Eintracht Frankfurt - MSV Duisburg

DFB-Pokal 1974/1975 - Finale

1:0 (0:0)

Termin: Sa 21.06.1975 im Niedersachsenstadion, Hannover
Zuschauer: 43.000
Schiedsrichter: Walter Horstmann (Hildesheim)
Tore: 1:0 Karl-Heinz Körbel (57.)

 

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Eintracht Frankfurt MSV Duisburg

 


  • Dietmar Linders
  • Werner Schneider
  • Ronald Worm
  • Detlef Pirsig
  • Bernard Dietz
  • Michael Bella
  • Klaus Bruckmann
  • Bernd Lehmann
  • Theo Bücker
  • Rudolf Seliger
  • Klaus Thies

 

Wechsel
Wechsel
  • Walter Krause für Bernd Lehmann (69.)
  • Kees Bregman für Klaus Bruckmann (77.)
Trainer Trainer
  • Willibert Kremer


 


Als der Regen kam

Vorspiel

"Trainer, es geht", sagt Jürgen Grabowski. Dietrich Weise hatte daran in den letzten Tagen auch keinen Zweifel, obwohl "Grabi" drei Tage nicht trainieren konnte. Der Bluterguss am linken Oberschenkel des Eintrachtkapitäns war für den Coach "ein völlig spannungsloses Problem". So trainiert die Frankfurter Mannschaft nur eine Stunde nach der Ankunft mit der Bahn in Hannover bei herrlichstem Sommer- und Sonnenwetter im Niederachsenstadion, und Grabowski ist dabei. Er trabt zwar für sich allein langsam und bedächtig übers Spielfeld, und beim munteren Spielchen steht er meist nur herum, aber der Kapitän gibt nach der Übungseinheit Entwarnung: "Ich habe keine Schmerzen mehr, aber ich habe auch bewusst nicht viel gemacht." "Am Ende der Saison machen drei Tage Pause nichts aus", findet Grabowski, doch: "Es bleibt eben die Angst und die Unsicherheit, ob der Schmerz bei größerer Belastung nicht wiederkommt." "Jürgen ist bei solchen Dingen immer übervorsichtig. Doch er ist mit dieser Einstellung auch stets gut gefahren", bleibt Weise gelassen.

Thomas Rohrbachs Schwellung am Spann aus dem Spiel in Braunschweig lässt dagegen Bernd Lorenz, der seine Oberschenkelprellung auskuriert hat, als Linksaußen erste Wahl im Pokalfinale sein. Rohrbach wird die Eintracht verlassen, nur wohin, das ist noch nicht klar. Eintracht Braunschweig wird auf jeden Fall nicht Rohrbachs neuer Arbeitgeber werden, wie er berichtet: "Die haben merkwürdigerweise einen Rückzieher gemacht. Ich habe das Gefühl, dass sich Herr Fricke verschaukelt fühlt. Doch Pokern gehört nun einmal zu unserem Geschäft, und solche Sachen werden nicht in einem Gespräch entschieden."

Die am Knie lädierten Bernd Hölzenbein und Gert Trinklein werden wie Lorenz ebenfalls auflaufen können. Auch für Trinklein, den neben dem seit Wochen wegen eines Knöchelbruchs ausfallenden Kraus zweiten waschechten Frankfurter in der Mannschaft, ist das Pokalfinale das letzte Pflichtspiel für die Riederwälder: Der 26jährige Trinklein muss dem 21jährigen Peter Krobbach weichen. "Wir müssen aufpassen", argumentiert mit Dietrich Weise der Manager und Trainer in Personalunion, "dass die Mannschaft eines Tages nicht zu alt ist. Grabowski, Nickel, Hölzenbein, Neuberger, Weidle, Lorenz haben zum Teil langfristige Verträge und sind an die dreißig oder bereits darüber, wenn ihre Bindungen an die Eintracht enden." Weise bestreitet jedoch, dass das Alter Trinkleins ausschlaggebend für seine Entscheidung war: "Es gibt keinen vorrangigen Grund für die Trennung, sondern viele, die - zusammengefasst - mich bewogen haben, nicht länger an Gert Trinklein festzuhalten.". Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Trainer bei Trinklein keine Leistungssteigerung mehr erwartet und sich an dessen einseitiger Verwendbarkeit und dessen Hang zum Leichtsinn stört.

"Erst machte mir die Eintracht ein Angebot, doch das war mir zu niedrig. Dann habe ich der Eintracht meine Vorstellungen vorgetragen, und die waren ihr zu hoch", erzählt Trinklein vom Ende der Gespräche. "Dabei", glaubt Trinklein, "lagen die beiderseitigen Vorstellungen nicht soweit auseinander, dass nicht genügend Spielraum für einen Kompromiss gewesen wäre." Seine Heimat und sein Pub in Sachsenhausen sind für Trinklein kein Grund, sich einem zweitklassigen Club in der Umgebung Frankfurts anzuschließen: "Das hält mich nicht", entgegnet Trinklein den Spekulationen. So wird er nicht zur Spvgg. Neu-Isenburg, zu der der dortige Vereinspräsident Otto bereits die Ex-Eintrachtler Solz, Feghelm und Lutz geholt hat, wechseln: "Fußball ist mein Beruf und ich will mich sportlich nicht verschlechtern. Herr Otto kann mich einmal anrufen, wenn ich 32 bin. Jetzt bin ich gezwungen, Frankfurt zu verlassen. Da will ich gleich ganz weit weg, ins Ausland." Spanien lockt, und am kommenden Montag soll ein erstes Gespräch über einen Transfer stattfinden: "Wenn das klappt, dann verdiene ich dort mehr als bei der Eintracht."

Weniger statt mehr haben die Spieler der Eintracht auf den Rippen. Einen Gewichtsverlust von drei Kilo im Durchschnitt stellt Frankfurts Trainer Dietrich Weise vor dem Finalspieltag bei seinen Spielern fest: "Wir haben die längste Saison aller Bundesliga-Vereine hinter uns. Die Kondition der Mannschaft hat ihre letzte Grenze erreicht." Seit der letzten Kontrolle im März haben alle Spieler Gewicht verloren." Nur ein einziger hat sein Gewicht - 72 Kilo - gehalten: Weise selbst.

Verändert hat sich allerdings die Einstellung Weises im Vergleich zum vorherigen Endspiel: "Im vergangenen Jahr wussten wir vor dem Finale in Düsseldorf, was gegen den HSV alles passieren kann. Diesmal wissen wir vor dem Endspiel in Hannover, dass gegen den MSV nichts passieren darf. Wir gehen routinierter, aber nicht weniger konzentriert als vor einem Jahr ins Endspiel."

Im Gegensatz zu damals macht Weise aus seiner Taktik kein großes Geheimnis: "Wir spielen im 4-3-3-System. Das heißt also offensiv. Eigentlich müsste der Gegner dankbar sein, dass wir ihm auf jeden Fall die UEFA-Cup-Teilnahme gesichert haben und ebenfalls ein offenes Spiel zeigen. Die Eintracht jedenfalls will zum Abschluss einer insgesamt großen Bundesliga-Saison alles versuchen, um dem Publikum ein gutes und interessantes Pokalfinale zu zeigen." Willi Neuberger, der in Hannover erstmals in seiner Laufbahn ein Endspiel bestreitet, ist an einem schönen Spiel weniger interessiert: "Es soll Spieler geben, die wurden mit 19 Meister. Ich will es jetzt mit 29 werden." Bisher haben seit 1935 allerdings nur drei Vereine den Pokal erfolgreich verteidigen können: der Dresdner SC in den 40ern, der Karlsruher SC in den 50ern und die Münchner Bayern in den 60ern.

Tausende von Fans der beiden Vereine wollen sich diesen Versuch nicht entgehen lassen. Ganze Kolonnen von Schlachtenbummlern aus Frankfurt und Duisburg wälzen sich am Vormittag des Spieltages über die Autobahn. Pech haben dabei die Spielerfrauen der Eintracht, deren Bus hinter Kassel mit Motorschaden liegenbleibt; der eine Stunde später nachfolgende Omnibus mit dem Verwaltungsrat hat nur noch eine Handvoll freier Plätze. Der verletzte "Scheppe" Kraus als "Frauenbetreuer" sowie Frau Hölzenbein und Grabowskis Braut Helga dürfen umsteigen. Ob der in Kassel angeforderte Ersatzbus mit dem übrigen Tross noch rechtzeitig zum Anpfiff eintreffen wird, ist ungewiss. Siegesgewiss ist dagegen Duisburgs Präsident Paul Märzhäuser, der die Favoritenrolle des Bundesligadritten vom Main gegenüber der "grauen Maus" von der Wedau ignoriert: "Ihr werdet euch alle wundern. Der deutsche Pokalsieger 1975 heißt MSV Duisburg. Frankfurt ist satt, meine Burschen sind hungrig."

Der DFB verhält sich unterdessen gewohnt neutral und ebenso verlässlich bürokratisch: Nach dem Schlusspfiff dürfen die Trikots nicht getauscht werden, ordnet der Verband an. Damit sollen nicht etwa die auf den Leibchen werbenden Firmen geschützt, sondern die Öffentlichkeit vor Verwirrung bewahrt werden - sagt der DFB. Der Sieger in den Hemden der Verlierer bei der Ehrung, das ginge nicht an, meinen die Funktionäre. Es wird wirklich Zeit, dass das Spiel beginnt. Die brütende Schwüle könnte nicht nur Funktionäre auf dumme Gedanken bringen.

Im Vorspiel, das die beiden B-Jugend-Teams der Finalisten in der Gluthitze absolvieren, schleppen sich die Jugendlichen über den Rasen. Die beiden Mannschaften trennen sich 2:2. Für den Eintrachtnachwuchs treffen Lazic und ein Junge, der als ganz großes Talent gilt: Hans-Dieter "Fips" Wacker.

Fußballspiel

Vor dem Anpfiff des Finales um 16:00 Uhr zeigt das Thermometer 35 Grad - und weit und breit kein Wind. Die Zuschauer lösen das Problem auf eine Weise, die den Spielern verwehrt bleiben wird: Sie ziehen die Oberhemden aus und bräunen sich. Vor der Gluthitze, die heute im Niedersachsenstadion herrscht, hatte Jürgen Grabowski aber schon vorher keine Angst: "Wir sind die einzige Mannschaft, die auch mit Sonnenstich spielen kann!" Und diese Mannschaft tritt in folgender Aufstellung an: Wienhold - Reichel, Trinklein, Körbel, Neuberger - Beverungen, Nickel, Weidle - Lorenz, Grabowski und Hölzenbein. Auf der Bank haben neben Stradt nur Spieler Platz genommen, die den Verein verlassen werden: Andree, Kalb und Rohrbach.

Als die Aufstellungen bekanntgegeben werden und die Mannschaften das Spielfeld betreten, wird - gemessen an der Phonzahl des Jubels - klar: Die Frankfurter Fans sind so deutlich in der Überzahl, als würde die Eintracht ein Heimspiel bestreiten. Die Stimmung ist großartig, nur der Text der deutschen Nationalhymne sagt den Fans der Riederwälder offensichtlich nicht zu und wird durch "Eintracht - Eintracht über alles" ersetzt.

Der MSV Duisburg beginnt übrigens anders als erwartet mit Seliger und nicht mit Büssers. Wer nun aber meint, die Duisburger würden der von den Frankfurtern angekündigten Offensive ebenfalls stürmisch begegnen wollen, hofft vergebens. MSV-Trainer Kremer hat seinen Mittelstürmer Worm auf Grabowski angesetzt, ein überraschender Schachzug, der die defensive Marschroute der Meidericher offenbart. Während sich also die beiden "Neuner" als Jäger und Gejagter gegenüberstehen, spielen Seliger und Thies die MSV-Spitzen.

Trotz Worms Sonderbewachung gehen die ersten erfolgsversprechenden Aktionen von Grabowski aus. Angespielt von Hölzenbein, der den Ball 30 Meter vor des Gegners Tor erobert, folgt einem schönen Solo am rechten Flügel eine butterweiche, auf den langen Pfosten gezirkelte Flanke, die nur einen Makel hat: Sie findet keinen Abnehmer. Lorenz und Hölzenbein haben das Zuspiel dummerweise gemeinsam am ersten Pfosten erwartet, was Lorenz einen verärgerten Vorwurf von "Holz" einbringt … 30 Sekunden zuvor war Torhüter Linders bereits in einige Bedrängnis geraten, als ein weiter Einwurf Weidles von der linken Seite im Fünfmeterraum aufprallte und sich von dort fast in den rechten Torwinkel gesenkt hätte. Linders verzweifelt wirkender Sprung nach der Kugel war unnötig: Kein anderer Spieler hatte den Ball berührt und ein mit einem Einwurf direkt ins Tor geworfener Ball wird mit einem Abstoß für den Gegner geahndet.


MSV-Torwart Linders klärt vor
Lorenz, rechts Hölzenbein.

Nach acht Minuten treibt Neuberger den Ball von der linken Seite kommend im schnellen Tempo über die Mittellinie. Sein Zuspiel findet 25 Meter vor dem Strafraum Beverungen, der mit dem Rücken zum Tor steht, sich dreht und blitzschnell abzieht, bevor das lange Bein Bruckmanns den Schuss blockieren kann. Wuchtig fliegt das Leder in Richtung des MSV-Tores, doch Linders lenkt den Ball im Sprung reaktionsschnell über die Latte. Wäre "Beves" Hammer einen Meter weiter links platziert gewesen, hätte Linders jedoch sicher das Nachsehen gehabt. Zwei Minuten später scheint sich die Szene fast zu wiederholen, als Neuberger Lorenz mit einem schönen Diagonalpass bedient. Wie Beve dreht sich Lorenz und zieht aus 20 Metern wuchtig ab. Dieses Mal muss Linders jedoch nicht eingreifen, der Ball fliegt etwa einen Meter über die Latte. Bellas Roller aus der 9. Minute, der aus 17 Metern Entfernung fünf Meter an Wienholds Kasten vorbei ins Toraus trudelte, nimmt sich gegen diese beiden Frankfurter Versuche eher bescheiden aus. Auch der Weitschuss von Dietz verfehlt sein Ziel deutlich.

Die Duisburger agieren weiterhin sehr verhalten und vorsichtig. Doch die Zurückhaltung der Westdeutschen ist nicht übertrieben, wie man in der 13. Minute sehen kann. Der zaghafte Angriffsversuch der Zebras wird am Strafraum der Eintracht von Nickel abgefangen, der sofort Grabowski anspielt. Der Frankfurter Kapitän spielt 15 Meter vor der Mittellinie den ersten Duisburger aus und auf Höhe derselben den zweiten, um dann einen Spurt anzusetzen, der ihn nach einem Doppelpass mit Lorenz im Tempo eines Hochgeschwindigkeitszugs in den Strafraum des MSV eindringen lässt. Dort angegriffen spielt er das Leder scharf nach innen, wo Lorenz herangeeilt kommt, doch die Hereingabe mit seinem linken Bein verfehlt. Das war knapp.

Noch knapper geht es in zwei Minuten später zu. Körbel nimmt einen Abwehrschlag der Duisburger auf und passt zu Grabowski. Der sprintet hinter dem Mittelkreis erneut überfallartig los, spielt einen Doppelpass mit Nickel und danach Pirsig aus, um dann Linders mit einem Schuss aus 17 Metern einer schweren Prüfung zu unterziehen, die der MSV-Keeper nur teilweise besteht. Der mit Mühe abgewehrte Ball erreicht nämlich den freistehenden Hölzenbein, der halbrechts im Strafraum gelauert hat, bei seinem Schussversuch aber ausrutscht. Die große Chance ist vertan, die folgende Flanke Hölzenbeins wird abgewehrt.

60 Sekunden danach startet Trinklein ab der Mittellinie einen Lauf, der an sein Solo gegen den HSV im letzten Pokalfinale erinnert. Dieses Mal versucht Trinklein jedoch einen Doppelpass mit Lorenz, der von einem Duisburger per Kopf zum Einwurf geklärt werden kann. Grabowski führt den Einwurf auf Trinklein aus, der den Ball in das linke Strafraumeck passt, wo Neuberger im Spurt angerast kommt. Es sind nur noch wenige Meter zum Tor, als Neuberger aus spitzem Winkel den Angriff abschließt, doch mit seinem Flachschuss in Linders seinen Meister findet. Mit einer Fußabwehr verhindert der Keeper den nunmehr überfälligen Rückstand ein weiteres Mal.

Angesichts dieses Dauerdrucks sucht der MSV endlich sein Heil in der Flucht nach vorn. Bella wird am rechten Flügel schön von Bücker in Szene gesetzt, seine Flanke mit dem Kopf unglücklich in die Mitte gelenkt, wo Dietz von der Strafraumgrenze beherzt flach abzieht. Wienhold kann retten, und der Nachschuss nach Trinkleins zu kurzem Befreiungsschlag geht weit über das Tor. Noch weniger Zielwasser hat Neuberger bei seinem folgenden Versuch im Duisburger Strafraum intus, und Beverungens Schuss nach einem indirekt ausgeführten Freistoß wird geblockt, bevor er sich auf den Weg Richtung Tor machen kann. Auf der Gegenseite springt Lehmann der Ball nach Thies’ Vorarbeit am linken Flügel einige Meter weit vom Fuß, so dass Wienhold sicher aufnehmen kann.


In glänzender Form: MSV-Torhüter Linders

In der 25. Minute verliert Lehmann den Ball in der Frankfurter Hälfte an Nickel. "Dr. Hammer" setzt Hölzenbein am rechten Flügel ein, der den Ball auf Nickel zurückspielt. Kurz hinter dem Mittelkreis schlägt Nickel einen gefühlvollen langen Pass auf Grabowski, der am linken Flügel gestartet ist. Im Strafraum versetzt Grabi seinen Gegenspieler, wird dabei aber abgedrängt. Aus spitzem Winkel hebt der Eintrachtkapitän den Ball über den herausgeeilten Linders, doch Bücker köpft den Ball aus dem Tor. Beim Nachschuss trifft Hölzenbein an der Strafraumgrenze den Ball nicht voll, so dass Bücker erneut klären kann. Die Gefahr ist fürs Erste gebannt. Kurz darauf ist es Nickel, der ein Zuspiel Grabowskis umgehend mit einem Weitschuss beantwortet, doch auch dieser Ball geht gut und gerne einen Meter über das Gebälk. Die Scharfschützen der Eintracht lassen nichts unversucht, doch entweder ist das Visier noch nicht präzise genug eingestellt oder Linders stellt sich ihnen in den Weg.

Es sind ziemlich genau 27 Minuten gespielt, als Nickel den Ball bis zum Mittelkreis führt und dann auf Weidle passt. Der Schwabe setzt zu einem Lauf an, bricht den Angriff aber ab, als sich ihm der Duisburger Bruckmann in den Weg stellt. Weidle mag nicht der Schnellste sein, aber was ihm an Sprintstärke fehlt, macht er mit nimmermüdem Einsatz und spielerischer Intelligenz wett. So trabt er nun neben dem Duisburger her, während Nickel den Ball hält. Und just als Nickel zu einem seiner langer Pässe ansetzt, hat sich Weidle im Rücken seines Gegenspielers freigelaufen. Weidle flankt in Höhe des Strafraums von der linken Seite auf Beverungen, der sich mit einer Drehung seines Bewachers Bella entledigt. Er lässt Schneider aussteigen und schießt aus elf Metern aufs Tor … doch diesmal streicht der Ball über das rechte Eck des Duisburger Heiligtums. Es ist nicht zu fassen, die Pille will einfach nicht in den Kasten.

Nach 33 Minuten werden die Zuschauer Zeugen einer kuriosen Szene. Einen der seltenen Angriffe des MSV schlägt Neuberger in Bedrängnis im hohen und weiten Bogen aus dem eigenen Strafraum, und als der Ball hinter der Mittellinie kurz vor der linken Seitenauslinie wieder herunterkommt, findet er Lorenz mutterseelenallein. Der Stürmer nimmt die unverhoffte Einladung unverzüglich an, zieht los und dringt in den Strafraum ein, doch es gelingt ihm nicht, an Pirsig vorbeizukommen, der ihn unsanft aber fair auf Kosten einer Ecke bremst. Den von Grabowski scharf nach innen gezogenen Ball kann Linders mit einer Faust ins Seitenaus befördern, doch nach dem folgenden Einwurf fällt Pirsig in halbrechter Position zwei Meter vor der Strafraumgrenze auch Weidle, diesmal jedoch nicht im Rahmen des Erlaubten. Nickels kurz ausgeführter Freistoß bringt aber genauso viel oder wenig ein, wie zuvor Lorenz’ Sturmlauf: einen Eckball - Pirsig konnte vor Hölzenbein klären. Und auch dieser Eckball bringt die Eintracht auf ihrem Weg zum Führungstor nicht entscheidend voran.

Schneiders Ausflug nach 36 Minuten beginnt in der eigenen Hälfte wenig vielversprechend, doch nach einem Doppelpass mit Bella und einem Solo an zwei Frankfurtern vorbei, sieht sich Trinklein dann doch genötigt, sich dem Duisburger Verteidiger in den Weg zu stellen. Er tut das allerdings in einer Weise, die Schiedsrichter in aller und nach der Regel "Sperren ohne Ball" nennen. Grabowski dirigiert die Mauer der Eintracht, die der MSV jedoch mit einem kurz ausgeführten Freistoß umgeht. Endlich kann Worm der Beschäftigung nachgehen, die ihm natürlicher erscheint, als die Bewachung des Frankfurter Spielmachers, und zieht aus 19 Metern mit links ab. Den angeschnittenen Schuss hält Wienhold jedoch sicher.

Gleich darauf zieht Grabowski noch in der eigenen Hälfte auf der linken Seite los. Er umspielt den ersten Duisburger, bleibt am zweiten beinahe hängen, bevor der ihm am Boden liegend den Ball unfreiwillig noch einmal in den Lauf legt. Grabowski wird erst links neben den Strafraum gestoppt, natürlich von Pirsig und natürlich wieder auf Kosten eines Freistoßes. Den zieht Nickel nach einigen Metern Anlauf trotz des spitzen Winkels aufs Duisburger Tor, muss jedoch erkennen, dass er Linders nicht hat überraschen können. Wieder schnellt die Faust des MSV-Keepers nach oben und verhindert abermals die Frankfurter Führung.

Die Kapitäne vor dem Anpfiff
Neuberger in
überragender Form
Gut bewacht: Bernd Hölzenbein
Linders klärt vor
Lorenz

Im Anschluss an den folgenden Einwurf erhält Thies das Leder am eigenen Strafraum. Unwiderstehlich zieht er los, spielt an der Mittellinie der Eintracht wortwörtlich letzten Mann frech den Ball durch die Beine und sprintet in Richtung des Frankfurter Tores. Neuberger kann ihn im Strafraum zwar noch einholen, doch lediglich seinen Weg kreuzen. Aus zwölf Metern schließt Thies unbedrängt ab, doch das stramm geschossene Leder geht zum Glück für die Hessen um einen halben Meter am rechten Torpfosten vorbei.

Der MSV agiert nun mutiger. Pirsig erobert am eigenen Strafraum grätschenderweise den Ball, und endlich zeigen die Duisburger den Zug zum Tor, den man benötigt, wenn man nicht nur über die Runden, sondern auch mit der Hand an den Pokal kommen will. Bücker kommt am Ende des Angriffs in Mittelstürmerposition zum Abschluss, doch Trinklein blockt den Ball und Reichel bereinigt die Situation. So scheint es zumindest, bevor Trinklein an der linken Strafraumgrenze eine Vorstellung aus seinem hinlänglich bekannten Programm "Bruder Leichtfuß" gibt. Der Libero will den Ball zurückziehen, tritt auf das Leder und verstolpert. Thies jagt ihm die Kugel ab und zieht zur Torauslinie. In höchster Not spritzt Nickel in die Hereingabe, bevor der einschussbereite Bücker abziehen kann. Der "Schoppe-Gert" sollte sich jetzt bei "Dr. Hammer" herzlich bedanken oder sich einfach die nächste Runde auf den Deckel schreiben lassen.

Auch wenn die Duisburger nun offensiver spielen, in ihrer Abwehrarbeit bleiben sie ihrer rustikalen Linie treu. Als Körbel von der Mittellinie aus einen Spurt anzieht, sieht Bruckmann sich im Nachteil und Körbel kurz darauf mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden rollend. Der Freistoß aus etwa 23 Metern Torentfernung ist ein Fall für "Dr. Hammer", der seinem Spitznamen auch diesmal alle Ehre macht. Linders ist jedoch erneut auf dem Posten, macht zwei Schritte ins bedrohte Eck, springt und lenkt den Ball ein weiteres Mal knapp über das Gebälk. Drei Minuten vor der Pause steht es trotz der vielen Chancen immer noch 0:0.

Das letzte Ausrufezeichen des MSV vor der Pause setzt Seliger, der, nachdem der aufgerückte Schneider einen Zweikampf mit Lorenz für sich entscheiden konnte, zum Schuss kommt. Doch auch dieser Versuch verfehlt sein Ziel und streicht gut zwei Meter über die Latte. Die Eintracht verabschiedet sich ihrerseits mit einem weiteren Freistoß von Nickel aus der ersten Halbzeit. So hoch Seliger zuvor sein Ziel verfehlte, so weit schießt auch Nickel am linken Pfosten vorbei.

Wasserspiel

Unverändert beginnen beide Mannschaften die zweite Halbzeit. Die erste gute Chance nach Wiederanpfiff hat die Eintracht. Beverungen hat sich umringt von drei Duisburgern im gegnerischen Strafraum freigelaufen und verlängert einen langen Pass Nickels mit dem Kopf - der Ball streicht knapp am rechten Pfosten vorbei ins Toraus. Wie die erste Halbzeit aufgehört hat, geht es in der zweiten weiter.

Als wäre Petrus erzürnt ob der vielen ausgelassenen Chancen, öffnet der Himmel plötzlich seine Schleusen und ein Gewitterschauer peitscht donnernd hernieder. Aus der Hitzeschlacht wird nun ein Regenspiel, die überlegene Technik der Eintracht dominiert jedoch auch auf dem glitschigen Untergrund, obwohl das Kombinationsspiel oft ein Raub des Wassers auf dem Rasen wird. Im Zweikampf sind die Fertigkeiten der Eintrachtspieler aber weiterhin von Vorteil. So setzt sich Nickel am linken Flügel erfolgreich durch, seine Hereingabe wird von Lorenz’ Bewacher verpasst, doch dem Frankfurter Stürmer springt der Ball gegen das Schienbein und von dort unkontrolliert drei Meter neben das Tor ins Aus. Es scheint wie verhext, das erlösende Tor will und will einfach nicht fallen.

Und das Toreschießen wird unter den schlechter werdenden Bedingungen nicht einfacher, wie Schneider bei einem Freistoß feststellen muss. Am rechten Flügel läuft er in Höhe des Frankfurter Strafraums an, doch als er mit rechts zum Schuss ausholt, rutscht ihm das andere Bein weg - der Ball hoppelt harmlos mehrere Meter am Tor vorbei ins Aus. Abschlag für die Eintracht.

Nickel versucht auf der Gegenseite, sich die missglückte Abwehr einer Neuberger-Flanke sowie die schlechte Laune des Wettergottes zunutze zu machen und hofft dabei wohl auch ein wenig auf die Gunst der Glücksgöttin Fortuna, als er einen weiteren Distanzschuss wagt. Doch noch ist die holde Dame den Männern vom Riederwald nicht geneigter als den Zebras von der Wedau: Auch Nickels Geschoss fliegt nach 53 Minuten am Tor vorbei.

Dem ersten Treffer näher ist Bücker eine Minute später, als er bei einem Konter auf der linken Seite Weidle ausspielt und danach auch Trinklein aussteigen lässt. Wie eine Schildkröte liegt Trinklein rutschenderweise auf dem Rücken, während Bücker in den Strafraum eindringt und aus spitzem Winkel nur noch Wienhold zwischen sich und dem 1:0 hat. Da fliegt im letzten Moment Reichel heran und lenkt den Ball zur Ecke. Anerkennend klopft Bücker Reichel auf die Brust und Trinklein gibt dem Duisburger zwei Meter weiter einen aufmunternden Klaps auf den Hinterkopf – das ist wahrer Sportsgeist in einem spannenden Finale, das bis auf die fehlenden Tore keine Wünsche offen lässt.

Die folgende Ecke wird abgewehrt und der nächste Duisburger landet bei dem Versuch, den Ball in den Frankfurter Strafraum zu bringen, auf seinem Hosenboden, während das nasse Leder im hohen Bogen ein weiteres Mal ins Toraus fliegt. Unaufhörlich prasselt der Regen hernieder, die Trikots der Spieler sehen aus, als kämen sie geradewegs aus dem Hauptwaschgang einer Waschmaschine, und die Haare kleben den Akteuren am Schädel, als hätten sie soeben eine Dusche genommen. Der Untergrund wird immer seifiger, Stand und Halt zu finden, immer schwieriger. Wenig später rutscht Dietz beim Versuch, einen abgewehrten Ball noch vor dem Seitenaus zu erwischen, mit dem Leder auf die Laufbahn. Nein, ein Vergnügen ist das nicht, die Partie wird immer mehr zum Glückspiel, das unter freiem Himmel auch nur in diesem Fall erlaubt ist.


Das 1:0

Den folgenden Einwurf gibt Grabowski zu dem heranstürmenden Reichel, der im Sprint eine Ecke erzwingt. Die tritt Grabowski hoch nach innen, wo Linders an Hölzenbein nicht vorbei kommt und Körbel gemeinsam mit Dietz den Ball verpasst. Der Ball prallt auf den Boden und dort von Schneiders Schienbein zu Hölzenbein, der im Fallen das Leder noch aufs Tor spitzeln kann. Linders ist ausgerutscht und immer noch am Boden, kann das Leder jedoch mit dem linken Unterschenkel am Überqueren der Torlinie hindern. Im hohen Bogen springt der Ball zurück, Schneider will eingreifen, doch er rutscht erneut aus, während Körbel schneller schaltet als Bella und den Ball zwischen dem Verteidiger und Linders aus kurzer Distanz volley ins Tor hämmert. Neben dem linken Pfosten schlägt die Kugel ein, die Eintracht führt 1:0. Ein Tor wie bestellt. Und tatsächlich hatte Trainer Weise in der Pause seinem Vorstopper mit auf dem Weg gegeben: "Karl-Heinz, Sie haben ja heute keinen direkten Gegenspieler, weil Worm gegen Grabowski spielt. Jetzt müssten Sie eigentlich nach vorne gehen und ein Tor erzielen." Zwölf Minuten hat Körbel nur benötigt, um den "Auftrag" des Trainers gehorsam auszuführen.

Keine 60 Sekunden später ist die Eintracht bereits wieder im Angriff. Über Nickel kommt der Ball zu Hölzenbein, der aus halbrechter Position einen Fernschuss wagt. Linders geht kein Risiko ein und boxt den Ball mit beiden Fäusten weg, allerdings nach vorne. Bella klärt vor dem herangeeilten Hölzenbein auf Kosten einer Ecke, die den Frankfurtern jedoch keinen weiteren Vorteil verschafft.

"Zugabe" schallt es noch von den Rängen, da setzt der MSV zum Gegenschlag an. Thies dribbelt am linken Flügel auf Trinklein zu, der die Körpertäuschung seines Gegners mitmacht und dabei ausrutscht. Thies hat freie Bahn und flankt unbedrängt auf den – weil sich Neuberger im Zentrum drei Angreifern gegenübersieht - ebenfalls freistehenden Lehmann. Der köpft aus Mittelstürmerposition den Ball auf Wienholds Kasten und Worm reißt bereits die Arme zum Torjubel hoch. Doch der Kopfballaussetzer springt an den rechten Pfosten des Frankfurter Tores und kann dann weggeschlagen werden. Das war denkbar knapp.

Der MSV drängt nun auf den Ausgleich, doch weitere Torchancen können sich die Zebras vorerst nicht herausspielen. Zuviel ist auf diesem Platz jetzt dem Zufall geschuldet, auch die Präzision der Frankfurter ist im - nach einer knappen Viertelstunde nachlassenden - Regen untergegangen. Dennoch gelingt es der Eintracht nach kurzer Zeit, sich vom Druck der Duisburger zu befreien. Nach 67 Minuten sind es sogar die Riederwälder, die die nächste gute Torgelegenheit haben. Trinklein hat mit einem langen Diagonalpass Neuberger am linken Flügel bedient, der in Höhe des Strafraums seine Flanke nach innen schlägt. Dort setzt sich Lorenz im Kopfballduell mit einem Duisburger durch, der an dem wuchtigen Stürmer abperlt wie zuvor die Regentropfen. Lorenz’ Aufsetzer geht knapp am rechten Torpfosten vorbei ins Aus, das hätte die Entscheidung sein können.

Zwei Minuten später muss der am Knie verletzte Lehmann das Feld verlassen, für ihn kommt ein Spieler, der eine besondere Pokalgeschichte hinter sich hat. Walter Krause, vor drei Jahren noch für Kickers Offenbach am Ball, hatte das letztjährige Pokalfinale verpasst, weil er zu Beginn der Saison vom HSV in die zweite Liga nach Oberhausen gewechselt war, das Pokalfinale aber wegen der WM erst im August 1974 ausgetragen wurde. Mit Oberhausen war er sodann in der zweiten Runde des DFB-Pokals nach einer Niederlage bei Bayern München ausgeschieden, um in der dritten Runde mit dem MSV, zum dem er in der Winterpause gewechselt war, eben jene Bayern in München zu schlagen. Wie in München wechselte Trainer Kremer Krause dann auch im Halbfinale gegen den Zweitligisten Borussia Dortmund ein. Und tatsächlich war es Krause, der durch sein Tor zum 1:1 in der 88. Minute den Zebras die Verlängerung ermöglichte, in der sie dann Dietz ins Finale schoss. Eine besondere Geschichte macht allerdings noch keinen außergewöhnlichen Torjäger und Krause hat es wie beim HSV auch in Duisburg bislang nicht geschafft, die Qualitäten nachzuweisen, die einen Stammspieler der Bundesliga ausweisen.

Seliger dagegen stellt endlich unter Beweis, dass er ein erstklassiger Stürmer sein kann, zumindest wenn er nicht gerade gegen Neuberger spielen muss. Nach 73 Minuten nimmt er einen von Bücker in die Spitze geschlenzten Pass auf und zieht verfolgt von Beverungen halblinks in den Strafraum. Glück für die Eintracht – der stramme Schuss zischt am Tor vorbei. Den folgenden Abschlag passt Wienhold kurz auf Trinklein, erhält den Ball wieder und will diesen aus der Hand nach vorne schießen. Doch der nasse Untergrund spielt ihm wie zuvor den Duisburgern einen Streich, der Torhüter rutscht beim Schuss aus, so dass dieser viel zu kurz gerät. Schon hat ihn ein Duisburger aufgenommen und zurück in den Strafraum geschlagen, wo ihn Bella per Kopf auf Worm ablegt. Der schießt sofort mit links, doch Wienhold reagiert prächtig. Trinklein kommt nicht an den Abpraller, so dass sich Worm – diesmal mit rechts - die Nachschusschance bietet, die Wienhold aber erneut in großartiger Manier vereitelt. Nickel bereinigt die Situation dann endgültig, in dem er das Leder aus der Gefahrenzone drischt. Den daraus resultierenden Eckball kann der MSV nur zur Aufbesserung der Statistik nutzen – das von Seliger getretene Leder fliegt im hohen Bogen hinter Wienholds Kasten.

77 Minuten sind nun absolviert und beide Mannschaften müssen mit ihren nachlassenden Kräften dem bisherigen Kampf sowie Hitze und Regen Tribut zollen. Noch einmal versucht Grabowski nach Zuspiel von Nickel sich den Untergrund zunutze zu machen, doch sein Aufsetzer aus über 20 Metern Entfernung ist eine sichere Beute von Linders, der sich bei hohen Bällen über weite Strecken der zweiten Halbzeit mit den Fäusten behilft.


Wienhold hält sein Tor sauber, rechts im Bild Nickel.

Mit Bregman für Bruckmann bringt Trainer Kremer den zweiten frischen Mann. Eintracht-Trainer Weise sieht keinen Anlass für einen Wechsel und vertraut weiterhin der Elf, die das Spiel begonnen hat. Die Eintracht agiert mittlerweile etwas zurückhaltender, ohne sich jedoch zu sehr zurückzuziehen. So fällt es dem MSV natürlich schwer, den notwendigen Druck auf den amtierenden Pokalsieger auszuüben. Der grandios aufspielende Grabowski gelingt es nach einem von Beverungen geklärten Eckball Seligers, die Eintracht noch einmal gefährlich nach vorne zu bringen. Er lässt Bella an der linken Seitenauslinie mit einer Drehung aussteigen und ins Leere rutschen, schüttelt danach auch Dietz ab, um dann einen wunderbaren Diagonalpass durch die Duisburger Abwehr in den Lauf von Lorenz zu spielen. Leider lässt sich Lorenz nach einem energischen Spurt am rechten Flügel den Ball doch etwas zu leicht abjagen. Einen Eckball hätte er aus dieser Situation schon herausschlagen müssen. Aber auch Grabowski scheint jetzt mit seinen Kräften am Ende. Nachdem er Lorenz mit großem Einsatz in Szene gesetzt hat, dringt er nach einem Doppelpass mit Lorenz zwar im hohen Tempo in den Strafraum des Gegners ein, doch ein angedeuteter Rempler reicht aus, um den Kapitän der Eintracht aus dem Gleichgewicht zu bringen. "Grabi" liegt auf dem Rücken und "pumpt". Gleich darauf ist es nicht von Nachteil, dass Grabowski nicht zurückgeeilt ist, denn Weidle und Hölzenbein sorgen mit zwei aufeinanderfolgenden Grätschen für eine Balleroberung, die Neuberger zu einem Solo am linken Flügel nutzt. Drei Duisburger überläuft er, bevor er seine Flanke in den Strafraum setzt, wo Grabowski zum entscheidenden Schlag bereitsteht. Doch im wirklich allerletzten Augenblick kann der verbliebene Abwehrspieler des MSV mit einem Flugkopfball zur Ecke retten. Die bringt Grabowski in den Strafraum, aber Beverungens Kopfballaufsetzer stellt Linders nicht vor unlösbare Probleme.

Vier Minuten sind noch zu spielen, noch einmal kommen die lautstarken Rufe der mitgereisten Frankfurter Fans: "Eintracht! Eintracht! Eintracht!" Die kurz darauf folgende Durchsage des Stadionsprechers geht dagegen im Lärm des Duisburger Anhangs unter, denn nach einem langen Pass und einer Kopfballverlängerung taucht der MSV durch Dietz noch einmal im Frankfurter Strafraum auf. Trinklein scheint den Ball mit dem Kopf abgewehrt zu haben, als am langen Pfosten ein Duisburger noch an den Ball kommt. Doch der Winkel ist zu ungünstig, er kann den Ball nur ins Toraus treten. Während die Eintrachtfans "Oh, wie ist das schön" anstimmen, verpasst Bücker Nickels folgenden Abschlag mit dem Kopf, und so kann Lorenz den Ball aufnehmen, um ein letztes Solo zu starten. Am ersten Duisburger kommt er vorbei, doch dann ist Bücker zurückgeeilt und spitzelt die Kugel von Lorenz Fuß in Richtung Linders.

Etwas mehr als eine Minute dürfte nun noch zu spielen sein, und ein vielleicht letztes Mal rollt ein Angriff des MSV auf das Eintrachttor. Schneider flankt den Ball hoch in den Strafraum, wo sich Krause gegen Beverungen und Trinklein durchsetzt, die rechts und links von ihm zu Boden sinken. Krause nimmt das Leder volley, der Aufsetzer findet aber in Wienhold einen ebenso dankbaren wie sicheren Abnehmer. Die Aufregung war ohnehin umsonst, da der aufmerksame Schiedsrichter Horstmann zuvor wegen Krauses Foul an den beiden Frankfurtern abgepfiffen hatte. Krause schimpft wie ein Rohrspatz, doch davon geht weder der Ball ins Tor, noch nimmt der Unparteiische seine Entscheidung zurück.

Noch einmal ist die Eintracht mit dem heute blass gebliebenen Hölzenbein im Angriff. Er wird am Strafraum vom Ball getrennt, bevor jedoch Pirsig einen eigenen Angriff einleiten kann, kommt Hölzenbein, wirft sich dem MSV-Spieler entgegen und drischt den Ball ins Seitenaus. Wer Pirsig danach mit schweren Beinen und hängenden Schultern zum Ball gehen sieht, weiß, dass der Duisburger nicht mehr an eine Wende glaubt. Ein letztes Mal wird der Ball auf der gegenüberliegenden Seite nach vorne gepasst, doch das Leder erreicht den Mitspieler nicht mehr und geht ins Aus. Noch bevor Körbel für die Eintracht einwerfen kann, pfeift Horstmann ab. Wie den eben errungenen Pokal streckt Körbel den Ball mit beiden Händen nach oben – die Eintracht hat den "Pott" zum zweiten Mal gewonnen.

Der Erste, dem Mannschaftskapitän Grabowski um den Hals fällt, ist Trinklein: "Das war ich Gert schuldig - dass er Fehler machte, zählt für mich nicht. Er war mit ganzem Herzen dabei, hat sich zerrissen, obwohl er ja den Verein verlässt. Das nenne ich Sportsgeist, deshalb habe ich mich besonders bei ihm bedankt."

Nachspiel


Grabowski auf den Schultern von
Lorenz, rechts Neuberger, Körbel,
Hölzenbein und Beverungen.

Die Siegerehrung übernimmt auf der Ehrentribüne Innenminister Professor Werner Maihofer, der vor dem Spiel beide Mannschaften auch begrüßt hatte. Er überreicht den Pokal - sechs Kilo Silber, ein halbes Pfund Gold und 43 wertvolle Edelsteine – an den Kapitän der Eintracht. Nach der Pokalübergabe nimmt Lorenz seinen Kapitän auf die Schultern, damit der den Fans den "Pott" besser zeigen kann. Die singen schon wieder "Oh, wie ist das schön, so etwas hat man lange nicht gesehen." Dass das nicht stimmt, stört jetzt keinen. Denn es ist nur zehn Monate her, als es das letzte Mal für Eintracht Frankfurt so schön war. Andererseits: So schön kann es nun wirklich nicht oft genug sein!

"Wienhold, Wienhold", tönt es tausendfach von den Rängen. "Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen Fans", erklärt der Gefeierte: "Gerade mit ihnen unterhalte ich mich immer wieder, weil ich weiß, dass ich sie brauche." Zu überschwänglich soll der Dank aber nicht ausfallen, wenn es nach dem bescheidenen Keeper geht: "Das war zwar ein gutes Spiel meinerseits, aber bei weitem nicht mein bestes. Dazu war ich insgesamt zu wenig beschäftigt." Dietmar Linders konnte sich über einen Mangel an Beschäftigung nicht beklagen und hat im Gegensatz zu Wienhold mit Martin Kölscher einen möglichen Nachfolger bereits im Nacken: "Ich wollte zum Abschluss noch einmal etwas ganz Großes, aber leider hat es nicht geklappt. Ich bleibe natürlich beim MSV, werde auch um meinen Platz kämpfen, aber ich weiß natürlich, dass ich mit dem Martin, der ein guter Freund von mir ist, einen wirklichen Konkurrenten bekommen habe."

Der wie viele Fußballer etwas abergläubische Linders spielte in einem mehr als acht Jahre alten Hemd, das schon völlig zerrissen war. "Aber auch das hat mir kein Glück gebracht. Jetzt hat es endgültig ausgedient." Freuen kann sich Linders eigentlich nur über das Lob des Bundestrainers Helmut Schön ("Hervorragend beide Torhüter. Wie gut sie waren zeigt, dass nur ein Tor gefallen ist.") und den Besuch seines Gegenübers Wienhold in der Kabine nach dem Spiel. "Du warst auch großartig", gibt er dem Frankfurter Torwart das Lob zurück und fügt später hinzu: "Der hat wirklich klasse gehalten. Im Grunde hat er uns den Sieg vermasselt, denn vor allem bei den klaren Möglichkeiten von Ronnie Worm hat er glänzend pariert." Linders’ Mitspieler Klaus Thies sieht die Niederlage eher in seiner Person begründet: "Hätte ich doch nur den Ball nach meinem Alleingang versenkt. Im letzten Moment sprang der Ball so komisch auf, deshalb habe ich ihn nicht richtig erwischt. Mit diesem Tor im Rücken hätten wir die Frankfurter vernascht." Verteidiger Schneider wiederum gibt den Witterungsbedingungen die Schuld: "Das Spiel hätten wir nie verlieren dürfen. Das Tor zum 1:0 wäre nicht gefallen, wenn nicht dieser Regenguss eingesetzt hätte. Der Ball sprang mir ans Knie und dem Körbel genau vor die Füße. Auf trockenem Boden wäre das nicht passiert."

Der angesprochene Torschütze wundert sich indessen eingedenk der Anweisung aus der Halbzeit, die der Trainer, wie Weise betont, lediglich "halb im Spaß" gegeben hat: "Dass aus so einem Geplauder plötzlich Wirklichkeit wird, das gibt's doch gar nicht. Gut, die Duisburger haben, für mich überraschend, ohne jeglichen Mittelstürmer gespielt. Dennoch bedeuteten meine gelegentlichen Vorstöße stets ein Risiko. Ich hatte hinten den Raum abzuschirmen, und wenn die Duisburger nach einem meiner Ausflüge ein Tor gemacht hätten, dann hätten alle vorwurfsvoll gefragt: ‚Wo war denn wieder der Körbel?’ Das Tor hätte schon Bernd Hölzenbein schießen müssen. Dass ich den abgewehrten Ball noch voll mit dem linken Spann erwischt habe, war Glückssache. Und das mit links, was nun wirklich nicht mein starker Fuß ist. So ein Schuss kann genauso gut auch meterhoch über das Tor gehen. Jedenfalls war der Ball plötzlich da - und da habe ich draufgehalten."

1,5 Millionen Mark ist Körbels Tor wert, zumindest macht Frankfurts Schatzmeister Jakobi diese Rechnung auf: "Mit diesem Sieg nehmen wir am Europapokal der Pokalsieger teil. Nehmen wir einmal an, wir schaffen den Weg in die dritte Runde - dann macht das bei drei Heimspielen mindestens dreimal 50.000 Zuschauer mit jeweils 500.000 Mark Einnahme." "Jetzt wird mein linker Schuh vergoldet", flachst der Torschütze daraufhin über "das bedeutendste Tor meiner bisherigen Laufbahn".


Jürgen Grabowski und
Karl-Heinz Körbel

"Der Regen machte uns wieder frisch, wir brauchten den toten Punkt nicht zu überwinden", bekennt Grabowski, aber er sei andererseits auch von Nachteil gewesen: "Unser Spiel wurde gehemmt durch das Wasser auf dem Rasen, die Doppelpässe mit Bernd Nickel waren nicht mehr möglich, die Duisburger mussten daraus Vorteile ziehen." "Wir wollten mit dem Sieg über Duisburg vor allem uns selbst beweisen, dass der Pokalgewinn über Hamburg im vergangenen Jahr keine Eintagsfliege war. Ich bin ja so froh, dass wir es geschafft haben. Ein gerechter und verdienter Sieg, weil wir fast ständig das Spiel gemacht haben", findet der Eintrachtkapitän und kann selbst keine Erklärung für die Krönung seiner grandiosen Saison finden: "Ich trainiere nicht mehr, ich lebe nicht anders als früher, alles bei mir ist stinknormal, und trotzdem bin ich heute besser als vor wenigen Jahren." Eine Motivation verrät er den Journalisten aber: "Wenn man zu den Alten zählt und trotzdem noch so gut ist wie die Jungen, das spornt an." Im Übrigen sei er ja erblich belastet: "Mein Vater war mit 38 noch ein drahtiger Verteidiger im Amateurclub Biebrich 02." Sein Vertrag bei der Eintracht hat er in dieser Saison um drei Jahre verlängert: "Den erfülle ich leicht", sagt er, "und vielleicht hänge ich noch ein viertes Jahr als Libero an." Bundestrainer Schön ist von der Leistung des ehemaligen Auswahlspielers begeistert: "Ich würde Jürgen Grabowski mit offenen Armen wieder in der Nationalmannschaft aufnehmen. Grabowski ist der einzige meiner drei zurückgetretenen Recken, der seine WM-Form konserviert, wenn nicht gar gesteigert hat. Doch den Entschluss, zurückzukommen, kann nur er treffen." Aber daran denkt Grabowski nicht, obwohl ihn das Lob ehrt: "Es freut mich riesig, dass ich gute Kritiken kriege. Ich glaube auch, dass dies meine bisher beste Saison ist."

Duisburgs Trainer Willibald Kremer zeigt sich unterdessen als fairer, aber auch stolzer Verlierer: "Es war ein sehr gutes Spiel. Das Glück war aufseiten der Frankfurter. Ich gratuliere der Eintracht, aber ich muss auch meiner Mannschaft ein Kompliment machen, die gut gekämpft hat. Ich hoffe, dass sie im UEFA-Cup genauso stark spielt und recht weit kommt. Beide Torhüter zeigten hervorragende Paraden. Wir hatten auch Chancen, das eine oder andere Tor zu machen, aber zum Sieg gehört halt ein wenig Glück. Ich kann keinen meiner Spieler herausheben, alle haben ihre Pflicht erfüllt. Ich hatte zwei Möglichkeiten zu versuchen, Grabowski auszuschalten: entweder Bella oder Worm gegen ihn spielen zu lassen. Denn ich brauchte einen schnellen und wendigen Mann für den Frankfurter Kapitän, von dem ich weiß, dass er zuletzt sehr starke Spiele lieferte."

"Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Worm gegen Grabowski spielen würde, obwohl das ja bei unserem 4:1-Sieg in Frankfurt schon so gewesen war. Nun, in diesem Spiel war mir das lieb. Zwei Dinge überzeugend tun, kann halt kein Spieler, auch nicht ein Talent wie Worm", sagt Frankfurts Trainer Weise: "Wir sind alle Möglichkeiten durchgegangen, aber an diese haben wir erst zuallerletzt gedacht". "Es war die richtige und außerdem die einzig mögliche Lösung," sagt dagegen Nationalspieler Dietz und Kremer ergänzt: "Es sollte nicht übersehen, werden, dass in der Frankfurter Mannschaft Spieler von einer Qualität stehen, wie wir keinen einzigen haben. Ich hatte keinen anderen, den ich gegen Grabowski stellen kann. Dietz musste gegen Hölzenbein spielen, Bella gegen Nickel, und als Bewacher Grabowskis braucht man einen schnellen, wendigen Mann. Ich hätte ein Loch aufreißen müssen, um ein anderes zu stopfen." Und immerhin hatte Worm zuvor bereits gegen Cruyff gespielt und gegen Bayern München in derselben Rolle den Münchener Hoeneß ausgeschaltet. Außerdem führt Kremer an: "Hätten wir keine Torchancen gehabt, würde ich sofort zugeben, einen Fehler gemacht zu haben. Aber Möglichkeiten, Tore zu schießen, hatten wir doch genug. Also ist meine Taktik richtig gewesen." "Sie war falsch, sie betonte zu sehr die Defensive", meint dennoch Klaus Wunder, der früher in Duisburg spielte: "Kremer hat einen schweren Fehler gemacht." Und Grabowski fügt an: "Die Taktik musste schlecht sein, weil ich ihn gezwungen habe, mir zu folgen. Worm hatte keine Zeit für eigene Initiativen. Außerdem: Schon einmal haben sie so gegen uns gespielt und 1:4 verloren."

Wie dem auch sei - Dietrich Weise ist erleichtert und glücklich zugleich: "Ich bin ungeheuer stolz, den Pokal erfolgreich verteidigt zu haben. Wir sind alle froh, dass wir den Pokal verteidigt haben und ich glaube, man kann sagen, dass unser Sieg verdient war, wenn auch Duisburg uns viel Mühe gemacht hat. Mit dem Regen kam die Abkühlung, kam neue Spannung, kam neue Dramatik ins Spiel. Und am Schluss mussten wir noch einmal um den Erfolg zittern. Ich bin angenehm überrascht, dass wir das kräftemäßig durchgestanden haben. Aber meine Mannschaft hat die letzten Energien mobil gemacht und hat den i-Punkt auf ihre Leistung der Saison gesetzt."

"Es kommt eben nicht immer auf die attraktive Paarung an," fasst DFB-Vize-Präsident Hermann Neuberger zufrieden zusammen, "schon die erste Halbzeit war wider Erwarten stark. Danach hat das Gewitter die Leistungen allerdings beeinträchtigt. Ich jedenfalls war von diesem Finale angenehm überrascht." Ein noch überschwänglicheres Lob verteilt Professor Maihofer an die Finalisten und spricht von einer Werbung für den Fußball: "Ich habe während der Weltmeisterschaft Spiele gesehen, die nicht diese Klasse erreichten." In dieses Horn stößt auch Helmut Schön: "Es war ein ausgezeichnetes Pokalspiel mit technischen Feinheiten und viel Dramatik. Die reifere Mannschaft hat schließlich gewonnen. Am Sieg der Eintracht gibt es nichts zu deuteln", urteilt der Bundestrainer und lobt gleichzeitig die unterlegenen Duisburger: "Sie waren ein würdiger Pokalfinalist und haben bis zum Schluss den Sieg der Eintracht infrage gestellt. Die Frankfurter hatten die größeren Spielerpersönlichkeiten wie Grabowski, Nickel, Körbel." Eintrachtfan Wolfgang Mischnick, der FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, nennt die Entscheidende dieser Persönlichkeiten: Jürgen Grabowski. "Er war wieder einmal der beste Mann auf dem Platz. Nach ihm sind aber gleich die beiden Torhüter Linders und Wienhold zu nennen." Im Foyer des Niedersachsenstadions strahlt DFB-Präsident Dr. Hermann Gösmann, eine leichte Zigarette rauchend, die gleiche Zufriedenheit aus: "Das war ein würdiges Finale - schnell, fair, spannend und technisch gut." Jupp Derwall, der Assistenztrainer von Helmut Schön, geht noch einen Schritt weiter: "Das Pokalspiel, das vielfach vorher schon abgewertet wurde, war eines des besten der letzten Jahre."

"Wir haben auf der Tribüne mehrere Herzattacken überstehen müssen, bis endlich feststand, dass wir im nächsten Jahr in einer Pokalsiegermannschaft spielen werden", stehen Frankfurts Neuverpflichtungen Peter Krobbach und Rüdiger Wenzel noch eine halbe Stunde nach dem Abpfiff unter der Wirkung des spannenden Finales. Die Zukunft hatte für die beiden Hamburger mit Schiedsrichter Horstmanns Schlusspfiff schon konkrete Vorstellungen angenommen. "Es ist ein gewaltiger Sprung von der Zweiten Liga zum deutschen Pokalsieger, aber ich werde alles versuchen, um mir von Anfang an einen Stammplatz bei der Eintracht zu erkämpfen" gibt der 21jährige Wenzel, der vom Millerntor auf St. Pauli an den Riederwald wechselt, unmissverständlich zu verstehen. "Eine Angriffsreihe mit Hölzenbein, Grabowski, Wenzel würde sich nicht schlecht anhören. Doch es wird schwer werden für mich. Auf jeden Fall aber komme ich nicht nach Frankfurt, um mich dort auf die Bank zu setzen." Peter Krobbach dagegen hofft, dass er nach Trinkleins Weggang den Libero-Posten übernehmen kann. "Dort spiele ich am liebsten. Doch ich will nicht vorgreifen. Bei der Bundeswehrauswahl habe ich auch schon vom letzten bis zum vordersten Mann auf allen Positionen gestanden", meint der ehemalige "HSV-Joker".

Vor zehn Monaten, beim Pokal-Bankett im Düsseldorfer Intercontinental saß Günter Wienhold mit einem Gesicht am Tisch, als habe er ein Dutzend Bälle passieren lassen. Neben dem Neuling Bernd Lorenz war er damals der Einzige, der keine Goldplakette bekam. Doch heute Abend genießt der ehrgeizige Torwart den Ruhm als Retter des Pokalsieges: "Der sportliche Höhepunkt meines Lebens", strahlt Wienhold, der am Ende der Partie mit tollen Paraden gegen Worm den Sieg festhielt. "Ihr macht kein Tor, ihr macht kein Tor", habe er sich immer wieder vorgesagt. An dieser Selbstsuggestion hat es jedoch nicht gelegen, sagt Wienhold, dem das Torwart-Training zu lasch vorkam und der deshalb vor dem Endspiel seinen Trainer zu einer schärferen Gangart aufforderte: "Ich muss zwei-, dreimal in der Woche in der Sandgrube vom Trainer richtig geschliffen werden, dann bin ich sicher und in Form. Vielleicht habe ich da eine Macke." Doch bei allen Hymnen auf seine Glanztaten vergisst der sympathische Torhüter seine Kameraden nicht und gibt das erhaltene Lob weiter: "Unsere Abwehr hat selten so konzentriert gespielt." Und dabei hat noch Verteidiger Peter Reichel, der wie der verletzte Helmut Müller in Kürze heiraten wird, die Partie mit einer Leistenzerrung durchgestanden …

Doch auch etwas Wehmut mischt sich in die ausgelassene Freude. Eine Wehmut, die selbst in Weises Worten mitklingt, als er die vier Spieler Trinklein, Rohrbach, Kalb und Andree in der Präsidenten-Suite des Intercontinental in Hannover offiziell mit einem Geschenk der Eintracht - einer Weltuhr - verabschiedet: "Für den, der die Verantwortung trägt, war es eine unheimlich schwere Entscheidung. Aber trotz aller Bitternis muss ich den Blick auch nach vorn richten und kann Sie nur bitten, dafür Verständnis aufzubringen." "Frankfurt war mehr als nur eine Episode", macht Jürgen Kalb, der zum KSC wechseln wird, aus seiner Verbundenheit zur Eintracht kein Geheimnis. Und Thomas Rohrbach beteuert: "Dieser Abschied schmerzt doch. Aber so ist es in unserem Geschäft. Frankfurt war eine sehr schöne Station. Und der Eintracht-Stil ist auch an mir nicht spurlos vorübergegangen." Gert Trinklein feiert den Sieg ebenfalls "mit einem lachenden und einem weinenden Auge". "Das war's. Die Stimmung könnte besser sein. Es fällt mir nicht leicht, von Frankfurt wegzugehen. Die Trennung trifft mich hart", gesteht der Libero: "Jetzt werde ich erst einmal ausgiebig feiern. Heute Abend und am Sonntag beim Empfang der Stadt und anschließend in meinem Pub. Die traurigen Gedanken kommen, wenn ich mit mir allein bin."


Heimspiel

Doch Gert Trinklein wird viel eher mit sich und seinem Katzenjammer allein gelassen als vorgesehen. Er fehlt am Sonntagmorgen (7:25 Uhr) beim Abflug in Hannover und ist schon beim Empfang auf dem Römerberg nicht mehr bei der Eintracht. "Der Gert hat wohl verschlafen", gibt Geschäftsführer Jürgen Gerhardt achselzuckend zu Protokoll. "Das ist das i-Tüpfelchen nach acht Jahren Eintracht", schimpft Trinklein, als er mit der nächsten Maschine, vier Stunden später, auf dem Rein-Main-Flughafen landet. "Nach jedem Training wird im Bus sonst viermal durchgezählt, ob auch alle Mann an Bord sind. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich bei der Eintracht so schnell in Versessenheit gerate. Die Eintracht hätte mir statt einer teuren Weltzeituhr besser einen anständigen Wecker geschenkt. Dann hätte ich wenigstens noch standesgemäß Abschied von meinen Fans nehmen können. Nachdem ich schon nicht auf der Weckliste unseres Geschäftsführers stand, will ich nun sehen, ob ich überhaupt auf der Prämienliste stehe. Vielleicht ist die Eintracht schon der Meinung, ich sei in Hannover gar nicht dabei gewesen." Vielleicht war aber auch keiner nüchtern genug, um zu bemerken, dass nicht alle an Bord sind. Denn nicht nur Trinklein fehlte, auch Trainer Weise und Pressesprecher Birkholz saßen nicht im Bus zum Flughafen. Weise schaffte es mit einem Taxi gerade noch rechtzeitig vor dem Start zum Flieger, und Birkholz musste sogar mit einem Privatwagen die ganze Strecke nach Frankfurt zurücklegen.

Ob die Eintracht Birkholz die Kosten dafür erstatten wird? Eine Goldgrube war das Pokalendspiel für die Hessen nicht gerade. Nach Abzug aller Kosten erhalten die beiden Finalisten von den Einnahmen in Höhe von 600.000 Mark jeweils rund 260.000 Mark. Die Eintracht zahlt jedem Spieler eine Siegprämie von 11.000 Mark, so dass Schatzmeister Jakobi einräumen muss: "Viel verdient haben wir nicht, aber wir brauchen auch keinen Kredit aufzunehmen, um die Prämien bezahlen zu können."

Während sich der geneigte Fan fragt, ob es bei diesen Zahlen nicht auch eine Siegprämie in Höhe der von den Duisburgern ausgelobten Summe von 7.500 Mark getan hätte, beglückwünscht beim offiziellen Empfang der Stadt im Kaisersaal des Römers Oberbürgermeister Rudi Arndt den Schützen des siegbringenden Tores und ehrt die Mannschaft mit der Stadtplakette in Bronze. Draußen vor dem Rathaus sorgen derweil Eintracht-Schlachtgesänge und der ohrenbetäubende Lärm der Hunderte von Hupen, Rasseln und Pfeifen für die passende akustische Untermalung. "Eintracht - Eintracht" schallen die Sprechchöre über den Römerberg. Tausende Frankfurter bereiten der Mannschaft des Pokalsiegers einen überwältigenden Empfang. "Danke für Ihre Treue und den herzlichen Empfang", bedankt sich Präsident von Thümen artig bei den Fans. Bernd Lorenz ist begeistert, vertut sich nur etwas beim Versuch, seine Begeisterung in Worte zu fassen: "Das ist ja ein Jubel und Trubel wie beim Rosenmontagszug in Mainz." Ein ums andere Mal muss sich die Mannschaft auf dem Balkon des Römers den 8.000 begeisterten Fans zeigen, immer wieder muss Trainer Dietrich Weise die Trophäe in die Höhe halten. "Unsere Fans sind einfach herrlich", sagt Torwart Günter Wienhold. "Toll, wie die 15.000 uns in Hannover unterstützt haben, großartig ihr Betragen, und beeindruckend, wie sie uns hier empfingen."

Die Menge ist tatsächlich aus dem Häuschen und die Polizei hat Mühe, sie an der Erstürmung des Römers zu hindern. Riesenjubel brandet auf, als sich Oberbürgermeister Arndt bei der Mannschaft für den Sieg in Hannover bedankt: "Ganz Frankfurt ist stolz auf euch!" Arndt zählt die Sieger namentlich auf und lobt besonders Jürgen Grabowski, "der zur Form seines Lebens aufgelaufen ist". Der Kapitän erhält gemeinsam mit dem erfolgreichen Trainer Dietrich Weise den meisten Beifall. Grabowski gibt den Dank zurück: "Wir sind sehr stolz. Ich verspreche, dass wir alles daransetzen, wiederum den Pokal zu verteidigen. Wir haben uns ja so an das Schmuckstück gewöhnt." Während die Prominenz dann im Römer zu Ebbelwoi und einem Imbiss schreitet, harren draußen die Fans weiter unentwegt aus, bis sich irgendwann ihr "harter Kern" nebst den meterlangen Fahnenstangen auf dem Weg macht und singend durch die Straßen der sonntäglichen Innenstadt zieht. Einige nehmen gar ein Bad der besonderen Art: Hundert Meter weiter lassen sie sich einfach in den Liebfrauenbrunnen fallen. Abkühlung tut not!

Sozialminister Dr. Schmid, der im Namen der Landesregierung jedem Spieler ein Kistchen Wein aus hessischen Staatsweingütern geschenkt hat, denkt mittlerweile im Römer laut darüber nach, ob die Eintracht nicht nach einem erneuten Pokalgewinn im nächsten Jahr den "Pott" ganz behalten dürfe. Er jedenfalls werde sich für eine entsprechende Änderung der DFB-Satzung starkmachen, behauptet er im Scherz. "Und wenn das nicht klappt, habe ich einen anderen Vorschlag", wirft Rudi Arndt ein: "Die Eintracht gewinnt den Cup jedes Mal, dann bleibt er immer hier." Wo er hingehört.

Epilog

"Die dritte Macht" titelt Hartmut Scherzer seinen Kommentar über die Eintracht, die der Journalist zwischen Bayern München und Borussia Mönchengladbach positioniert sieht. Eintracht-Vizepräsident Ernst Berger widerspricht energisch: "Dies ist ein Ausdruck von Arroganz, den wir nicht lieben. Zur dritten Macht gehören vor allem Hertha, Schalke, Köln und Düsseldorf. Und im Übrigen weiß ja niemand, wohin der Weg der sogenannten "Mächtigen" führt."

Wohin die Reise der Eintracht führen soll, weiß Berger dagegen ganz genau, und Scherzer wird sich angesichts der Ausführungen fragen, warum ihm der Vizepräsident des zweimaligen Pokalsiegers und Tabellendritten Arroganz unterstellt: "Die Eintracht will um die Meisterschaft mitspielen und zumindest eine ähnliche Tabellenposition behaupten wie in der abgelaufenen Saison. Sie will den gerade wiedergewonnenen Pokal ein drittes Mal verteidigen. Und sie will im Europacup eine wesentlich stärkere Rolle spielen als im vergangenen Jahr. Nach den Erfolgen auf nationaler Ebene wollen wir nun die nächste Bewährungsprobe auf internationalem Parkett bestehen", hofft Berger, der im Hinblick auf die gesammelten Erfahrungen dieser Saison sowie die Neuverpflichtungen mit Krobbach und Wenzel betont, dass "wir diesmal weitaus besser gerüstet sind".

Luft nach oben sieht auch der Kapitän. "Die Eintracht ist noch steigerungsfähig. Die Mannschaft hat die Grenzen ihres Leistungsvermögens noch längst nicht erreicht", verspricht Jürgen Grabowski, fügt jedoch hinzu: "Erst wenn Siege über Gladbach und Bayern von uns als nichts Sensationelles mehr empfunden werden, sind wir eine echte Spitzenmannschaft. Dann erst haben wir das Zeug zur Meisterschaft, die ich mir als Ziel für eines meiner nächsten Bundesligajahre gesetzt habe."

Nur der Trainer mahnt in seiner gewohnt nachdenklichen und sachlichen Art, weil er weiß, dass der Weg selten ohne Rückschläge von Erfolg zu Erfolg führt: "Wir nehmen diesen Sieg als große Hypothek mit in die nächste Saison." Weises leise Worte verhallen im Lärm des Siegesjubels ungehört … (rs)

 


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