen sein. „Wir wollen, solange es geht, auf zwei Hochzeiten tanzen“, sagt Rohrbach und Grabowski pflichtet ihm bei: „Dass wir in beiden Wettbewerben noch dick drin sind, das hat keine Nachteile, sondern nur Vorteile: Es ist ein großartiges Stimulans.“ „Es sieht sehr gut für uns aus“, meint auch Bernd Hölzenbein und bezieht sich dabei sowohl auf die derzeitige Hochform der Mannschaft als auch auf die günstigen Termine: „Das Derby am 13. April in Offenbach wird zum Schlüsselspiel für unsere Meisterschaft werden“, hat Bernd Hölzenbein erkannt. „Nach dem Meistertitel brauchen wir nun nicht mehr verstohlen zu schielen, sondern können ihn nunmehr mit offenen Augen anpeilen. Wir haben zurzeit ein feines Mittelfeld“, bekräftigt Bernd Nickel und schlussfolgert: „Jetzt sind wir im Endkampf um die Meisterschaft voll dabei.“

Trainer Weise bleibt wie gewohnt sachlich und vorsichtig: „Wir werden versuchen in beiden Wettbewerben so weit wie möglich zu kommen. Im Pokal scheint es theoretisch am leichtesten zu sein. Mit drei Siegen könnten wir aus eigener Kraft den Pokal gewinnen. In der Meisterschaft aber benötigen wir die Mithilfe der anderen Clubs.“ In diese Kerbe schlägt – wenn auch fast im Ton des Bedauerns – auch Bayern-Trainer Dettmar Cramer: „Ich habe schon am Anfang der Saison gesagt, die Eintracht kann Meister werden. Jetzt spielt sie wieder in jener Form. Die Frage bleibt, ob es nicht zu spät ist.“

Meisterschaftsspekulationen sind ohnehin nicht die Sache des Frankfurter Fußballlehrers. Ihm ist wichtiger, dass die Mannschaft seine Lehren und Appelle endlich angenommen zu haben scheint. Weise verdeutlicht mit einem Hinweis auf die Duplizität der Termine neu gewonnene Eintracht-Qualitäten: „Auch im letzten Jahr kamen die Bayern am 26. Spieltag ins Waldstadion. Damals mussten wir nach einer guten ersten Halbzeit noch froh über ein 1:1 am Ende sein. Auch diesmal kamen wir ins Wanken. Doch wegen unseres großartigen Behauptungswillens fielen wir nicht. Deshalb vor allem sind wir stärker als früher.“ „Mehr als das 2:0 hat mich der Behauptungswille gefreut, mit dem die Mannschaft, mit dem Rücken zur Wand, das Aufbäumen der Bayern zerschlagen hat. Das macht die Eintracht heute stärker als vor einem Jahr, als wir in der gleichen Situation bangen mussten, gegen die Bayern noch zu verlieren. Dieser Behauptungswille ist für mich zukunftsweisend.“ Die Eintracht-Gegenwart bietet für Weise aber lediglich „seit Wochen gute Durchschnittsleistungen“.

Falsche Bescheidenheit oder realistische Selbsteinschätzung? Die Meinungen bei Fans und Spielern weichen durchaus von der des Trainers ab. „Bei uns stimmt doch momentan alles“, sagt Bernd Nickel: „Wir haben Moral und Selbstvertrauen und seit fünf, sechs Wochen die ideale Besetzung.“ Nickel führt das derzeitige Hoch der Eintracht (10:2 Punkte aus den letzten sechs Spielen) vor allem auf die stets gleiche Besetzung zurück: „Nehmen wir das Mittelfeld. Früher waren Kraus und Beverungen Rivalen um einen Platz in der Mannschaft. Jetzt spielen beide. Jeder hat seinen festen Stammplatz und braucht nicht zu bangen, bei einer etwas schwächeren Leistung gleich wieder rauszufliegen. Das bringt die Ruhe in die Mannschaft.“

„Unsere Moral ist bombig, wie ich es noch nie bei der Eintracht erlebt habe“, bestätigt Torwart Wienhold. „Momentan läuft's großartig“, findet auch Willi Neuberger, der aber auch warnende Worte findet: „Bei uns herrscht Hochstimmung, aber deshalb wollen wir keine großen Sprüche klopfen. Unser Trainer will das nicht. Und: Im Fußball fällt man verdammt schnell auf die Nase.“

Das ist nicht von der Hand zu weisen. Als sogenannte „dritte Kraft“ waren die Frankfurter in diese Saison gestartet. Mit einem furiosen Auftakt schienen sie zunächst diese Rollenerwartung zu bestätigen, ehe sie plötzlich nur noch unter „ferner liefen“ zu verzeichnen waren. Nun, nach sieben Spielen ohne Niederlage ist die Eintracht mittlerweile freilich wieder zu einem ernsthaften Meisterschaftskonkurrenten der Mönchengladbacher geworden, doch wer will sagen, wie das in wenigen Wochen aussehen wird?

Einen Punkt hinter Hertha BSC nimmt die Eintracht jetzt den 3. Platz ein, hat aber wie die vier Punkte voraus auf dem Spitzenplatz liegenden Gladbacher ein Spiel weniger. Ein Nachholspiel haben auch noch die Bayern, die sich mit einem Sieg von Platz 13 an Duisburg und Essen, nicht aber am Tabellenzehnten Bochum vorbei schieben können. Es fällt den Münchnern sichtlich schwer, mit diesem Zustand umzugehen: In Europa Spitze, doch in der Bundesliga nur eine graue Maus unter vielen. Ob es ihnen wohl umgekehrt lieber wäre? (rs)


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