Eintracht Frankfurt - Fortuna Köln

DFB-Pokal 1974/1975 - Viertelfinale

4:2 (2:2)

Termin: 12.04.1975
Zuschauer: 9.000
Schiedsrichter: Walter Engel (Reimsbach)
Tore: 1:0 Jürgen Grabowski (17.), 1:1 Hattenberger (25.), 1:2 Linßen (29.), 2:2 Jürgen Grabowski (30.), 3:2 Bernd Lorenz (53.), 4:2 Bernd Hölzenbein (81.)

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Eintracht Frankfurt Fortuna Köln

 


  • Wolfgang Fahrian
  • Günter Schwaba
  • Peter Boers
  • Karl-Heinz Struth
  • Hans-Günter Neues
  • Noel Campbell
  • Johannes Linßen
  • Günter Oleknavicius
  • Roland Hattenberger
  • Lothar Wesseler
  • Wolfgang Glock

 

Wechsel
Wechsel
  • Wolfgang Thier für Hans-Günter Neues (32.)
  • Hans-Peter Backes für Wolfgang Glock (74.)
Trainer Trainer
  • Heinz Hornig

 

Mit Fortuna ins Halbfinale

Dietrich Weise ist ein Fußballfachmann, ein Fußballlehrer im besten Sinne. Der eher leise als laute Trainer erklärt, belehrend wirkt er nie. Die Gelassenheit eines Stoikers, die Weise auf der Trainerbank ausstrahlt, irritiert allerdings so manchen. Es ist geradezu ein Ding der Unmöglichkeit, an Weises Gesichtszügen ablesen zu wollen, wie eine Partie läuft, eher könnte man einen gewieften Pokerspieler dazu bringen, die Karten auf seiner Hand offen auf den Tisch zu legen. Wer dahinter eine Masche Weises vermutet, irrt. Der Eintracht-Trainer empfindet es vielmehr „als Schwäche“, trotz aller Dramatik eines Spiels „kaum je Regungen zu empfinden. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich in allem ein viel zu großer Realist bin.“

Sei es der totale Triumph oder eine herbe Enttäuschung, Weise nimmt, wie er sagt, „alles zu gelassen hin“. Bei aller Selbstkritik sollte man freilich nicht verkennen, dass dieses innere Gleichgewicht auch Vorteile birgt. Weise wirkt im Falle eines Sieg nie aufgekratzt, aber in der Niederlage eben auch nie zu Tode betrübt. Seiner Mannschaft ist er so ein unverrückbarer Leuchtturm, der bei Sturm und Sonnenschein eine unverklärte Sicht auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bietet.

So verwundert es nicht, dass den Trainer ihn in diesen Tagen die verlockende Möglichkeit, innerhalb einer Juniwoche mit der Eintracht Deutscher Meister und Pokalsieger werden zu können, überhaupt nicht interessiert. „So weit sind wir noch nicht“, bescheidet Weise freundlich, aber bestimmt. Über seinen ausgeprägten Realitätssinn verliert der Trainer aus Sachsen jedoch nie sein Ziel aus den Augen: Die Eintracht muss die Saison unter den ersten Fünf beenden. Alles andere wäre für den ehrgeizigen Fußballlehrer ein Rückschlag, den auch ein neuer Pokalsieg nicht aufwiegen würde. Im Pokal spielen für Weise Glück und Zufall eine zu große Rolle, als dass hierin bereits eine Bestätigung seiner Arbeit liegen könnte. Nein, ein Pokalsieg wird dankend angenommen, doch in Weises Programm steht die Etablierung der Eintracht unter den Spitzenmannschaften des Deutschen Fußballs.

Natürlich empfindet auch ein betont sachlicher Mann wie Weise so etwas wie Stolz beim Blick auf seine Erfolge. Nicht von ungefähr hängen an der Wand seines Arbeitszimmers zwei auf Holz aufgezogene Mannschaftsfotografien vom 1. FC Kaiserslautern und der Frankfurter Eintracht. „Zwei Vereine, und mit beiden auf Anhieb ins Pokalfinale. Für den Anfang nicht schlecht“, sagt Dietrich Weise eher beiläufig als betont, mit der für ihn typischen Untertreibung, die bei ihm nie unangenehm ist, weil sie nicht aufgesetzt wirkt.

Weises Ziele sind jedoch andere. Er hatte sich für seine ersten beiden Jahre am Riederwald vorgenommen, „die Eintracht gemäß ihrem Image und ihrer Struktur aus der Mittelmäßigkeit herauszuführen und aus ihr wieder eine deutsche Spitzenmannschaft“ zu machen. Nach drei 8., einem 5. sowie einem 15. Platz in den 5 Spielzeiten vor Weise sieht selbst der bescheidene Trainer keine Veranlassung, sein Licht unter den Scheffel zu stellen: „Dieses Ziel haben wir erreicht. Von der Leistung her kann es die Eintracht mit jeder anderen Mannschaft aufnehmen. Wir haben den Rückstand zu Bayern München und Borussia Mönchengladbach aufgeholt, sind ihnen in puncto Taktik und Technik ebenbürtig. Was uns noch fehlt, sind Routine und Internationale Erfahrung. Die Eintracht ist - und dieses Ziel lief und läuft parallel - in sämtlichen DFB-Mannschaften, von der Jugendauswahl über die Amateur- und B-Mannschaft bis hin zur Nationalelf, permanent vertreten, auch nach Jürgen Grabowskis Rücktritt.“

Das reicht Weise aber noch lange nicht. Er will vom Spielerhandel, den er oft genug als entwürdigend empfunden hat, soweit wie möglich unabhängig werden: „Wir müssen dahin kommen, dass etwa Spieler wie der Schweinfurter Aumeier für die Eintracht keine Gesprächspartner mehr sind, dass wir jederzeit gleichwertige Talente aus dem eigenen Nachwuchs heranziehen können, dass für uns nur noch bewährte, überdurchschnittliche Spieler wie etwa ein Willi Neuberger interessant sein können.“

Auf dem Weg zu einem eigenen „Talentschuppen“ hat sich Weise bei den Eintracht-Verantwortlichen wie Ernst Berger nicht nur Freunde gemacht. Die Forderung nach mehr Macht und die Einführung neuer Methoden - wie die Einstellung zweier hauptamtlicher Assistenten - zielt in die Zukunft, musste von Weise aber gegen erheblichen internen Widerstand durchgesetzt werden. Weise schreckte auf seinem Weg nicht einmal davor zurück, den Bruch mit der Eintracht zu riskieren: „Ich bin hart und konsequent. Andere mögen’s stur nennen. Aber ich kann nicht von einem Dampfer auf den anderen springen.“ Ob Weise am Ende Gehör gefunden hätte, wenn er weniger erfolgreich gewesen wäre, darf dennoch bezweifelt werden.

Doch nicht bei der Organisation und der Struktur des Vereins ist Weise nicht bereit, sich mit vielleicht lieb gewonnen „Traditionen“ zu arrangieren. Es ist diese typische Eintracht-Untugend, mit der die alteingesessenen Spieler unnötige Niederlagen achselzuckend zu entschuldigen pflegten, die er nicht akzeptieren konnte: „Wir sind halt die launische Eintracht.“

Der Realist Weise hat diese Launenhaftigkeit durch „den bedingungslosen Behauptungswillen vom ersten bis zum letzten Spiel der Saison“ ersetzt, wie er meint. Er gibt sich erst zufrieden, „wenn jeder nach dem Spiel in der Kabine erst einmal eine Viertelstunde verschnaufen muss“. Doch anstelle der Knute, die sein Vorgänger für das probate Mittel hielt, setzt Weise auf die Überzeugungskraft seiner Worte. Wo sie nicht auf fruchtbaren Boden zu fallen scheinen oder Spieler am Ende ihrer Entwicklungsmöglichkeit angelangt sind, ist der Trainer ebenfalls kein Freund von Gefühlsduseleien. Es ist sicher kein Zufall, dass auslaufende Verträge beliebter Spieler noch nicht verlängert wurden.

Weise plant nichts ins Blaue, er missbraucht die Eintracht auch nicht als Versuchsobjekt für einen fortschrittlichen Methodiker. Er hat klare Vorstellungen von dem nächsten Schritt und bei aller Scheu vor Schlagzeilen und Schaumschlägerei formuliert er diesen auch erstmals öffentlich: „Ganz klar, das Ziel ist, dass die Eintracht in den nächsten Jahren Deutscher Meister wird.“

An diesem Wort muss sich der Trainer bis zu seinem vorläufigen Vertragsende 1977 messen lassen. Der Erfolg ist mit Weise gekommen, damit Weise weiter ungestört wirken kann, muss auch der Erfolg am Riederwald verweilen. Weise weiß das.

Eine Heimniederlage gegen den Zweitligisten aus Köln im Viertelfinale des DFB-Pokals würde dem Trainer des amtierenden Pokalsiegers wohl einige Schwierigkeiten bereiten. Das Erreichen des Halbfinales durch einen Sieg gegen den letztjährigen Bundesligaabsteiger wird in Frankfurt vorausgesetzt. Die Gelegenheit den Pokalsieg zu wiederholen erscheint allen günstig, denn die noch verbliebene Bundesliga-Konkurrenz prallt in dieser Runde aufeinander.

Aufeinandergeprallt sind im Training auch Bernd Hölzenbein und Wolfgang Kraus, der in dieser Woche seinen Vertrag als Amateur bis 1977 verlängerte. Holz zog sich bei diesem Zusammenstoß über dem rechten Augenlid einen Riss zu, der im Krankenhaus genäht werden musste. Der Pokaleinsatz des Weltmeisters, der mit der Schwellung über dem Auge ein wenig an einen Preisboxer erinnert, ist glücklicherweise nicht gefährdet. Hölzenbein kann sogar direkt vom Krankenhaus die Darmstädter Rheinstraße fahren, um dort – wie er es dem Lilien-Spieler und Ex-Offenbacher Rudi Koch versprochen hat – bei der Eröffnung dessen Salons für Herrenmoden anwesend zu sein.

„Wenn wir diese Chance leichtfertig vergeben, gehören wir geschlagen“, meint Bernd Hölzenbein mit Blick auf das Viertelfinale. Sein Trainer gibt jedoch zu bedenken: „Was Fortuna Köln betrifft, so tappen wir im Dunkeln.“ Weise meint, dass sich beim Erstligaabsteiger „bis auf Zimmermanns Weggang nach Düsseldorf Entscheidendes nicht geändert hat. Es wäre von uns also eine Riesendummheit, dieses Pokalspiel nicht mit einem Bundesligaspiel gleichzusetzen.“ Dass sich die Fortuna im Achtelfinale im Wiederholungsspiel gegen die Amateure aus Jülich erst in der 87. Minute das Ticket für die nächste Runde sichern konnte, sollte nicht über die Stärke des Zweitligisten hinwegtäuschen: Von den letzten elf Ligaspielen gewann die Fortuna acht, nur das in Dortmund ging verloren.

Nicht wenige erinnern auch daran, dass es bei der Frankfurter Eintracht zur Tradition zu gehören scheint, dass nach einem guten Spiel gegen einen großen Gegner eine schwache Partie gegen einen Partner von geringerem Ansehen an der Tagesordnung ist. Zudem kann Trainer Weise nicht die stärkste Formation aufs Feld schicken, weil Trinklein und Rohrbach ausfallen. Anstelle von Trinklein spielt Neuberger Libero, für den wiederum Kalb die Außenverteidigerposition übernimmt. Im Sturm wird Rohrbach durch Lorenz ersetzt, der so zu seinem ersten Pflichtspieleinsatz seit dem 15. Februar kommt. „Wir müssen diesen Spielern eine Chance geben, damit der Abstand zum Stamm nicht zu extrem groß wird“, sagt Weise und so sollen Wienhold - Reichel, Neuberger, Körbel, Kalb - Beverungen, Kraus, Nickel - Lorenz, Grabowski und Hölzenbein die Fortuna schlagen und für die Eintracht das Halbfinale klarmachen.


Fahrian und Grabowski

So locker wie sich Frank Fahrian, der ehemalige Nationaltorhüter, und Jürgen Grabowski vor Spielbeginn begrüßen, lässt es vor nur 9.000 Zuschauern zunächst auch die Eintracht angehen. Es scheint, als würde die Mannschaft allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz dieses Spiel auf die leichte Schulter nehmen. Der Gastgeber macht es sich erst recht dadurch schwer, dass die Ordnung im Mittelfeld fehlt. So kann dort das Übergewicht an Spielern kein Übergewicht im Spiel entwickeln. Für Druck aus den hinteren Reihen sorgt bei der Eintracht eigentlich nur Peter Reichel und vorn ist Jürgen Grabowski nahezu allein für spielerische Glanzpunkte zuständig.

Kein Zufall also, dass der Eintracht Kapitän auch nach 17. Minuten für die Führung sorgt, als er aus neun Metern Entfernung einen abgewehrten Ball erneut aufs Tor bringt. Flach schlägt das Leder links von Fahrians ausgestrecktem Arm ein, da kann sich der Torhüter so lang machen, wie er will.


Fahrian geschlagen -
Grabowski trifft zum 1:0

Das 1:0 verleitet die Eintracht zu einer noch nachlässigeren Spielweise, jeder verlässt sich auf den anderen und so steht Torhüter Wienhold gar manchmal auf sich allein gestellt den Stürmern der Fortuna gegenüber. Es ist nicht so, dass die Gastgeber direkt um den Ausgleich betteln würden, doch um ihn zu verhindern, tun sie zu wenig.

Hatte nach dem Schlusspfiff vor einer Woche Bayern-Trainer Cramer noch die großartige Mittelfeldachse der Eintracht gerühmt und die ständige Bewegung der ganzen Mannschaft vom Main als spielentscheidend angegeben, so wird diesmal das Mittelfeld fast kampflos dem Gegner überlassen und Deckung scheint für die Riederwälder ein unbekanntes Wort zu sein.

So kommt es, dass zu diesem Zeitpunkt nicht wie gewohnt Jürgen Grabowski, sondern Noel Campbell Chef im Frankfurter Waldstadion ist. Der rothaarige Ire kann im Mittelfeld schalten und walten, wie er will. Während Grabowski auf die ernst gemeinte Unterstützung seiner Kameraden verzichten muss, setzt an Campbells Seite der ausgefuchste Linßen immer wieder seinen robusten Mittelstürmer Wesseler gefährlich ein. Lothar Wesseler ist der Eintracht von der 2:3-Niederlage in Köln aus der letzten Bundesligasaison noch in Erinnerung geblieben. Gut, dass Rolf Kucharski, der die Fortuna beim letzten Gastspiel im Waldstadion mit seinen Treffern mit 2:0 in Front gebracht hat, mittlerweile in Aachen seiner Lieblingsbeschäftigung nachgeht, die Frankfurter Abwehr gerät auch so von einem Dilemma ins andere.

Den wenigen Zuschauern verschlägt es fast die Sprache, als die Fortunen durch die zu Saisonbeginn verpflichteten Hattenberger und Linßen innerhalb von vier Minuten in Führung gehen. In der 25. Minute trifft der aus Innsbruck an den Rhein gekommene Österreicher Hattenberger zum Ausgleich und in der 29. Minute erzielt der Ex-Duisburger Linßen gar das 2:1 für die Kölner.


Grabowski erzielt das 2:2

 

Sicher, die Fortuna ist in der zweiten Liga einer der Aufstiegskandidaten, doch wer hätte damit gerechnet, dass die Gäste hier ernsthaft für eine Überraschung sorgen könnten? Während die Zuschauer noch einigermaßen fassungslos sind, beweist sich der Eintracht-Kapitän erneut als großer Kämpfer und wahrhafter Anführer. Keine 60 Sekunden nach der Gästeführung setzt er nach einem von Fahrian abgewehrten Ball nach und überwindet den Kölner Keeper aus kurzer Distanz zum zweiten Mal. Jürgen Grabowski – das ist deutlich – mag Teil der Diva vom Main sein, die Chance auf den zweiten Pokalsieg will er sich von der Launenhaftigkeit seiner Mitstreiter jedoch nicht nehmen lassen.

Doch so sehr sich Grabowski auch bemüht, das Spiel der Frankfurter bringt auch er heute nicht auf Betriebstemperatur. Seine sonst kongenialen Partner Nickel und Hölzenbein nehmen sich heute eine Auszeit. Der Starke ist am Mächtigsten allein, doch ohne Unterstützung kann auch er zuweilen machtlos sein. Da sich auch Jürgen Kalb überhaupt nicht zurechtfindet, Bernd Lorenz sich zwar zeitweise gut einfügt, aber doch längst nicht so quirlig wie Thomas Rohrbach spielt, ist der eindrucksvolle Spielrhythmus der letzten Bundesliga-Wochen allein schon durch die personellen Umbesetzungen gestört.

Zur Pause können sich die Frankfurter über den Schiedsrichter beklagen, der nach etwas mehr als einer halben Stunde keinen Elfmeter gesehen haben wollte, obwohl Kraus im Strafraum eindeutig regelwidrig zu Fall gebracht wurde, doch um ihre größte Kritik loszuwerden, müssen sie sich an die eigene Nase fassen. Das war einfach zu wenig, um den Anspruch auf einen Einzug ins Halbfinale zu untermauern.

Die zweite Halbzeit beginnt nicht nach dem Wunsch der Gäste, die bereits nach 32. Minuten Hans-Günter Neues durch Wolfgang Thier ersetzen mussten: Neuberger rasselt bei einem seiner seltenen Vorstöße in der 50. Minute im Kölner Strafraum mit Boers zusammen, was Schiedsrichter Engel seltsamerweise auf die Idee bringt, bei dieser Karambolage könnte es sich um ein strafwürdiges Vergehen gehandelt haben. Ob dem sonst so sicheren Elfmeterschützen Körbel die Ungerechtigkeit der Schiedsrichterentscheidung beim Anlauf durch den Kopf geht? Der von Körbel getretene Ball passiert zwar Fahrians ausgestreckten Arm da, jedoch nicht die Torlinie – er donnert an den Pfosten.

Drei Minuten nach Körbels Fehlschuss darf sich der bisher blass gebliebene Bernd Nickel an einem Freistoß versuchen. Nickel feuert ein Geschoss der Marke Dr. Hammer auf das Kölner Gehäuse ab, Fahrian wehrt ab, doch Bernd Lorenz netzt den Abpraller unhaltbar ein. Das 3:2 für die Eintracht und das dritte Tor, das die Eintracht im Nachschuss erzielt. Bernd Lorenz – an diesem Urteil vermag auch sein Tor nichts zu ändern – steht auf Linksaußen auf verkehrtem und somit auf verlorenem Posten. Auch wenn Weise bei der Verpflichtung des Stürmers etwas anderes gesehen und gesagt hat, ein Außenstürmer ist Lorenz nicht. Ihm fehlen der schnelle Antritt und eine sichere Ballführung, um auf dieser Position eine feste Besetzung zu werden. Nicht umsonst hat Weise im Laufe der Saison Neuberger geholt, der aber nicht gleichzeitig in der Abwehr und im Sturm spielen kann. Ein zweiter Willi Neuberger täte der Eintracht gut.

Er ist auch heute der Einzige in der Frankfurter Abwehr, der einen klaren Kopf behält. Der Ex-Wuppertaler besitzt als letzter Mann die Energie und die Geschicklichkeit, gefährliche Angriffe zu zerstören, aber auch den Blick und das Gespür dafür, wann er sich aus der eigenen Abwehr lösen kann. Dass die Gäste immer wieder Anspielstationen im Mittelfeld finden, kann freilich auch der Libero nicht verhindern. Gut für die Eintracht ist, dass die Fortuna nun völlig von der Göttin gleichen Namens verlassen scheint. Obwohl Linßen und Campbell weiterhin gute Gelegenheiten herausspielen, will den Kölnern kein weiterer Treffer mehr gelingen. Um ein Haar kommt ihnen anstelle der Glücksgöttin der sonst sichere Frankfurter Torwart Wienhold zu Hilfe. In der 62. Minute unterläuft ihm ein schwerer Fehler, als er einen Schuss von Thier durch die Hände rutschen lässt, doch im Rückwärtsflug bekommt er das Leder noch auf der Linie zu fassen …

Nun geht den Kölner langsam, aber spürbar die Puste aus. Das wäre die Chance für die Gastgeber, ihre Cleverness und Routine auszuspielen. Doch Bernd Nickel bleibt blass und behäbig, Wolfgang Kraus ist nach einer Stunde „mit den Kräften am Ende“ und bittet seinen Trainer „um seine Ablösung“, während Klaus Beverungen mit einer blutenden Fußverletzung, das Spiel durchsteht. Bei Kraus, der in Spielanlage und Dribbelkunst seinem Clubkameraden Hölzenbein immer ähnlicher wird, ist der Wunsch auf eine Auswechslung nach rund einer Stunde verständlich: Ihm steckt noch das Amateur-Testspiel vom Mittwoch in den Knochen.

Vielleicht denkt der eine oder andere Eintrachtspieler auch bereits an das Derby am Samstag in Offenbach. Das Schlüsselspiel der Eintracht, wenn sie auch in der Meisterschaft noch mitreden will, möchte natürlich kein Akteur verpassen. Neun Minuten vor dem Ende sorgt dann Bernd Hölzenbein dafür, dass sich seine Kollegen in aller Ruhe auf die nächste Partie vorbereiten können. Einen präzisen Freistoß von Frankfurts bestem Mann, Kapitän Grabowski, lenkt mit einem raffinierten Kopfball zum 4:2 ins gegnerische Netz. Der Einzige, der sich nach dem Schlusspfiff im Lager der Eintracht nicht freuen kann, ist Klaus Beverungen. Seine Fußverletzung muss im Krankenhaus genäht werden.

Der Eintracht geht es so ähnlich wie einem Seiltänzer, der über einen breiten Balken nicht mit der gleichen Anspannung wie über ein dünnes Seil balanciert, obwohl ein Sturz die gleichen fatalen Folgen hat. Natürlich sollte die Eintracht die Klasse haben, auch mit angezogener Handbremse einen Gegner der zweiten Klasse allein mit ihren spieltechnischen Vorzügen souverän zu beherrschen. „Aber auch dazu müssen wir ein volles Laufprogramm absolvieren. Ohne das kommt auch die Technik nicht zum Tragen“, meint Grabowski selbstkritisch.

„So ist es mit der Eintracht: Auf große Siege folgen weniger überzeugende Erfolge. Heute hat unsere Mannschaft gegen die läuferisch starken Kölner vor allem im Mittelfeld nicht aggressiv genug gespielt. Fortuna merkte man die Bundesliga-Erfahrung an. Sie ist die beste Mannschaft der zweiten Liga, die ich bisher gesehen habe“, lobt Trainer Weise den Gegner. Sein Kollege, Kölns Trainer Heinz Hornig, setzt noch einen drauf: „Von einem Klassenunterschied war nichts zu sehen. Sogar ein Sieg für uns war drin.“

Ohnehin fühlen sich die Kölner durch höhere Mächte um den verdienten Lohn gebracht. In Anspielung auf diese höheren Mächte, die die Gäste im Schiedsrichter personifiziert sehen, faucht Hattenberger: „Die Eintracht hat wieder einmal mit 12 Mann gespielt.“ „13 Heimelfmeter - das macht stutzig“, sagt auch Kölns Trainer Hornig, um die Vorwürfe der Bayern nach dem letzten Spiel im Waldstadion aufzugreifen: „Jetzt kann ich Franz Beckenbauer verstehen.“ Willi Neuberger räumt auch ein: „Ich hab’ mich halt fallenlassen. Der Linienrichter hätte sehen müssen, dass es kein Elfmeter war. Ich bin froh, dass Körbel den Strafstoß an den Pfosten geschossen hat und dadurch das Spiel nicht entschieden worden ist.“

Hornig misst jedoch dem unberechtigten Elfmeter-Pfiff des schwachen Schiedsrichters Engel aus Reimsbach spielentscheidende Bedeutung bei: „Bis dahin hatten wir eine Chance, zu siegen. Danach spielten wir nicht mehr normal. Meine Elf, schon vorher durch viele kleinere Fehlentscheidungen benachteiligt, verlor völlig die Beherrschung, sie foulte und meckerte nur noch. Damit machte sie ihr Spiel selbst kaputt.“ Fortuna-Präsident Löring, dem das Herz ohnehin auf der Zunge liegt, kann da nicht mehr an sich halten: „Herr Engel ist ein Witz im Profi-Fußball. Er versteht nichts von der Sache. Drei Eintracht-Tore entsprangen Freistößen - und dann noch dieser Elfer!“

Einmal in Fahrt ist der Mäzen des Vereins nicht mehr zu bremsen: „Der Mann, der schon auf den simplen Neuberger-Trick hereinfiel, er konnte auch nicht die raffinierte, oft unfaire Spielweise Grabowskis durchschauen. Grabi bohrt sich förmlich in einen Gegner. Wenn der sich dann wehrt, wird gepfiffen.“ Der Weltmeister - mit zwei Toren und einer Vorlage wieder spielentscheidender Mann: „Raffinesse ist erlaubt. Unfair war ich nicht. Manche Stürmer kann man nur im freien Raum ausspielen. Ich suche als Spieler auch Kontakt zu meinem Bewacher. Das ist unser Erfolgsgeheimnis.“ Grabowski wehrt sich energisch gegen den Vorwurf, dass es sich bei der Freistoß- und Elfmeterlawine um eine einstudierte Sache handele. „Wir spielen zu Hause so offensiv wie kein anderer Club. Unsere 13 Elfmeter sind das Ergebnis von vielleicht 50 umstrittenen Situationen. Außerdem waren an diesen Strafstößen 7 verschiedene Spieler von uns beteiligt.“

Im Presseraum erinnert derweilen die Stimmung an den mageren 1:0-Sieg über den VfL Bochum im Achtelfinale: Erst eine Stunde nach dem Schlusspfiff kommen bei der Eintracht vor dem Fernsehschirm Jubel und Begeisterung auf. Wie weggeblasen sind die Gedanken an das schwache Spiel und den mühsamen Sieg über den klassentieferen Gegner, als Fortuna an diesem Samstag ein weiteres Mal mit der Eintracht im Bunde ist: Das Los beschert der Frankfurter Eintracht Rot-Weiß Essen im Halbfinale und das heiß ersehnte Heimspiel, das dritte hintereinander. „Besser hätte es wirklich nicht kommen können“, sagt Jürgen Grabowski und gesteht ein bisschen Bammel vor dem Pokalschreck dieser Runde, dem MSV Duisburg, ein, der andere Fortuna aus Düsseldorf ausgeschaltet hat. Essen jedoch liegt der Eintracht. 5:0 hat die Eintracht vor wenigen Wochen an der Hafenstraße gewonnen und die Rot-Weißen in der Hinrunde mit sage und schreibe 9:1 aus dem Waldstadion gefegt.

Die Gefahr, dass die beiden Kantersiege gegen Essen die Eintrachtspieler erneut „im Unterbewusstsein“ (Grabowski) zum Leichtsinn und zur Lässigkeit verleitet, bestreitet Bernd Hölzenbein: „Jeder Gegner aus der Bundesliga muss ernst genommen werden. Außerdem: Das Finale zum Greifen nahe, da geht es für jeden doch um alles. Da spielen wir wieder mit voller Konzentration und letztem Einsatz.“

Es mag im Westen immer noch nichts Neues geben, doch für die Eintracht ist die „West-Front“ der Weg ins Pokalfinale: 3:1 in Bielefeld, 2:1 in Solingen, 3:0 in Mülheim, 1:0 gegen Bochum, 4:2 gegen Fortuna Köln und nun gegen Rot-Weiß Essen. Im Finale wartet dann wieder ein Club aus dem Westen: Duisburg oder Zweitligist Dortmund. (rs)

 

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